Manfred Gerstenfeld interviewt Robert Wistrich (direkt vom Autor)
Der antizionistische Diskurs im Vereinten Königreich geht über den der meisten anderen westlichen Gesellschaften hinaus. Antisemitismus hat einen Grad an Resonanz erzielt – insbesondere in der Meinung der Eliten – der das Land zu einem Führer bei der Ermutigung zu diskriminierenden Haltungen macht. Das Vereinte Königreich befindet sich in der Position eines Pioniers beim Werben für akademische Boykotte gegen Israel in Europa. Dasselbe gilt für Bemühungen der Gewerkschaften um Wirtschaftsboykotte. In die Labour Party und die Gewerkschaften in den 1980-er Jahren eingesickerte Trotzkisten sind ein wichtiger Faktor bei der Verbreitung dieses Giftes.

Prof. Robert Wistrich hat den Neuberger-Lehrstuhl für die Geschichte des modernen Europa und jüdische Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem inne. Seit 2002 ist er der Direktor des Vidal Sassoon International Center for the Study of Anti-Semitism an der Universität. In „A Lethal Obsession“ (Eine tödliche Besessenheit), dem jüngsten seiner vielen Bücher, diskutiert er Antisemitismus von der Antike bis zum globalen Jihad.
Wistrich fügt hinzu: Es gibt außerdem keine westliche Gesellschaft, in der der jihadistische Radikalismus sich als so gewalttätig und gefährlich erwiesen hat wie in Großbritannien. Obwohl Antisemitismus bei diesem Extremismus nicht der bestimmende Faktor ist, spielt er eine Rolle. Der islamistische Radikalismus hat geholfen die Richtung des Antisemitismus im Vereinten Königreich insgesamt zu formen.
Eine weitere Pionierrolle Großbritanniens, besonders im Bereich des Antiisraelismus, ist die lange bestehende Einseitigkeit der BBC bei der Berichterstattung und in Kommentaren zur jüdischen Welt und besonders zu Israel. Zweierlei Maß ist seit langem definierendes Merkmal ihrer Nahost-Berichterstattung. Das hat Kräfte schwächende Folgen. Die BBC spielt eine Sonderrolle, die sie ihrem lange etablierten Prestige als Nachrichtenquelle verdankt; sie gilt weithin als objektiv. Sie hat eine Bedeutung, die über die jeder anderen westlichen Medieninstitution hinaus geht.
Den Antisemitismus hat es in Großbritannien seit fast eintausend Jahren aufgezeichneter Geschichte gegeben. Das mittelalterliche England war bereits beim Antisemitismus führend. Im Mittelalter bahnte England dem Ritualmordvorwurf den Weg. Der Fall in Norwich aus dem Jahr 1144 stellt das erste Mal dar, dass Juden beschuldigt wurden das Blut christlicher Kinder für das ungesäuerte Passahbrot (matze) zu nutzen. Im zwölften Jahrhundert war das mittelalterliche Britannien eine Verfolgung betreibende katholische Gesellschaft, insbesondere wenn es um Juden ging. In diesem Milieu war die englische Kirche führend bei der Einführung grausamer Rechtsordnung und diskriminierendem Verhalten gegenüber Juden, die im Rest Europas ohnegleichen waren.
Ab der normannischen Eroberung 1066 gab es – insbesondere während des dreizehnten Jahrhunderts – einen steten Prozess der Verfolgung, Zwangskonversion, Erpressung und Enteignung der Juden. Das gipfelte in der Vertreibung der Juden aus England im Jahr 1290 unter Edward I. Es war die erste Vertreibung einer bedeutenden jüdischen Gemeinde in Europa. Britannien war nicht nur das erste Land im mittelalterlichen Europa, das Juden vertrieb, sondern auch eines der letzten, die sie wieder aufnahm – nach mehr als 350 Jahren.
Dass Juden den britischen Inseln so lange fern blieben, bedeutete nicht, dass der Antisemitismus in der Zwischenzeit verschwand. Es ist ein aufschlussreiches frühes Beispiel dafür, dass eine Gesellschaft keine physische Anwesenheit von Juden braucht, damit antijüdische Stereotype mit Macht in die Kultur eindringen. Die Kraft der antijüdischen Stereotype in der klassischen englischen Literatur ist so stark, dass sie letztlich im zeitgenössischen „kollektiven Unterbewusstsein“ der Kultur des Landes bewahrt bleibt.
Das Image des „Shylock“ (Wucherer) beeinflusste den gesamten Westen, denn es passt so herrlich in die Evolution des frühen Marktkapitalismus. Shylock ist das englische Urbild des niederträchtigen Juden. Wer davon redet, wie humanistisch, universal und empathisch seine Darstellung ist, ignoriert nicht nur, wie er zu seiner Zeit wahrgenommen wurde, sondern auch seine historischen Folgen.
In Großbritannien, wie in einem Großteil Europas, füttert oft der erklärte Antirassismus der linken Spielart den neuen Antisemitismus – der sich in erster Linie direkt gegen Israel richtet. Wenn man darauf hinweist, dass solche Linke getarnte Antisemiten sind, dann werden sie voraussichtlich wütend und kontern, man „spiele die Antisemitismuskarte“. Das ist ein Codewort geworden, um auszudrücken: „Du bist ein unredlicher, hinterlistiger, manipulierender Jude“, oder ein „Judenfan“. Zionisten nutzen angeblich den „Antisemitismus-Vorwurf“, um die Kritik an Israel und seinen Menschenrechtsverletzungen zu verzerren und zum Schweigen zu bringen. Das Wort „Kritik“ ist in diesem Zusammenhang unangebracht. Es ist eine Umschreibung oder Lizenz für die Dämonisierung Israels. Und das wiederum ist eine wesentliche Form des Antisemitismus unserer Zeit.
Großbritannien kann allerdings stolz auf die Veröffentlichung des Report of the All-Party Inquiry into Anti-Semitism (Bericht der Allparteien-Untersuchung des Antisemitismus) sein, mit der gründlich – wenn auch nicht perfekt – das Aufkommen antijüdischer Haltungen im Vereinten Königreich erforscht wurde. Der Bericht widerspricht dem nicht, was ich gesagt habe, doch er ging mit muslimischem Antisemitismus oft zu nachsichtig um.
Dr. Manfred Gerstenfeld ist Vorsitzender des Aufsichtsrats des
Jerusalem Center of Public Affairs
Gibt es eine vergleichbare Studie in Frankreich?
Keine Ahnung. Ich versuche mal nachzuhaken.
Danke!!
http://tapferimnirgendwo.wordpress.com/2012/04/23/die-vertreibung-des-juden-von-der-englischen-buhne/
q.e.d. oder so. 🙂
Die Briten und ihr Antisemitismus. Dafür sind die Briten Fans arabischer Männer und Knaben. Die homoerotischen und homosexuellen Beziehungen Britischer Männer mit Arabern und Palästinensern sind spätestens seit dem Buch von T.E. Lawrence bekannt.