Das emotionale Echo von Musik im Krieg

Die ganze israelische Geschichte hindurch ist Musik dazu eingesetzt worden das Chaos des Krieges zu entspannen und aus Tragödie Sinn zu bekommen. Wenn Worte es nicht schaffen, ist es durch Musik oft möglich. Mit einem tiefen Eintauchen in vier der berühmtesten Kriegsmelodien Israels können wir anfangen zu verstehen, warum Musik für unser geliebtes Land wo wichtig ist, besonders in dunklen Tagen wie diesen.

Mia Amran, the Librarians, 1. Januar 2024

IDF-Band 1984, Ilan Ossendriver, Pritzker Family National Photography Collection, Nationalbibliothek Israels

Seit frühesten Zeiten haben Menschen Musik eingesetzte, um ihre Gefühle zu kanalisieren. Die frühen Mayas benutzten wohltuende Lieder, um bei den Schwierigkeiten von Arbeit und Geburt zu helfen; die Wikinger sangen melodische Sprechchöre, wenn sie in den Krieg zogen, um ihren Gegnern Angst zu machen und die eigene Moral zu stärken; altertümliche Inuit machten Gebrauch von Kehlkopfgesang, um ihre Kultur über Generationen weiterzugeben. Und das Volk Israel war da nicht anders.

Die biblische Geschichte berichtet, dass das Volk Israel, als es der Verfolgung und Versklavung in Ägypten entkam, Tamburine spielte und Lieder der Freude sang, angeführt von der biblischen Gestalt Miriam und den gerechten Frauen um sie herum.

Künstlerische Darstellung von Miriam mit ihrem Tamburin. Ze’ev Raban, fotografiert von Ze’ev Radovan 1992. Center for Jewish Art an der Hebräischen Universität Jerusalem, Nationalbibliothek Israel.

Leider sind enorm machtvoll – das ist eine Überzeugung, die schon in der antiken Welt anerkannt wurde und auch heute noch anerkannt wird. Und eine Art, wie sie verwendet wird ist in Kriegszeiten, sowohl in der Schlacht als auch für Trost, Vertrauen und Durchhaltevermögen für die, die leiden und einen besonderen Anstoß der Hoffnung brauchen. In Kriegszeiten komponierte Lieder sind oft einzigartig in Ausströmen von Emotionen und der ihnen zugeschriebenen Rauheit.

Naomi Schemer ist ein solches Beispiel für eine Sängerin, deren Lieder aus der Kriegszeit die Herzen der israelischen Nation möglicherweise mehr gepackt haben als irgendein andere Komponist vor ihr. Wenn irgendein Lied die Macht hat etwas so Schreckliches wie Krieg zu symbolisieren, dann ist Lu Yehi mehr als alles andere zur Verkörperung des Yom Kippur-Kriegs geworden.

Lu Yehi – gesungen von Chava Alberstein

Während der ersten verheerenden Tage dieses Krieges komponierte Schemer eine Sammlung von Versen, die ihre Hoffnung und Gebete für die sichere Rückkehr der israelischen Soldaten ausdrückte. Zuerst nahm sie die Melodie des Beatles-Songs „Let It Be“ (die hebräischen Worte Lu Yehi sind eine direkte Übersetzung des Titels [können aber auch „was auch immer“ heißen]), aber beeinflusst von ihrem Ehemann Mordechai Horowitz beschloss Schemer später eine völlig neue Melodie zu komponieren. „Ich wollte die dieses Lied nicht mit einer Melodie aus dem Ausland wertlos machen. Das ist ein jüdischer Krieg und du sollte ihm eine jüdische Melodie geben“, sagte Mordechai. Schemer hörte auf seinen Rat und arbeitete an der Vervollständigung ihrer neuen Melodie, bevor sie ihr frisch komponiertes Lied im israelischen Fernsehen sang, wo es das Publik gefangen nahm und ihnen ihre eigenen Gefühle auf eine Art widerspiegelte, wie es die meisten nicht hofften alleine tun zu können. Das Lied wurde in Israel in dieser Zeit so etwas wie ein nationales Gebet (mehr dazu hier).

Entwurf von Lu Yehi, Naomi Schemer 1973, Nationalbibliothek Israels

Als die Nationalbibliothek Israels Naomi Schemers persönliches Archiv geschenkt bekam, gehörten dazu beide handschriftlichen Texte von Lu Yehi sowie ein besonderes kleines Heft. Dieses Heft beinhaltete die Worte der vierten Strophe ihres Liedes „Yeruschalayim schel tzahaf“ (Jerusalem aus Gold).

Yeruschalayim schel Tzahaf, gesungen von Schuli Natan

Anfang 1967 gab der Bürgermeister von Jerusalem bei Naomi Schemer ein Lied über Jerusalem in Auftrag. Dieses Lied, Yeruschalayim schel Tzahaf, wurde für das Israel Song Festival geschrieben, zu einer Zeit, in der Jerusalems Altstadt von Jordanien besetzt war – eine schwierige Periode, in der Juden die Altstadt nicht betreten und nicht an ihren heiligen Stätten beten konnten. Es beschreibt die Sehnsucht des jüdischen Volks nach Jerusalem und sein Sehnen nach Frieden.

Yeruschalayim schel Tzahaf“ (Jerusalem aus Gold), Naomi Schemer, 1967, Nationalbibliothek Israels

Weniger als einen Monat, nachdem das Lied veröffentlicht wurde, brach der Sechstage-Krieg aus und die IDF konnte die Altstadt erobern. Als sie diese glückliche Botschaft hörte, beschloss Naomi Schemer auf der Stelle ihrem Lied eine letzte Strophe hinzuzufügen, der die Rückkehr der Juden an ihre uralten heiligen Stätten feiert. Naomi Schemers Lied wurde damit zur inoffiziellen Nationalhymne des jüdischen Volks und symbolisiert immer noch die Stimmung vieler Israelis während des Sechstage-Kriegs.

Naomi Shemer am Klavier, Nationalbibliothek Israels

Schemer war aber nicht die einzige Songschreiberin, die diese Wirkung auf die Nation hatte. Als 1982 der erste Libanonkrieg um ihn herum tobte, wurde der angesehene israelische Texter Ehud Manor inspiriert einen schneidenden Text zu schreiben, der sich mit seinen Gefühlen nach dem Tod seines Bruders im Abnutzungskrieg befasst. Als Manor mit seiner Frau in seinem Wohnzimmer saß und die täglichen Nachrichten Filmmaterial vom Schlachtfeld abspielten, brach er in Tränen aus und begann Worte auf einem Papierfetzen aufzuschreiben. Diese Verse sollten schließlich zum Lied Eyn Li Eretz Acheret werden – „Ich habe kein anderes Land“.

Ehud Manor im Radio, 1969. IPPA Staff Photographer und Shalom Bar Tal, Sammlung Dan Hadani, Pritzker Family National Photography Collection Nationalbibliothek Israels

Als das Lied 1986 veröffentlicht wurde, erwies es sich als ein tiefgreifendes musikalisches Zeugnis, das im kollektiven Gefühl einer Nation Widerhall fand, die mit den Tragödien des Krieges zu kämpfen hatte. Vor dem Hintergrund der Herausforderungen und Konflikten um sie herum beschrieb es nicht nur die turbulenten Emotionen der Israelis der damaligen Zeit, sondern seine einfühlsamen Verse gaben die kollektive Atmosphäre des Krieges wieder. Ein Li Erez Acheret wurde zu einem bedeutenden kulturellen Prüfstein, der immer wieder zu einem Lieblingslied Israels gewählt wurde. Späte wurde es von der Zeitung Yediot Ahronoth zum Lied des Staates Israel auserkoren. Dem Lied wurden verschiedene politische Interpretationen gegeben, aber eigentlich bietet es ein musikalisches Narrativ, das politische Grenzen überschreitet und dadurch in der jüngeren Geschichte Israels häufig wieder aufbereitet wurde, um die verzwickten Emotionen zum Ausdruck zu bringen, die in das Gefüge einer Gesellschaft verwoben sind, die sich ständig Konflikten gegenüber sieht.

„Ich habe kein anderes Land. Obwohl mein Land brennt, meine Venen, meine Seele mit einem scherzenden Körper und mit einem hungrigen Herzen, hier ist mein Zuhause. Ich werden nicht schweigen. Denn mein Land hat sein Gesicht verändert. Ich werde es nicht aufgeben, ich werde es erinnern und in seine Ohren singen, bis es seine Augen öffnet.“

Eyn Li Eretz Acheret – gesungen von Gali Atari

Noch jünger schlug während der Operation Gegossenes Blei 2008/09, als die Hoffnung auf eine bessere Zukunft vielen Israels furchtbar weit weg erschien, ein wenige Monate zuvor veröffentlichtes Lied plötzlich auf neue Weise ein: Ayeka. Nachdem er zum Breslower Chassid wurde, wurde von Schalom „Schuly“ Rand erwartet, dass er den Rest seines Lebens mit Thora-Studium verbringt und den für ihn vorgesehenen traditionellen chassidischen Weg einschlägt. Aber für ihn als sich selbst beobachtender Mann mit einer rebellischen Ader war das nicht der Weg, für den er sich entschied. Während er versuchte seinen religiösen Überzeugungen und Bräuchen so treu wie möglich zu bleiben und sieben Kinder zeugte, wurde er auch Schauspieler und begann Musik zu komponieren und zu singen.

Ayeka – gesungen von Schuly Rand

Man kann sagen, dass sein bekanntestes Lied ein Gebet ist, das direkt aus seinem Herzen kam. Als Mann, der wie alle Israelis dunkle Tage als auch gute aber auch gute durchlebt hatte, schreibt er davon seinem Glauben, der herausgefordert wurde. Verwirrt und einsam wandte er sich mit einer Frage oder sogar einem Appell an den Himmel: Ayeka? – „Wo bist du?“ Rand kommuniziert in diesem Lied seine Gefühle mit Verletzlichkeit und vielleicht einem Hauch Wut, mit der er sich an Gott wendet und fragt, wie der Herr des Universums so viel Leid und Herzeleid in der von Ihm geschaffenen Welt zulassen kann.

Als Operation Gegossenes Blei die Menschen in Israel nur ein paar Monate nach Veröffentlichung des Liedes erschütterte, erinnerten sich viele Israelis an Rands Verse und fühlten, dass sie ihre eigenen Gefühle in diesem Lied wiedergegeben wurden, verstanden, dass die Verwirrung dieses Mannes und sein Ringen mit dem Glauben während der Bedrängnis, die überall um sie herum lagen, auch ihre eigenen waren. Rand drückte seine Sehnsucht aus zu verstehen, wie er schwierige Zeiten meistern sollte wie auch den größeren Frust, der mit dem Wissen kommt, dass er vielleicht nie eine Antwort auf diese Fragen bekommen wird. Das war ein Gefühl, dem sich während des Konflikts viele gewöhnliche Leute anschließen konnten, das im selben Jahr aufkam. Und viele Israelis betrachteten es als treffende Betrachtung der Zeiten, die sie durchlebten.

„Oh allmächtiger Gott, offen gesagt, manchmal habe ich nicht den Wunsch in Deiner Welt zu sein. Wo kann ich mich vor Dir verstecken? Was kann ich einfordern, wie kann ich mich rechtfertigen, was kann ich sagen? Barmherziger und gütiger Gott, vor Dir ist ein Jude, hängt an einem hauchdünnen Faden, kämpft gegen die Traurigkeit, die Verzweiflung, die wie ein Wurm nagt. Das Glücksgefühl ist vor mir geflohen und genauso mein Verstand. Stimmen aus der Vergangenheit flüstern mir zu aufzuhören, aber ich rudere weiter im Dunkeln, frage und wünsche. Wo bist du?!“

IDF-Band, 1984, Ilan Ossendriver, Pritzker Family National Photography Collection, Nationalbibliothek Israels

Und jetzt, da Israel seit den unvorstellbar furchtbaren Ereignissen des 7. Oktobers im Krieg gewesen ist, sehen wir, dass dasselbe musikalische Phänomen sich wieder abspielt. Wenn Sie sich heute die obersten Plätze der israelischen Musik-Charts ansehen, werden sie feststellen, dass die dort aufgeführten Lieder jetzt den Krieg spiegeln, den wir erleben. Viele der zur Zeit beliebtesten Lieder im Land wurden geschrieben, um die nationale Stimmung der Trauer auszudrücken, die Hilflosigkeit, in der wie uns befinden, aber auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

IDF-Band, 1969, Shalom Bar Tal, Sammlung Dan Hadani, Pritzker Family National Photography Collection, Nationalbibliothek Israels

Lieder tun mehr als und zu unterhalten. Sie bieten uns Führung in schweren Zeiten, sie bieten uns Gemeinschaft im Wissen, dass andere so fühlen, wie wir uns fühlen; und sie bieten uns Worte für Gefühle, die wir allein nicht ganz ausdrücken können. Hören Sie den Teten der in diesem Artikel aufgeführten Lieder und den vielen jetzt meistgehörten Liedern in Israel zu und sehen Sie, ob sie genauso empfinden. Die Chancen stehen gut, dass Sie – wie so viele andere – in diesen Worten und Melodien einen Freund finden werden.

IDF-Band, 1969, Shalom Bar Tal, Sammlung Dan Hadani, Pritzker Family National Photography Collection, Nationalbibliothek Israels

Das Lied des Kriegs zwischen Israel und der Hamas

In einer verlassenen Grenzstadt hörte ich dem beherrschenden Genie israelischen Pops zu, das seine Lieder Richtung laut Gazastreifen schickte.

Matti Friedman, The Free Press, 7. März 2024

Schlomi Shaban auf der Bühne, Januar 2024 (Foto: Lior Keter)

Zikim, Israel – Als der israelische Liedermacher Schlomi Shaban an der Grenze auftauchte, hatte die Tourmannschaft bereits zwei Lautsprechertürme Richtung Gaza aufgebaut. Die Eltern einer der von der Hamas beim Angriff vom 7. Oktober verschleppten Geiseln, einem jungen Musiker namens Alon Ohel, hatten die Idee, dass ihr Sohn die Lieder hören und die Stärke daraus ziehen könnte durchzuhalten.

Sie luden drei seiner Lieblingssänger ein, darunter Shaban, um hier zu spielen, in einer der verlassenen Gemeinden an der Grenze und natürlich kam er. Für Menschen zu spielen, die von der aktuellen Tragödie verschlungen sind – Soldaten und Evakuierte –  ist das, was israelische Künstler heutzutage tun.

Als ich einen der für den Sound Zuständigen fragte, wie laut sie die gigantischen Lautsprecher aufdrehen würden, sagte er, es werde „motherfucker“ laut sein. Das Rumsen der Artillerie war von der anderen Seite der Grenze zu hören, etwas 1,5 km weit weg. Eine Rauchwolke stieg aus den verwüsteten palästinensischen Orten auf.

Ich bin auch ein Fan von Shaban – meiner Meinung nach das einzige Genie, das derzeit in der israelischen Populärmusik aktiv ist, aber wenn man weit weg lebt und kein Hebräisch kann, dann muss man sich auf mein Wort verlassen, denn seine Begabung ist kaum zu übersetzen. Ich kam mit ihm in einem Van mit ihm aus Tel Aviv, wo er lebt, zur Grenze, weil ich glaube, dass er das Lied dieses Krieges geschrieben hat und ich wollten dazu befragen.

Der 47-jährige Shaban schreibt Verse, die das israelische Gehirn wie mit den Fingern eines Gehirnchirurgen durchwühlen und die irgendwie den Sarkasmus eines emotionslosen Comic sowohl mildern als auch schärfen. Seine Lieder sind vom furchterregenden Talent eines Kindes angetrieben, das zu einem Konzertpianisten ausgebildet wird, sowie von der anhaltenden Freude seiner musikalischen Flucht.

Einer der ersten Hits von Shaban, die ich hörte, nachdem er 2000 seinen Durchbruch hatte, war „New York vs. Yehezkel“, ein Studie junger Leute, die das Land verließen. „Das Problem mit Israel“ erklärt ein aufstrebender junger Typ auf dem Weg nach New York, in dem Lied, „ist, dass jeder im Arsch des anderen steckt.“ Niemand, der das Land kennt, kann dem widersprechen, aber der Sänger antwortet: „Mir geht im Arsch aller anderen ganz gut, wo ich in Yehezkels am Strand sitze / New York vs. Yehezkel: dann entscheide ich mich für Yehezkel.“

Dieses Lied half mir bei der Einführung in Shabans Ton, der einen ungeschminkten Blick auf sein Zuhause mit einer tiefen Verbundenheit zum Ort, der Sprache und dem Volk kombiniert – vermutlich dasselbe Gefühl, das ihn in den Van brachte, der zur Gaza-Grenze unterwegs war, um den Eltern eines verschleppten Kids zu helfen und das ihn dazu brachte „Canaan“ zu schreiben.

Canaan“ ist für einen Pophit zu intellektuell. Es bietet nicht die gemeinschaftliche Erhebung von „Yeruschalayim schel tzahaf“, der Hymne des Sechstage-Kriegs von 1967. Es hat nichts von der militärischen Wut eines Hit wie „Harbu Darbu“, von dem wahrscheinlich die meisten Israelis sagen, es sei das Lied dieses Krieges. Aber „Canaan“ ist das eine, das in meinem Kopf gelaufen ist und es wird wahrscheinlich alles andere überdauern, das derzeit im Radio gespielt wird.

Das Lied beginnt mit dreizehn Männer, die sich im Süden in der Wüste verlaufen haben, „in einer Reihe, ihr Ziel unklar, knapp an Waffen und Wasser“. Sie kommen nicht weiter und Rebellion braut sich zusammen. Die drei Hauptpersonen sprechen raues Armee-Hebräisch und werde nur über ihre ersten Buchstaben ihrer Namen identifiziert, eine übliche militärische Praxis – J und C, die wie Unteroffiziere wirken, und M. der Kommandeur.

Sie haben dreißig Tage und dreißig Nächte hinter sich und J schiimpft: Die schubsen uns herum“, sagte er zu M, meint damit eine unsichtbare Obrigkeit an der Spitze der Befehlskette und jetzt „könnte mir nicht mehr egal sein, ob das Land fett oder dünn ist, ob es dort Bäume gibt oder nicht“.

In dem Moment erkennt der Zuhörer die Geschichte. Es ist die der Spione aus der Bibel, die geschickt wurden, um Kanaan vor der israelitischen Eroberung auszukundschaften und die zurückkamen, um zu sagen, es wäre nicht möglich.

M ist Moses, der Anführer, J ist Josua, sein Stellvertreter; und C ist Caleb, einer der Spione. Alle drei sind mit der Geschichte des Buchs Numeri (4. Mose) vertraut. Die Gruppe gerät aus den Fugen. Ein echter Anführer,  sagt C, würde wissen, dass es Zeit ist aufzugeben.

„Es ist eine lange Straße ins verheißene Land“, sagt Moses, der versucht sie zu beruhigen, aber Josua erwidert: „Wem verheißen?“ Selbst wenn Moses sie irgendwie zur Grenze bringt, weiß jeder, dass die weiter oben ihn nicht hineingehen lassen werden: „Sie haben Dreck zu dir, also bist du geliefert / Die Oberen im Militär vergessen nie.“ Dem biblischen Moses, erinnern wir uns, wird, nachdem er die Israeliten durch die Wüste bis an die Grenze Kanaans geführt hat, erlaubt das Land zu sehen, aber nicht es zu betreten.

Echos aus der hebräischen Bibel und Gebete sind in israelischer Popmusik auf eine Weise geläufig, die in amerikanischen Ohren außerhalb der Quarantänezone christlicher Rockmusik seltsam erscheinen würde. Aber Shaban geht hier weiter, unterstreicht die Verse von „Canaan“ mit einer quälenden nigun – einer wortlosen chassidischen Melodie, einer Rückkehr zu einem Diaspora-Klang, an den die alten zionistischen Hymnen niemals gedacht hätten. Sie hätten auch nicht an die Häresie des letzen Verses gedacht, wo der große Moses auf den Gedanken reduziert wird, dass es überhaupt kein Kanaan gibt, dass Kanaan nur ein Geisteszustand ist, und vor sich hinmurmelt: „Ich bin ein wandernde Jude / Ich wurde geboren, um einfach auf der Durchreise zu sein.“ Das Video, in dem der Rapper Ravid Plotnik und der ultraorthodoxe Künstler Shuli Rand auftreten, spielt in einer Verhöreinrichtung.

Das Lied zeigt Juden, die im Nahen Osten verirrt sind, verfolgt von ungesehenen Feinden und gequält von der eigenen Geschichte. Es stellt den Erfolg, sogar die Prämisse für die Suche nach einer Heimat in Frage. Wo es in „Yeruschalayim schel tzahaf“ um die Magie der Rückkehr an einen Ort ging, ist „Canaan“ skeptische, dass man jemals dorthin kommen kann – oder dass jedes reale Problem dadurch gelöst wird.

All das spricht unseren dunklen, existenziellen Augenblick an. Genauso die Art, wie das Lied andeutet, wie dürftig sich die Landschaft hier anfühlt, während die gewaltigen Kräfte, die gegen Israel aufgefahren werden, darauf bestehen, dass diese in Wirklichkeit ein arabischer Staat namens „Palästina“ ist – eine Bedrohung, deren Gewalt für diejenigen von uns, die hier leben, auf eine Weise spürbar wird, die für Außenstehende nur schwer fassbar ist. Auch hier ist unbeabsichtigte Poesie am Werk, weil der Name Palästina aus dem römischen Versuch von vor zwei Jahrtausenden kommt Judäa zu erobern und seinen Namen auszulöschen, nachdem sie eine Rebellion von Juden niedergeschlagen haben, die mit den Geschichten von Moses und Josua erzogen wurden, den mythischen Persönlichkeiten, die einst die Eroberung eines älteren Orts namens Kanaan anführten.

Der vertrauliche Dialog der Soldaten, den wir in „Canaan“ hören, kommt nicht aus Shabans eigener Erfahrung. Er hat selbst nicht im Krieg. Die Symbolik, sagte er mir, „entstammt Dingen, die ich von Leuten gesammelt habe, die ich kenne oder einfach davon Israeli zu sein“.

Im Verlauf der letzten Wochen habe ich mit Freunden im Armee-Reservedienst gesprochen, die jetzt aus dem Krieg im Gazastreifen zurückkommen, darunter ein Panzeroffizier, dessen Ellenbogen von einem Heckenschützen-Schuss zerschmettert wurde, und einem anderen, der fünf Wochen damit verbrachte Tunnel zu sprengen und an dessen Seite ein Pionier von einem Brocken einstürzenden Betons zu Tode gequetscht wurde. Mein Eindruck ist, dass sie Vertrauen in die Militärführung haben, aber keines in die Regierung. Unsere Führer wissen nicht, wohin sie gehen, aber die Soldaten gehen Straße und Straße weiter vor, sagte ein Freund in einer Infanterieeinheit und sie kommen dort an. Dort scheint weniger ein geografisches Ziel zu sein, sondern Sieg oder zumindest etwas, das keine Niederlage ist. Sie alle denken, dass wir weiter kämpfen müssen. Man könnte sich vorstellen ein Gespräch wie das in „Canaan“ zu führen.

Ein Reservist spielt an einem Bereitstellungort nahe der Grenze zum Gazastreifen in Südisrael Gitarre, 14. Dezember 2023 (Foto: Alexi J. Rosenfeld via Getty Images)

Angesichts der unheimlichen Kraft, mit der Shabans Verse den Krieg zu beschreiben scheinen, ist es bemerkenswert, dass das Lied ein Jahr vor Beginn des Krieges veröffentlicht wurde. Und „Canaan“ wurde sogar zwei Jahre vorher geschrieben, während des ersten Covid-Shutdowns, als der Gazastreifen für eine Weile zwischen den kleinen Hamas-Kriegen ruhte, die das israelische Leben in den Jahren bestimmte, bevor der große ausbrach.

In dem Van zur Gaza-Grenze sagte Shaban mir, dass er die Worte und die Melodie innerhalb einer Nacht schrieb, während seine beiden Kinder schließen, die Straßen von Tel Aviv durch die Pandemie geleert waren, die apokalyptische Atmosphäre als kreativer Treibstoff diente.

Im Sommer 2021 hörte ich ihn zum ersten Mal „Canaan“ bei einem denkwürdigen Freiluft-Konzert im Israel Museum in Jerusalem spielen – denkwürdig, weil die Hamas mitten in der Show eine Raketensalve nach Zentralisrael, auf die Küstenebene westlich von da schoss, wo wir saßen und alle sich auf den Plastikstühlen umdrehte und die Eiserne Kuppel beim Abfangen am Nachthimmel. Handys begannen zu klingeln und ein Teil des Publikums hastete nach draußen, aber niemand brach das Konzert ab und Shaban blieb am Klavier. Er sagte mir, er habe die Raketen nicht bemerkt. Es war ein Moment, den man sich kaum irgendwo anders als hier vorstellen kann.

Der Same des Liedes, sagte er, war die Zeile aus „Bleecker Street“ von Simon & Garfunkel (1964): „It‘s a long road to Canaan“ [es ist ein langer Weg nach Kanaan]. Er hörte es Jahre früher und wusste immer, dass er sein eigenes Lied mit dieser Ziele schreiben würde, allerdings auf Hebräisch, was mir wenige wie eine Übersetzung der Worte vorkam als ihnen er zu helfen aus dem Panzer des Englischen zu schlüpfen. „Canaan“ wurde im Herbst 2022 veröffentlicht.

Das ist eigentlich das zweite Mal, dass Shaban den Soundtrack für einen israelischen Konflikt geschrieben hat, bevor er stattfand. Das erste Mal war 2014, als sein Lied „Eine Übung zum Aufwachen“ untrennbar mit dem Krieg im Gazastreifen in dem Sommer wurde – ein begrenzter Krieg, der, wie es heute scheint, nun ja, wie eine Übung war. In diesem Lied wacht ein Soldat auf dem Schlachtfeld auf und sucht nach seiner Mutter, wird von einer Frau gewiegt, die sie sein könnte oder auch nicht; ein Mädchen rennt aus einer Moschee; „Dunkelheit sammelt sich, fällt aber nicht“, eine passende Beschwörung der Angst, die über dem Leben hier schweben kann; „der Himmel ist Vanille angemalt, der Horizont verkohlt“, was genau das ist, wie ich mich an diesen Sommer erinnere.

Ich fragte Shaban, ob er glaubt, dass eine Art Prophetie am Werk ist. Er sagte nein und es schien wie ein Augenblick der Fehlkommunikation zwischen einem Journalisten und einem Künstler. Ich interpretierte die Lieder als etwas über unser Land und seine Kriege. Aber er sieht sein Thema in erster Linie als die menschliche Seele und das Land und seine Kriege als seine Palette. In den Liedern, sagte er, gehe es um „eine andere Art von existenzieller Krise, die eher im Innern stattfindet“. Aber er erkennt an, dass die Absicht des Künstlers keine Rollen spielen dürfte, sobald das Lied in der Welt ist.

1967 wurde „Yeruschalayim schel tzahaf“ ebenfalls vor dem Krieg aufgeführt, in dem Jerusalem erobert wurde. Das legte nach, dass die Wahrheit einer bestimmten Zeit dort ist, bevor sie den meisten von uns offenbar wird und dass ein Künstler oder ein Prophet wie dieses Gerät ist, das manche Israelis vor ein paar Jahren erfanden: das Gerät, das die Feuchtigkeit aus der Luft destilliert und daraus Trinkwasser macht.

An der Gaza-Grenze nutzte das Team einen Kran, um die Lautsprecher aufzustapeln und die Reichweite zu erhöhen. Die Gegend war immer noch gefährlich und es gab nur ein kleines Publikum. Shaban saß an seinem Keyboard vor einem Foto von Alon, der Geisel, dem der Auftritt gewidmet war, in einem glücklichen Moment, bevor er im Alter von 22 aus dem Leben gegriffen wurde.

Als die Lautstärke motherfucker erreichte, zog sie zwei Humvees der Reserveinfanterie an, Typen im mittleren Alter in staubigen Uniformen, ein schweres Maschinengewehr auf der Schulter. Sie standen still da und hörten zu und ich sah ein paar von ihnen mit Tränen, bevor sie zurück in den Gazastreifen gerufen wurden. Alons Eltern saßen in der ersten Reihe und weinten. Sie glauben an die Musik. Ihr Sohn ist irgendwo im Süden. Sie können ihn nicht erreichen und auch unsere Streitkräfte nicht, aber das Lied war auf seinem Weg.

Koolulam: Like a Prayer – bring them home now

Koolulam ist ein internationales Musik-Projekt, das für die Rückkehr der hunderten verschleppten Zivilisten eintritt, die von der Hamas derzeit im Gazastreifen festgehalten werden. Unsere Verwandten. Mehr als 100 Orte weltweit haben bei diesem dringenden Appell mitgemacht.

Das Lied für dieses Projekt wurde von Tamar Forti ausgesucht, die ihren Bruder Nir beim Friedensfest Nova verlor. Als Madonna-Fan fand sie Trost in den Versen dieses Liedes und bat die Leiter von Koolulam es dafür zu verwenden das Bewusstsein für die Lage der Geiseln zu wecken.

Dieses besondere Video wurde in Zusammenarbeit mit dem Cameri-Theater Tel Aviv und den Familien der Verschleppten und Vermissten produziert, um das Bewusstsein für die Lage der Verschleppten weltweit zu wecken.

Eine Hymne, die das jüdische Volk überall aufrichtet

Leah Rosenberg, Israel Unwired, 18. Februar 2024

Dieses Musikvideo ist der perfekte Moralbooster für das jüdische Volk. Es sollte schon jetzt eine Hymne sein! Sie werden sie lieben.

„Wir gehen nirgendwo (anders) hin – Am Yisrael Chai

Nicht nur ist die Melodie eingängig und inspirierend, sondern der Text ist sehr kraftvoll. Man muss Rapmusik nicht lieben, um dieses Lied zu lieben. Da ist etwas an ihm, das sie erhebend macht…

Lieder haben eine kraftvolle Weise die jüdische Nation zu inspirieren und die Moral des Volks Israel zu heben. Das jüdische Volk nutzt im Judentum oft Musik. Es ist eine Möglichkeit mit Gott und miteinander in Verbindung zu treten. Und es gibt etwas sehr Einigendes an Juden, die zusammen ein Lied singen. Es hat etwas sehr Bedeutendes.

Ein Lied wie dieses ist für das jüdische Volk eine gute Erinnerung, aber auch für die Welt als Ganzes: „Wir gehen nirgendwo hin.“ Die Leute haben immer wieder versucht das jüdische Volk zu zerstören. Haben sie jemals Erfolg dabei gehabt Gottes Volk zu auszulöschen? Eindeutig nicht…

Wie es in dem Lied heißt: 2Du hast alle Medien in deiner Ecke… wir haben den Schöpfer in unserer Ecke.“ Wir haben Gott auf unserer Seite. Wir müssen stark bleiben, geeint bleiben und unsere Stimmung hoch halten. Wir werden niemals verlieren, weil wir Gottes auserwähltes Volk sind. Er hat uns erwählt und versprochen uns nie zu entwählen. Der Weg mag lang und beschwerlich sein, aber letzten Endes brauchen wir uns keine Sorgen machen.

Avinu ScheBaschamayin

In Reaktion auf den 7. Oktober schlossen sich die 3 bekanntesten jüdischen Acapella-Gruppen der USA zusammen und nahmen eine musikalische Version des von Avinu ScheBaschamyin auf, Unser Gott im Himmel – ein Gebet, das als Gebet um das Wohlergehen des Staates Israel bekannt geworden ist und am Sabbat und anderen Feiertagen in vielen Synagogen gespochen wird. Es wurde 1948 von den Oberrabbinern Israels mit Unterstützung des Dichters und späteren Nobelpreisträgers S. Y. Agnon geschrieben und in der israelischen Zeitung HaTzofe veröffentlicht. Die Melodie wurde vom jüdisch-amerikanischen Kantor Sol Zim komponiert.

„Wenn Worte versagen, wie es bei den Ereignissen der letzten Wochen oft der Fall war, wenden wir uns Liedern und Gebet zu“, schreiben die Sänger zu dem Video.

Mit den mit diesem Lied gesammelten Spenden werden Krankenhäuser und Rettungskräfte und Reha-Maßnahmen sowie Evakuierte unterstützt.

Tief im Gazastreifen singen Soldaten ein Gebet zur Freilassung der Geiseln

Ein Gebet, das „unseren Brüdern … die weiter in Bedrängnis und Gefangenschaft sind“ gewidmet ist, hat die jüdische Nation seit dem neunten Jahrhundert begleitet. Es wurde im Ersten Weltkrieg gesungen, auf chassidischen Festen und gerade erst bei einer spontanen Versammlung von Soldaten in einem abgedunkelten Haus in Gaza, nachdem sie zwei ihrer geliebten Kommandeure verloren hatten.

Daniel Lipson, the Librarians, 15. Februar 2024

„Unseren Brüdern, dem gesamten Haus Israel, die weiter in Bedrängnis und Gefangenschaft sind, ob auf See oder an Land: Möge Gott Erbarmen mit ihnen haben und sie aus der Bedrängnis zur Befreiung bringen, aus der Dunkelheit ins Licht, aus Knechtschaft zu Erlösung, zum jetzigen Zeitpunkt, zügig, sehr bald; und lasst uns sagen: Amen.“

Die Kämpfe in Jebaliya waren in der Woche schwer. Am Donnerstag, 26. Dezember 2023, verlor das 931. Bataillon der Nahal-Brigade ihren geliebten Kompanie-Kommandeur Major Schai Schimriz, sowie seinen guten Freund, Hauptmann Schauli Greenglick. Weitere Soldaten wurden verwundet.

Vier Tage später, am Ende eines weiteren erschöpfenden Tages Kampf gegen Hamas-Terroristen versammelten sich Soldaten des 2. Zugs der Schützenkompanie in einem der Häuser im Viertel.

Die Soldaten, Schüler der Schirat Mosche Hesder-Jeschiwa und der HoKotel-Jeschiwa in der Altstadt Jerusalems, packten aus, was sie an Snacks und Süßigkeiten übrig hatten und saßen m Dunkeln (der Strom ist Gazastreifen weitgehend ausgeschaltet) für ein improvisiertes Melaveh Malkah zusammen – der Mahlzeit, die traditionell nach dem Ende des Sabbat eingenommen wird.

In dem dunklen, beengten Haus teilten sie Thora-Lektionen und sangen, wie sie es immer taten – in besseren Zeiten in ihren Jeschiwas. Eines der Lieder, das neuerdings besonders passend und bewegend geworden ist, war Acheinu Kol Beit Yisrael (Unsere Brüder, das gesamte Haus Israel“) – ein Gebet um die Freilassung der Gefangenen und Geiseln.

Haschta Ba’agala Ubisman Kariv – Venomar Amen

Die Melodie für das Lied wurde irgendwann Ende der 1980-er Jahre von Abie Rothenberg komponiert, einem der großen chassidischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Das Lied, das Rothenberg ursprünglich selbst sang, wurde 1990 als Teil eines Tonbandes mit dem Titel Lev VeNefesch („Herz und Seele“) produziert. Auf seinem Album von 1997, Bitchu be-Haschem („Vertrau auf Gott“) veröffentlichte der Sänger Dedi Graucher eine neue Version des Liedes. Graucher verstarb letzten September.

Das Lied ist seitdem unglaublich populär geworden und auf viele Weisen überarbeitet worden; eine der jüngsten und am meisten gehörten Versionen ist die von Lior Narkis vom Oktober 2023.

Das Gebet selbst wird in aschkenasischen Gemeinden an Montagen und Donnerstagen sofort nach der Thora-Lesung gesprochen. Erst werden die vier Bitten des Yehi ratzon („Möge es Sein Wille sein“) gesprochen, gefolgt von Acheinu. Mitglieder sephardisch-jüdischer Gemeinden sprechen die Yehi ratzon-Bitten als Teil des Sabbat-Segens des neuen Monats, wenn der in die folgende Woche fällt, aber ohne den angehängten Acheinu-Abschnitt.

Das Acheinu-Gebet entstammt dem Siddur von Rav Amram Gaon. Im neunten Jahrhundert n.Chr. und auf Ersuchen der jüdischen Gemeinschaft Spaniens schickte Rav Amram Gaon von Babylon die Reihenfolge der Gebete in bearbeiteter und organisierter Form, damit die Gemeinschaft sie verwenden konnte. In dem Siddur bespricht Rav Amram Gaon das Sprechen von Yehi ratzon und Acheinu als Teil der Thoralesung am Montag und Donnerstag jeder Woche und auch am ersten Tag des hebräischen Monats. Die Formeln dort unterscheiden sich leicht von unserer aktuellen Version.

Das Acheinu-Gebet, sephardisch-jüdisches Manuskript , 14/15. Jahrhundert, British Library

Im Machzor Vitry, einem wichtigen Buch über jüdisches Recht und Gebetsbräuche des 12. Jahrhunderts, erscheint Acheinu im Nachmittagsgebet Mincha am Sabbat. Professor Aharon Kellerman hielt in seinem Artikel über die Entwicklung des Brauchs fest, dass gedruckte aschekansische Siddurim das Acheinu-Gebet erstmals in der Ausgabe von Krakau 1578 enthielten. 1646 erschien es in einem in Amsterdam gedruckten Siddur.

Das erste sephardische Siddur, das die Yehi ratzon-Gebete druckte wurde 1739 in Istanbul in einem Abschnitt veröffentlicht, der die Gebete für den Sabbat enthielt, wenn er auf den Monatsersten fällt. In diesem Siddur, wie in allen sephardischen Siddurim bis heute, kommt das Acheinu-Gebet nicht vor.

Wenn ein Gebet zu populärer Musik wird

Generationen lang sollten Juden oft gefangengenommen werden, von Piraten, Straßenräubern und anderen; und manchmal mussten sie für hohe Summen freigekauft werden. Jüdische Gemeinden arbeiteten hart, um die Gebote Gefangene auszulösen zu erfüllen und manchmal schafften sie es ihre Brüder und Schwestern zu ihren Familien zurückzuholen. Doch in manchen Fällen gab es keine Spur von den Gefangenen und denjenigen, die sie verschleppt hatten und alles, was blieb, war für ihr Wohlergehen zu beten. Die Worte des Acheinu-Gebets, die wir kennen, sind Teil von chazannut (jüdischer Kantorengesang) des berühmten jüdischen Kantors Yossele Rosenblatt (1882-1933). Zwei Jahre nachdem er aus Europa kommend in den USA ankam, brach der Erste Weltkrieg aus. Der Krieg und das Leiden seiner jüdischen Geschwister beeinflussten ihn und seine Kunst. In dieser Zeit vertonte er Acheinu und andere Gebete im Wunsch den Schmerz des jüdischen Volks zum Ausdruck zu bringen. Dieses Lied begeisterte zusammen mit anderen die Massen, die zu seinen Konzerten strömten – zuerst in New York, dann überall in den Vereinigten Staaten und Europa.

Werbung von Forward für Yossele Rosenblatts Auftritt am 7. März 1929, bei dem er unter anderen Gebeten auch Acheinu sang

Das Gebet ist seitdem noch mehrfach vertont worden, sowohl als Gesang für Kantorten als auch in allgemeinen chassidischen Liedern. Eine dieser Versionen wurde beim Neunten Chassidischen Liederfest 1977 von einem jungen Sänger namens Riki Gal aufgeführt, der später als israelischer Popstar berühmt werden sollte.

Eine persönliche Anmerkung: Im Schatten dieses abgedunkelten Hauses im Gazastreifen saß auch mein eigener Sohn, ein Gruppenführer der Nahal-Brigade. Er und seine Soldaten dachten sicher über die Bedeutung der Worte und die Gründe nach, warum dieses Lied nach der Verschleppung von rund 240 Israelis am 7. Oktober zu einem der Symbole des Krieges geworden sind.

Wir alle beten, dass „Gott ihnen gnädig ist“ und dass wir es verdienen, dass sie bald zusammen mit den Soldaten, die ihr Leben für das Volk Israel einsetzen, nach Hause kommen – haschta ba’agala ibizman kariv („schnell, sehr bald“).