Bewirbt sich da einer für die Liste der schlimmsten Antisemiten 2021?

In der FAZ vom 2. Januar sinniert Timo Frasch über Politiker und ihr Verhältnis zur Kamera. Dabei fällt ihm im Zusammenhang mit Verabschiedungen nach Interviews folgendes ein:

Auf eine Geste jedoch wird man nicht so schnell festgenagelt wie auf ein freundliches Wort, das, wenn es zwischen Journalist und Politiker fällt, im Volk schnell Mutmaßungen weckt, dahinter verberge sich ein zionistischer Kinderschänderring. (Hervorhebung hinzugefügt.)

In dem gesamten Text fällt auf, dass a) nur „C“-Politiker (negativ) angeführt werden und es b) ansonsten zu nichts eine Beziehung gibt, das hier das Einbringen von „zionistisch“ irgendwie rechtfertigen könnte. Es gibt keinerlei Beziehung zu irgendetwas, wodurch „Kinderschänderring“ mit einem ideologischen, ethnischen oder sonstigen Adjektiv versehen werden müsste.

Da darf die Frage gestattet sein, wieso dieses Adjektiv – „zionistisch“ – hier verwendet wurde.

Sollte dem mehr oder weniger vielleicht geneigten Leser dazu einfallen, dass Kinderschänderringe offenbar etwas Zionistisches – also Jüdisches – sind? Dass Kinderschänderringe von Zionisten/Juden betrieben werden? Wo sind diese zionistischen Kinderschänderringe bisher aufgedeckt worden? Oder arbeiten sie im Geheimen und wurden bisher nicht entdeckt? Oder gar von den Behörden ignoriert, weil die Juden diese so im Griff haben wie die Banken und die Politik? Mir ist bisher kein solcher „zionistischer Kinderschänderring“ bekannt, auch keine Berichterstattung über einen solchen. Muss an der jüdischen Weltverschwörung liegen…

Hätte Herr Frasch nicht „muslimische Kinderschänderringe“ schreiben können? Oder zumindest „islamistische Kinderschänderringe“? Schließlich gibt es dafür in Großbritannien Beispiele zuhauf. Dann hätte das wenigstens einen Bezug zur Realität, wenn auch nicht zur deutschen Politik in ihrem Verhältnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber das geht natürlich nicht, Islamophobie ist so verpönt, dass die britischen Behörden Jahre lang die Augen vor den „asiatischen“ Kinderschändern verschlossen. Da kann ein deutscher Redakteur nichts schreiben, was zwar der Realität näher kommt als „zionistischer Kinderschänderring“, aber absolut politisch nicht korrekt ist.

Auch ein „lipperländer Kinderschänderring“, alternativ „ostwestfälischer Kinderschänderring“ (Stichwort Lügde) durfte anscheinend nicht sein. Dabei haben wir im eigenen Land ausreichend skandalös agierende Leute. Warum also nicht? Stigmatisierung der dortigen Bevölkerung, die nicht geht?

Nein, wenn schon, dann müssen Juden herhalten. Das geht immer, auch im Erfinderland des Holocaust dürfen Juden heutzutage wieder (oder immer noch?)  stigmatisiert werden. Das geht, kein Problem. Da regen sich nicht viele auf, die paar Juden, die sich vielleicht mucken, fallen nicht ins Gewicht, die regen sich ja sowieso ständig wegen irgendwelchem Antisemitismuskrams auf. Dabei wissen wir doch alle, dass Antisemitismus exklusiv Rechtsextremen gehört und in der Geschichte bekämpft werden muss.

Wahrscheinlich müssen wir Herrn Frasch auch noch dankbar sein, dass er uns so gut demonstriert hat, dass der Antisemitismus so mitten in der Gesellschaft „angekommen“ (oder nie weg gewesen?) ist bzw. festsitzt, dass ein Redakteur der Frankfurter Allgemeine Zeitung sich eine solche Ungeheuerlichkeit leisten kann.

Simon Wiesenthal Center, bitte merken Sie Herrn Timo Frasch schonmal für 2021 vor!

PS: Bis zum Schreiben dieses Textes habe ich lediglich auf twitter zwei Reaktionen gefunden, hoffentlich folgen weitere; bei Herrn Frasch, der seinen Kommentar natürlich verlinkte, gab es bisher auch keine kritischen Kommentare:

Abrechnung mit ÖR Programm ist nicht neu. Übel ist, wenn für die Darstellung schlechten Programms Juden oder Israel hinhalten müssen.
@FAZ @TimoFrasch beschreibt angebliche qualitative Mängel als „zionistischer Kinderschänderring“. Antisemitischer geht kaum!

Ist „zionistischer Kinderschänderring“ als Kraftausdruck angebracht, @faznet, @FAZ_NET? Oder ist @TimoFrasch einfach ein [INSERT Kraftausdruck]? Worte schaffen Feindbilder. Sie bleiben hängen. Daher sollten wir auf unsere Sprache achten! https://m.faz.net/aktuell/politi