Seltene Bilder: Als 1927 das Land Israel erbebte

Diese Fotos dokumentieren das mächtige Erdbeben, das 1927 zu hunderten Toten führte.

Gil Weissblei, the Librarians, 29. Dezember 2019

Am 11. Juli 1927 wurden das Mandat Palästina und Transjordanien von einem starken Erdbeben getroffen. Es war die bedeutendste Naturkatastrophe in der Region im letzten Jahrhundert, zudem ein Meilenstein in der seismologischen Forschung – das erste Erdbeben in der Region, das von wissenschaftlichen Instrumenten dokumentiert wurde.

Hunderte Menschen wurden getötet und weitere hunderte verletzt. Es gab schwere Schäden an Immobilien. Nablus, Ramle und Lod waren stark betroffen. Jerusalem, Jericho, Amman und Al-Salt wurden auch, aber weniger stark in Mitleidenschaft gezogen. Allein in Nablus wurden mehr als hundert Menschen getötet. In Jerusalem wurden die Gebäude der Hebräischen Universität auf dem Skopusberg stark beschädigt, darunter das Gray Hill House, das vorläufige Heim des Instituts für Judaistik-Studien.

In diesem tödlichen Sommer gab es Vorbereitungen für den Bau der Jüdischen Nationalen und Universitätsbibliothek Israels auf dem Skopusberg. Zur Zeit des Erdbebens befand sich der Vorgänger der heutigen Nationalbibliothek Israels immer noch in seinem alten Gebäude in Beit Ne’eman (am Ende der Habaschim-Straße – heute Bnei Brit-Straße in Jerusalems Viertel Musara). Nach Angaben eines Berichts wurde das Bibliotheksgebäude gar nicht beschädigt und die Bücher darin waren auch unversehrt. Das Leben in der Bibliothek ging wie gewöhnlich weiter. Diese Tatsache wird dadurch bestätigt, dass sich die Mitarbeiter der Bibliothek beeilten, nur wenige Tage nach der furchtbaren Katastrophe eine kleine Ausstellung zum Thema historischer Erdbeben in der Region zu veranstalten.

Natürlich widmete die Tageszeitung Doar HaYom am Tag nach der Katastrophe ihre Seiten vor allem dem Erdbeben.

„Eine große Erschütterung in Eretz Israel – sie begann um sieben Minuten nach drei – die größter Erschütterung in seiner Geschichte – in allen Städten und Dörfern des Landes zu spüren…“ Der Artikel in Doar HaYom am Tag nach dem Erdbeben. (Anklicken für die ganze Ausgabe)

Die Nationalbibliothek präsentiert: Das Erdbeben von 1837

Am 13. Juli wurde in der Zeitung neben einem Beitrag zu den an verschiedenen öffentlichen Gebäuden in Jerusalem verursachten Schäden eine Ankündigung gebracht, dass die Bibliothek eine Ausstellung zur Geschichte von Erdbeben im Land Israel zusammengestellt hatte.

Der Artikel in Doar HaYom wurde am 13. Juli 1927 veröffentlicht (Anklicken für die ganze Zeitung)

Dieser Artikel gibt uns einen seltenen Blick in das, was in der von den Mitarbeitern der Bibliothek zusammengestellten, improvisierten Ausstellung angeboten wird. Die Ausstellung konzentrierte sich mehrheitlich auf das starke Erdbeben, die dem Beben des Jahres vorausgegangen waren – das war das bekannte Erdbeben von 1837, das hauptsächlich die Städte Safed und Tiberias traf.

Was wurde in der Ausstellung 1927 ausgestellt?

Der Artikel in Doar HaYom erklärte, dass die Ausstellung drei Briefe präsentierte, die nach dem Erdbeben von 1837 aus dem Land Israel geschickt wurden. Geschrieben hatten sie Israel Maschkeklow, Aryeh Yerachmiel und Raphael Yitzchak Alfandari.

Es scheint so, dass die Druckversionen der aus dem Land Israel an Mitglieder und Vertreter der jüdischen Gemeinde Amsterdam geschriebenen Briefe die bei der Ausstellung gezeigten waren. Die Originalbriefe machten damals großen Eindruck auf die Juden von Amsterdam und sie eilten, sie in einem kleinen, dreiseitigen Heft zu veröffentlichen. Das Heft wurde in ganz Europa weithin verbreitet und wurde in der jüdischen Welt recht bekannt. In diesen Briefen wird das Erdbeben in aller Ausführlichkeit beschrieben. Auch eine Liste der Dörfer und Städte, die von der Naturkatastrophe betroffen waren, sowie eine Reihe Toter und Verletzter an jedem Ort.

Einer der Überlebenden beschrieb die Katastrophe von 1837 so:

„Am 24. Tevet, während des Nachmittagsgebets, erhob sich ein großes und schreckliches Beben und jeder, der das Land betrachtete, konnte das Schütteln sehen und hier [Jerusalem] wurden auch einige Häuser und Gärten beschädigt und die ganze Stadt hatte Angst, aber zum Glück wurde niemand verletzt. In Nablus fielen Häuser und alle Geschäfte und sechzig Menschen kamen um und keiner von ihnen war vom Volk Israel, Gott sei Dank, aber im Heiligen Galiläa lagen Safed und Tiberias in Ruinen… Alle Häuser stürzten ein und waren zerstört und alle Synagogen, die sephardische Gemeinde, die Gemeinde der Chassidim und unsere Gemeinde der Pharisäer wurden zerstört und kein Haus, keine Straße, kein Marktplatz war noch zu sehen, selbst die Mauern von Tiberias fielen, ein Feuer brach aus und der See Genezareth flutete die Stadt.

Oh, dass mein Kopf voller Wasser und meine Augen ein Brunnen der Tränen wären, dass ich Tag und Nacht wegen der getöteten Tochter meines Volkes weinen möchte, denn wir haben zweihundert Seelen verloren und ich habe die Liste unserer Reste geschickt, die nackt zurückblieben, außer denen, die mit mir nach Jerusalem gingen und die vorher abgereist waren…“

Der Artikel offenbart auch, dass die Ausstellung eine Erstausgabe des Jerusalem-Drucks des Buchs Seder Avodat HaKodesch, gedruckt nachdem der Verlag Israel Back seine Presse in der Folge des Erdbebens von Safed nach Jerusalem verlegte, ausgestellt wurde. Das Buch handelt von kabbalistischen Themen und wurde ursprünglich von Chaim Yosef David Azulai geschrieben. Die Ausgabe von 1841 war von einer ungewöhnlichen Einleitung des Druckers begleitet. Israel Back war einer der Pioniere des Kunstdrucks im Land Israel und er hielt es für angebracht das Buch mit einer langen Entschuldigung zu beginnen. Er erzählte von dem Elend, das er erlitt, das ihn zwang seine Druckerpresse aus der beim Erdbeben zerstörten Stadt Safed nach Jerusalem zu verlegen.

Vorwort des Verlegers, das das Erdbeben im Buch Seder Avodat HaKodesch beschreibt.

Backs „Entschuldigung“ gibt den Lesern des Buchs fast hundertachtzig Jahre nachdem es geschrieben wurde, einen Bericht aus erster Hand über die durch das Erdbeben verursachte Zerstörung.

„… ein großes Beben, das der HERR dem Land und seinem Volk auferlegte… Und die Türpfosten zitterten von seiner der Stimme, die rief und die heiligen Städte Safed und Tiberias wurden zerstört und einundzwanzig Seelen wurde in einem Augenblick niedergestreckt. O wäre mein Kopf voll Wassers und meine Augen ein Tränenbrunnen, damit ich Tag und Nacht für das Haus Israel weinen könnte… Und es geschah nach dieser Trübsal, dass die Kinder Israels an alle Enden des Landes Israel zerstreut waren…“

Der Artikel in Doar HaYom, der auch in einem anderen Buch in der Ausstellung erwähnt wird – Ahavat Tzion von Rabbi Simcha aus Woloschin – fügt der aufgezeichneten Geschichte des Erdbebens in Safed und Tiberias noch etwas hinzu.

Das Buch enthält einen Bericht über das Erdbeben von 1837, der aus Sicht eines Touristen beschreibt:

„Und die Türpfosten erzitterten von der Stimme des Bebens und zweihundert Höfe wurden verwüstet und in jedem Hof mehrere Häuser, von denen einige bis auf die Grundmauern einstürzten… und rund 120 Seelen umkamen. Und vor dem Beben wurde einem Chassiden des Lands Israel gesagt, dass große Probleme nach Safed kommen würden, aber sie wussten nicht, welche das sein könnten. Sie veranstalteten Gebete und Studien, wie es in unserem Land Brauch ist, aber unsere Sünden waren so, dass das Urteil nicht zerrissen wurde. Und einige weise Gelehrte wurden tot mit ihren Gesichtern in ihren Büchern gefunden und der Chassid war einer davon. Und im Morgenlicht fanden sie ein paar lebende Menschen, aber mehrere Tage später kehrte das Beben zurück und weitere zwanzig wurden getötet.“

Leider haben wir keine Dokumentation der Reaktion der Öffentlichkeit auf die Ausstellung der Bibliothek. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass sie großes Interesse weckte und es scheint so, dass ihr Erfolg das Management der Bibliothek ermutigte Dokumente des aktuelleren Erdbebens von 1927 zu sammeln.

Am 5. März 1929, rund eineinhalb Jahre nach dem großen Erdbeben vom Juli 1927, erschien in Doar HaYom die folgende Ankündigung:

Die im März 1929 in Doar HaYom veröffentlichte Ankündigung. (Klicken für die ganze Ausgabe)

„Die Nationale und Universitätsbibliothek stellt eine Sammlung wertvoller Fotografien vom Erdbeben 1927 zusammen. Jeder, der historisches Material hat, wird aufgefordert dieses der Bibliothek als Geschenk oder zur Kopie vorzulegen. Es wird empfohlen an alle Fotografien den Namen des Fotografen, den Namen des Ortes, an dem die Fotografie gemacht wurde (Stadt, Dorf, Straße, Gebäude) und das genaue Datum, an dem die Fotografie aufgenommen wurde anzuheften.“

Dieser öffentliche Aufruf war erfolgreich und die Bibliothek erhielt einen Zustrom an sehr interessanten Fotografien, was eine einzigartige Aufzeichnung des vom Erdbeben im Juli 1927 verursachten Schadens schuf.

Was wurde in diesen seltenen Bildern eingefangen?

Die faszinierendste Gruppe Fotografien besteht aus 32 Silberabzügen verschiedener Größe, die offenbar mit derselben 6x9cm-Kamera aufgenommen wurden. Diese Fotos wurden von Mitgliedern der „Delegation“ aufgenommen, die in einigen der Bilder zu sehen sind. Sie fingen die Schäden im gesamten Land Israel ein, ebenso in Transjordanien. Mitglieder dieser Gruppe (Herr Reiser, Herr Neumann und drei Mitglieder der Familie Badian) reisten in ihren Autos und dokumentierten die von dem Erdbeben verursachten Schäden. Die Bildbeschreibungen wurden in Hebräisch und Englisch verfasst.

Die Fotografien wurden 1929 der Nationalbibliothek gespendet. Wer waren die fünf Reisenden, die beschlossen im Auto während des großen Erdbebens durch das Land und seine Umgebung zu fahren? Leider ist über die Namen hinaus keine weitere Dokumentation aufgetaucht, die eine Antwort auf diese interessante Frage gibt.

Erdbebenschaden in Nablus
Erdbebenschaden in Lod
Ein Bild der Fotografen, die nach dem Erdbeben durch das Land tourten
Erdbebenschaden im Dorf Reineh in Nordisrael
Erdbebenschaden im Dorf Reineh in Nordisrael
Eine Straße in Tiberias, die von dem Erdbeben beschädigt wurde.

Ein weiterer Satz Fotografien enthält 18 Silberabzüge verschiedener Größen, darunter Fotografien aus den Städten Jerusalem und Nablus. Die Rückseiten einiger der Fotos sind mit einem Stempel der deutschen Internationale Foto-Agentur sowie maschinenschriftlichen Anmerkungen auf Deutsch markiert. Offenbar wurden diese Fotografien von verschiedenen Fotografen aufgenommen und über dieselbe Nachrichtenagentur an die europäische Presse geschickt.

Drei Schwarzweiß-Fotografien aus der Stadt Nablus wurden von einem ergreifenden Brief von Yeschayahu Blechman begleitet, einem treuen Leser von Doar HaYom:

„… Ich sende Ihnen drei Fotografien, die ein paar Stunden nach dem Beben in Nablus aufgenommen wurden. Die Fotografien wurden vom Manager der Spinney‘s Ltd.-Filiale in Nablus aufgenommen. Das Bild der britischen Polizei im Auto scheint mir mehrere Tage nach dem Erdbeben aufgenommen worden zu sein und in dem Auto können wir Brot sehen, das aus Tel Aviv geschickt wurde…“

Spinney’s war eine Supermarktkette, die Filialen im gesamten Nahen Osten betrieb. Die Kette bot zumeist Produkte aus den britischen Kolonien an. Daher ist die Schlussfolgerung möglich, dass die Ladung Brot, die in Nablus ankam (auf einem offenen LKW ohne jegliche Abdeckung) von einem Repräsentanten der Firma aufgenommen wurde, der die Lieferung aus der Spinney’s-Filiale in Tel Aviv anordnete.

Eine weitere Foto-Sammlung wurde der Bibliothek von einem der Fotografen der American Colony gespendet. Die Fotografen der Colony (hauptsächlich Eric Matson) dokumentierten das Erdbeben in verschiedenen Orten im ganzen Land, darunter Jerusalem. Die komplette Sammlung der American Colony wird in der Library of Congress aufbewahrt, einschließlich Fotografen dieses Ereignisses.