Die Hysterie wegen der neuen israelischen Regierung wird der jüdischen Welt insgesamt schaden.
Melanie Phillips, Israel Hayom, 13. Dezember 2022
Eine der Lieblingsstrategien der Judenhetzer besteht darin die Gemeinschaft in gute Juden und schlechte Juden einzuteilen.
Gute Juden haben politisch korrekte, progressive Ansichten. Juden, die diese Ansichten nicht teilen, sind schlechte Juden. Diese Unterscheidung ist für Israel-Hasser hilfreich; sie können sie nutzen, um zu behaupten, sie könnten keine Judenhasser sein, weil es Juden sind, die ihre Feindschaft gegenüber Israel teilen.
Das Weiße Haus war diese Woche Veranstalter eines Rundes Tisches zu Antisemitismus, um die alarmierender Eskalation bei Übergriffen gegen amerikanische Juden zu diskutieren. Dennoch versäumte es die Administration Biden auffällig zu dieser Diskussion die Zionist Organization of America, die Coalition for Jewish Values und das Jewish Leadership Project einzuladen. Diese Organisationen verteidigen Israel und das jüdische Volk gegen linke Ideologien. Daher sind sie schlechte Juden. Leider wird dieses widerliche Sprachbild des guter Jude/schlechter Jude inzwischen selbst innerhalb der jüdischen Welt unterstützt.
Sowohl in Israel als auch in der Diaspora haben progressive Juden wegen der Zusammensetzung der neuen Regierung, die vom designierten Premierminister Benjamin Netanyahu zusammengestellt wird, erschüttert. Der Grund dafür ist, dass er Regierungsposten an drei hoch umstrittene Abgeordnete ergibt.
Der Aufrührer Itamar Ben-Gvir soll Minister für nationale Sicherheit werden. Bezalel Smotrich, der sich nach einer israelischen Theokratie sehnt, soll Berichten zufolge Junior-Verteidigungsminister mit gewissen Machtbefugnissen in den umstrittenen Gebieten Judäa und Samaria werden. Avi Maoz, dessen Partei gegen LGBTQ-Rechte und andere progressive Sachen ist, wird offenbar die Kontrolle über äußeren Input in die Lehrpläne und ein neues Ministerium gegeben, das „jüdischer Identität“ gewidmet ist.
Das hat bei Diaspora-Juden ein episches Entsetzen erzeugt; sie überschlagen sich anzukündigen, dass sie jetzt ihre Unterstützung Israels zurückhalten könnten. Solche Hysterie fördert die Agenda des guter Jude/schlechter Jude.
Diese Woche verkündete Richard Ferrer, der Herausgeber der britischen Jewish News, den Lesern seiner Online-Ausgabe der Times of London, viele britische Juden seien von Israels neuer Regierung „entsetzt“. Seine Behauptung in dem Artikel waren übertrieben, verzerrt und absurd. Er beschrieb Ben-Gvir, Smotrich und Maoz als „die jüdischen Taliban – Theokraten auf der Suche nach einem jüdischen Iran“.
Lassen wir einen Moment beiseite, dass die Taliban sunnitische Muslime, während die Iraner ihr schiitischen Feinde sind. Die Idee, dass jeder dieser drei israelischen Juden die von den Taliban verkörperte tödliche und nicht provozierte Bedrohung von Leben und Freiheit und die Gräueltaten, die sie begangen haben, repräsentiert, ist grotesk.
Darüber hinaus sind die Taliban Islamisten. Dennoch fühlte Ferrer sich nicht getrieben den Lesern der Times – wie er es diese Woche machte – zu sagen, „Theodor Herzl muss im Grab rotieren“, als die Regierung von Naftali Bennett und Yair Lapid eine Koalition mit Mansour Abbas‘ islamistischer Partei Ra’am einging, obwohl die Ra’am mit der Muslimbruderschaft in Verbindung steht, die paranoide Verschwörungen über Juden verkündet und die Vernichtung Israels und des Westens anstrebt.
Ferre schäumte, dass die drei Israelis „keine ausreichend liberal gesonnenen Demokraten“ sind und dass zumindest zwei schwulenfeindlich seien. Aber letztes Jahr berichtet seine Jewish News, dass Ra’am „gesellschaftlich extrem konservativ ist und Abbas sprach bekanntlich mit einer israelischen Nachrichtenseite positiv über Konversionstherapien für LGBTQ-Menschen“. Seine Zeitung säuselte trotzdem zu dieser Koalition und beschrieb Abbas als „Pragmatisten“.
Überdies stellte Ferrers Artikel die Wahrheit auf eine Weise auf den Kopf, die jedem islamistischen Propagandisten Ehre gemacht hätte. Er beschuldigte Ben-Gvir „letztes Jahr die Krawalle gegen israelische Araber geschürt zu haben, die den Konflikt mit der Hamas auslösten“.
Die Polizei beschuldigte in der Tat Ben-Gvir die Spannungen angeheizt zu haben, die Israels gemischt bewohnte Städte im Mai letzten Jahres in Aufruhr versetzten. Aber der Großteil der dieser Gewalt – einschließlich der Ermordung von Israelis – wurde von israelischen Arabern begangen, die „Mit Feuer und Blut werden wir Palästina befreien“ und „schlachtet die Juden“ brüllten. Erst nachdem die Hamas und der Palästinensische Islamische Jihad begannen während dieses arabisch-nationalistischen Aufstands aus dem Gazastreifen hunderte Raketen auf Israel zu schießen wurde Israel militärisch aktiv. Dennoch implizierte Ferrer, dass Israel für die Gewalt verantwortlich gemacht werden müsse.
Dieses Zerrbild in der Times zu veröffentlichen wird Israels Feinden zweifelsohne weitere Munition liefern und jeden Juden dämonisieren, der es unterstützt. Die Folge von Ferrers Anspruch dem jüdischen Staat zugeneigt zu sein in Wirklichkeit, dass jeder, der nicht „nicht in unserem Namen brüllt“ ein schlechter Jude ist.
Das ist selbst in Israel nachgeplappert worden, wo die Linke ebenfalls einen Nervenzusammenbruch hatte.
Maoz löste diese Woche in der Knesset Empörung aus, als er die Regierung Lapid mit der Hellenisierung der Juden in der Hanukkah-Geschichte verglich. „jeder, der versucht eine sogenannte liberale Religion zu schaffen, ist Dunkelheit“, sagte er. Jeder, der – absichtlich geheim und verschleiert – versucht die Kinder Israels mit seiner Agenda einer Gehirnwäsche zu unterziehen, ohne Kenntnis der Eltern, ist Dunkelheit.“
Das provozierte die Yesch Atid-MK Michal Shir Segman, die rief: „Wer bist du zu entscheiden, wer ein guter Jude und ein schlechter Jude ist? Chutzpe.“ Aber was machte sie, wenn nicht genau das?
Für solche Leute gehört zu den schlechten Juden jeder mit einer orthodoxen oder konservativen Ansicht zu den Thora-Geboten.
Rationale Leute, die verständlicherweise von der Vergangenheit dieser drei alarmiert sind oder ihre aktuellen Positionen widerwärtig finden, werden abwarten, was sie tatsächlich tun sollen. Netanyahu hat immerhin deutlich gemacht, dass er vor hat sie an kurzer Leine zu halten.
Wie Shany Mor und Einat Wilf für die Foundation for Defense of Democracies geschrieben haben: Bedenkt man die vielen Gelegenheiten, bei denen die Wahl einer neuen israelischen Regierung horrende Szenarien heraufbeschworen hat, „dann sticht heraus, dass Netanyahus Regierungen, denen allen ohne Ausnahme mit Ängsten der besiegten Seite begegnet wurde, diese Albtraum-Szenarien niemals umgesetzt haben und manchmal sogar das Gegenteil geschah“.
Aber die Perlenfuchser von heute warten nicht ab, was geschieht. Sie sind dagegen, dass diese drei überhaupt in der Regierung sind. Sie verfallen in Panik, dass sie mit diesen Persönlichkeiten in Verbindung gebracht werden, weil sei alle Juden sind.
Um zu begreifen, wie merkwürdig diese Reaktion ist, sehen Sie sich das vom anderen Ende des politischen Fernrohrs an.
Progressive jüdische Standpunkte – zu Fragen der Identitätspolitik wie Rasse und Gender oder zu Themen, die mit Israel und den Palästinensern zu tun haben – beleidigen, empören und ängstigen andere Juden. Sie glauben, die Progressiven liegen falsch, sind illiberal, scheinheilig und bedrohen auf verschieden Weisen die Integrität und Sicherheit Israels und des jüdischen Volks.
Dennoch haben diese Antiprogressiven nicht das Gefühl, ihre eigene Identität werde durch diese Haltungen gefährdet, also haben sie nicht das Gefühl, sie müssten „nicht in meinem Namen“ sagen.
Was sagt uns dieser Unterschied?
Erstens: Was für Progressive immer eine Rolle spielt, ist wie oft andere sie sehen – und wie sie sich selbst sehen.
Entscheidend für ihre Identität ist jedoch, dass sie sich über das definieren, was sie nicht sind. Sie bezeichnen ihre Gegner als „die Rechte“, nicht als genaue Beschreibung (die oft nicht stimmt), sondern als beleidigenden Maßstab für Inakzeptanz. Je schlimmer der Richtwert, desto tugendhafter werden sie. Das ist der Grund, dass sie sich so schnell über „Rechte“ als „Rechtsextreme“, „Faschisten“ oder „Nazis“ auslassen.
Und das trotz der Tatsache, dass sie sich selbst als lächerlich aussehen lassen, wie es Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai machte, der die Israelis drängte gegen die bevorstehende „faschistische Theokratie“ aufzustehen. Aber natürlich wäre unter tatsächlichem Faschismus keine solche Revolte möglich. Und zur Rebellion gegen eine ordentlich gewählte Regierung aufzustacheln, ist wohl kaum demokratisch.
Egal. Jeder Jude, der Ben-Gvir, Smotrich oder Maoz nicht verurteilt, wird als schlechter Jude geteert und gefedert. Rufmord ist eine Möglichkeit einen Streit komplett zu abzuschalten.
Diejenigen, die versuchen andere zum Schweigen zu bringen, tun das aus Angst. Warum haben dann diese „guten Juden“ so viel Angst, dass ihre eigene Identität so verletzbar ist?
Hier ist die letzte Merkwürdigkeit: weil sie auf einer unterirdischen Ebene ihrer Psyche Angst haben, dass diese „schlechten Juden“ recht haben könnten.