Flüchtlingsboote, Transitlager und Immigranten-Viertel – der Künstler David Friedmann kam 1949 aus der Tschechoslowakei in Israel an, nachdem er entsetzliche Erfahrungen im Holocaust gemacht hatte. Zur Feier von Israels 75. Geburtstag teilt seine Tochter Miriam, die ein Jahr später im jüdischen Staat geboren wurde, seine Geschichten und Kunstwerke, die diese frühen Monate in Israel dokumentieren.
Miriam Friedman Morris, the Librarians, 23. April 2023
Mein Vater David Friedmann (1893 bis 1980), ein erfolgreicher Künstler und Holocaust-Überlebender, zeichnete seine Erfahrungen in Worten, Kunstwerken und Alben auf. Er ist für seine höchst wichtigen Beiträge bekannt – eine Kunstserie, die Szenen darstellte, die er seit der Deportation seiner Familie von Prag ins Ghetto Lodz, weiter nach Auschwitz-Birkenau und dem Todesmarsch bis zur Befreiung in Blechhammer im Januar 1945 darstellte. Seine Frau Mathilde und die junge Tochter Mirjam-Helene überlebten nicht. Er kehrte nach Prag zurück, um ein neues Leben zu beginnen, eins ohne Familie. Der stärkste Wille des Menschen, der Wille zu leben, gab ihm die Kraft ganz von vorne zu beginnen.
Er vertiefte sich darin die Szenen zu zeichnen und zu malen, die er aus seiner Erinnerung holte und machte Ausstellungen, um der Welt seine Kunst zu zeigen. Dann fand im Februar 1948 ein kommunistischer Putsch statt und kurz danach wurde die Tschechoslowakei zu einer brutalen kommunistischen Diktatur. Der Staat Israel wurde am 14. Mai 1948 gegründet. David Friedmann heiratete zwei Wochen später die Holocaust-Überlebende Hildegard Taussig in der Alten Neuen Synagoge in Prag. Ihre Ehe begann mit dem Tempo von Flüchtlingen, da sie planten zu fliehen.
Ich wurde in Israel geboren und nach meiner Halbschwester benannt. Mein Vater machte es sich zur Aufgabe sicherzustellen, dass seine Tochter ihre Geschichte kannte. Mehrere Tage nach meiner Geburt 1950 schrieb er für mich ein Tagebuch: Tagebuch für Mirjam Friedmann. Man spürt seine Freude beim Zusammenstellen eines Fotoalbums mit handgeschriebenen und getippten Fotounterschriften über sein neues Leben in einem neuen Land mit Hilde und dem Baby Miriam. Das Fotoalbum spiegelt auch einen beträchtlichen Teil von Israels Gründungsgeschichte – die Emigration überlebender Immigranten, die mit nichts als ihrem starken Willen zu überleben und sich nach dem Holocaust ein neues Leben aufzubauen neu zu beginnen. Die Immigranten wurden in Aufnahmezentren gebracht und in Zelte ohne Strom und fließendes Wasser gedrängt. Die sanitären Umstände waren schlecht. Sie waren während der Wintermonate Regen und Kälte ausgesetzt und im Sommer der Hitze. Trotzdem waren die Überlebenden frei und wollten vorankommen.
Damit war das Fotoalbum kein gewöhnliches Werk. Mein Vater zeigte darin Kunstwerke und getippte Geschichten des ersten Jahres in seinem neuen Land. Die Zeichnungen stellten drei Szenen nach der Ankunft im Juli 1949 in der Zeltstadt Scha’ar Ha’Aliyah bei Haifa und dann Ra’anana dar. Er genoss es von 1950 bis 1954 Porträts zu schaffen und überall in Israel zu malen; dann ging meine Familie nach Amerika. David Friedmann fing die farbenfrohe Landschaft und die Erfahrungen der Anfänge des jüdischen Staates ein. Ich hoffe die Kunstwerke meines Vaters für zukünftige Generationen in einem israelischen Museum zu erhalten, damit sie sich genauso daran erfreuen können wie ich.
„Nach der hastigen Abreise aus Prat nach Israel im Juli 1949“
(Der folgende Text wurde von David Friedmann geschrieben. Er ist von seiner Tochter Miriam Friedman Morris bearbeitet, zusammengestellt und aus dem Deutschen übersetzt.)
Ich war hoch erfreut, im Prager jüdischen Newsletter zu lesen, dass der Staat Israel gegründet worden war und dass alle Juden aufgerufen seien so bald wie möglich einzuwandern, es war ein Land der Freiheit und vieler Möglichkeiten. Tatsächlich immigrierten viele unserer Freunde und bekannten. Nachdem Hilde und ich in jeder Hinsicht mehr als genug Ärger mit den Kommunisten hatten, beschlossen wir dasselbe zu tun.
Der Kriegsmuseums-Ausschuss wollte einige meiner Gemälde kaufen und sie nannten mir einen guten Preis. Ich saß mit ranghohen Militärs am Schreibtisch und sie sagten mir, wie stolz ich sein könne, dass meine Arbeiten in ihrem Museum ausgestellt wurden. Aber meine Antwort lautete Nein, ich bräuchte die Arbeiten für eine Ausstellung in Israel und als sie das hörten, sprangen sie so schnell von ihren Stühlen auf, dass ich Angst bekam. Ich sagte, es tue mir sehr leid, aber ich könne meine Gemälde nicht verkaufen. Ein paar Minuten später sagten sei mir, es wäre in Ordnung, wenn ich meine Gemälde nach Hause brächte. Allerdings konnte ich durch den Ausdruck in ihren Gesichtern sagen, dass sie sehr wütend waren.
Ich kam wegen der Kunstwerke in Schwierigkeiten und die tschechische Regierung ordnete ein „Exportverbot“ an. Aber ich fand einen wichtigen Beamten, selbst Künstler, und für 1.000 Kronen wurden alle Kunstwerke mit einem Stempel der Regierung versehen und so war ich in der Lage meine Gemälde für Israel zu retten. Ich besorgte einen lift (einen großen Lagercontainer aus Holz) bei einer Transportfirma und die Gemälde wurden zusammen mit Möbeln und Habseligkeiten nach Israel verladen. Unterdessen wurden wir für die Ausreise registriert.
Obwohl wir uns ein Jahr lang vorbereitet hatten, fühlte sich unsere hastige Abreise aus Prag im Juli 1949 nach Israel wie eine Flucht an. Wir mussten eine Wohnung mit drei Zimmern plus Küche und Flug verlassen, die den meisten modernen Komfort bot. Die tschechische Regierung erlaubte uns nur den Gegenwert von 2 ½ israelischen Pfund mitzunehmen, sie können sich also vorstellen, wie schwierig es war mit nichts völlig neu anzufangen. Allerdings machte uns unser starker Überlebenswille enorm stark. Nach einigen Schwierigkeiten erreichten wir die tschechische Grenze. Die Beamten fragten mich, wo meine Gemälde seien und ich sagte ihnen, sie seien in Prag. Sie durchsuchten unser gesamtes Gepäck, aber schließlich glaubten sie mir und ließen uns gehen. Wir freuten uns den Kommunisten entkommen zu sein und mussten unterschreiben, dass wir unsere tschechische Staatsbürgerschaft aufgeben und nie wieder zurück ins Land kommen würden. Wir wechselten auf einen österreichischen Zug mit russischen Wachen, die Bajonette aufgepflanzt hatten. Als der Zug in Richtung Wien über die Grenze fuhr, fielen wir auf die Knie, so glücklich waren wir wieder frei zu sein, diesmal frei von den Kommunisten. Im Italienischen Zug verriegelten Soldaten die Türen. Uns war nicht erlaubt den Zug zu verlassen, um an den Zwischenstopps Wasser zu trinken. Die Italiener verhielten sich uns gegenüber schändlich.
Daher fühlten wir uns nicht wirklich frei, bis wir in Neapel das israelische Schiff Eilat bestiegen.
Ich verdiente meine ersten israelischen Pfund mit einigen Porträt-Zeichnungen. Die Maschinen des Schiffs machen ohrenbetäubenden Lärm. Nachts konnte man unmöglich ein Auge zuzumachen und unsere Hängematten schaukelten enorm. Die meisten Leute schliefen an Deck. Der Anblick des Hafens von Haifa war fantastisch und ich wünschte nur ihn malen zu können, leider passierte das nie. Dann kamen die Registrierungsformalitäten. Wir wurden von einem Beamten gefragt, ob wir einer politischen Partei angehörten und wir antworteten „Zionisten“; und dann fragte er nach meinem Alter und ich antwortete 56 Jahre, woraufhin er verkündete „nicht arbeitsfähig“. Das erstaunte mich und sich sagte auf Tschechisch zu Hilde: „Ist der dumm, er hat keine Ahnung was ich kann.“
Dann wurden wir mit unserem Gepäck auf Lastwagen geladen und ins Aufnahmelager „Sha’ar Ha’Aliyah“ (Einwanderungstor) für Neuankömmlinge ein paar Kilometer außerhalb von Haifa gebracht. Wachen öffneten die Tore und schlossen sie hinter uns. Erstaunt sahen wir, dass wir von Stacheldraht-Zäunen umgeben waren. Niemand durfte das Lager ohne Erlaubnis verlassen. Das erinnerte uns stark an die Nazi-Konzentrationslager.
Allerdings waren wir froh nicht länger kommunistischem Antisemitismus ausgesetzt zu sein. wie im Ersten Weltkrieg und den Jahren Adolf Hitlers wusste ich im Voraus, dass ich überleben würde. Jedes Mal fing ich mit nichts wieder an und jetzt in Israel war ich sicher, ich könnte mit Hildes Hilfe erneut erfolgreich sein. Ich hatte damals reichlich Energiereserven sowie das notwenige Wissen und die Fähigkeit in meinen Beruf als Künstler, Maler und Handwerker.
In Scha’ar Ha’Aliyah wurden wir wieder registriert, dann auf Läuse untersucht, mit DDT bestäubt. Darüber hinaus mussten wir barfuß durch eine milchige Flüssigkeit laufen, wahrscheinlich auch diese DDT-Substanz. Ich war deswegen sehr aufgebracht, aber wir mussten durchhalten. In dem Lager suchten wir nach einem freien Zelt und davon gab es jede Menge. Das Lager war schmutzig, es stank und das Essen war furchtbar. Wir bekamen Essen aus riesigen Eimern, standen in langen Reihen an wie bei den Nazis. Aber der Staat Israel war kaum ein Jahr alt und wir wussten, es würde im Verlauf der Jahre besser werden. Mit Hilfe von Hildes Schwester (Else Taussig Löwy) hielten wir durch und nach einer Woche wurden wir ins Lager Beth Olim bei Ra’anana gebracht, wo wir ebenfalls ein freies Zelt bekamen. Wir erhielten zwei eiserne Bettgestelle und Strohsäcke, auf die uriniert worden war, für jeden ein Leinentuch sowie eine alte graue Decke. Wir brachten unser Gepäck ins Zelt – und begannen unser neues Leben.
Am zweiten Tag nach unserer Ankunft in Scha’ar Ha’Aliyah fand ich eine Öffnung im Stacheldrahtzaun. Vorsichtige kroch ich hinaus in die Freiheit; mit Hilde hatte ich abgemacht, das sich ein paar Tage später wieder zurück sein würde. In Haifa war es unerlässlich, das sich einen alten Freund aus Berlin besuchte. Ich stieg in den Bus nach Haifa und warf einen Blick auf die Werbeschilder dort und fand ich seinen Namen darunter geschrieben. Ich ging in den Laden und der Inhaber gab mir die Adresse. Ich fand ihn und er war sehr überrascht und ich wurde sein Gast. Er gab mir Arbeit und zahlte für Skizzen und Porträt-Zeichnungen. Weiser und mit mehr Geld kehrte ich zum meiner geliebten Hilde zurück, die sich doch sehr um mich sorgte.
Jetzt hielt Hilde es nicht länger aus. Nach zehn Jahren wollte sei endlich ihre Schwester wiedersehen, die in Tel Aviv lebte. Hilde wusste, wo Else arbeitete und am nächsten Tag nahm sie den Bus dorthin und fand sofort das Café Katz auf der Ben Yehuda-Straße, die jeder in Tel Aviv kennt. Hilde setzte sich an einen Tisch. Als Else mit einem Tablett mit gefüllten Kaffeetassen vorbeikam, erkannte sie Hilde und ließ das ganze Tablett auf den Boden fallen, was einen gewaltigen Krach machte. Als die Schwestern sich küssten und einander festhielten klatschten alle Gäste.
Beth Olim war ein lebendiger Ort voller schreiender Kinder. Neue Immigranten aus aller Welt strömten nach Israel, z.B. 15.000 allein aus der Tschechoslowakei. Alle drängten sich zusammen, weil es wenig Platz gab und so gesellte sich ein belgisches Paar zu uns im Zelt, sie waren aber nette Leute. Unser neues Lager hatte auch einen Zaun, wegen der vielen Kinder; es war aber kein Stacheldraht und jeder konnte rein und raus. Aus diesem Grund gingen wir oft in die Stadt Ra’anana und trafen dort sehr nette Menschen, die Porträts oder Poster bei mir bestellten. Wir gingen auch ins Café, wo wir tanzen konnten und eine wunderbare Zeit hatten. Nach Woche des Lebens in engen Unterkünften wurde ein tzrif (Holzhütte) frei. Die tzrif war leicht aus rohen Brettern gebaut. Wir wurden von der Verwaltung angewiesen einzuziehen und wir waren sehr glücklich und endlich wurden wir auch israelische Staatsbürger.
Hildes Vater Karl Taussig und seine zweite Frau Elza mit dem Kind Judita immigrierten vor uns nach Israel – sie ließen sich aber nur auf mein Drängen hin registrieren, sonst wären sie heute noch in Prag. Über eine Agentur fand seine Tochter Else für ihn eine Stellung in seinem Beruf als Chemiker bei der bekannten Firma „Mekorot2, wo er bis zu seiner Rente als Wasserspezialist arbeitete. Für uns alle ein sehr guter Anfang.
Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, was wir in Ra’anana erlebten, dennoch würde ich gerne ein Ereignis erwähnen, das während eines fürchterlichen Regengusses stattfand. Der Sturm überraschte uns in der Nacht, es schüttete wie aus Kübeln, so etwas hatten wir nie erlebt. Der Regen spülte unter die Baracken, das Wasser floss hinein und wir sprachen alle hoch, wie es bis zum Bettrand ging. Jetzt liefen wir in unserem Nachtzeug raus und wurden natürlich klitschnass, bevor wir den Rest des Gusses mit unseren Nachbarn aussaßen. Nach ein paar Stunden konnten wir nass in unser Heim zurückkehren. Es war nicht möglich noch an Schlaf zu denken, alles war durchnässt. Am frühen Morgen trugen wir unsere Sachen hinaus, damit sie in der Sonne trockneten.
Langfristig wollten wir nicht in einem Zelt oder einer Hütte leben. Wir sahen uns nach verschiedenen möglichen Wohnungen um, aber keine gefiel uns. Dann wurde uns gesagt, dass in kurzer Zeit ein neues Dorf bei Tel Aviv geplant war und wir könnten uns registrieren lassen, wenn wir 250 Pfund Anzahlung und die Monatsmiete von 6 Pfund hätten. Allerdings mussten wir uns beeilen, weil schon viele verkauft worden waren. Uns wurden die Gebäudepläne und er Name des Ortes gezeigt: Hadar Yosef, nur 20 Minuten von Tel Aviv.
Schließlich erhielten wir nach einer siebenmonatigen Wartezeit Nachricht von der Gebäudeverwaltung, dass wir unser Haus übernehmen konnten. Das war wieder ein wundervoller Augenblick, als wir uns und unser Gepäck auf den Laster luden und wir begannen unsere Fahrt nach Hadar Yosef.
Ich telefonierte mit Haifa und bevollmächtigte die Möbelpacker unseren lift aus dem Lager in Tel Aviv nach Hadar Yosef zu transportieren. Inzwischen mussten wir auf dem blanken Boden schlafen, aber das machte uns nichts aus. In dem Container waren Möbel für eine Einzimmer-Wohnung mit Küchengeraten und Geschirr, meine nach der Befreiung 1945 gemalten Bilder, einschließlich einer großen Menge Künstlermaterial und meiner Violine. Nach dem Auspacken zogen wir weiter in die nächste Phase unseres Lebens in Israel.
Ich hatte mit Hilde schon in Prag darüber gesprochen ein Kind zu bekommen. Dieser Wunsch wurde uns erst ein Jahr später in Israel erfüllt. Das machte unter Glück vollständig, weil ein Kind noch fehlte.
Unser Wunsch wurde wahr, denn unsere geliebte Miriam wurde geboren!!! Zusammen mit unserer Miriam begann dann das Leben in unserem neuen Zuhause erst richtig, gab unserem Lebenszyklus eine völlig neue Bedeutung und diese Erfahrung, scheint kein Ende zu nehmen! Diese Baby- und Kinderjahre waren die schönsten unseres Lebens!
Das Nazi-Regime löschte beinahe jede Spur von David Friedmann aus, aber das gelang ihnen nicht. Auf der Suche nach verlorengegangener Kunst ist befriedigend und ein unbezahlbarer Blick in sein Leben. Ich setze die Mission meines Vaters fort seine Holocaust-Kunst der Welt zu zeigen. Mein Ziel ist es, sein Werk mit Hilfe von Ausstellungen, Büchern und Filmen weiter zu publizieren, um sein Erbe für zukünftige Generationen zu bewahren. Derzeit ist eine neue Holocaust-Dokumentation von Emmy Award-Gewinner John Rokosny in Produktion; sie trägt den Titel „The art and Survival of David Friedmann“ [Die Kunst und das Überleben von David Friedmann].
Fotos und Kunstwerke: The Miriam Friedman Morris Collection, New York.
Mehr zu David Friedmann und Informationen über bestehende Werke erhalten sie auf www.davidfriedmann.org oder der Facebook-Seite „David Friedmann-Artists as Witness“.