Selektive Empörung: Israelische Facebook-Fotos entfachen Medien-Zirkus

HonestReporting, 16. August 2010

Warum sind die Medien derart besessen vom Facebook-Eintrag einer israelischen Soldatin – auf Kosten wichtiger Nachrichtenthemen aus dem Nahen Osten?

Bei Israel wird allzu oft ein anderer Standard für Verhalten erwartet als von anderen Nationalstaaten, insbesondere westlich-liberalen Demokratien. Natürlich ist Israel weit entfernt davon perfekt zu sein, aber individuelle Mängel werden unter dem intensiven Scheinwerferlicht der internationalen Medien aufgeblasen, um ein unverhältnismäßig negatives Bild des gesamten Landes zu erzeugen.

Wir wollen in keine ausgedehnte Diskussion der vielen Sachverhalte einsteigen, die die sehr öffentliche Exponierung der Facebook-Fotos ehemaligen israelischen Soldatin Eden Abergil umgeben, die mit gefesselten und mit Augenbinden versehenen palästinensischen Gefangenen posierte.

Abergils Facebook-Fotos sind ein legitimes Thema, aber wir müssen hinterfragen, ob die Dummheit und Naivität einer einzelnen IDF-Soldatin eine derart heftige internationale Berichterstattung verdient. Selbst seriöse Medienorgane wie die Financial Times, die in der Regel sensationslüsternes Material meidet, haben es für angemessen gehalten, die Story zu bringen.

Motivation der Medien

Die ruhigen Sommermonate bezeichnet man in Medienkreisen oft als „Sommerloch“*, in der Storys in Abwesenheit wirklich soliden Materials zu Nachrichten werden, die normalerweise keine sonderliche Aufmerksamkeit rechtfertigen. Der Nahe Osten ist allerdings selten ohne interessante und aktuelle Themen, die für die Region und die ganze Welt wichtig sind.

Zum Beispiel stimmte genau zu der Zeit, in der die Facebook-Story herauskam, das libanesische Parlamanet dafür, den 400.000 palästinensischen Flüchtlingen das Recht zu gewähren in denselben Berufen zu arbeiten wie andere Ausländer, womit ein Jahrzehnte altes Verbot aufgehoben wurde, das den Flüchtlingen die niedrigsten Arbeiten zuschrieb.

Oder wie wäre es mit der Ankündigung, dass der Iran 2011 mit dem Bau einer dritten Anlage zur Uran-Anreicherung beginnen will?

Ganz zu schweigen von dem fürchterlichen Selbstmord-Bombenanschlag vor einem irakischen Rekrutierungsbüro in Bagdad; oder dem Besuch des israelischen Premierministers Netanyahu in Griechenland und dem folgenden Ausbau der militärischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.

Man kann spekulieren, dass ein großer Teil der Berichterstattung zu Abegils Facebook-Fotos von einer Agenda motiviert sein könnte, die Storys vorantreibt, die in den Rahmen Israels als – bestenfalls – fehlerhafte Gesellschaft und – schlimmstenfalls – als unappetitlicher Menschenrechtsverletzer passen. Und die Medien mögen nichts mehr als die Darstellung der IDF als unmoralischer Armee. Paul Wood von der BBC erklärt in einer kurzen „Analyse“:

Die IDF sieht sich gerne als ethischste Armee der Welt und so verurteilte sie die Fotos mit scharfen Worten. (Sie sind ja auch keine Idioten, wenn es um Public Relations geht.)

Bei den meisten jungen Wehrpflichtigen und jungen Israelis, die ihren Militärdienst beendet haben, habe ich den Verdacht, dass die Reaktion keine Empörung, sondern ein einfaches Schulterzucken sein wird.

Wood schafft es sogar eine hinterlistige Stichelei gegen die PR der IDF einzubringen, als ob die von etwas Unheimlichen umgeben seien. (Von der BBC und anderen Medien werden die fehlende Pressefreiheit in den Palästinensergebieten oder die schrille und gut koordinierte Dämonisierungskampagne antiisraelischer Aktivisten selten erwähnt.)

Man kann auch darüber nachdenken, woher die Story der Facebook-Foto überhaupt kam – von den israelischen Medien und Bloggern, die Abergils Dummheit offen legten und sie heftig kritisierten – nicht wegen der Beschmutzung des Images Israels, sondern wegen der ethischen Fragen, die die Fotos aufwarfen.

Dass die Medien implizieren, Abergil sei das Produkt einer verfehlten Gesellschaft, heißt, dass die Tatsache ignorieren, dass Israel höchst selbstkritisch ist und die Kapazitäten hat, jede ethische Frage anzugehen, die aus der Affäre Abergil entsteht.

Der falsche Vergleich mit Abu-Ghraib

Associated Press schreibt:

Die Fotos erinnerten an Schnappschüsse, die 2003 von amerikanischen Soldaten im Abu Ghraib-Gefängnis im Irak aufgenommen wurden und irakische Häftlinge nackt, gedemütigt und in Angst zeigten. In diesem Fall marschierten Soldaten ins Gefängnis, nachdem die Fotos ans Tageslicht kamen.

Und wie um das zu beweisen, brachen die Daily Mail aus Großbritannien in ihrer Berichterstattung zu Abergil das folgende Foto samt Bildunterschrift:

Der Sydney Morning Herald veröffentlichte ebenfalls ein Foto aus Abu Ghraib, das später entfernt wurde, nachdem ein aufmerksamer Leser eine Beschwerde schickte – aber nicht, bevor er einen Screenshot der fehlerhaften Internetseite zu machen, von dem ein Teil hier zu sehen ist.

Das ist ein weiterer Belegt, dass die Medien selbst erkennen, dass die Einbeziehung solcher Bilder von Abu Ghraib in die Berichterstattung zu Abergil lediglich ein Werkzeug ist, um die Story auf Kosten glaubwürdiger journalistischer Werte aufzupeppen. Dass der SMH das Foto so schnell entfernte, schient das zu bestätigen.

Es bleibt Tim Marshall, Chefredakteur Ausland bei Sky News überlassen, der Vernunft eine Stimme zu geben:

Ein dummes israelisches Mädchen veröffentlicht ihre Fotos von sich, wie sie sich über verhaftete Palästinenser lustig macht und versteht nicht, was daran falsch ist. Was bedeutet das? Dass ein dummes israelisches Mädchen ihre Fotos veröffentlicht hat und der Welt ihre Unmenschlichkeit zeigt. Sonst noch etwas? Nun, man kann angemessen argumentieren, dass die Schnappschüsse Sinnbild einer Generation sind, die nicht mit ausreichendem Mitgefühl für „den anderen“ erzogen wurde. Man kann sogar so weit gehen zu argumentieren, dass sie Teil der Gesamtheit der Belege dafür sind, dass Palästinenser ständig erniedrigt werden. Aber von da aus auf Abu Ghraib zu kommen?

Abu Ghraib: Systematische, langfristige Folter und Demütigung, zu der auf auf hoher Ebene, die Offiziere einschließt, ermutigt wurde; Hunderte Fotos; ein dunkler Ort, für die Medien gänzlich unzugänglich, zum größten Teil vor den Menschenrechtsgruppen verborgen, der, als er entdeckt wurde, eine erbitterte Debatte in den USA entfachte, wobei eine signifikante Minderheit der Menschen einwandte, das „sei nicht so schlimm“.

Israel: Ein Mädchen, Eden Abergil, macht bei einer Gelegenheit Grimassen vor Gefangenen, die, als sie aufgedeckt wurden, die öffentliche Meinung in ihrem Land entsetzen; sie wird dort als „eine unglaubliche Idiotin“ verspottet. …

... es gibt Fotos und Videos von fast jeder Armee der Welt, einschließlich der britischen, wo Soldaten sich verhielten, wie sie es nicht hätten tun sollen – und sie werden nicht immer als symbolisch für eine verwerfliche Nation angesehen…

Abergil mit Abu Ghraib gleichzusetzen und zu einer weltweiten Story zu erheben, ist schlicht und einfach schlampiges Denken oder, schlimmer, selektive Empörung.

Die Facebook-Fotos von Eden Abergil sind ein Lehrbuch-Beispiel dafür, wie leicht es für die internationalen Medien ist einer freien und sehr kritischen israelischen Presse eine negative Story abzunehmen und daraus einen weiteren Knüppel zu machen, mit dem man auf Israel eindreschen kann.

Ist Kritik an Abergil nötig? Natürlich. Heißt das, dass die IDF weniger moralisch ist als andere westliche Armeen? Sicher nicht. Handelt es sich um eine Story, die internationale Aufmerksamkeit und Empörung erforderte?

 

* im Englischen heißt es „silly season“ – Sauregurkenzeit oder wörtlich: „dumme Jahreszeit“

 

 

4 Gedanken zu “Selektive Empörung: Israelische Facebook-Fotos entfachen Medien-Zirkus

  1. Der Vergleich mit dem Foltergefängnis ist ja wohl das heftigste. Aber in einer Zeit, in der Ramallah mit dem Warschauer Ghetto unter den Nazis verglichen wird, muß man sich nicht wirklich wundern.

  2. „dass Palästinenser ständig erniedrigt werden“

    Relevant wird es aber erst dann, wenn Juden im Spiel sind. Daß sie seit Jahrzehnten von den Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga erniedrigt werden, ist irrelevant. Daß sie sich selbst erniedrigen, ist ebenfalls irrelevant. Beispiele für Selbsterniedrigung: Sie fordern 1000 von ihren Leuten für einen Israeli. Ergo ist ihrer Meinung nach ein Israeli 1000 Palis wert. Auch der reine Menschenwert wurde von ihnen schon beziffert. Während der zweiten Intifada opferten sie ihre Kinder für 25.000 USD von Saddam Hussein. Mehr Erniedrigung geht einfach nicht!

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