
Joel Fishman, JCPA (Jerusalem Issue Brief Vol. 20, No. 17), 4. August 2020
- Die Ermordung von George Floyd durch einen Polizisten in Minneapolis am 25. Mai 2020 löste Krawalle, Plünderungen und Brandstiftung überall in den USA aus. Es wurde offensichtlich, dass eine Untergrund-Führungsstruktur vorhanden war, die eine Welle an Gewalt in Ganz setzte, deren Zerstörungskraft nicht vorhergesehen wurde.
- Gemäß marxistisch-leninistischer Doktrin besteht das Ziel von organisierter Mob-Gewalt darin einen Bürgerkriegs-Zustand zu schaffen, was zur Revolution führen wird. Die Möchtegern-Revolutionäre in den USA machten das so gut, dass ihr Erfolg ihre Erwartungen übertraf.
- Bürgermeister mehrerer großer Städte und Gouverneure einiger Bundesstaaten, in denen Gewalt stattfand, entschieden sich dafür nichts zu tun und befahlen Polizei und Feuerwehr nichts zu unternehmen. Solches Nichtstun schuf einen Zustand der Anarchie, ließ die Öffentlichkeit ohne Schutz.
- Der aus dem Ausbruch der nicht niedergeworfenen Mob-Gewalt resultierende moralische Schock dürfte schlimmer gewesen sein als der eigentliche Schaden, den die Randalierer verursachten.
- In den Vereinigten Staaten ist angenommen worden, dass die Schaffung von Wohlstand gut für die Gesellschaft ist, besonders, wenn man durch harte Arbeit den „amerikanischen Traum“ verwirklichen kann. Trotzdem ist das Leben zum ersten Mal im vergangenen Jahrzehnt für viele junge Erwachsene kompliziert geworden. Die zunehmende Zahl dieser zunehmend unzufriedenen Gruppe in der Gesellschaft muss in Betracht gezogen werden.
- Die Fragilität der liberalen Demokratien ist ein ernstes Dilemma. Es ist eine kleine Distanz zwischen „friedlichen Demonstrationen“ und Mob-Gewalt, Bürgerkrieg und Regimewandel. Die Dynamik politischer Kriegsführung und die Methoden von Mob-Gewalt sind erkennbar. Weil es eine Sache der Selbstverteidigung ist, müssen wir dieses Wissen nutzen, um unsere Demokratien und unsere Freiheiten zu schützen.
I. Der Ausbruch ziviler Unruhen in den Vereinigten Staaten, Frühjahr 2020
Im Frühling und Sommer diesen Jahres erlebte die Welt gewalttätige zivile Unruhen, die sowohl politische als auch soziale Dimensionen haben. Solche Ereignisse haben die liberalen Demokratien der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und jetzt sogar Israels destabilisiert. Diese Ausbrüche haben vor dem Hintergrund des Covid-19-Lockdowns und der daraus folgenden, von der Störung des Handels, Arbeitslosigkeit und einem Gefühl der Demoralisierung verursachten Härten stattgefunden. So grundverschieden sie erscheinen mögen, haben diese Entwicklungen mehrere gemeinsame Charakteristika, so die Versuche gut organisierter politischer Gruppen die Ergebnisse von freien und fairen Wahlen zu umgehen und die Macht zu ergreifen, indem die Institutionen mit Autorität allmählich geschwächt werden – das Bildungssystem und die Judikative – deren Zweck es ist die Werte und rechtlichen Beziehungen innerhalb eines Staates zu erhalten. Diese Gruppen haben eine langfristige Strategie der Delegitimierung und Zersetzung übernommen, kombiniert mit kontinuierlicher Agitation und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Als Teil ihrer Strategie richten sie ihre Angriffe gegen eine demokratische Regierung und die gewählten Führer.
Die funktionale Definition einer Demokratie ist eine Regierung, deren Führer über freie und faire Wahlen wählt werden.[1] Zu den weiteren Vorteilen in einer modernen Demokratie zu leben gehören eine freie Zivilgesellschaft, konkurrierende Politikangebote, finanzielle Transparenz, Gleichheit vor dem Gesetz, kultureller Pluralismus und Respekt für Menschenrechte – insbesondere die von Frauen.[2] Aktuelle Forschung bestätigt, dass zum Konzept der Gleichberechtigung auch eine gewisse Gleichheit der materiellen Umstände und eine Verbindung zwischen Einkommen und politischer Stabilität gehören.[3] Viele respektierte Kommentatoren haben Bildung als Grundanforderung für Demokratie betrachtet, denn es besteht eine Korrelation zwischen Bildungsniveau und einem höheren Lebensstandard.[4]
Während der 1930-er Jahre führte die Sowjetunion die Praxis der kontinuierlichen Propaganda und politischen Agitation ein und perfektionierte sie. Diese Methode gründete ursprünglich auf den Prinzipien kommerzieller Werbung, wozu die ständige Wiederholung politischer Botschaften gehörte. Fakt ist, dass politische Gruppen sowohl der Rechten als auch der Linken diesen Ansatz verwendeten. Tatsächlich bot die Machtübernahme der Nazis 1933 und die Zerstörung der Weimarer Republik in Deutschland das dramatischste Beispiel eines entschlossenen und skrupellosen Gegners, der die Waffen der politischen Kriegsführung nutzten, um eine liberale Demokratie zu zerlegen. Mit Hilfe der Bolschewisten zerstörten die Nazis eine liberale Demokratie in Deutschland, einem Land, das einmal für eines der kultiviertesten und fortschrittlichsten der Ära gehalten wurde.[5] Diese Entwicklungen demonstrierten, dass moderne liberale Demokratien anfällig sind und verteidigt werden müssen.
Die Ermordung von Floyd George durch den Polizisten Derek Chauvin in Minneapolis am 20. Mai 2020 löste Krawalle, Plünderungen und Brandstiftung in den gesamten USA aus. Kurz darauf übernahm die Mob-Gewalt ein Eigenleben, unabhängig vom Handeln der Polizeibrutalität. Es wurde offensichtlich, dass im Untergrund bereits eine Führungsstruktur bereits vorhanden war und eine Welle der Gewalt in Gang setzte, deren Zerstörungskraft nicht vorhergesehen wurde. Diese Führung war bereit, ständige Gewalt und Chaos zu verwenden. Ihre „aufgedeckte Absicht“ war es das existierende System, seine Rechtsstruktur und akzeptierte Normen gesetzestreuen Verhaltens zu zerstören. Zusätzlich bestand eine ihrer Methoden darin die Symbole sowohl der gegenwärtigen Autorität und des nationalen Erbes anzugreifen.[6] Einige ihrer Einstellungen sind mit einem säkularen Messianismus verbunden, einschließlich der Ablehnung der existierenden Gegenwart, der Forderung nach revolutionärer Veränderung (nicht bürokratische Reform) und eine schnelle und sofortige Revolution. Diese Gruppe beansprucht sicher zu wissen, dass ihr Weg der einzige zur Wahrheit ist.[7]

II. Das zugrundeliegende soziale und politische Klima
Historiker zur Französischen Revolution wie Alexis de Tocqueville (1805 – 1859) und Crane Brinton (1889 – 1968) haben das Klima der Ideen erforscht, die Revolutionen allgemein und der französischen Revolution im Besonderen vorausgingen. Diese Art von „sich langsam bewegender Geschichte“ zu verstehen hilft uns die aktuellen Ereignisse in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern wie Israel zu bewerten. Unter Stützung auf frühere Beispiele übernahm Crane Brinton die Wendung die „Fahnenflucht der Intellektuellen“, um entscheidend wichtige Veränderungen der kollektiven Stimmung vor einem wichtigen Umbruch zu beschreiben:
… Der Großteil derer, die auf dem höheren kulturellen Niveau schrieben, lehrten, predigten, auf der Bühne agierten, Musik schrieben und spielten, die feinen Künste praktizierten hatte – wie auch der Großteil ihres Publikums – klar das Gefühl, dass die Regierung, die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Institutionen, unter denen sie lebten, so ungerecht waren, dass das eine Reform an Haupt und Gliedern erforderte. Einfach ausgedrückt: Diese Intellektuellen waren der bestehenden Rechtsobrigkeit gegenüber illoyal.[8]
Eine von Tocquevilles wichtigen Feststellungen lautete, dass in der Ära vor der französischen Revolution breitere Kreise der gebildeten Öffentlichkeit zunehmend verfochten, die Regierung habe nicht gerecht funktioniert. Gleichzeitig jedoch verbesserten sich die materiellen Umstände sogar. Die Beobachtungen sowohl von Crane Brinton als auch Alexis de Tocquville könnten durchaus auf die aktuelle Situation in Amerika passen.
Während der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in den Vereinigten Staaten mehrere kulturelle und politische Strömungen ins nationale Bewusstsein eingebettet, manchmal im Hintergrund und gelegentlich markant in hoch polarisierenden und emotionalen Ausprägungen. In den 1960-er und 70-er Jahren zum Beispiel hatten der Kampf um Bürgerrechte und die Opposition zum Vietnamkrieg ein allgemeines Misstrauen gegenüber der Obrigkeit zur Folge. Darüber hinaus brachten sowohl die Bürgerrechts- als auch die Antikriegs-Bewegung neue Methoden des Widerstands, passive wie militante. Auf viele Weisen hat dieses Erbe zivilen Ungehorsams aus den Sechzigern Fortbestand.
In den Vereinigten Staaten ist angenommen worden, dass die Schaffung von Wohlstand für die Gesellschaft gut ist, besonders, wenn man mit harter Arbeit und Einfallsreichtum den „amerikanischen Traum“ verwirklichen kann. Trotzdem ist das Leben im Verlauf des letzten Jahrzehnts für viele junge Erwachsene kompliziert geworden. Viele sind unterbeschäftigt und tragen die Schuldenlast, die sie sich mit der Bezahlung ihrer Universitätsausbildung aufgeladen haben. Sie mögen Gefühle unerfüllter Erwartungen hegen, Probleme mit Einsamkeit und Kreditkarten-Schulden sowie Opiaten, Drogen und Schmerzmitteln haben. Ihre wachsende Anzahl zeigt eine zunehmend unzufriedene Gruppe in der Gesellschaft, deren Präsenz berücksichtigt werden muss.
Zusätzlich hat es mangelnde Höflichkeit im öffentlichen Diskurs gegeben, was die Vorwahlen im Frühjahr 2020 bestimmte. Innerhalb eines breiteren Kontextes spiegelt diese Kampagne die Sichtweise von Präsident Barack Obama, der sich von der Idee amerikanischer Einzigartigkeit distanzierte und den grundlegenden Beitrag persönlicher Initiative herunterspielte, die traditionell als typisch amerikanische Tugend betrachtet wurde. Zum Beispiel geißelte Präsident Obama am 13. Juli 2012 während einer Wahlkampfrede in Roanoke (Virginia) dreist Unternehmen und Reiche mit der Behauptung: „Nicht ihr habt das aufgebaut!“[9] Er erklärte zwar, dass der Erfolg Einzelner von der Gesellschaft, Freundschaften und Infrastruktur abhängig ist, aber die Brutalität seiner Anschuldigung schockierte.
Während des Wahlkampfs vor den Vorwahlen von 2020 waren viele Argumente der verschiedenen Kandidaten aggressiv und simplifizierend; sie verwendeten Versprechen materieller Vorteile für alle, wenn die Kandidaten siegen. Die Haltung der beiden führenden Kandidaten der Demokratischen Partei, Bernie Sanders und Elizabeth Warren, lautete, dass an einem System, das den Aufbau großer Privatvermögen ermöglicht, etwas intrinsisch falsch sei und dass das wahre Maß für soziale Gerechtigkeit eine Gleichwertigkeit materieller Ergebnisse sein müsse.
Leon Cooperman, Gründer der Investment-Firma Omega Advisors in New York City und identifizierter Philantrop, bezweifelte Warrens Argumente. In einem Fernsehinterview erklärte Cooperman, dass er sein Vermögen ehrlich verdiente und seine Steuern zahlte. Nach der Bezahlung der Steuern auf seine einträglichen Einnahmen habe er das Recht sie so zu teilen, wie es ihm gefällt und auf jeden Fall würde sein Familien-Trust sicherstellen, dass seine Aktiva für philantrophische Zwecke verwendet werden. Cooperman hatte sogar Tränen in den Augen und forderte Elizabeth Warren zu einer Debatte heraus. Sie hat nie geantwortet.
Ähnlich erklärte Rudi Guilani, der ehemalige Bürgermeister von New York, in einem Interview, dass die Steuern für die Reichen für die Bedürfnisse der Aufgebrachten aufkommen sollen. Vor kurzem, am 17. Juli 2020, verkündete die Schlagzeile der New York Post: „Die von AOC Vorgeschlagenen Milliardärsteuern würden einen Exodus der Reichen aus New York ankurbeln, heißt es in dem Bericht.“[10]
Diese gegensätzlichen Anschauungen sind nicht miteinander in Einklang gebracht worden und bleiben eine offene Frage, die entweder durch friedlichen Dialog oder mit einem Krieg auf der Straße entschieden werden muss. Eine weitere bedeutende und damit in Verbindung stehende Entwicklung ist in den Äußerungen mehrerer Milliardäre aufgetaucht. Jamie Dimon (Chief Executive Officer von J.P. Morgan), Ray Dalio (Manager des Bridegwater Associates Hedgefonds), Bill Gates und Warren Buffet zum Beispiel klagten über die große Kluft zwischen den superreichen Unternehmern und gewöhnlichen Amerikanern. Gates und Buffet übernahmen die Initiative, indem sie „Giving Pledge“ gründeten, „eine offene Einladung an Milliardäre oder solche, die es sein würden, würden sie nicht so viel spenden, dass sie sich öffentlich verpflichten die Mehrheit [oder mindestens die Hälfte] ihres Reichtums für Philantropisches ausgeben“.[11]
In seinem erstmals 1961 veröffentlichten Aufsatz „Diplomacy Then and Now“ analysierte Harold Nicolson (1886 – 1968) die soziale Spaltung zwischen den Habenden und den Besitzlosen. Mehr als ein halbes Jahrhundert später behalten seine Worte ihren Wert und beschreiben die aktuelle Debatte in den USA und anderen liberalen Demokratien treffend:
… Es ist sehr leicht ungebildete Menschen davon zu überzeugen, dass sie ausgenutzt oder gedemütigt und unterdrückt werden. Schwieriger ist es, ihnen die Belohnungen der Freiheit zu predigen. Menschen, die überzeugt worden sind, dass ihre Rechte missachtet worden sind, werden gerne Steine in Fenster werfen oder Autos umkippen; die Doktrin der individuellen Freiheit inspiriert keine solchen Akte der Leidenschaft. Wir sind im Nachteil, wenn es um die Anwendung von Propaganda gegenüber Habenichtsen geht. Dollars reichen nicht immer aus; und die Tatsache, dass unsere Doktrin die privilegiertere Klasse stärker anspricht, ist eine Tatsache, die nicht ausgebeutet oder gar erklärt werden kann.[12]
Wir haben die Korrelation zwischen Demokratie und Bildung festgestellt, eine Beobachtung, die bis zur Gründung der Politikwissenschaft in der Antike zurückgeht. Harold Nicolsons Anmerkungen erinnern uns daran. Er hat jedoch aufgezeigt, dass auch das Gegenteil stimmt: Die Ungebildeten, die leicht aufgestachelt werden können, haben die Macht den Genuss der „Belohnungen der Freiheit“ zu verhindern.

III. Die Verwandlung von Helden in Verbrecher
Gemäß der marxistisch-leninistischen Doktrin besteht das Ziel der Mob-Gewalt darin einen Bürgerkriegs-Zustand herzustellen, der zu Revolution und zum Sturz des Systems führt. Die Möchtegern-Revolutionäre in den USA machten das so gut, dass ihr Erfolg ihre Erwartungen übertraf. Sie schufen in Seattle und Atlanta „No-Go“-Areas. „Friedliche Demonstranten“ versuchten die St. John‘s Episcopal Church, „die Kirche des Präsidenten“ im Lafayette Park niederzubrennen, nur einen Block entfernt vom Weißen Haus; und dann begannen sie Statuen der Helden der amerikanischen Geschichte niederzureißen.
Die symbolische Bedeutung des Niederreißens von Statuen wird nicht allgemein begrüßt. Dieser destruktive Akt zeigt Verachtung für die Helden der amerikanischen Geschichte, die traditionell bewundert wurden. Über den Schock-Wert hinaus hat das Aufzwingen eines neuen offiziellen Narrativs der Vergangenheit eine entschieden totalitäre Dimension. Aus Helden Verbrecher zu machen läuft praktisch auf eine Neuschreibung der Geschichte und einen Akt totalitärer Aggression hinaus. Die Zerstörung von Statuen öffentlicher Helden mag mit Bücherverbrennungen vergleichbar sein, so wie das Abbrennen einer Kirche ein Statement ist, das mit dem Verbrennen anderer Gotteshäuser wie Synagogen vergleichbar ist. Wie George Orwell es in „1984“ beschreibt, ist die Übernahme der Vergangenheit der Auftakt zur Beherrschung der Gegenwart: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft: Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit…“[13]
Um den Ernst dieser jüngsten Ereignisse zu verstehen, müssen wir sie in den Kontext modernen politischen Denkens stellen. Zu Anfang der Moderne schrieb Thomas Hobbes (1588 bis 1679) sein berühmtes Werk Leviathan, das 1651 erstmals veröffentlicht wurde. Er beschrieb einen unausgesprochenen sozialen Kontrakt zwischen den Untertanen und einem Monarchen, bei dem die Einzelnen das Vorrecht des Selbstschutzes dem Staat anvertrauen, der im Gegenzug die Verpflichtung akzeptiert Polizeiarbeit und den Schutz des Eigentums zu leisten. Dieses Bündnis ist der Grundstein der Gesellschaft.[14]
Nach Angaben von Hobbes ist Zwang notwendig, um Menschen zu veranlassen ihre Bündnisse einzuhalten. Der Politikwissenschaftler George Sabine (1880 bis 1961) erklärte: „Die Leistung des Bündnisses mag nur dann vernünftigerweise erwartet werden, wenn es eine effektive Regierung gibt, die die Nichteinhaltung bestraft.“ Mit den Worten von Hobbes:
Bündnisse ohne das Schwert sind nur Worte und keine Stärke, die einen Mann sichert.
Die Bande von Worten sind zu schwach, um den Ehrgeiz, die Gier, Wut und andere Leidenschaften eines Menschen ohne Angst vor einer zwingenden Macht zu zügeln.[15]
Die Bürgermeister mehrerer großer Städte und Gouverneure von Bundesstaaten, in denen Zerstörung, Gewalt, Plünderung und Brandstiftung stattfanden, entschieden sich nicht zu handeln und befahlen Polizei und Feuerwehr nichts zu tun. Dieses Nichtstun schuf einen Zustand der Anarchie, ließ die Öffentlichkeit ohne Schutz. Statt die Macht des Gesetzes zu nutzen, verrieten diese Amtsträger den Bund, der Jahrhunderte lang die Grundlagen der Gesellschaft und der Rechtsstaatlichkeit (in der jüdisch-christlichen Tradition) war. Aus diesem Grund könnte der moralische Schock, der das Ergebnis des nicht niedergeschlagenen Ausbruchs von Mob-Gewalt war, vielleicht schlimmer gewesen sein als der von den Randalierern angerichtete tatsächliche Schaden. Um es mit den Worten von Harold Nicolson zu sagen: Die Ausübung von Autorität wurde unvorhersagbar und zu ungewiss, um ihren Entscheidungen die „Unvermeidbarkeit des öffentlichen Rechts“ zu geben.[16]
Was in Amerika geschah, zeigt die Fragilität des demokratischen Systems und besonders seine Verletzbarkeit. In Anbetracht der Feigheit der Obrigkeit hätte der Ausgang, hätten die Revolutionäre mit größerer Entschiedenheit gehandelt, eine Katastrophe sein können. Um die Formulierung von Edmund Burke zu verwenden: Diesmal fehlte den Aufrührern „die Energie und Durchschlagskraft, die für bösartige Umtriebe nötig sind…“[17] Beim ersten Mal waren die Resultate ernsthaft schädlich. Das zweite und dritte Mal könnte der Ausgang durchaus eine komplette Revolution mit Regimewandel sein.
IV. Globalisierung und der Einfluss von zivilem Ungehorsams
Wir leben in einem Zeitalter von Globalisierung, schneller Kommunikation und – bis vor kurzem – einfachem Reisen. Daher müssen wir begreifen, wie die aktuellen Entwicklungen in einem Land die Innenpolitik eines anderen beeinflussen kann. Zum Beispiel haben die jüngsten Ereignisse in den USA das Vereinte Königreich und Israel beeinflusst. Vor nicht so langer Zeit redete man vom Terrorismus der „Einsamen Wölfe“, bei dem Einzelpersonen, beeinflusst von ihrem Umfeld und den Medien, angeblich isoliert Terroranschläge und Mord verüben. Die jüngere Gewalt spiegelt allerdings den zunehmenden Einfluss der sozialen Medien auf das dominierende Umfeld des politischen Denkens und Handelns.
Die Arbeit des amerikanischen Journalisten und Chefredakteurs von Reader’s Digest, Eugene H. Methvin, der die Krawalle der Sechziger untersuchte und enge Verbindungen zur Polizei genoss, ist hilfreich für das Verständnis der aktuellen Ereignisse. Methvin hat sich auf Mob-Gewalt und die von ihren Tätern verwendeten Methoden spezialisiert. Er zeigte auf, dass zu den höchsten Prioritäten der Randalierer die Lähmung der Polizeibehörden und die Schaffung einer Atmosphäre gehören, die Anarchie anzeigt:
Während Agitatoren „Schlüsselmengen, junge Gauner und Kriminelle sondieren und testen und die Polizei nicht reagiert, dann wirbt das für einen „moralisch freien Tag“. Verspielte Teenager-Jungen und abgehärtete Rowdies begannen mit dem Werfen von Steinen und Flaschen. Wenn die Polizei nicht reagieren kann oder nicht reagiert, dann signalisiert die Lähmung der Obrigkeit Anarchie. Hinter den Fenster-Einwerfern, Plünderern und Straßenfüllern gehen die Feuerwanzen an die Arbeit.[18]
Die Arbeit eines israelischen Forschers hilft ebenfalls. Nach der Verabschiedung der Resolution 3379 „Zionismus ist Rassismus“ durch die UNO-Vollversammlung am 10. November 1975 gab die Informationsabteilung der Jewish Agency eine Reihe Studien zu dem in Auftrag, was als der „neue Antisemitismus“ bekannt wurde. Ehud Sprinzak, Mitglied der politikwissenschaftlichen Fakultät an der Hebräischen Universität, untersuchte den Prozess der Delegitimierung in einem im Mai 1984 veröffentlichten Original-Forschungstext:
Der Verlust der Legitimität bedeutet im Effekt den Verlust des Rechts in bestimmten Foren zu reden oder zu debattieren. Wenn eine politische Einheit weitgehender Delegitimierung unterzogen wird, dann wird, was immer ihr Sprecher zu sagen hat, als irrelevant wahrgenommen. Sie wird nicht länger als Partner für legitimen Diskurs akzeptiert, egal, wie stichhaltig sie sich ausdrücken mag. Ihre Position gleicht der von Patienten in einer geschlossenen Anstalt: Sind sie erst einmal von einem professionellen Prüfungsgremium eingestuft, werden sie als geistig inkompetent behandelt, egal, wie stichhaltig sie sich ausdrücken mögen.[19]
Hier beschreibt Sprinzak akkurat den Beginn dessen, was heute die „Cancel Culture“ genannt wird. Jahre lang ist diese totalitäre Methode gegen Israel und seine Fürsprecher angewandt worden. Heute fordert sie weitere Opfer.
In seinem berühmten Aufsatz „The Prevention of Literature“ (Die Verhinderung von Literatur), der erstmals im Januar 1946 erschient, behandelte George Orwell die destruktiven kulturellen Folgen totalitärer Intoleranz, „… Um von Totalitarismus korrumpiert zu sein, muss man nicht in einem totalitären Land gelebt haben. Das bloße Vorherrschen bestimmter Ideen kann eine Art von Gift verbreiten, das ein Thema nach dem anderen für literarische Zwecke unbrauchbar macht. Wo immer es eine aufgezwungene Orthodoxie gibt – oder sogar zwei Orthodoxien, wie es oft geschieht – hört gutes Schreiben auf.“[20]
Die Zerbrechlichkeit der liberalen Demokratien ist eines der größten Probleme, denen wir gegenüber stehen. Ein entschlossener Feind greift unsere traditionellen Freiheiten und die Kontinuität unserer jeweiligen politischen Systeme an. Es besteht eine kurze Distanz zwischen „friedlichen Demonstrationen“, Mob-Gewalt, Bürgerkrieg und Regimewechsel. Die Dynamik politischer Kriegsführung und der Methoden der Mobgewalt sind erkennbar. Wir müssen dieses Wissen nutzen, um unsere liberalen Demokratien zu schützen, denn das ist eine Sache der Selbstverteidigung.
Anmerkungen:
[1] „Das zentrale Vorgehen von Demokratie ist die Auswahl von Führungspersönlichkeiten über konkurrierende Wahlen durch das Volk, das sie regieren.“ Samuel P. Huntington: The Third Wave; Democratization in the Late Twentieth Century. University of Oklahoma Press, 1991, S. 6.
[2] S. Emmanuel Sivan: Illusions of Change. in: Journal of Democracy 11:3 (Juli 2000), S. 78-82.
[3] Seymour Martin Lipset und andere betonten die Bedeutung dieser Korrelation:
Seit Aristoteles bis zur Gegenwart haben Menschen argumentiert, dass es nur in einer reichen Gesellschaft, in der relativ wenige Bürger in einem bestimmten Niveau von Armut lebten, eine Situation geben konnte, in der die Massen der Bevölkerung auf intelligente Weise an Politik teilnehmen und die Selbstbeherrschung entwickeln, um nicht den Reizen unverantwortlicher Dämagogen zu erliegen.
Seymour Martin Lipset: Political Man: The Social Base of Politics. Überarbeitete Ausgabe (Baltimore) Johns Hopkins University Press (Baltimore), zitiert in: Henry S. Rowen: The Tide Underneath the ‚Third Wave’. In. Journal of Democracy 6 Nr. 1 (Januar 1996), S. 53.
[4] ebenda, S. 56.
[5] “Indem der KPD eine Politik kompromissloser Kriegslust gegen die Sozialdemokratie (‚sozialer Faschismus‘), begünstigte er [Stalin] den Sieg der Nazis.“ Robert C. Tucker: Stalin in Power: The Revolution from Above 1928-1941. New York ( W.W. Norton), 1922, S. 229.
[6] Eugene Methvin: The Riot Makers; The Technology of Social Demolition. New Rochlle, N.Y. (Arlington House), 1970, S. 410.
[7] Interview mit Golan Lahat druch Vered Kelner: Teh Messiah Does not Come. Ma’ariv, 9. April 2004, Schabbat-Beilage (in Hebräisch), S. 14-15.
[8] Crane Brinton: Reflections on the Desertion of the intellectuals. In: Proceedings of the American Philosophical Society, 99:4 (30. August 1955), S. 219; https://www.jstor.org/stable/3143700?seq=1
[9] “Nicht ihr habt das gebaut” ist ein Satz aus einer Wahlkampfrede des US-Präsidenten Barack Obama am 13. Juli 2012 in Roanoke (Virginia). „Wenn ihr erfolgreich ward, hat euch jemand unterwegs geholfen. Es gab einen großen Lehrer irgendwo in eurem Leben. Jemand half dieses unglaubliche amerikanische System zu schaffen, das wir haben, der euch erlaubte aufzublühen. Jemand investierte in Straßen und Brücken. Wenn ihr ein Geschäft habt – das habt nicht ihr gebaut. Jemand anderes machte das möglich… Factcheck.org, 23. Juli 2012; https://www.factcheck.org/2012/07/you-didnt-build-that-uncut-and-unedited/
[10] Carl Campanile, New York Post, 17. Juli 2020: https://nypost.com/2020/07/17/aocs-billionaires-tax-would-spur-wealthy-exodus-from-ny-report/
[11] The Giving Pledge: https://givingpledge.org/About.aspx
[12] Harold Nicolson: Diplomacy Then and Now. In: Foreign Affairs 40:1 (Oktober 1961), S. 47.
[13] George Orwell: Nineteen-Eighty-Four. Harmondsworth (Penguin Books) 1966, S. 199.
[14] Viele betrachten die US-Verfassung als ausdrückliches Beispiel für den Gesellschaftsvertrag der Vereinigten Staaten von Amerika.
[15] Kapitel 17 und 14 von: Leviathan, zitiert von George H. Sbine: A Historiy of Political Theory. New Yokr (Holt, Rinehart and Winston) 1962, 3. Aufl., S. 468.
[16] Nicolson, S. 48.
[17] Brief an ein Mitglied der Nationalversammlung, 1791, in: Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France, hg. von L.G. Mitchell, Oxfort (Oxford University Press) 1999, S. 290-291.
[18] Methvin, S. 96.
[19] Ehud Sprinzak: Anti-Zionism: From Delegitimization to Dehumanization. Forum of the Jewish People, Zionism and Israel 53, Mai 1984, S. 2.
[20] The Collected Essays, Journalism and Letters of George Orwell, Band IV: In Front of your Nose; hg. Von Sonia Orwell und Ian Angus, Harmondsworth (Penguin) 1970, S. 90.