Niemand braucht posthume Entschuldigungen eines antisemitischen Schriftstellers

Leider kam Roald Dahl zu seinen Lebzeiten und sogar nach seinem Tod mit seinem Judenhass durch. Aber das heißt nicht, das wir seine geliebten Kinderbücher aussortieren sollten.

Jonathan S. Tobin, Israel HaYom, 10. Dezember 2020

Die Entschuldigung war so überflüssig wie unbefriedigend. Rund 30 Jahre nach dem Tod des Schriftstellers Roald Dahl gaben seine Familie und die Firma, die sein literarisches Erbe vermarktet und davon profitiert und das zu seinen Ehren in England gebaute Museum managt, eine Erklärung aus, in der es hieß, sie „entschuldigen zutiefst für die andauernden und verständlichen Schmerzen, die von einigen der Äußerungen Roald Dahls versursacht wurden“.

Der Grund hinter diesem verspäteten Mea Culpa von Leuten, die genau genommen nichts mit den fraglichen Äußerungen zu tun hatten, war Dahls offener Antisemitismus. Dahl mag der Autor geliebter Bücher und Geschichten wie „Charlie und die Schokoladenfabrik“, „The BFG“ (Sophiechen und der Riese) und „James und der riesige Pfirsich“, „Der fantastische Mr. Fox“, „Matilda“ und „Die Hexen“ sein, außerdem des Drehbuchs für „Chitty, Chitty, Bang, Bang“ sowie vieler Drehbücher und Arbeiten für Erwachsene (darunter die klassischen James Bond-Filme mit Sean Connery). Aber er hasste auch Juden.

In einem Interview mit The New Statesman sagte er 1982: „Es gibt einen Zug im jüdischen Charakter, der Anfeindungen provoziert, vielleicht ist es eine Art fehlender Großzügigkeit gegenüber Nichtjuden. Ich meine damit, es gibt immer einen Grund, warum Anti-Irgendwas irgendwo entsteht; sogar ein Taugenichts wie Hitler hackte nicht ohne Grund auf ihnen herum.“ 1983 schrieb er in der Literary Review, dass Amerika Sklave der „mächtigen amerikanisch-jüdischen Banker“ sei und dass Juden „die Medien kontrollieren“, weil „es nirgendwo nichtjüdische Verleger gibt“. 1990 sagte er dem Independet: „Ich bin natürlich antiisraelisch und ich bin zum Antisemiten geworden.“ Weiter sagte er: „Wir wissen alles über Juden und den Rest davon.“

Sollte das aber heißen, dass wir aufhören Kindern seine Geschichten vorzulesen?

Dahl ist nicht der einzige berühmte Künstler, der des Antisemitismus schuldig ist, wie das bestehende Verbot Richard Wagners Musik in Israel aufzuführen andeutet. Aber vielleicht ist es in der Folge des Aufkommens der Black Lives Matter-Bewegung, die zu einem starken Anstieg des Bildersturms und der Angriffe auf Giganten der Literatur aus der Vergangenheit wie Walt Whitman und Laura Ingalls Wilder wegen einiger ihrer Kommentare über Afroamerikaner führten, möglich, dass Dahls Familie fürchtete, auch er würde von seinem Sockel als einer der großen Kinderbuch-Autoren gestürzt.

Dahls Verachtung für Juden war für jemanden, der im Britannien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufwuchs, nicht wirklich ungewöhnlich. Was aber ungewöhnlich war, war die Bereitschaft einer Berühmtheit sich so kurz nach dem Holocaust so öffentlich über seinen Antisemitismus zu äußern. Dahls Fähigkeit mit dieser Art von Verhalten davonzukommen, ohne irgendwelche Konsequenzen von Verlegern oder der Öffentlichkeit zu erfahren, lässt die Art ahnen, wie Judenhass in den Folgejahren ein Comeback machte, besonders in Großbritannien und westeuropäischen Ländern. Selbst nach seinem Tod im Jahr 1990 versäumte es sein Nachruf in der New York Times seinen Antisemitismus zu erwähnen, obwohl ein folgender Leserbrief von Abe Foxman, damals Leiter der Anti-Defamation League, in vergeblichem Protest darauf hinwies.

Wie die Jahre vergingen – selbst während die steigende Flut des Antisemitismus Europa und einen Großteil der Welt verschlang – ist Dahls Hass nicht ganz vergessen worden. Die britische Königliche Münze strich 2016 Pläne eine Gedenkmünze zu seinen Ehren auszugeben und führte als Grund seinen Antisemitismus an. Aber das hielt die jüdische Film-Ikone Steven Spielberg nicht davon ab im selben Jahr aus „The BFG“ einen Kinderfilm zu machen. Genauso wenig hielt es Netflix davon ab 2018 an Dahls Erben Berichten zufolge $1 Milliarde für das Recht zu zahlen eine animierte Serie auf Grundlage seiner Arbeiten zu schaffen – ein Hinweis darauf, dass sein Antisemitismus für die meisten Menschen kaum mehr als eine Fußnote bleibt.

Was veranlasste dann Dahls Familie zu der Entscheidung sich plötzlich für die Äußerungen des Schriftstellers zu entschuldigen?

Vielleicht glaubten sie, dass in der aktuellen Atmosphäre, in der posthume Vergeltung wegen Rassismus seitens lange toter Persönlichkeiten vorherrschend geworden ist, auch bedeuten würde, dass Dahl früher oder später wegen seiner erbärmlichen Einstellungen fallen gelassen würde.

Sollte dem so sein, dann ist klar, dass sie der Art, wie Cancel Culture funktioniert, nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt haben. Es braucht nicht viel, damit der Woke-Mob zu Recht oder zu Unrecht die Auslöschung eines des Rassismus Beschuldigten fordert. Aber es gibt wenig Zeichen, dass die Kunstwelt auch nur im Geringsten daran interessiert ist Antisemitismus zu verfolgen, weder den aus der Vergangenheit noch den in der Gegenwart. Tatsächliche sind Dahls antizionistische und antisemitische Ansichten in der britischen Kunstszene heute üblich und in akademischen Kreisen andernorts alles andere als ungewöhnlich.

Aber verpflichtet es, dass jetzt dieses Thema endlich voll gelüftet worden ist, nicht Juden oder andere, denen die Hartnäckigkeit des Antisemitismus Sorgen bereitet, Dahls Schriften oder Adaptionen seines Werks zu meiden? Sicher, einige werden so reagieren. Sie werden argumentieren, dass er nicht nur Nichtbeachtung verdient, sondern dass seine Nachkommen, die die aktuelle Entschuldigung veröffentlichten – eine, die es versäumt direkt einzugestehen, wie er demonstrierte, dass Antizionismus nicht von Antisemitismus unterschieden werden kann – nicht erlaubt werden sollte mit einem vorbeugenden Versuch davon zu kommen ihre literarische Goldmine zu verteidigen.

Wie bei so vielem aus der Cancel Culture gleicht der Nutzen, weldcher auch immer aus dem Sturz Dahls gezogen werden könnte, nicht den Schaden aus, der durch Bemühungen entsteht Geschichte auszulöschen oder Kunst einzig als Funktion der Biographie des Künstlers zu behandeln. Man kann, wie es ein Großteil der Welt tut, Wagners Musik bewundern, während man ihn trotzdem korrekt als einen unglaublichen Judenhasser etikettiert, dessen Nachkommen halfen sein Vermächtnis an das der Nazis zu binden, die mehr als 50 Jahre nach seinem Tod an die Macht kamen. Und wie mit Wagners Opern, die eher lebensbejahend als antisemitisch sind, können Kinder aller Altersgruppen weiter Dahls herrliche und oft wundervoll subversiven Geschichten genießen, ohne von Vorurteil infiziert zu werden.

Niemand sollte jemals Dahls judenfeindliche Ansichten vergessen; sie sollten als Beispiele für die verführerische Natur der Bemühungen angeführt werden, Juden und Israel für Hass auszusondern, ebenso für die Art und Weise, wie der Glaube an jüdische Verschwörungen Hass schürt. Aber Kunst zu annullieren, selbst die von zutiefst von Makeln behafteten Leute, tut nichts Gutes und verursacht viel Schaden. Am Ende wird Roald Dahls Werk, wie das eines jeden großen Künstlers mit verachtenswerten Ansichten, den Schaden überleben, den anzurichten er versuchte und es wird  uns allen weit besser gehen, wenn wir in einer Welt leben, in der die Arbeit von denen, die unseren Idealen nicht genügen, nicht verboten oder verbrannt wird.