Was die BDS-Bewegung wirklich will
Joseph Puder, FrontPage Mag, 9. März 2021
Der kollektive Hass auf Juden kann als Antisemitismus definiert werden. Wie der Coronavirus hat er viele Mutationen entwickelt. Antisemitismus ist der älteste Hass, der einfach nicht dahinschwinden will. Er ist im liberalen Großbritannien zu finden, bei Typen wir Rev. Stephen Sizer, einem Vikar der Church of England. 2015 postete er einen Artikel auf Facebook, in dem er Juden und Israel der „Verantwortung für die Anschläge vom 9/11“ beschuldigt. Sizer hat sich einer langen Geschichte von Judenhass angeschlossen. Aus der Judenfeindlichkeit der katholischen Kirche wurde mit Martin Luther ein rabiater Antisemitismus, der die Grundlage für Hitlers Nazi-Völkermordversuch an den Juden legte.
Ende der 1990-er Jahre, als Student im Aufbaustudium an der Seton Hall University (einer katholischen Institution) wurde ich von der mutigen und legendären, verstorbenen Schwester Rose Thering eingeladen einer Rede des Kardinals Edward I. Cassidy, dem damaligen Präsidenten des Pontifikalrats für die Förderung christlicher Einheit und Leiter der Kommission des Heiligen Stuhls für religiöse Beziehungen zu den Juden, vor der Fakultät beizuwohnen. Er zeigte auf, dass die katholische Kirche und ihre Anhänger in der Geschichte judenfeindlich gewesen sein könnten, postulierte aber, dass Antisemitismus kein Teil davon war.
Schwester Rose, die mich für die Seton Hall angeworben hatte, drängte mich, dem Kardinal eine Frage zu stellen. Sie war nicht überzeugt, dass die These des Kardinals wirklich stimmig war und mir ging es genauso. Also hob ich meine Hand und als ich drangenommen wurde, fragte ich: „Eminenz, wie definieren Sie das Pogrom von Kielce in Polen am 4. Juli 1946, bei dem 42 jüdische Männer, Frauen und Kinder, alles Holocaust-Überlebende, ermordet wurden? War das ein Beispiel für Judenfeindlichkeit oder für Antisemitismus?“ Der Kardinal wirkte ziemlich ratlos, schwieg einen Augenblick und vermied es dann höflich meine Frage zu beantworten.
Schwester Rose, die ihr Leben lang gegen Antisemitismus gekämpft hat, zwinkerte mir zu, um ihre Zustimmung zu signalisieren. Die historische Wahrheit lautet, dass man Judenfeindlichkeit und Antisemitismus nicht unterscheiden kann. Diese im Antisemitismus eingebettete Voreingenommenheit ist in der Judenfeindlichkeit verwurzelt. Antisemitismus hat eine Vielzahl an Charakterzügen. Religiöser und kultureller Hass auf Juden geht bis in die Zeit der Griechen und Römer zurück. Rassen-Antisemitismus wurde im 18. Jahrhundert zum neuen Charakterzug. Die Geschichte ist voll mit einer Vielzahl judenfeindlicher Formen des Hasses. Die oben erwähnten sind jedoch die offenkundigsten. Die Vertreibung der Juden von der Iberischen Halbinsel am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts gründete auf religiösem Hass, genährt von der katholischen Kirche und vollzogen von der Inquisition. Der von den Nazis verübte Holocaust an den Juden beinhaltete alle Elemente des Antisemitismus. Er war rassisch, religiös (wenngleich die deutschen Nazis versuchten ihr eigene Religion zu schaffen und das Christentum verachteten), kulturell, politisch und wirtschaftlich.
Der Kern des christlich-religiösen Antisemitismus ist in die Auffassung eingebettet, dass „Juden wegen der Kreuzigung Jesu von Gott verflucht sind“. Das folgt aus Versen im Evangelium nach Matthäus 27,24-25: „Als Pilatus sah, dass er nichts erreichte, sondern dass der Tumult immer größer wurde, ließ er Wasser bringen, wusch sich vor allen Leuten die Hände und sagte: ‚Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen. Das ist eure Sache!‘ Da rief das ganze Volk: ‚Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!‘“
Der zitierte Abschnitt, mit dem die Juden als „Christusmörder“ etikettiert wurden (obwohl Jesus auch ein Jude war), kostete das Leben unzähliger unschuldiger Juden aufgrund eines Grolls, den der Autor des Matthäus-Evangeliums gegen die Rabbiner von Yavne (westlich von Jerusalem) hegte. Das Matthäus-Evangelium wurde in den 80-er Jahren des ersten Jahrhunderts geschrieben, 50 Jahre nach dem behaupteten Ereignis der Kreuzigung. Er ersetzte seinen Konflikt mit den Rabbinern durch die mutmaßliche Fehde zwischen den Pharisäern und Jesus. Der Autor von Matthäus war kein Augenzeuge und die Juden, die er beschrieb, waren von geringer Anzahl und nicht „das ganze Volk“. Zu ihnen gehörten hauptsächlich Sadduzäer (die elitäre Tempel-Bürokratie) und es ist unwahrscheinlich, dass auch die Hillel-Pharisäer zu ihnen gehörten. Die meisten Juden Judäas und Galiläas hegten keine Arglist gegen Jesus. Darüber hinaus war Pontius Pilatus tatsächlich nicht der gütige römische Gouverneur von Judäa, wie er in dem Abschnitt von Matthäus 27 beschrieben wird. Er war ein grausamer Tyrann, der schließlich ersetzt wurde. Pilatus sah in Jesu Popularität eine Gefahr für die römische Herrschaft.
Der Autor von Matthäus war als jüdischer Evangelist der Jesus-Bewegung von dem von den Rabbinern ausgegeben Erlass erbost, der das Missionieren in der Synagoge (von Antiochia) verbot und Seinesgleichen aus der Synagoge verbannte. Dann kommt natürlich der offensichtlich verleumderische Verweis auf das Volk (die Juden), die sagen, dass Jesu Blut auf sie und ihre Kinder kommen solle. Welche Eltern würden das Blut eines getöteten Menschen auf sich haben wollen, geschweige denn auf ihren Kindern? Das ist eindeutig eine Veränderung, die in einer späteren Periode vorgenommen wurde, als die Christenheit die Staatsreligion des römischen Reiches wurde.[1]
Die Erklärung Nostre Aetate aus dem Jahr 1965 während des Zweiten Vatikanischen Konzils führte zu einer gewaltigen Verschiebung der Lehre an katholischen Seminaren, in Gottesdiensten und drang bis in katholische Schulen vor. Papst Johannes Paul II. (der polnische Papst) trug einiges zum Verständnis und Kooperation zwischen Katholiken und Juden bei, darunter die Einrichtung diplomatischer Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel. Darüber hinaus wurde die „Geringschätzung“ für Juden aussortiert. In den meisten katholischen Institutionen von heute wird die Lehre von Toleranz und Respekt für Nichtchristen und besonders für Juden vermittelt.
Während die katholische Kirche einen weiten Weg hinter sich hat Freundschaft mit Juden zu schaffen, kann dasselbe über einige der aktuellen großen protestantischen Kirchen nicht gesagt werden. Christianity Today (1. September 2004) brachte eine Schlagzeile: „Sind die großen Kirchen antisemitisch?“ In diesem Artikel antwortete Diane Knippers, Präsidentin des Institute on Religion and Democracy (IRD): „Eine extreme Fokussierung auf Israel, bei gleichzeitiger Ignorierung von Menschenrechtsverletzern, ist eine starke Verfälschung der Botschaft der Kirchen zu den universalen Menschenrechten. Wir können keine rationale Erklärung für die Schieflage finden. Wir müssen uns fragen: Gibt es – bewusst oder unbewusst – ein judenfeindliches Bestreben, das dieses Trommeln gegen den einzigen jüdischen Staat antreibt?“
Die Betonung säkularer „sozialer Gerechtigkeit“ durch einige dieser großen Kirchen führte zu BDS-Kampagnen (Boykott, De-Investition und Sanktionen gegen Israel) in der Presbyterian Church USA (PCUSA), der evangelisch-lutherischen Kirche usw. Sie sind getrieben durch ehemalige Missionare in der muslimischen Welt, die sich dann mit einer pro-palästinensischen und anti-israelischen Voreingenommenheit an die Kirchenleitungen wandten, die sich zu Antisemitismus im Gewand des Antizionismus entwickelte. Das soll nicht heißen, dass auch die Leute in den Kirchenbänken solche Kampagnen unbedingt unterstützen.
Dieser jüngste antisemitische Charakterzug ist der Antizionismus oder Antiisraelismus und dieser ist ein Vorwand dafür gegen israelische Juden und letztlich gegen Juden allgemein zu schießen. Die Variante findet sich in der BDS-Bewegung, deren Mitbegründer Omar Barghouti ist, der erklärte: „Das Ziel von BDS ist es Israel zu einem Paria zu machen.“ Er und die BDS-Bewegung greifen Israel für akademische und kulturelle Boykotte aus den Staaten heraus. Barghouti wurde in Qatar geboren, lebte in Ägypten und erhielt seinen MA an der Universität Tel Aviv!… Der ehemalige sowjetische Refusenik und Menschenrechtsaktivist Nathan Sharansky führte den 3D-Test zur Unterscheidung legitimer Kritik von Antisemitismus ein. 3D steht für Delegitimation Israels, Dämonisierung Israels und an Israel ein zweierlei Maß (Doppelstandards) anzulegen. Auf die BDS-Bewegung und einige der großen protestantischen Kirchen treffen all diese Kriterien zu.
Die manchmal gewalttätige, manchmal verbale kollektive Voreingenommenheit gegen Juden, die in vielfältigen Formen auftritt, hat eine Rekordzahl an antisemitischen Vorfällen zum Ergebnis, besonders in Europa und in jüngster Zeit auch in den USA. Es ist an der Zeit, dass eine anständige Gesellschaft sich der Tatsache stellt: Schweigen und Untätigkeit bedeuten Zustimmung.
[1] Das sehe ich anders. Mit „Volk“ ist nicht das ganze Volk Israel gemeint, sondern die Truppe, die anwesend war und Jesus tot sehen wollte, eine selbsternannte religiöse Elite, die so fanatisch war, dass sie das durchaus von sich gegeben haben kann. Die Datierung der Verfassung des Matthäus-Evangeliums wird von Puder als fix angegeben, ist es aber nicht. Die Sadduzäer verschwanden nach dem Jahr 70, hätten also in Auseinandersetzungen mit dem Autor des Evangeliums keine Rolle mehr gespielt. Insgesamt sitzt Puder einem leider – gerade auch von kirchlicher Seite – sehr gängigen Verständnis auf, das sich nach der Spaltung zwischen Jesusgläubigen und traditionell-jüdischen Gruppen einbürgerte und die Grundlage für christlichen Judenhass bildete, der sich entwickeln konnte, weil das erklärende Element für jüdisches Denken und Handeln in den christlichen Gemeinden abhanden kam, das judenfeindliche Auslegung der Streitgespräche in der Bibel bis dahin verhinderte.