Der Vorschlag eines Trolls

Dass er ein Troll ist, stellte sich erst in seinen nächsten versuchten Kommentareinträgen heraus. Trotzdem fand ich den Vorschlag interessant:

HI Heplev, wäre folgender Bericht nicht ein Artikel wert?
http://www.fluter.de/de/140/thema/13231/

Der Link berichtet über einen Schulbuch-Versuch, in dem die israelische Sicht der Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert der der sogenannten Palästinenser gegenüber gestellt wird. Die Autoren hofften, dass sich damit ein Ausgleich und mehr Verständnis für einander schaffen lässt. (Wie das mit Lügen und Verdrehungen von historischen Fakten funktionieren soll, bleibt mal dahin gestellt.) Dass sie sich selbst nicht auf etwas Gemeinsames einigen konnten und stattdessen ihre beiden Narrative nebeneinander zu stellen, spricht schon für sich.

Aber ja, ich denke, der Artikel ist es wert wahrgenommen zu werden. Deshalb habe ich ihn an mehrere Bekannte geschickt und um deren Meinung gebeten. Hier die drei Reaktionen:

Ulrich W. Sahm:

Es beginnt schon mit der Vorstellung:

Dani Bar On ist 1938 in Haifa geboren. Warum ist es so wichtig zu vermerken, dass seine Familie 1933 (also lange vor dem Holocaust) aus Hamburg emigirierte?
Sami Adwan ist 1954 in Hebron geboren. Das war unter jordanischer „Besatzung“. Erst mit 13 geriet er unter „israelische Besatzung“.

Im Buch (Vorwort) steht:

Das von PRIME herausgegebene Buch wurde von sechs jüdischen und sechs palästinensischen Geschichtslehrerinnen und Lehrern zusammen mit wissenschaftlichen Experten verfasst.

Sind die Juden Amerikaner, Schweizer oder Südafrikaaner? Und die Palästinenser sind Moslems oder Christen?
Und wer sind die „wissenschaftlichen Experten“?

Yousuf Tumaizi (1957-2002), wurde im Dorf Idna geboren. Er wurde mehr als 20 Mal festgenommen und verbrachte mehrere Jahre in israelischen Gefängnissen.
Warum wird hier verschwiegen, weshalb er im Gefängnis saß?

Interessante Anmerkung auf Seite 8 des palästinensischen Narrativs:

Für die Palästinenser war das Jahr 1917 nur das erste in einer langen Reihe von Jahren – 1920, 1921, 1929, 1936, 1948, 1967, 1987, 2002 – die von Tragödien, Krieg, Unglück, Tod, Zerstörung, Verlust der Heimat und Katastrophen geprägt waren.

Wann haben sich eigentlich die Palästinenser als solche konstituiert oder ist das nur im Rückblick gesagt?
(Anmerkung heplev: 1920, 1921, 1929, 1936 waren von den Arabern angezettelte antijüdische Pogrome/Pogromversuche! 1948, 1967 waren von den Arabern inszenierte Judenvernichtungsversuche; 1987, 2002 waren von den Arabern angezettelte, gewalttätige Auseinandersetzungen.)

Auf Seite 10 im palästineneischen Narrativ:

Die Balfour-Deklaration gilt als politischer Teilsieg der zionistischen Bewegung. Verlierer waren die Araber und Muslime, denen das Heilige Land ursprünglich gehörte.

400 Jahre lang gehörte das Gebiet zum Osmanischen Reich. Worin bestand der Anspruch, dass dieses Land „Arabern und Muslimen“ gehörte. Wo bleiben die Christen und die Juden?

Paul aus der Schweiz schreibt:

Unsere Postmoderne ist davon geprägt, dass Wahrheit immer subjektiv ist. Absolute Wahrheit existiert nicht mehr. Der Begriff „Narrativ“ statt Geschichte ist bezeichnend. Auch die Theologie braucht heute diesen Begriff des ‚Narrativs.‘ Er schließt die subjektive Interpretation des Geschehenen ein. Einen Konflikt lösen zu wollen, indem man aus den beiden ‚Narrativen‘ ein neues ‚Narrativ‘ herstellen will, mit dem beide Seiten leben können, gibt es nicht.

Ein Konflikt kann nur gelöst werden, wenn eine außenstehende Vermittlung die beiden Kontrahenten dazu bringen kann, sich über den gemeinsamen Kern ihres Konflikts einig zu werden. Dieser Kern muss eine Formulierung finden, mit der beide Seiten einverstanden sind. Erst auf dieser Basis kann die außenstehende Vermittlung mit den beiden Seiten nach einer Lösung suchen.

Dies setzt voraus, dass die beiden Seiten daran interessiert sind, eine Lösung zu finden. Wenn die eine der beiden Seiten jedoch die andere vernichten will oder, wie in diesem Fall, ihr das Existenzrecht abstreitet, dann gibt es keine friedliche Lösung. Dann kann nur noch die Gewalt dem Konflikt ein Ende bereiten. Dann kommt es nur noch darauf an, wer der Sieger ist.

Die Schwierigkeit, die ich sehe, ist das Verharren der einen Seite auf einer religiösen Grundlage (Koran), die es erlaubt, den Feind zu belügen, wenn es der eigenen Sache dient.

Ein Geschichtsunterricht, der die Absicht hat, beiden Seiten die Sicht der Anderen zu vermitteln, aus der dann beidseitig das Verständnis für den Anderen wachsen soll, unterliegt dem Irrtum, dass beide Seiten rational denken. Bei Gewerkschaften, in denen es um Arbeitskonflikte innerhalb derselben Kultur und desselben Weltbilds geht, ist eine solche Strategie durchaus möglich. Wo es aber um weltanschauliche, kulturelle und religiösen Verschiedenheiten geht, ist die Annahme des jeweils anderen Narrativs nicht möglich, es sei denn, die eine Seite ordnet sich der andern unter.

Der Weg des Narrativ-Vergleichs ist meines Erachtens im gegebenen Fall nur interessant, wenn die Bedingung des gegenseitigen Existenzrechts der garantierte gemeinsame Nenner bleibt. Sonst kann kein gegenseitiges Vertrauen entstehen, dass der Andere wirklich ehrlich ist.

Ich sehe das ähnlich. Dazu kommt: Wie die Araber die Geschichte dieses Landstriches sehen, ist bekannt, wird bei uns immer stärker in den Vordergrund gestellt. Dass die Fakten sich mit dem nicht decken, wollen viele bei uns immer weniger wahr haben.

Das Buch wird von denen für gut befunden, die gegen Israel Stellung beziehen. Sie propagieren „palästinensische“ Narrativ und wollen es gegen das israelische – und die historischen Fakten – durchsetzen. Dabei wäre es nötig, dass die Araber – und inzwischen die Menschen im Westen auch – das israelische Narrativ und die Fakten wieder zur Kenntnis nehmen, ohne sie durch das arabische übertrumpfen zu wollen. Würde das Buch dafür genutzt, hätte es so etwas wie echten Sinn. Im Westen. Bei den Arabern bin ich mir da alles andere als sicher.

Heute (5.12.) kam eine komplette Rezension von Cora:

„Die Vergangenheit ist unserer Barmherzigkeit ausgeliefert.“ schrieb Johan Huizinga im Vorwort seines Buches „Im Banne der Geschichte“ 1942.

Geschichte besteht eben nicht nur aus unverrückbaren Zahlen und Fakten sondern auch aus deren Interpretation. Und diese ändern sich. Sie ändern sich durch neue Erkenntnisse ebenso wie durch politische Gegebenheiten. Und aus diesen Veränderungen entsteht erneut „Geschichte“, denn die Interpretationen lassen in der Rückschau oft Schlüsse auf die Gesellschaft derer zu, die die vorliegenden Daten und Fakten interpretiert haben.

Unter diesem Gesichtspunkt lässt das israelisch-palästinensische „Geschichtsbuch“ tief blicken. Es zeigt zum einen einen faktenorientierten und durchaus auch selbstkritischen Blick auf das Geschehen von den 20er Jahren bis heute auf israelischer Seite und einen, vor allem dem Narrativ verpflichteten und von Schuldzuweisungen strotzenden Blick der Jahre 1947 bis heute auf der palästinensischen Seite.

Lässt man nun mal außer Acht, was tatsächlich in den Jahrzehnten, die dieses Buch darstellt, geschehen ist, wer also näher an den historischen Tatsachen ist und konzentriert sich ganz und gar auf die Art der Darstellung, dann kann man daraus einen guten Rückschluss auf die jeweilige Gesellschaft ziehen. (Vorausgesetzt natürlich, dass beide Darstellungen der jeweiligen „offiziellen“ Geschichtsschreibung entsprechen.)

Was ist von einer Gesellschaft zu halten, die sich einzig und allein als Spielball äußerer, böswilliger Mächte sieht?
Was ist von einer Gesellschaft zu halten, die sich einzig und allein durch diesen Opferstatus definiert?
Was ist von einer Gesellschaft zu halten, die das einfache Prinzip von actio und reactio, also vom Tun und dessen Folgen, nicht nur nicht anerkennt, sondern geradezu negiert?
Was ist von einer Gesellschaft, einem Volk, zu halten, dessen „Geschichtsbewusstsein“ ganz und gar auf das Verlorene, das Vergangene bezogen ist, ohne daraus einen Blick für die Zukunft zu gewinnen?
Was ist von einer Gesellschaft zu halten, die sich zugleich als Opfer als auch den anderen Gesellschaften gegenüber höherwertig darstellt?

Dem halbwegs historisch bewanderten Leser dürften hier diverse Parallelen zu anderen Interpretationen der Geschichte auffallen.

Die Gegenüberstellung beider Seiten ist daher weniger von historischer Bedeutung als vielmehr eine Möglichkeit, einen Blick in die jeweiligen Völker zu werfen, die sich ein kleines Stück Erde miteinander teilen müssen. Es zeigt deutlich die großen Unterschiede im Umgang mit dem Gewesenen und den Folgen, die die jeweilige Gesellschaft daraus zieht – rückwärtsgewandt oder der Zukunft zugewandt.

Für Historiker und historisch Bewanderte sicher eine interessante Bereicherung, für Schüler aber gänzlich ungeeignet. Ihnen fehlt zumeist noch das tragende Gerüst der Geschichtswissenschaft: Die unverrückbaren Daten und Fakten. Ohne diese aber wird aus einer Interpretation allzu oft eine Ideologie.

Problematisch ist außerdem, dass die jeweiligen Zeitleisten verschoben sind – die israelische Geschichte beginnt mit den 20er Jahren, während die palästinensische erst mit dem Unabhängigkeitskrieg, bzw. der Naqba (also „Katastrophe“) einsetzt. Wichtige Personen der palästinensischen Geschichte werden überhaupt nicht genannt; so fehlen unter anderem Ahmed al Shukri, Daoud Masswem und der berüchtigte Mufti von Jerusalem, al Husseini, ebenso wie George Habash oder Ahmed Jibril, um nur einige zu nennen, bzw. finden sich nur im „israelischen“ Teil. Hier hätten die Macher mehr Sorgfalt walten lassen müssen.

Fazit: Ein interessanter Versuch, die Interpretation des Geschehenen durch zwei völlig unterschiedliche Gesellschaften aufzuzeigen. Als Unterrichtsmaterial unbrauchbar, für Historiker und historisch Bewanderte aber durchaus interessant. Allerdings sollten die beiden „Narrative“ der Zeitleiste angepasst werden um einer Gegenüberstellung gerecht zu werden.