Warum unterstützten Protestanten in Deutschland Rahebs Chasaren-Verschwörungstheorie?

Dexter Van Zile, Times of Israel (blogs), 23. Oktober 2020

Mitri Rabeh bie der Vollversammlung der Presbyterianischen Kirche (USA) (Foto. Dexter Van Zile)

Mitri Raheb ist bekannt für seine Neigung dazu, aus seiner Position als lutherischer Pastor in der Westbank heraus den jüdischen Staat zu dämonisieren.

Sein Buch Bethlehem Besieged (Belagertes Bethlehem) ist eine einseitige Darstellung der frühen Monate der Zweiten Intifada. Er spricht über die Panzer, Schützenpanzer und Hubschrauber, die Israel in die Westbank schickte, versäumt es aber den Selbstmord-Bombenanschlag auf das Park Hotel in Netanya während einer Pessahfeier zu erwähnen, bei dem 30 Israelis getötet und 140 weitere verletzt wurden und der Israels Entscheidung in die Westbank einzumarschieren vorausging.

Raheb unterließ es ebenso seinen Lesern zu erzählen, dass in den Wochen vor der Operation Verteidigungsschild mehr als 80 Israelis (zumeist Zivilisten) von palästinensischen Selbstmordbombenanschlägen und mehr als 35 Zivilisten von Gewehrfeuer getötet wurden. Israels Entscheidung mit Panzern und Schützenpanzern in die Westbank einzumarschieren war eine Konsequenz dieser Anschläge, die Raheb ignoriert.

2017 besuchte Raheb die Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg, Ort regelmäßiger israelfeindlicher und judenfeindlicher Hetze. Er erzählte den Leuten, sein Besuch sei ein „unvergesslicher Abend gewesen … demonstrierte Glaube an den Raum des Reichs und christlich-muslimischer Einheit als Mittel kreativen Widerstands“.

Das ist alles ziemlich unverantwortliches Zeug, aber es kommt noch schlimmer. 2012 redigierte und veröffentlichte Raheb The Biblical Text in the Context of Occupation: Towards a new hermeneutics of liberation (Der biblische Text im Kontext von Besatzung: Auf dem Weg zu einer neuen Hermeneutik der Befreiung) in der von ihm betriebenen gemeinnützigen Organisation Diyar Institute.

In diesem Buch schrieb Rahe, seine Leser „sollten vorsichtig sein, wenn sie von der ‚Rückkehr‘ der Juden reden, als würden diese so etwas wie eine Heimkehr in ihr ursprüngliches Land erleben“.

Um seine Darstellung der Juden als Eindringlinge zu untermauern, die wirklich keinerlei Verbindung zum Land Israel haben, schriebt Raheb: „Viele der jüdischen Emigranten [sic] nach Palästina waren in Wirklichkeit keine Nachkommen dieses einheimischen Volks, die ins Exil getrieben wurden, sondern hauptsächlich die Nachkommen nordafrikanischer Berberstämme oder osteuropäischer ‚Chasaren‘-Stämme, die zum Judentum konvertierten. Für sie war Jerusalem das, was Rom für die Katholiken ist.“

Ja, Sie haben richtig gelesen.

Rev. Dr. Mitri Raheb, der den „Deutschen Medienpreis“ verliehen bekam, verkauft 2012 diese alte Lüge, dass die modernen Juden keine Verbindung zu den Juden haben, von denen in der Bibel geschrieben ist, indem er das Märchen von den „Chasaren“ ins Feld führt.

Raheb verkauft diese gründlich diskreditierte Verleumdung im Namen des „Friedens“ als würde die jüdische Verbindung zum Land Israel in Verruf zu bringen das Leben der Palästinenser verbessern (tut es nicht).

Angesichts der Geschichte Rahebs sollte es nicht überraschen, dass er eine solch üble und unredliche Lüge verbreitet. Was überrascht ist aber, dass das Buch, in dem er dieses Sprachbild bewirbt, mit Hilfe der Protestanten in Deutschland veröffentlicht wurde. Auf der Rückseite des Titels des Buchs heißt es ausdrücklich, dass es vom „Verband der protestantischen Kirchen und Vertretungen in Deutschland“ unterstützt wird [der angeführte Link führt leider inzwischen ins Leere – heplev].

Warum unterstützte ein (ausgerechnet!) in Deutschland arbeitender Kirchenverband die Veröffentlichung eines Buchs, das eine offenkundig antisemitische Verleumdung zum Inhalt hat – dass die in Israel lebenden Juden von heute keine Verbindung zu den Juden der Bibel und daher keinen legitimen Platz im Land Israel haben?

Eine notwendige, äußerst wichtige Botschaft an das Holocaust Forum

Manfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Dutzende Staatsoberhäupter werden nach Jerusalem kommen, um am Fünften Holocaust-Forum teilzunehmen. Diese Veranstaltung wird am 23. Januar in Yad Vashem beginnen und unter der Schirmherrschaft des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin stattfinden. Die Zusammenkunft ist eine einzigartige Gelegenheit einem Top-Publikum öffentlich eine entscheidende Botschaft im Kampf gegen Antisemitismus zu vermitteln. Die israelische Regierung und jüdische Institutionen haben es Jahrzehnte lang versäumt die Botschaft öffentlich zu weiterzugeben, dass Antisemitismus mehr als tausend Jahre lang ein integraler Bestandteil westlicher Kultur gewesen ist. Diese Tatsache ist unentbehrlich für das Verständnis und die Bekämpfung von zeitgenössischem Antisemitismus und muss daher kontinuierlich wiederholt werden.

Vor mehr als einem Jahrtausend haben mächtige Organisationen – hauptsächlich, aber nicht ausschließlich im Westen – die Idee propagiert, dass Juden absolut böse sind. Die römisch-katholische Kirche war die Originalquelle dieser hasserfüllten Idee. Ihr folgten später verschiedene andere christliche Denominationen. Juden in allen Generationen wurden beschuldigt den mutmaßlichen Sohn Gottes, Jesus, getötet zu haben; ihnen wurde die Verantwortung für seinen Tod vorgeworfen.

Christliche Theologen stereotypisierten die Juden. Statt den Fehler bei einzelnen Individuen in einer lange zurückliegenden Vergangenheit zu suchen, machten sie alle Juden jeder Generation für ein Verbrechen verantwortlich, das ihre Ahnen nicht begangen hatten. Damit lieferten sie einen riesigen Beitrag zu dem, was heute allgemein Rassismus genannt wird. Menschen zu stereotypisieren ist ein Kernelement dieses Übels. Als Christen Juden brutal behandelten, entwickelten sie die boshafte Behauptung, das daraus resultierende Leiden der Juden sei göttliche Strafe dafür, dass sie Jesus nicht anerkennen.

Unter den protestantischen Reformern sticht Martin Luther in seinen späten Jahren als fanatischer Antisemit heraus. Er schrieb, dass Juden in Ställen gehalten werden sollten, ihre Bücher sollten ihnen weggenommen werden und wenn Rabbiner predigten, dass sollten sie getötet werden. Luther empfahl auch, dass Synagogen zur Ehre Gottes und der Christenheit niedergebrannt werden sollten.[1] Heutzutage gehört der Ökumenische Rat der Kirchen („Weltkirchenrat“) zu den großen christlichen Hass Schürenden gegen Israel.[2]

Auf der Jahrhunderte alten Infrastruktur des christlichen Antisemitismus entwickelte sich ein zweiter Typ des Antisemitismus: der ethnische/nationalistische Antisemitismus. Ohne die christliche Hass-Grundlage hätten viele in den europäischen Gesellschaften vermutlich weniger bereitwillig mit den deutschen Mördern bei der Verfolgung der Juden kooperiert.

Die Anti-Defamation League hat mehrere Studien zu einer Reihe von europäischen Ländern sowie den Vereinigten Staaten und Argentinien veröffentlicht. Die Umfragen stellten fest, dass selbst heute noch 26% der Christen an die Falschmeldung glauben, dass die Juden für den Tod Jesu verantwortlich sind.[3]

Mit der Entwicklung der westlichen Kultur mutierte auch der Antisemitismus. Anti-Israelismus hat dieselben Kernmotive wie die beiden früheren Typen des „klassischen“ Antisemitismus. Im christlichen Antisemitismus waren die Juden aufgrund der falschen Anschuldigung, sie hätten Jesus getötet, das absolut Böse. In der nachfolgenden Nazi-Ideologie waren die Juden das absolut Böse, weil sie fälschlich als untermenschlich, mit Defekten geboren, Insekten, Ungeziefer oder Bakterien angesehen wurden.

In der zeitgenössischen Gesellschaft stellt sich das absolut Böse als sich wie Nazis zu verhalten und Völkermord zu planen dar. Aus verschiedenen Studien wissen wir, dass eine große Minderheit der Bevölkerung Europas fälschlicherweise glaubt, Israel habe vor Völkermord an den Palästinensern zu begehen; alternativ wird geglaubt, es verhalte sich den Palästinensern gegenüber wie die Nazis es den Juden gegenüber machten.[4]

Es gibt viele Belege der fortbestehenden Verflechtung von Antisemitismus und westlicher Kultur. Rothschild, die Juden und Geld sind immer wiederkehrende, von Antisemiten verwendete Verknüpfungen. Lange davor hatte die Kirche bereits Judas Ischariot vorgeworfen Jesus für Geld verkauft zu haben. Shylock taucht immer noch in der westlichen Gesellschaft als der Inbegriff des Wucherers auf. Trotz des extremen Bösen des Nationalsozialismus wurde der Nazi-Denker Martin Heidegger zum führenden Philosophen des Nachkriegs-Europa.[5]

Es gibt viele weitere Belege, dass dieser Antisemitismus mit der westlichen Kultur verflochten ist. In der Postmoderne entwickeln viele wichtige neue intellektuelle oder ideologische Strömungen früher oder später antisemitische Ausdrucksformen. Die Menschenrechtsbewegung ist vollgestopft mit antiisraelischen NGOs. Ihr höchstes Organ, der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UNHRC), ist ein moralisch korruptes Gremium, das von antiisraelischen Hass Schürenden durchsetzt ist.

Es gibt eine Vielzahl anderer Beispiele zeitgenössischer ideologischer Bewegungen, in denen Antisemitismus aufgekommen ist. Ein paar Beispiele: Der Feminismus ist eine offensichtliche.[6] Ebenso Teile der LGBT-Bewegung. Einige Leute in dieser Bewegung beschuldigen Israel des „Pinkwashing“. Diese Idee behauptet, dass Israel der Schwulengemeinschaft gleiche Rechte einräumt, sei ein Mittel die Aufmerksamkeit von seiner angeblichen Diskriminierung der Palästinenser abzulenken.[7] Die Intersektionalitätsbewegung zielt oft auf die Solidarität aller Opfer mit Ausnahme der Juden.

In der akademischen Welt bezeichnen Verfechter des Postkolonialismus Israel manchmal als „Kolonialmacht“.[8] Der Begriff ist eine gewaltige Entstellung. Israels Verhalten gegenüber den Palästinensern enthält keine Ähnlichkeit zu den massiven Verbrechen der belgischen, britischen, niederländischen, französischen, deutschen, portugiesischen und spanischen Kolonisatoren an den eroberten Völkern im Verlauf der Jahrhunderte. Diese Länder unterwarfen Völker, um Geld zu machen. Juden machten das Gegenteil. Sie investierten große Mühen und beträchtliche Geldsummen in die Wiederbelebung ihres angestammten Landes, um es aus langjähriger Verwahrlosung zu holen.

Das bevorstehende Holocaust-Forum ist eine einzigartige Gelegenheit für die Organisatoren die obigen Botschaften öffentlich zu präsentieren. Es ist eine Schande, dass so viele jüdische Organisationen es versäumt haben die fortgesetzte Verflechtung von Juden hassendem Antisemitismus mit westlicher Kultur hervorzuheben und was das dafür bedeutet den zeitgenössischen Antisemitismus zu verstehen und zu bekämpfen.

[1] https://jcpa.org/article/historical-roots-anti-israel-positions-liberal-protestant-churches-2/

[2] www.israelnationalnews.com/Articles/Article.aspx/11053; https://jerusalemjournal.net/news-and-views/fools-on-the-ground-the-world-council-of-churches-in-israel-and-its-eappi-by-dexter-van-zile

[3] www.adl.org/news/press-releases/adl-poll-anti-semitic-attitudes-in-america-decline-3-percent

[4] Zum Beispiel: library.fes.de/pdf-files/do/07908-20110311.pdf

[5] https://www.newyorker.com/culture/richard-brody/why-does-it-matter-if-heidegger-was-anti-semitic

[6] http://www.israelnationalnews.com/Articles/Article.aspx/18876

[7] http://www.jpost.com/Israel-News/Ilhan-Omar-Rashida-Tlaib-respond-to-Palestinian-LGBTQ-ban-on-Twitter-599139

[8] https://spme.org/spme-research/analysis/philip-carl-salzman-reflections-on-postcolonial-theory-and-the-arab-israel-conflict/4259/

Gemeinsame Reise abgesagt

von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 24. April 2018

Manche dramatische Ereignisse der Weltgeschichte können die Folge von Dummheit oder fast komischer Irrtümer sein. Dazu gehört der sogenannte Schabowski-Effekt, jener Zettel, durch den die Berliner Mauer fiel und es zum Ende der DDR kam. Auch Kriege entstehen durch vergleichbare kleine Fehler, für die am Ende niemand verantwortlich zeichnen möchte. „Zum ersten Mal in der Geschichte der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) reisen Mitglieder der Kirchenleitung gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern jüdischer Gemeinden nach Israel“, hieß es in einer Pressemitteilung von Peter Iven, dem Sprecher von EKiR.

Für einen deutschen Journalisten mit Sitz in Jerusalem ist das natürlich ein wichtiges und sehr erfreuliches Ereignis. Um aber nicht nur eine Pressemitteilung zu kopieren, gehört es zum täglichen Geschäft eines gewissenhaften Korrespondenten dazu, Hintergrund und weitere Informationen zu suchen. Auf der mitgelieferten Homepage der ev. Kirche im Rheinland entdeckten wir mit aktiver Unterstützung anderer sogar eine „Gottesdienst-Arbeitshilfe 70 Jahre Staat Israel“. Das Grußwort zu einem Artikel von Reiner Stuhlmann mit der Überschrift „70 Jahre Staat Israel – ein Datum im christlichen Kalender?“ mitsamt einem Hinweis auf die gemeinsame Reise mit dem Landesverband der jüdischen Gemeinden Nordrhein hatte Manfred Rekowski, verfasst, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Verantwortlich für das Papier von Stuhlmann zeichnete Dr. Volker Haarmann, der auch als einer der Organisatoren der gemeinsamen Reise angeführt war.

Obgleich es sich um das gleiche Thema, die gleichen Namen und um die gemeinsame Reise handelte, erklärte der Pressesprecher auf Anfrage: „Mit der Reise unserer Kirchenleitung teilt die Arbeitshilfe, auf die Sie Bezug nehmen, zwar den gemeinsamen Anlass ‚70 Jahre Staat Israel‘; in direktem Zusammenhang steht sie dazu ansonsten aber nicht.“

Diese Zusammenhanglosigkeit war nicht sehr einleuchtend. Deshalb schauten wir uns den Text des uns schon von früheren Hetzschriften durchaus bekannten Rainer Stuhlmann etwas genauer an und fertigten eine neutrale und sachliche Analyse seiner offiziösen Schrift der EKiR.

Stuhlmann behauptete zum Beispiel, dass es schon „palästinensische Christen“ gab, als Jesus von Nazareth gerade mal im Alter von 18 noch nicht einmal mit seinen öffentlichen Auftritten begonnen hat, lange vor Kreuzigung und Auferstehung. Auch die anderen Behauptungen Stuhlmanns waren klassische Fälle palästinensischer Propaganda mit dem Ziel, Israel und das Judentum zu delegitimieren.

Von kirchlicher Seite kam jedenfalls keinerlei sachliche Erwiderung auf die Analyse, aber intern löste dieser Text, ein „Erdbeben“ aus und ein Bemühen, Sahms „Kampfansage“ abzuwenden. Das wurde uns wie privat mitgeteilt. Die jüdischen Reiseteilnehmer hatten den Text am Freitag erhalten, also vor dem Sabbat. Telefonisch war am Montag zu erfahren, dass da heftig diskutiert werde. In jedem Fall sollte die Landeskirche aufgefordert werden, sich klar von der Hetzschrift des Rainer Stuhlmann zu distanzieren. Dazu war sie jedoch nicht fähig oder bereit.

Das alles ist inzwischen Vergangenheit. Der jüdische Landesverband sagte seine Beteiligung an der gemeinsamen Reise ab. In einer Pressemitteilung dazu schrieb Dr. Oded Horowitz: „Umso mehr hat uns der darin enthaltene Beitrag 70 Jahre Staat Israel – ein Datum im christlichen Kalender? bestürzt und traurig zurückgelassen. Die darin geäußerte Verunglimpfung des Staates Israel als brutale Besatzungsmacht und die Unterschlagung historischer Fakten sind für uns nicht hinnehmbar. Zur 70. Jubiläumsfeier der Gründung des Staates Israel auf die Lebenslage der palästinensischen Bevölkerung als direktes Resultat der Staatsgründung Israels zu verweisen, stellt das Existenzrecht Israels in Frage und hinterlässt einen faden Beigeschmack antizionistischer Stereotype.“

Auch die EKiR bedauerte in einer eigenen Pressemitteilung Nr. 72/2018 die Absage der Reise „durch den Jüdischen Landesverband“. Weiter heißt es darin: „Nachdem am Wochenende Kritik in Medien aufgekommen war, eine Arbeitshilfe der rheinischen Kirche für Gottesdienste anlässlich des israelischen Staatsgründungsjubiläums ignoriere historische Tatsachen und ergreife einseitig Partei für die Palästinenser, hat der Vorstand des Landesverbandes seine Teilnahme an der gemeinsam geplanten Reise nun kurzfristig abgesagt. Die Mitglieder der Kirchenleitung werden nun nicht nach Israel reisen, da das Anliegen, nämlich die Begegnung mit dem Landesverband und das gemeinsame Feiern des Jubiläums der israelischen Staatsgründung durch den überraschenden Rückzug des Landesverbandes hinfällig geworden ist.“ Präses Manfred Rekowski erklärte dazu: „Umso mehr bedauere ich die Entscheidung des Vorstands des Landesverbandes. Gerne hätten wir auch die Reise mit dem Landesverband für das Gespräch über diese kontroversen Themen genutzt. Dort, wo sachliche Kritik an der Arbeitshilfe geübt wird, beschäftigen wir uns selbstverständlich damit.“ Weiter behauptete der Präses, auch gerade im Grußwort zu der Arbeitshilfe deutlich gemacht zu haben, dass es unterschiedliche Rezeptionen zu Israel gebe. Doch auf die ungeheuerliche Behauptung von Stuhlmann, dass Israels Gründung ein Tag der Trauer sei, und dass jener Tag in den Kalender der christlichen Märtyrer aufgenommen werden sollte, geht er nicht ein. Die rheinische Kirche hat sich also nicht von Stuhlmann distanziert, sodass dem jüdischen Landesverband keine Wahl blieb, als die historische Reise abzusagen.

(C) Ulrich W. Sahm

 

PRESSEMITTEILUNG

Absage der gemeinsamen Reise der Evangelischen Kirche im Rheinland und des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein nach Israel

Düsseldorf, 24. April 2018

Die geplante gemeinsame Reise der Evangelischen Kirche im Rheinland (EkiR) und des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein vom 26.-29. April nach Israel findet nicht statt. Der Vorstand des Landesverbandes hat sich einstimmig zu der Absage entschieden. Eine Delegation des Vorstands und der Geschäftsführung wird in dieser Zeit dennoch Israel besuchen.

Der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und die Evangelische Kirche im Rheinland arbeiten seit geraumer Zeit in einem konstruktiven Dialog zusammen. Das erklärte Ziel der Zusammenarbeit war und ist, den Dialog zwischen Christen und Juden in Deutschland zu verbessern sowie diesen zu einem besseren Verständnis für beide Seiten zu nutzen. Im Rahmen dieses Ziels entwickelte sich die Idee, eine gemeinsame Reise nach Israel zu unternehmen.

Hintergrund der nun kurzfristig erfolgten Absage ist ein Essay von Rainer Stuhlmann in der kürzlich veröffentlichten EKiR-Arbeitshilfe „70 Jahre Staat Israel. Ein Termin auch im christlichen Kalender?“. „Wir wissen es sehr zu schätzen, dass die Evangelische Kirche im Rheinland als einzige evangelische Landeskirche anlässlich des 70. Jubiläums des Staates Israel eine Arbeitshilfe herausgegeben hat. Wir sehen darin einen Beleg des langjährigen konstruktiven Dialogs miteinander“, so der Vorstandsvorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein, Dr. Oded Horowitz. „Umso mehr hat uns der darin enthaltene Beitrag 70 Jahre Staat Israel – ein Datum im christlichen Kalender?  bestürzt und traurig zurückgelassen. Die darin geäußerte Verunglimpfung des Staates Israel als brutale Besatzungsmacht und die Unterschlagung historischer Fakten sind für uns nicht hinnehmbar. Zur 70. Jubiläumsfeier der Gründung des Staates Israel auf die Lebenslage der palästinensischen Bevölkerung als direktes Resultat der Staatsgründung Israels zu verweisen, stellt das Existenzrecht Israels in Frage und hinterlässt einen faden Beigeschmack antizionistischer Stereotype.

Dies führte zu einer Hinterfragung der Grundlage unserer gemeinsamen Unternehmung. Dass es sich um einen namentlich gekennzeichneten Beitrag und nicht um eine Grundlagenerklärung der Landeskirche handelt, hat mir Präses Manfred Rekowski in persönlichen Gesprächen versichert. Zur Aufrechterhaltung der gemeinsamen Reisepläne wäre für uns eine unmissverständliche Erklärung der Kirchenleitung bzw. Distanzierung zu dem Artikel notwendig gewesen, die genau dies ausdrückt. Nachdem hierzu kein Übereinkommen erzielt werden konnte, haben wir uns als Vorstand des Landesverbandes entschieden, die gemeinsame Reise nicht anzutreten. Wir stehen jedoch weiterhin für die regelmäßig stattfindenden Konsultationen mit der EKiR zur Verfügung und hoffen, den wichtigen und konstruktiv-kritischen Dialog in diesem sinnträchtigen Jubiläumsjahr zu einem gegebenen Zeitpunkt wieder aufnehmen zu können.“

Inzwischen sind die Planungen für eine eigene Israel-Reise des Landesverbandes anlässlich des Staatsjubiläums und als Zeichen der Solidarität mit Israel angelaufen.

 

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Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein K.d.ö.R.
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Mit freundlichen Grüßen,
Michael Rubinstein
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Evangelische Kirche im Rheinland: Staatsgründung Israels „ein Datum im christlichen Märtyrerkalender“

von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 22. April 2018

„Zum ersten Mal in der Geschichte der Evangelischen Kirche im Rheinland reisen Mitglieder der Kirchenleitung gemeinsam mit Vertretern jüdischer Gemeinden nach Israel. Anlass ist das 70-jährige Bestehen des Staates Israels sowie eine Bekräftigung der gemeinsamen Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus in unserer Gesellschaft.“ (Pressemitteilung Nr. 67/2018 der Evangelischen Kirche im Rheinland)

Dieses historische Ereignis soll vom 26. bis 29. April stattfinden, so Jens Peter Iven, Pressesprecher der Evangelischen Kirche im Rheinland. Dabei reist man nach Nes Ammim, einer christliche Siedlung zwischen Haifa und der libanesischen Grenze mit 332 Einwohnern.

Auf der Homepage der Evangelischen Kirche im Rheinland findet sich eine „Gottesdienst-Arbeitshilfe“, die ebenso dem 70-jährigen Bestehen des jüdischen Staates gewidmet ist. Der Verfasser, Dr. Rainer Stuhlmann, war von 2011 bis 2016 Studienleiter in Nes Ammim. Unter dem Titel „70 Jahre Staat Israel – ein Datum im christlichen Kalender?“ (PDF, aus Israel nicht abrufbar) schreibt Stuhlmann im vierten Absatz: „Was für Juden ein Grund zum Feiern ist, das ist für andere ein Grund zur Trauer. Den einen hat die Staatsgründung Schutz, Sicherheit, Gerechtigkeit und Freiheit gebracht, den anderen Vertreibung, Zerstörung, Zwang und Unrecht.“

Die rund 2,5 Millionen Araber im Staat Israel mit eigenen Parteien in der Knesset, Generalen in der Armee und Vertretung in Regierung wie Gesellschaft wurden von Stuhlmann nicht gefragt. Er unterschlägt auch, dass unmittelbar nach der Gründung Israels aus der gesamten arabischen Welt fast alle dort seit 3000 Jahren lebenden Juden zwangsenteignet und vertrieben worden sind. Libyen und Syrien sind heute „judenfrei“. In Ägypten leben noch 10 alte jüdische Frauen. Es sind mehr Juden nach Israel geflohen, als „Araber aus Palästina“ vom Staatsgebiet Israels weggezogen sind.

Weiter schreibt Stuhlmann, „Die von den Vereinten Nationen beschlossene Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat hat zu einem grausamen Krieg geführt, in dem es auf allen Seiten Opfer gegeben hat.“ Nicht die Empfehlung der UNO-Vollversammlung von 1947 hat zu einem Krieg „geführt“. Der Krieg wurde von den arabischen Staaten Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und anderen beschlossen, weil sie keinen jüdischen Staat in ihrer Mitte dulden wollten. Deshalb fielen sie 1948 in der Nacht nach der Ausrufung Israels über den frisch gegründeten jüdischen Staat her, um ihn zu vernichten. Im Gegensatz zu Deutschland hat in Nahost noch nie jemand eingestanden, einen Krieg verloren zu haben. Die unterlegenen Angreifer weigerten sich deshalb, Verantwortung für die Folgen ihres Tuns zu übernehmen, darunter das Schicksal der von den arabischen Führern zur „zeitweiligen Flucht“ aufgerufenen Araber aus Palästina.

„Am Ende des Krieges hatten die Juden ihren Staat, der weit größer war, als es der Teilungsplan vorsah. Und die Palästinenser nichts.“

Bei Krieg weiß man vorher nie, was am Ende rauskommt. Bemerkenswert ist die Behauptung: „Und die Palästinenser nichts.“ Die haben in der Tat großes Pech gehabt, zumal es 1948 noch keine „Palästinenser“ im heutigen Sinn gab. Die Araber des britischen Mandatsgebiets Palästina haben sich erst 1968 mit der 2. von Jassir Arafat verfassten PLO-Charta als Palästinenser konstituiert und gefordert, anstelle Israels einen Staat zu errichten.

Stuhlmann erwähnt, dass es „in diesen siebzig Jahren mindestens acht Kriege und zwei blutige Aufstände gegeben hat. Immer war Israel trotz schmerzlicher Verluste siegreich und die Palästinenser die Verlierer.“

Laut UNO ist Krieg eine militärische Auseinandersetzung zwischen Staaten. Davon gab es nur vier: 1948, 1956, 1967 und 1973. Alles andere waren „Militäroperationen“ gegen Freischärler, Terrormilizen und „bewaffnete Arme von politischen Parteien“. Die Israelis haben sich gegen Raketenbeschuss und Selbstmordattentate in Bussen, Schulen und Restaurants gewehrt. Hätten die Juden sich etwa massakrieren lassen sollen, um den Palästinensern einen Sieg zu gönnen? Verschärfte Sicherheitskontrollen auf Flughäfen, Verriegelung der Pilotenkanzeln und Poller um Weihnachtsmärkte: Nach jedem Terroranschlag in Europa und den USA werden Sicherheitskontrollen mit israelischer Hilfe nachjustiert. Israels Geheimdienste haben allein 2017 mehrere Dutzend tödliche Anschläge in aller Welt verhindert.

„Die Staatsgründung Israels ist auch ein Datum im christlichen Märtyrerkalender. Im Ruinenfeld von Iqrit und Bir‘am in Galiläa sind nur die Kirchen stehen geblieben. Die Bewohner dieser beiden christlichen Dörfer wurden vertrieben. Nur als Leichen dürfen sie und ihre Nachfahren zurückkehren, um auf dem Friedhof am Rande der Ruinen ihrer Häuser begraben zu werden.“ Stuhlmann übernimmt hier den ansonsten in der evangelischen Kirche unüblichen palästinensischen Märtyrerkult. Juden können nicht einmal als Leichen in die arabischen Länder zurückkehren, um sich dort neben ihren zerstörten Synagogen begraben zu lassen.

Stuhlmann beklagt weiter die späten Friedensverhandlungen, erst mit Ägypten und Jordanien und dann mit der PLO. Er erwähnt nicht das dreimalige „Nein“ der arabischen Welt 1967 in Khartum, das jegliche Kontakte mit Israel ausschloss. Und dann schreibt er: „Und doch steht die Anerkennung eines palästinensischen Staates immer noch aus – auch durch unsere Regierung.“ Ihm scheint unbekannt zu sein, dass die Palästinenser bis heute ihren Staat nicht ausgerufen haben. Denn dann würden sie Milliardensummen verlieren, die ihnen als „Aufbauhilfe für den künftigen Staat“ geschenkt werden. Sowie sie einen Staat ausgerufen hätten, stünde ihnen bestenfalls eine kümmerliche „Entwicklungshilfe“ zu. Wie kann Stuhlmann von Deutschland die Anerkennung eines Staates fordern, der nicht einmal existiert?

Den Höhepunkt der Geschichtsklitterung erreicht das Arbeitspapier der Rheinischen evangelischen Kirche mit dem Satz: „Die palästinensischen Christen leben seit zweitausend Jahren im Land.“ Dann gab es also „palästinensische Christen“ vor der Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Vielleicht war ja auch Jesus ein „palästinensischer Christ“ und Araber, über 100 Jahre bevor Kaiser Hadrian die römische Provinz „Judäa“ in „Syria-Palaestina“ umbenannt hat, um jegliche Erinnerung an die Juden zu tilgen?

Kirchenrat Dr. Volker Haarmann zeichnet verantwortlich für diese „Gottesdienst-Arbeitshilfe“. Präses Manfred Rekowski hat das Grußwort verfasst. Beide nehmen an der Reise teil. Auf Nachfrage erklärte Pressesprecher Iven, dass es zwischen jenem Arbeitspapier und der „historischen Reise“ keinen Zusammenhang gebe.

Die Argumente Stuhlmanns stammen aus dem klassischen Repertoire palästinensischer Propaganda zur Delegitimierung Israels und der Juden. Es fragt sich, welchen Sinn Vertreter jüdischer Gemeinden in Deutschland in dieser „ökumenischen Reise“ sehen. Eine Stellungnahme der jüdischen Teilnehmer steht noch aus.

(C) Ulrich W. Sahm

Die deutsche Flüchtlingskrise: Verstärkung des Widerhalls aus der Vergangenheit

ManfredGerstenfeldManfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte eine ausdrückliche Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart her, als sie im Sommer 2015 die Grenzen des Landes öffnete, indem sie sagte: „Ich mich freue, dass Deutschland auch ein Land geworden ist, mit dem viele Menschen außerhalb Deutschlands Hoffnungen verbinden… Das ist etwas sehr Wertvolles, wenn man einen Blick in unsere Geschichte wirft.“[1]

Die jüngste bedeutende Zustrom von Flüchtlingen und die vielen sich daraus ergebenden Herausforderungen und Probleme haben jedoch auch den Widerhall aus der Vergangenheit verstärkt. Obwohl einige Elemente unverblümt geäußert wurden, ist dieser Eindruck eher das Ergebnis einer Interpretation der Ereignisse. Von selbst gesteuerte Angst ist im Nachkriegsdeutschland während einer Reihe von Jahrzehnten ein regelmäßiges Phänomen gewesen. Das ist die von vielen Deutschen – oft unterbewusst – erfahrene Angst, dass es angesichts der von ihren Vorfahren unter der Nazi-Herrschaft begangenen Gräueltaten etwas inhärent Verzerrtes im Charakter ihrer Nation gibt.

Eine Studie vom Ende des letzten Jahres zeigt, dass die schwankende Kombination aus Flüchtlingskrise und Terroranschlägen zu einer bedeutenden Zunahme der Zukunftsangst führte.[2] In einer Umfrage vom Februar 2016 gaben 57% der Befragten an, dass Deutschland infolge der Zuwanderung „ein schlechterer Ort zum Leben“ ist. 53 Prozent sind der Meinung, dass „das allgemeine kulturelle Leben von den Flüchtlingen untergraben wird“.[3]

Deutsche Kirchen sind eindeutig gegen eine Obergrenze für Flüchtlinge.[4] In den Jahren vor dem Krieg unterstützten der viele Kirchenleiter die Nazis in ihrer Herrschaft. Selbst Martin Niemöller, einer der bekanntesten protestantischen deutschen Nazigegner, hielt unter der Naziherrschaft in den Jahren vor dem Krieg Predigen, die lehrten, dass der Jude verflucht war, weil seine Vorfahren Christus töteten.[5] Nach dem Krieg entschuldigten sich einige protestantische deutsche Kirchen für ihr Versagen gegenüber den Juden unter dem Naziregime.[6] Mit ihrer aktuellen, irrationalen Haltung mit der Forderung für den Zustrom der Flüchtlinge keine Obergrenze zu setzen, scheinen Deutschlands Kirchen ins andere Extrem zu schwenken.

Katholische und protestantische deutsche Kirchen empfehlen auch nicht, dass christlichen Flüchtlingen im aktuellen Zustrom eine Vorzugsbehandlung zukommen soll.[7] Das ist angesichts der weit verbreiteten Verfolgung von Christen durch Muslime in Nahen Osten besonders extrem. Die Haltung der Kirchen zu diesem Thema ist direkt entgegengesetzt zu der des höchst kontroversen Papstes Pius XII. Dessen Bemühungen Juden vor und während des Holocaust zu helfen, konzentrierten sich hauptsächlich auf getaufte Juden.[8]

Echos aus der Vergangenheit könnte auch in den Behauptungen mitschwingen, die deutsche Polizei bediene sich übertriebener Gewalt. Diese Anschuldigungen traten erst vor kurzem wieder in der kleinen Stadt Clausnitz ins Rampenlicht. Bei der Ankunft einer Busladung Flüchtlinge wurde deren Passage von einer Gruppe von 100, hauptsächlich einheimischen Demonstranten blockiert. Die Polizei hatte Probleme die Kontrolle zu behalten und holte mehrere Personen gewaltsam aus dem Bus. Eine Lawine der Kritik traf die Polizei wegen der Art, wie sie mit dem Vorfall umging. In Reaktion darauf erklärte die Polizei, dass einige Leute im Bus die Demonstranten provoziert und die Lage aufgeheizt hätten.[9]

Viele haben Frauke Petrys Empfehlung verurteilt, bewaffnete Polizisten sollten an den Grenzen patrouillieren, wobei Anweisung zu geben ist, als letztes Mittel auch zu schießen, um Flüchtlinge vom Grenzübertritt abzuhalten. Petry ist Parteichefin der AfD (Alternative für Deutschland), einer rechten Partei, die nach Angaben von Meinungsumfragen rasch an Unterstützung gewinnt.[10] Petrys Empfehlung warf – weithin unzutreffende – Assoziationen mit der ostdeutschen Grenzpolizei auf, die auf Menschen schoss, die versuchten in den Westen zu fliehen. Umfrage zeigten, dass Petry in der Minderheit war, demonstrierten aber auch, dass sie mit ihrer alles andere als alleine war. 29 Prozent der Befragten befürworteten die Haltung, dass es gerechtfertigt ist Waffen einzusetzen, um unbewaffnete Flüchtlinge vom Grenzübertritt abzuhalten; 57% waren dagegen.[11]

Merkels ursprüngliche Erklärung, dass Deutschland Hoffnung symbolisiert, ist angesichts der Ereignisse der letzten sechs Monate getrübt worden. Eine Internetseite, die Angriffe auf bestehende und geplante Asylbewerberunterkünfte auflistet, berichtet von vielen Vorfällen, zu denen mindestens zehn Brandstiftungen allein in den ersten drei Wochen des Februar gehören.[12] Ein aktueller Fall erregte Aufmerksamkeit: Bis zu 30 betrunkene Zuschauer applaudierten und jubelten, als in einem ehemaligen Hotel in Bautzen (Sachsen) ein Feuer ausbrach. Das Gebäude wurde gerade in eine Flüchtlingsunterkunft umgebaut.[13] In einigen Demonstrationen gegen Flüchtlinge kann man Rufe wie „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“ hören.[14]

Bis Ende Januar erklärte Merkel – was wohl in Wunschdenken ist – sie erwarte, dass viele Flüchtlinge wieder nach Hause zurückkehren werden, wenn es in ihren Herkunftsländern wieder Frieden gibt.[15] Die beiden Top-Kandidaten der CDU bei den anstehenden Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben sich jetzt öffentlich gegen die Politik der offenen Grenzen ausgesprochen, nachdem sie sahen, dass ihre Unterstützung in den Meinungsumfragen stark absackte.[16]

Die bayrische Schwesterpartei der CDU, die CSU, ist mit Merkels Christdemokraten verbündet. Eins ihrer führenden Mitglieder, der bayrische Finanzminister Markus Söder, sagte, Deutschland brauche „einen nationalen Abschiebeplan“. Er hoffte, dass dieses Jahr 350.000 der neuen Immigranten abgeschoben werden könnten.[17] All das dürfte nur den Anfang eines Wasserfalls der Ereignisse andeuten, der für internationale Beobachter wahrscheinlich weitere Verbindungen mit Deutschlands problematischer Vergangenheit aufwerfen könnte, statt eine Vision der Hoffnung zu steigern.

Die aktuellen Situation enthält aber noch ein weiterer Aspekt. Im Versuch psychologischer Kompensation für seine Gräuel beim Umgang mit Minderheiten im Zweiten Weltkrieg – insbesondere mit Juden – hat Deutschland heute andere Minderheiten mit offenen Grenzen empfangen. Viele dieser Neuankömmlinge sind allerdings Muslime aus Ländern, die zu den antisemitischsten der Welt gehören. Das ist mehr als nur eine teuflische Wendung der Geschichte, da dies für Deutschlands Juden die Angst vor echten Gefahren verkörpert.

[1] https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/09/2015-09-07-merkel-gabriel.html

[2] http://www.welt.de/politik/deutschland/article150015898/Stimmungsumschwung-bei-den-Deutschen.html

[3] http://www.welt.de/politik/deutschland/article152542917/Diese-Aengste-haben-Deutsche-wegen-der-Fluechtlinge.html

[4] www.welt.de/debatte/kommentare/article152393528/Warum-die-Kirchen-radikal-gegen-eine-Obergrenze-sind.html; http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/09/24/deutsche-bischoefe-gegen-obergrenze-bei-aufnahme-von-fluechtlingen/

[5] http://forward.com/culture/5193/when-they-came-for-martin-niemoller/

[6] Hans Jansen: Christelijk Theologie na Auschwit., De geschiedenis van 2000 jaar kerkelijk antisemitisme. Amsterdam (Blaak) 1999, S. 375-412.

[7] www.welt.de/debatte/kommentare/article152393528/Warum-die-Kirchen-radikal-gegen-eine-Obergrenze-sind.html

[8] http://jcpa.org/article/reassessing-pope-pius-xiis-attitudes-toward-the-holocaust/

[9] http://www.welt.de/politik/deutschland/article152451987/Polizei-verteidigt-sich-und-gibt-Fluechtlingen-Mitschuld.html

[10] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-01/frauke-petry-afd-grenzschutz-auf-fluechtlinge-schiessen

[11] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-02/umfrage-waffen-grenze-fluechtlinge-yougov

[12] http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/chronik-vorfaelle

[13] http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/germany/12167405/Anti-migrant-mob-in-Germany-cheered-as-refugee-shelter-burned-down-in-front-of-them.html

[14] http://www.dnn.de/Dresden/Stadtpolitik/Pegida-Anhaenger-und-Neonazis-versuchen-Fluechtlingscamp-in-Dresden-zu-attackieren

[15] http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise-merkel-die-meisten-werden-zurueckkehren-muessen-14043375.html

[16] http://www.welt.de/politik/deutschland/article152482809/Wolf-und-Kloeckner-verlieren-ihre-Geduld-mit-Merkel.html

[17] http://www.welt.de/politik/deutschland/article152353067/Wir-brauchen-einen-nationalen-Abschiebeplan.html

Die tiefen Wurzeln des protestantischen Antisemitismus

Manfred Gerstenfeld interviewt Hans Jansen (direkt vom Autor)

In vielen jüdischen Kreisen hat es – mehrere Jahrzehnte lang – den falschen Eindruck gegeben, dass christlicher Antisemitismus zurückgeht und im Verlauf von ein oder zwei Generationen allmählich verstummen wird. Diese Empfindung entstammte hauptsächlich der großen Veränderung in der Haltung der katholischen Kirche gegenüber den Juden nach dem Holocaust.

Im letzten Jahrzehnt hat man Angriffe und Boykott-Aufrufe gegen Israel durch mehrere westliche protestantische Konfessionen und den Ökumenischen Rat der Kirchen [Weltkirchenrat] erleben können. Das bringt neues Interesse an den tiefgehenden Wurzeln des christlichen Antisemitismus auf, insbesondere an seiner protestantischen Variante.

Prof. Hans Jansen ist der Autor einer wichtigen und regelmäßig neu aufgelegten Arbeit in niederländischer Sprache mit dem Titel „Christliche Theologie nach Auschwitz“.1 Der Untertitel seines ersten Bandes lautet „Die Geschichte von 2000 Jahren kirchlichem Antisemitismus“. Der zweite Band – in zwei Teilbänden – trägt den Untertitel „Die Wurzeln des Antisemitismus im Neuen Testament“. Der niederländische Protestant Jansen lehrte Geschichte an der Flämischen Freien Universität in Brüssel (1990 – 2000) und unterrichtet seit 2002 am Simon Wiesenthal-Institut in derselben Stadt.

Jansen stellt fest: Unter den Gründervätern des Protestantismus war Martin Luther besonders antisemitisch. Kein anderer wichtiger katholischer oder protestantischer Theologe der Geschichte, der wichtige exegetische Arbeiten schrieb, hatte so viele furchtbare Dinge über die Juden zu sagen wie Luther. In seinen späten Tagen war er ein fanatischer Antisemit.

Ursprünglich, 1523, hatte Luther ein Buch geschrieben, das den Juden gegenüber relativ positiv war. Es trug den Titel „Dasz Jesus Christus ein geborener Jude sei“ (Jesus wurde als Jude geboren). Nie zuvor hatte ein europäischer Theologe Jesus als Juden betrachtet. Das war schwere Ketzerei. Es war daher außergewöhnlich einem Buch solch einen Titel zu geben. Er schrieb dieses erste Buch mit der Intention die Juden zum Christentum zu bekehren.

Luther schrieb auch, dass die christliche Mission unter den Juden so viele Jahrhunderte fehlgeschlagen war, weil die römisch-katholische Kirche so wenig zu bieten hatte. Er behauptete, dass er zum reinen Evangelium des Neuen Testaments zurückkehrte und dass die katholische Kirche dem nicht folgte. Luther dachte fälschlich, dass die Juden sein authentisches Evangelium annehmen würden.

Zu der Zeit, als Luther sein wichtigstes antisemitisches Buch schrieb – „Von den Juden und ihren Lügen“ – war er enttäuscht, dass die Juden sich nicht bekehrt hatten. Er artikulierte sich in derselben Weise, wie es die Nationalsozialisten des zwanzigsten Jahrhunderts taten und würzte sein Buch mit vielen diffamierenden Anmerkungen.2

Luther erklärte zum Beispiel, dass kein Volk so geldgierig sei wie die Juden. Wenn ein Christ einen Juden traf, sollte er sich bekreuzigen, denn vor ihm stand ein Teufel. Luther behauptete, die Juden würden die Christen beherrschen. Er empfahl Synagogen zur Ehre Gottes und der Christenheit zu verbrennen.

Luther schrieb auch, dass jüdische Häuser abgebrochen und zerstört werden müssten. Juden sollten in Buden untergebracht und ihnen ihre Bücher abgenommen werden. Darüber hinaus müsste ihren Rabbinern unter Androhung der Todesstrafe das Predigen verboten werden. Juden sollte nicht erlaubt werden Zinsen zu nehmen. Sie sollten sich auch nicht frei bewegen dürfen. Die oben genannten Passagen sind bei weitem nicht das Schlimmste, das Luther über Juden schrieb. Er beschuldigte sie auch Christen töten zu wollen, Ritualmorde zu verüben und Brunnen zu vergiften.

Ein weiterer Reformator, Justus Jonas, übersetzte Luthers antijüdische Bücher ins Lateinische. Im sechzehnten Jahrhundert bestellte nur ein Buchverkäufer volle fünftausend Exemplare, um Aufträge aus Italien und Frankreich auszuführen.

Luthers Überzeugungen wurden von den Nazis missbraucht. So antisemitisch er auch war, predigte Luther nie, dass die Juden ermordet werden sollten. Julius Streicher betrachtete Luther als seinen großen Meister. Auch Adolf Hitler und Joseph Goebbels zitierten freudig aus seinen Werken.

1985 distanzierte sich der Lutherische Weltbund von Luthers antisemitischen Texten und behauptete, man müsse sie aus dem Geist der Zeit heraus verstehen. Sein Antisemitismus bleibt unter Lutheranern weithin ein Tabuthema. In meiner wissenschaftlichen Karriere habe ich beobachtet, wie schwer es für die Menschen ist, die Luther so sehr bewundern, mit diesem Aspekt seiner Persönlichkeit konfrontiert zu werden.

In welchem Ausmaß beeinflusst die antijüdische Theologie des Reformers und Luthers Erbe die antiisraelischen Einstellungen protestantischer Kirchen? Ich denke, sie spielen eine Rolle, aber andere Einflüsse sind wichtiger.

Was die Kirchen angeht, schließt Jansen: Zweitausend Jahre lang haben sie ihre Anhänger gelehrt die Juden abzulehnen. Es ist ein Irrtum zu glauben, diese Haltung könne innerhalb von ein paar Jahrzehnten gekippt werden. Die neuen Ausdrucksformen des christlichen Hasses auf die Juden spielgeln einen tiefen psychologischen Prozess. Andererseits kommt aus den positiven Tendenzen der Christenheit gegenüber dem  Judentum christliche und evangelikale Unterstützung für Israel.

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Mitglied des Aufsichtsrats des
Jerusalem Center of Public Affairs, dessen Vorsitzender er 12 Jahre lang war.

1 Hans Jansen: Christelijke theologie na Auschwitz: Theologische en kerkelijke wortels van het antisemitisme. Band 1, Amsterdam, 1999 (6. Aufl.) [Niederländisch]
2 Walter Linden (Hrsg.): Luthers Kampfschriften gegen das Judentum. Berlin 1936.