Sollte Israel die französischen Sozialisten oder den Front National vorziehen?

ManfredGerstenfeldManfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Die jüngsten Regionalwahlen in Frankreich haben einmal mehr bestätigt, dass der rechtsgerichtete Front National (FN) in der Politik der Landes ein wichtiger Faktor geworden ist. In der ersten Runde gewann er 28% der Stimmen, mehr als jede andere Partei; in sechs der dreizehn französischen Regionen stand er an erster Stelle.[1] In der zweiten Runde gewann der FN jedoch in keiner einzigen Region. Das war verschiedenen Faktoren geschuldet, in erster Linie dem Ausscheiden kleiner linker und rechter Parteien, die die Prozenthürde nicht geschafft hatten, dazu der beträchtlichen Zunahme der Anzahl der Wähler und dem Rückzug der sozialistischen Liste in zwei Regionen. Obwohl der FN in keinen der Regionen die Kontrolle erreichte, haben seine 6,7 Millionen Stimmen in der zweiten Runde einen neuen Partei-Rekord aufgestellt.

Viele französische Juden haben den FN regelmäßig mit großem Misstrauen beobachtet. Sein Gründer, der heute 87 Jahre alte Jean Marie Le Pen, ist immer ein freimütiger Antisemit gewesen und verniedlichte die Bedeutung und das Ausmaß des Holocaust. Im April 2015 bezeichnete er Nazi-Gaskammern als „Detail“ der Geschichte. Der ältere Le Pen wurde mehrfach wegen antisemitischer Äußerungen getadelt. Er wurde im August 2015 aus dem FN geworfen.[2]

Seine Tochter Marine Le Pen ist seit 2011 die Parteichefin des FN. In einem Interview mit der deutschen Wochenzeitschrift Der Spiegel erklärte sie ihre Ansichten.[3] Die jüngere Le Pen ist dafür den französischen Franc zurückzubringen, um den Euro zu ersetzen. Sie möchte, dass Frankreich die Europäische Union verlässt. Die Partei ist gegen Globalisierung und strebt eine Wirtschaftspolitik mit stark isolationistischen Elementen an.

Der FN erwähnt Muslime nicht ausdrücklich, ist aber deutlich gegen Immigration und Nichtintegration. Le Pen hat sich z.B. gegen alternative Speisepläne in Schulen ausgesprochen, die kein Schweinefleisch anbieten.[4] 2010 verglich sie Muslime, die auf der Straße beten, mit der deutschen Besatzung Frankeichs. Das führte zu einem Gerichtsverfahren, in dem sie freigesprochen wurde.[5]

Eine weitere Schlüsselperson der Partei betonte das etwas anders. In einer Äußerung stellte der FN-Berater für republikanische und säkulare Themen, Bertrand Dutheil, die Positionen der Partei dar; er erklärte, Muslimen sollte erlaubt werden privat zu beten, aber öffentliches Gebet sollte verboten, alle Immigration sollte gestoppt und alle französischen Bürger in die französische Nation integriert werden, ungeachtet ihrer Herkunft oder religiösen Bekenntnisses. Zusätzlich erklärte Dutheil seine Überzeugung, dass der Katholizismus die Religion ist, die dem Genius der französischen Nation über die Jahrhundert hinweg Ausdruck verliehen hat.[6]

In Reaktion auf die lautstarken Gewinne des FN forderte CRIF, die Dachorganisation der französischen jüdischen Gemeinschaft, vor kurzem in der zweiten Runde der Wahl eine massive Stimmabgabe, um „den fremdenfeindlichen und populistischen FN“ aufzuhalten.[7]

Wie erwähnt, hat die lange antisemitische Geschichte der Partei und ihres Gründers unter Juden zum Aufkommen enormer Sensibilität bezüglich des FN geführt. Mit der Ankunft Marine Le Pens an der Parteispitze und der aus Teilen der muslimischen Gemeinschaft kommenden antisemitischen Gewalt und kapitaler Aufstachelung hat der Anteil der für den FN stimmenden Juden zugenommen. Für die erste Runde der Präsidentschaftswahlen von 2012 sind Zahlen verfügbar, die zeigen, dass 13,5% der Juden für den FN stimmten. Dieser Prozentsatz ist zwar beträchtlich, liegt aber noch deutlich unter dem nationalen Durchschnitt von 18%.[8]

Die Ergebnisse der Regionalwahlen 2015 zeigen, dass aus Frankreich ein Land geworden ist, in dem drei große Parteien vorherrschen. Die Linke wird von den Sozialisten repräsentiert, der größten linken Partei. Die wichtigste Partei der rechten Mitte, die sich gerade in „Republikaner“ umbenannt hat, wird heute vom ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy geführt. Der FN steht im politischen Spektrum weiter rechts.

Sarkozy hat den FN öffentlich legitimiert. Er merkte an, dass in der ersten Runde der Regionalwahlen 6 Millionen Menschen für ihn stimmten und man nicht sagen könne, dass diese Wähler gegen die Republik seien. Er ordnete die Sozialisten und den FN mehr oder weniger auf derselben Stufe ein. Und das, obwohl die Sozialisten ihre Liste in zwei Regionen zurückzogen, um die Chancen der Republikaner beim Blockieren des FN zu verbessern.[9]

Israels Interessen decken sich nicht immer mit denen der französischen Juden. Jüdische Leiter in jedem Land müssen den besten Weg finden, lokal in einem Klima unangenehmer Realitäten zu manövrieren, sich auf Menschen und Parteien zu konzentrieren, die diese Realitäten anerkennen und den beteiligten Themen wohlwollend gegenüber stehen. Der französische sozialistische Präsident François Hollande und insbesondere Premierminister Manuel Valls sind der jüdischen Gemeinschaft gegenüber sehr positiv gewesen. Außenminister Laurent Fabius hat wiederholt erklärt, die Bekämpfung des Antisemitismus habe für die französische Regierung Priorität.[10]

Wie der französische Soziologe Shmuel Trigano aufgezeigt hat, verdreht Fabius allerdings auch die Wahrheit über muslimischen Antisemitismus; er behauptet, dieser stehe mit dem palästinensisch-israelischen Konflikt in Zusammenhang. Trigano stellte fest, die mörderischen Anschläge vom Januar 2015 zeigten, dass die Ursprünge des muslimischen Antisemitismus in islamischen und koranischen Leitgedanken gegen Nichtmuslime zu finden sind.[11]

Obwohl Valls vor kurzem Boykotte gegen Israel ausdrücklich verurteilte,[12] hat Frankreich eine führende Rolle bei der Forderung nach einer Kennzeichnung israelischer Siedlungsprodukte gespielt.[13] Fabius hat zudem zwei sehr unwillkommene internationale Initiativen in Bezug auf Israel unternommen. Anfang des Jahres kündigte Frankreich seine Absicht an auf eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats zu Siedlungen zu drängen.[14] Im Oktober 2015 kündigte Fabius an, er wolle internationale Beobachter auf dem Tempelberg stationiert sehen.[15] Die regierenden Sozialisten schlugen im Dezember 2014 im Parlament einen Antrag vor, der eine Mehrheit erhielt. Darin wurde die Regierung aufgefordert den Palästinenserstaat anzuerkennen.[16] Die Regierung handelte allerdings nicht entsprechend.

Sollte, wenn die französischen Sozialisten bei zukünftigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen besiegt werden, Israel in der Tat jegliche Präferenz für Kontakte zu ihnen zugunsten des Front National aufgeben? Schon eine solche Frage zu stellen, könnte vielen wegen der langfristigen kulturellen Einschränkungen ketzerisch erscheinen, aber angesichts der jüngsten negativen Einstellung der Sozialisten zu Israel auf der internationalen Bühne muss das gefragt werden. Es ist klar, dass für den Fall, dass Israel sich entscheidet Kontakte zum FN zu entwickeln, die Verbindung sehr allmählich aufgebaut werden sollte, unter ständiger Überprüfung, wie die Einstellungen dieser Partei zu für Israel wichtigen Fragen aussieht. Das gilt besonders für den Fall, dass Jean Marie Le Pen in die Partei zurückkehrt.

[1] Angelique Chrisafis: Front National wins opening round in France’s regional elections. The Guardian, 7. Dezember 2015.

[2] Noemie Bisserbe: Jean-Marie Le Pen Expelled From National Front. The Wall Street Journal, 20. August 2015.

[3] Mathieu von Rohr: Interview with Marine Le Pen: ‚I Don’t Want this European Soviet Union‘. Der Spiegel, 3. June 2014. [Anmerkung heplev: In der deutschen Version formuliert der Spiegel Len Pens Ansichten weit härter und extremer als in der englischen!]

[4] France’s Le Pen: ban non-pork meals in schools. The Telegraph, 5. April 2014.

[5] Aurelien Breeden: French Court Acquits Marine Le Pen of Hate Speech. The New York Times, 15. Dezember 2015.

[6] Bertrand Dutheil: Aux Français qui se disent musulmans de s’assimiler dans la République”. Front National, 2. September 2014.

[7] Le CRIF appelle à faire barrage au Front National. CRIF, 7. Dezember 2015.

[8] Les votes juifs : poids démographique et comportement électoral des juifs de France. IFOP, August 2014.

[9] Alexandre Lemarié: Pour son premier meeting de l’entre-deux-tours, Sarkozy met PS et FN sur le même pied. Le Monde, 8. Dezember 2015.

[10] Laurent Fabius: „Les juifs en France ne doivent pas avoir peur.” RTL, 24. Juli 2014.

[11] Shmuel Trigano: Pourquoi la manifestation du 11 janvier est un événement inquiétant. Actualité Juif, 5. Januar 2015.

[12] Lahav Harkov: French PM Valls condemns BDS: ‘Criticism of Israeli policies that turned into anti-Semitism’. Jerusalem Post, 19. Dezember 2015.

[13] Israel compiles EU ‚black list‘ on goods labeling. Globes, 13. Dezember 2015.

[14] Barak Ravid: France to Push for UN Security Council Resolution on West Bank Settlements. Haaretz, 11. Oktober 2015.

[15] Barak Ravid. France Pushes Security Council Call for Deployment of International Observers to Temple Mount. Haaretz, 17. Oktober 2015.

[16] L’Assemblée adopte une résolution invitant la France à reconnaître l’Etat palestinien. Le Monde, 12. Dezember 2015.