Nach dem Brexit-Referendum: Was sollte Israel tun?

 

ManfredGerstenfeldManfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Es wird noch eine Weile unklar bleiben, wie die Hauptkonsequenzen des Brexit für Europa, Großbritannien und die Welt insgesamt aussehen werden. Zu den Veränderungen wird Politisches, Wirtschaftliches und Soziales gehören. Ein Beispiel: Verschiedene Parteien in einer Reihe von EU-Mitgliedsstaaten verstärken ihre Bemühungen weitere Austritts-Referenden durchzusetzen. Die unmittelbare hauptsächliche Auswirkung der Ungewissheit hat auf den Finanzmärkten stattgefunden. Die Stabilität wiederherzustellen wird Zeit brauchen. Eine weitere bekannte Veränderung besteht darin, dass nach dem Rücktritt des britischen Premierministers David Cameron ein Nachfolger für ihn gefunden werden muss.

Es ist unwahrscheinlich, dass die vielen, sich aus dem Brexit ergebenden Entwicklungen für Israel keine Folgen haben werden. Solche Auswirkungen werden vermutlich vorwiegend mittel- und langfristiger Art sein. Daher sollte man fragen: Was sollte Israel tun? Die erste Antwort lautet, dass die israelische Regierung nicht schnell kommentieren sollte, was in Europa geschieht. Dadurch ist nichts zu gewinnen.

Die konfuse Situation Europas könnte viel Auswirkungen auf Israel haben, zu denen es nicht viel tun kann. Es wird aber einige, noch nicht vorherzusehende Entwicklungen geben, die Israel Chancen bieten, während andere Bedrohungen verkörpern werden. Daher sollte die Regierung zusätzlich zu der bereits angekündigten kontinuierlichen Beobachtung der finanziellen Entwicklungen ein interdisiziplinäres Beobachtungskomitee aufbauen, das sich mit allen wichtigen Aspekten vertraut macht, die sich aus dem Brexit ergeben.[1] Wird dies gemacht, wird Israel nicht unter den Bedrohungen leiden, ohne von den Chancen zu profitieren.

In den vergangenen Jahren ist Israel vom gegen sich gerichteten postkolonialen Imperialismus der EU beeinträchtigt worden. Das hatte aufgrund ihrer Politik und zweierlei Maß eine Reihe antisemitischer Aspekte. Man muss nur ihre regelmäßige Kritik an Israels Bautätigkeit in den Siedlungen mit den viel schwächeren Verurteilungen der vielen extremen Verbrechen in Teilen der muslimischen Welt vergleichen. Dasselbe gilt für das regelmäßige Wegsehen bei der enormen Kriminalität, die die palästinensische Gesellschaft durchzieht, deren größte Partei die Islamo-Nazis von der Hamas sind, die sich gemäß ihrer Charta Völkermord an den Juden zum Ziel gesetzt hat.

Das antisemitische zweierlei Maß der EU ist bei der vorgeschriebenen Etikettierung von Waren aus der Westbank und vom Golan am stärksten sichtbar; solche Maßnahmen sind zu keinem der vielen weiteren Staaten wie der Türkei, die Nordzypern besetzt hält, zu finden. Dieses zweierlei Maß ist nach Maßgabe der vor kurzem von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) übernommenen Arbeitsdefinition des Antisemitismus antisemitisch. Die IHRA ist ein Gremium, dessen Zweck es ist Holocaust-Bildung, -Erinnerung und -Forschung zu fördern.[2] Damit diese Definition angenommen werden konnte, war die Zustimmung aller 31 Mitgliedsstaaten nötig. 24 davon sind Mitglieder der Europäischen Union.

Israels wichtige politische Botschaft an die EU kann so beschrieben werden: „Ihr seid daran gescheitert eure eigene Organisation zusammenzuhalten. Das ist das Ergebnis einer langen Reihe grober Patzer. Ihr versteht eure eigenen Wirklichkeit seit vielen Jahren nicht mehr. Wir haben schon lange gewusst, dass eure Einmischungen in palästinensisch-israelische Dinge in erster Linie Schaden anrichten. Bringt also erst einmal euer internes Chaos in Ordnung und verzichtet darauf uns zu belästigen.“ Das israelische Außenministerium kann diese Botschaft in diplomatischeren Worten formulieren. Angesichts der vielen anstehenden Konfrontationen innerhalb der EU wird es regelmäßig Gelegenheiten geben diese Botschaft öffentlich zu vermitteln.

Ursprünglich hatte die EU sehr lohnenswerte Ziele und unternahm wichtige Schritte. Sie und ihre Vorläufer haben in Europa Kriege verhindert, nachdem der Kontinent Jahrhunderte lang unter solchen gelitten hatte. Auch die Gründung einer Zollunion hat die Länder wettbewerbsfähiger gemacht und ihre Wirtschaften angekurbelt. In den letzten Jahrzehnten erfolgte allerdings ein Fehlgriff nach dem anderen, Wie unverantwortlich war es doch, Reisefreiheit im 26 Länder umfassenden Schengenraum zu schaffen, ohne seine Außengrenzen adäquat zu schützen? Wie absurd war es, ohne die Existenz einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik mit dem Euro eine große einzige Währung zu schaffen? Griechenland den Euro einführen zu lassen und nachher seine Bevölkerung Jahre lang schlecht zu behandeln, war ein weiterer Fehltritt der EU. Die Flüchtlingspolitik mit wenig Auswahl, wer in die EU kommt, war ein weiteres großes Versagen.

Unlängst traf sich Israels Präsident Reuven Rivlin in Brüssel mit Donald Tusk, dem Präsidenten des Europarats. Diese Institution besteht in der Hauptsache aus den Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten. Tusk sagte Rivlin, ein dauerhafter Frieden im Nahen Osten gehöre für die Europäische Union zu den wichtigsten Prioritäten.[3] Heute ist offenkundig, dass nach der Entscheidung Großbritanniens für den Austritt sich selbst zusammenzuhalten eine der Prioritäten der EU ist, auf die sie ihre Hauptanstrengungen konzentrieren sollte.

[1] http://www.jpost.com/Israel-News/Israel-sets-up-24-hour-situation-room-to-monitor-Brexit-effects-457782

[2] http://www.holocaustremembrance.com/sites/default/files/press_release_document_antisemitism.pdf

[3] http://www.jpost.com/Israel-News/Politics-And-Diplomacy/European-leader-to-Rivlin-Lasting-Mideast-peace-is-a-top-priority-for-EU-457363