Die israelische Aliyah-Geschichte

Dov Lipman, HonestReporting, 24. März 2020

Französische Juden kommen bei ihrer Aliyah am 17. Juli 2019 in Israel an. (Foto: Jack Guez/AFP via Getty Images)

Das hebräische Wort für jüdische Immigration nach Israel ist aliyah, was wörtlich „hinaufgehen“ bedeutet. Dies bezieht sich nicht nur auf die Topografie Israels im Vergleich mit anderen Ländern, sondern auch und mehr auf die spirituelle Erhebung, die man durch den Umzug ins Heilige Land erhält.

Es hat im Heiligen Land seit tausenden von Jahren eine ständige jüdische Präsenz gegeben – schon bevor das Christentum und der Islam entstanden.

Aber im Jahr 70 n.Chr. wurden die meisten Juden vom römischen Imperium aus ihrer Heimat ins Exil getrieben. Verstreut und ständig auf der Wanderung in der Welt hielten Juden immer an dem Traum der Rückkehr dorthin fest, was die Römer „Palästina“ nannten und von dem die Juden wussten, dass es „das Land Israel“ ist. Seither haben Juden am Versöhnungstag und zu Pessah inbrünstig erklärt: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“

Die früheste religiöse Aliyah

Die Jahrtausende hindurch versuchten immer Einzelne und kleine Gruppen ihren Weg zurück nach Israel zu finden, aber die erste „Aliyah“ von Bedeutung fand im späten 17. Jahrhundert statt. 1697 verließ Rabbi Judah HaHassid Polen mit 31 Familien aus seinen Anhängern Richtung Israel. Sie verbrachten ein Jahr mit der Reise durch Deutschland und Mähren; dabei versuchten sie andere dazu zu inspirieren sich ihnen anzuschließen. Als sie in Italien ankamen, zählte die Gruppe 1.500 Personen. Fast ein Drittel starb unterwegs, aber als sie schließlich am 14. Oktober 1700 in Israel ankamen, ließen sie sich in Jerusalem nieder.

Die nächste große Gruppe zog zwischen 1740 und 1750 nach Israel, als tausende religiöser Juden dorthin zogen, darunter zwei der größten Rabbiner der Zeit – Rabbi Mosche Chaim Luzatto aus Italien und Rabbi Chaim Ben Attar aus Marokko, besser als Or Hachaim bekannt.


Jerusalem, dargestellt von David Roberts, einem Maler des 19. Jahrhunderts.

Ihnen folgten in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts hunderte Schüler des Gründers der chassidischen Bewegung, Baal Schem Tov. Diese Chassidim, die aus der heutigen Ukraine kamen, wollten keinen Staat aufbauen. Sie betrachteten sich eher als die spirituellen Abgesandten des jüdischen Volks rund um die Welt und konzentrierten sich auf religiöse Studien und Gebet.

Die nächste große Gruppe dieser religiösen Aliyah waren die Schüler des Rabbi Eliyahu von Wilna (der Wilna Gaon), die zu hunderten während des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts ankamen. Diese Gruppe konzentrierte sich zwar auch auf das Spirituelle, aber sie kauften auch Boden für Landwirtschaft. Sie betrachteten das Wiedererblühen des Landes durch das Objektiv der biblischen Prophetien und das Kommen des Messias.

Die fünf Wellen der modernen Aliyah

Der Ausbruch von Pogromen in Russland und zunehmender Antisemitismus überall in Europa führte zu fünf eigenständigen Aliyah-Wellen von 1882 bis 1939. Diese Zuströme waren viel größer als die vorhergehende religiöse Aliyah.

Die Erste Aliyah (1882 – 1903): Die Immigranten dieser Periode arbeiteten an der Gründung eines jüdischen Staats im Heiligen Land. 60.000 Mitglieder der beiden Bewegungen – Chibat Zion, die eine stärker religiöse Perspektive hatte, und Bilu, die sich mehr auf die Landwirtschaft konzentrierte – zogen nach Israel.

Die Immigranten der Ersten Aliyah gründeten neue Siedlungen, aus denen Städte wurden – wie z.B. Rischon Letzion, Rechovot, Hadera, Gedera und andere – indem Arabern 90.000 Morgen Land abgekauft wurden. Sie richteten sich auch in Städten wie Jaffa ein, wohin 3.000 dieser neuen Zuwanderer zogen. Diese Aliyah-Welle war für die Wiederbelebung des Hebräischen als gesprochene Sprache verantwortlich und hebräische Schulen wurden gegründet.

Die Zweite Aliyah (1904 – 1914): Diese war von jüngeren säkularen russischen Immigranten mit sozialistischen Idealen geprägt. Sie wollten ein Arbeiter-Gemeinwesen in Israel schaffen und arbeiteten als Lohnarbeiter. Diese Gruppe, etwa 40.000, gründete die ersten Kibbuzim.

Diese Gruppe begann auch den Prozess des Aufbaus einer jüdischen Armee mit ihrem Verteidigungsbund HaSchomer. David Ben Gurion, Yitzchak Ben Zvi und andere idealistische zukünftige Führungspersönlichkeiten des Staates waren Teil dieser Aliayah.

Halutzim (Pioniere) in Migdal, 1912

Die Dritte Aliyah (1919 – 1923): Die Immigration nach Israel pausierte während des Ersten Weltkriegs, nahm aber 1919 wieder zu. Angespornt von der Balfour-Erklärung von 1917 kamen 35.000 Juden mit einem stärkeren zionistischen Geist aus Russland, Polen und Litauen, dazu weitere 1.000 aus anderen europäischen Ländern. Die zumeist jungen Pioniere dieser Aliyah gründeten die Histadrut, die landesweite Gewerkschaft; sie brachten die Arbeiter für den Bau von Häusern und Straßen.

Die Vierte Aliya (1924) erlebte die Ankunft neuer Typen von Immigranten: Ladeninhaber der Mittelklasse und Handwerker, zumeist aus Polen, die vor harten wirtschaftlichen Einschränkungen flohen. Die 67.000 Juden der Vierten Aliyah ließen sich in Städten wie Tel Aviv nieder und eröffneten Fabriken, Geschäfte, Restaurants und kleine Hotels.

Die Fünfte Aliyah (1929 – 1939) brachte mehr als 250.000 Juden nach Israel und war der erste große Zustrom mittel- und westeuropäischer Juden. Viele waren bestens ausgebildete Fachkräfte, darunter Ärzte und andere akademische Berufe, dazu Musiker und andere kulturell Kompetente. Sie ließen sich in Städten wie Tel Aviv, Haifa und Jerusalem nieder.

Diese Fünfte Aliyah fiel zeitlich mit geheimen Bemühungen zusammen Juden nach Israel zu bringen, was man auch als „Aliyah Bet“ kannte. 1934 charterte die HeHalutz-Bewegung ein griechisches Schiff, die „Vellos“, um 350 „illegale“ Immigranten nach Israel zu bringen, während die Briten versuchten die jüdische Zuwanderung ins Heilige Land zu reduzieren. Von 1937 bis 1939 kamen, organisiert von Betar und revisionistischen Gruppen, tausende weitere. Nach dem Holocaust gingen diese Bemühungen trotz britischer Einschränkungen für jüdische Zuwanderung weiter. Von 1934 bis 1948 erreichten 115.000 Juden Israel. 51.000 wurden von den Briten inhaftiert und erst befreit, um nach Israel einzureisen, als der jüdische Staat 1948 gegründet wurde.

Die Exodus im Hafen von Haifa, 1947.

Sammlung

Entsprechend seines Auftrags die jüdische nationale Heimstadt zu sein, erließ Israel das Rückkehr-Gesetz, um es Juden zu ermöglichen so einfach wie möglich „nach Hause“ zu kommen. Seit seiner Gründung hat Israel jüdische Immigranten in drei weiteren Wellen aufgenommen. Diese drei Zuströme kamen von unterschiedlichen Enden der Welt und brachten ausgeprägte Herausforderungen mit sich.

Mizrahi-Aliyah: Israels jüdische Bevölkerung stieg mit der Immigration von 820.000 Juden aus arabischen Ländern ab 1948 sprunghaft an. Jüdische Flüchtlinge aus arabischen Ländern waren gezwungen angesichts von antisemitischen Pogromen, Unterdrückung und Diskriminierung aus ihren Heimen zu fliehen.

Von 1948 bis 1951 kam der erste Zustrom von 256.000 Menschen aus dem Irak, dem Jemen, Libyen und der Türkei. Die Juden des Irak und des Jemen wurden in den Operationen Esra und Nehemia bzw. Fliegender Teppich per Luftbrücke nach Israel gebracht. Zehntausende machten Mitte der 1950-er Jahre Aliyah aus Ägypten und Marokko und hunderttausende zogen während der 1960-er aus anderen nordafrikanischen Ländern nach Israel.

Die meisten dieser Immigranten wurden zeitweise in Einwanderungslagern unter- und dann nach Ma’abarot gebracht – Transitlager aus Blechhütten. Diese Immigranten tendierten dazu religiös traditioneller zu sein als die Staatsgründer und sie zogen schließlich in ihre eigenen Viertel in Israels Entwicklungsstädten in der nördlichen und südlichen Peripherie.

Die Russische Aliyah: Es gab zwar in den 1970-er und 1980-er Jahren einen ständigen Zufluss von Juden nach Israel aus aller Welt, der nächste große Zustrom kam dann in den 1990-ern, als die Sowjetunion zerfiel. Als die Juden zu Beginn dieser Welle erst einmal zu Transitpunkten in Europa fliegen mussten, stellte Israel jedes Flugzeug der El Al zur Verfügung, um sie nach Hause zu fliegen. Fast eine Million machten Aliyah und Israel stellte 430 Wohnwagen zur Verfügung, um sie vorübergehend unterzubringen.

Diese russische Aliyah trug enorm zu Israel bei, weil 60% dieser Immigranten über höhere Schulbildung verfügten – doppelt so viele wie bei den Israelis damals. Dazu gehörten 57.000 Ingenieure, gegenüber 30.000, die es damals in Israel gab, und 12.000 Ärzte, wobei ganz Israel bis dahin gerade 15.000 Ärzte hatte.

Die Russen hatten Probleme mit der Integration in die israelische Gesellschaft; sie tendierten dazu in eigenen Vierteln zu leben. Zusätzlich wurden die russischen Berufsabschlüsse oft nicht anerkannt, was die Immigranten zwang in Jobs zu arbeiten, die ihrer Erfahrung nicht entsprachen. Aber bis 2012 entsprachen ihre Gehälter denen der ursprünglichen israelischen Juden und ihre Kinder integrierten sich als vollentwickelte Israelis.

Äthiopische Immigranten 1991 nach der  Operation Solomon ein einem Eingliederungszentrum.

Die äthiopische Aliyah: 1984 wurden rund 7.000 äthiopische Juden per Luftbrücke in der Operation Moses nach Israel geflogen, nachdem sie durch eine sudanesische Wüste wanderten, um ein geheimes Flugfeld zu erreichen. Weitere 500 wurden von den Vereinigten Staaten in der Operation Josua nach Israel geflogen. Und dann setzte Israel 1991 die Operation Solomon in Bewegung – schickte 34 Flugzeuge, viele davon mit ausgebauten Sitzen, um die Kapazität zu erhöhen; 14.000 äthiopische Juden wurden im Verlauf von 36 Stunden nach Israel gebracht.

Heute leben etwa 140.000 Juden äthiopischer Herkunft in Israel. Die Integration dieser Bevölkerung, die nicht an einen westlichen Lebensstil gewöhnt ist, ist eine besondere Herausforderung für Israel gewesen. Die äthiopische Gemeinschaft sah sich leider Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt. Darüber hinaus versuchen rund 8.000 Äthiopier, die manchmal auch Falasch Mura oder Beta Israel genannt werden und nahe Verwandte in Israel haben, ebenfalls zu immigrieren, aber das Innenministerium erkennt sie nicht als Juden an.

Aber Fortschritt spiegelt sich in der neuen Generation äthiopischer Israelis. Nachkommen der Immigranten sind in großer Zahl in die höhere Bildung gegangen und haben hohe Ebenen in IDF, Politik, Kultur und Medien erreicht.

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Bei fast sechs Millionen in Ländern der ganzen Welt lebenden Juden geht die Aliyah weiter. Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts erlebte mehr als 250.000 neue Immigranten aus 150 Ländern. Die höchste Anzahl kam aus Russland (66.800), der Ukraine (45.670), Frankreich (38.000) und den USA (32.000).

Israel ist bekannt als Land der Immigranten. Die Geschichte der Aliyah der letzten 300 Jahre zu den Juden, die Israel nie verließen, macht das breite Spektrum an Kulturen, Traditionen, Bräuchen und Akzenten aus, die Israel seine einzigartige Gesellschaft geben.

 

Fotos über Wikimedia Commons, GOP