Zwei Seiten eines Zauns und eine andere Welt

Ein aufschlussreicher Crossover-Besuch im Kibbuz Ha’on und das ehemals diesem gehörenden, heute privatisierten Daria Resort am See Genezareth

Motti Verses, Lay oft he Land, 23. April 2023

Einige der einladendsten Strände des Kinneret – des Sees Genezareth – liegen an seinem Ostufer. Sie befinden sich in einiger Entfernung von der geschäftigen, aber uralten Stadt Tiberias mit ihrer von Restaurants gesäumten Yigal Allon-Promenade, Hotels, der Marina und einem Fischmarkt am Westufer sowie den Verbindungs-Schnellstraßen aus Zentral- und Nordisrael.

Hier, im Schatten der beeindruckenden Golanhöhen, wurden in der Pionier-Ära vor und nach Israels Unabhängigkeit 1948 drei Strand-Kibbuzim gegründet. Das sind Ein Gev, weiter im Norden 1937 gegründet, im Süden Ma’agan, gegründet 1949 und zwischen den beiden der im selben Jahr gegründete Ha’on.

Küstenkulisse. Vor dem Hintergrund der majestätischen Golanhöhen liegt in wunderschöner Strandlage das Daria Resort. (Foto: M. Verses)

Nur einen furchteinflößenden Steinwurf entfernt von der militarisierten syrischen Grenze der Zeit vor 1967 gelegen, waren die Siedlungen eine Darstellung israelischen Widerstandwillens – mutig die Eigentumsrechte und permanente Präsenz einpflocken. Syrien nutzte seinen Zugriff auf die Golanhöhen bis zum Sechstage-Krieg – nicht als Touristen-Aussichtspunkt, sondern als militärische Festung, von der aus seine Truppen willkürlich auf die jüdischen Bauerngemeinschaften darunter schossen. Die vor Israels Unabhängigkeit 1948 weitgehend aufgegebene, bedrohliche östliche Seite des Sees Genezareth schlug sofort nach der Unabhängigkeit ein neues Kapitel der dauerhaften Besiedlung auf und 1949 wurde Ha’on mit 120 Mitgliedern gegründet.

Als in Jerusalem lebendes Kind hörte ich diesen Namen immer wieder – Ha’on und die ständigen Konfrontationen mit den feindlichen Syrern von der anderen Seite der aufgezogenen Grenze. Die Kibbuz-Einwohner versuchten ein „normales“ Leben zu führen, waren aber der Gnade der syrischen Soldaten oberhalb ausgesetzt und Kinder in meinem Alter waren gezwungen in Bunkern zu schlafen. Fotos dieser täglichen, tödlichen Routine erschienen damals in allen Zeitungen. Als Kind konnte ich nie verstehen, warum sie dortblieben, aber diese Pionier-Siedler hielten mutig durch. Ha’on gewann stetig neue Mitglieder und nach dem Krieg 1967, als Israel die Kontrolle über die Golanhöhen übernahm, begannen die Siedler unterhalb zum ersten Mal Frieden und Ruhe zu genießen. Mitte der 1980-er Jahre beschlossen die an Tourismus Glaubenden mit Abenteuersinn in die Gründung eines ländlichen Ferienorts direkt am Stand zu investieren.

Das war alles Geschichte.

Kulissenwechsel

Als ich vor kurzem den Strand von Ha’on entlang ging, wusste ich, dass die Landschaft 2023 völlig anders aussehen würde. Bis zum Juli 2007 agierte Ha’on als Kibbuz, aber Schulden von NIS 50 Millionen bedeuteten, dass er seine Firmen verkaufen und sein Land in Staatsbesitz zurückgeben musste. Heute leben nur 30 Familien dort. Die meisten der Häuser sehen vernachlässigt aus, die Gärten sind mit Unkraut und Dornen bedeckt. Auch die Kibbuz-Synagoge hatte bessere Tage erlebt und scheint sich in einem Zustand traurigen Verfalls zu befinden. Ein großes Bauwerk, in dem man die lebhaften Aktivitäten und Feiern nur vorstellen kann, die dort stattgefunden hatten, erinnerten mich an eine Strandmuschel, deren Eigentümer lange daraus weggegangen war.

Religionsrelikt: Gebet und Gesang herrschten einst innerhalb dieser Mauern. Heute befindet sich die Kibbuz-Synagoge in einem traurigen Zustand des Verfalls. (Foto: M. Verses)

Die einzigen bewohnten Wohnhäuser, deutlich nicht instandgehalten, waren für Studenten des nahe gelegenen Kinneret Academic College, die eine Unterkunft mieteten. Ich dachte: „Kaum ein ideales Heim für sie“, als ich den Ort mit alten Möbeln und verstreuter Wäsche übersät sah und die öffentlichen Mauern erzählen mit ihren Graffitis ihre eigenen Geschichten.

Die Wege waren rissig, aufgebrochen und von überwucherndem Unkraut angegriffen – eine Metapher für die Richtung, nicht der Wege selbst, sondern der gescheiterten Zukunft des Kibbuz. Sie führten zu baufälligen Gebäuden, die scheinbar von selbst ohne Grund eingestürzt sind – Opfer der Leere. Der gelegentlichen Symbolik der eingestürzten Mauern und Dächer, die nicht so aussehen, als würde irgendjemand bald aufräumen, traf – wie eine Oase – auf ein gepflegtes Haus, in dem sich Leben befand.

Hat bessere Zeiten gesehen: Einst die Heime der Kibbuz-Bewohner, sind diese alternden Bauwerke die Bleibe von Studenten des nahegelegenen Colleges. (Foto: M. Verses)

Der Speisesaal – einst der Mittelpunkt des Kibbuz, wo alle Einwohner zum Essen, Veranstaltungen und Festen zusammenkamen – ist seit Jahren geschlossen. Eine Gruppe Hunde bellt uns an, schützt das Land ohne Menschen. Der einzige ansprechende Anblick, der von der einst pulsierenden Vergangenheit verblieben ist, war ein Baum, ein eindrucksvoller Baum – ein gigantischer Ficus benghalensis direkt im Zentrum von Ha’on. Das ist so traurig!

Fast 20 Jahre sind vergangen, seit die Regierung beschloss den mit hohen Schulden belasteten Kibbuz Ha’on aufzulösen. Der Plan war seine Aktiva zu verkaufen, das Land aufzuteilen und an seiner Stelle eine Gemeinschaftssiedlung einzurichten. Das ist immer noch nicht erledigt. Was für eine traurige Geschichte für die Kibbuz-Bewegung, die traditionell auf Landwirtschaft gründete und ihre sichtbare Vegetation von heute – größtenteils Unkraut!

Während Ha’ons Land perfekt für die Bananenzucht ist, ist es in Wirklichkeit sein paradiesischer Strand mit dem Berg-Hintergrund, der Touristik-Projekte so viel reizvoller macht.

Und so begannen an diesen Gestaden des Kinneret Kibbuz-Mitglieder mit einer Vision ein privates Unternehmen und schufen das Ha’on Village Resort, das in den letzten Jahren in Daria Resort umbenannt wurde und zum Portfolio der Rimonim Hotel-Kette gehört. Die Betreiber waren entschlossen das Hotel mit demselben Pioniergeist-Konzept zu betrieben wie die Gründer; als Ergebnis bietet Daria heute umweltfreundliche Unterkünfte – Chalets, die sich in die idyllische Landschaft einpassen und ein authentisches Kibbuz-Gefühl bieten. Man kann unter unterschiedlichen Stilen für Zimmer wählen, die alle von saftig grünem Rasen umgeben sind und unglaubliche Ausblicke mit direktem Zugang zum Strand haben. Die Wege des Dorfs sind nach gefeierten israelischen Dichtern und Sängern benannt, die Säulen der israelischen Kultur aus der Vergangenheit bis heute sind. Mit gefiel zu sehen, dass ein Ferienort beschloss die Kulturikonen seines Landes zu unsterblich zu machen. In der Regel kann man israelische Lieder im Hintergrund hören, während man die Straßen des Dorfs entlang geht, wenn auch leider nicht, als wir dort waren.

Poetischer Gang: Die Wege des Daria Resort sind nach gefeierten israelischen Sängern und Dichtern benannt (Foto: M. Verses)

Das ist eine „unvollendete Symphonie“ fürs nächste Mal…

Ich traf den Hotelmanager, Dor Sircovich, früher ein erfolgreicher junger israelischer Geschäftsmann in Jerusalem, der während der COVID-Pandemie gezwungen war Alternativen zu verfolgen. Er zog mit seiner kleinen Familie um, um im Daria Resort zu leben und es zu managen und es sieht so aus, als hätte er eine weise Entscheidung getroffen.

„Ich bin sehr stolz, dass wir die Fackel tragen und das Gefühl des Kibbuz bewahren. Das ist Israel in seiner besten Form“, sagt er. „Ha’ons Gründer konzentrierten sich Jahre lang auf Übersee-Touristen, hauptsächlich Pilger. Wir beherbergen sie immer noch, wir haben aber, wie die meisten Hotels in Israel, gelernt, dass einheimischer Tourismus nicht weniger wichtig ist. Die Pandemie hat uns etwas gelehrt“, sagt er.

Über das Biblische hinaus

Für die, die mit dem traditionellen Lebensstil eines israelischen Kibbuz weniger gut vertraut sind, könnte sich eine Erinnerung als lehrreich erweisen Daria besser zu verstehen und zu würdigen. Das ist zwar nicht „luxuriös“ im traditionellen Sinn, aber es verströmt einen „traditionellen“ Charme – eine besondere Art von Ambiente, das synonym mit Israels einzigartigem kollektivem Landleben ist. In Daria ist es jedoch noch besser am Ufer des majestätischen Sees Genezareth zu sein – und sein Frühstück im Speisesaal ganz im Kibbuz-Stil bietet eine Reihe bauernhoffrischer israelischer Ernteprodukte.

Der umwerfende Strand ist sauber, das Wasser kristallklar und wir erlebten dort Momente, die nicht nur als „Himmel auf Erden“ beschreiben kann. Wundert es, dass diese Region so mit der Bible assoziiert wird?

Malerisch und idyllisch: Ein Chalet im Daria Resort, ein paar Schritte vom Ufer des Sees Genezareth (Kinneret). Foto: M. Verses)

Daria und Ha’on existieren Schulter an Schulter miteinander mit offenen Toren, die die beiden trennen und man kann frei von einem zum anderen wechseln. Das zu tun, wie wir es machten, war allerdings wie der Eintritt in eine andere Welt, ein vergangenes Zeitalter. Selbst der alte Kibbuzstrand war reizlos, überwuchert mit Büschen bis zum Wasser. Es war ein Bild von Menschen, die sich zurückgezogen haben, so dass die Natur sich das zurückerobern kann.

Eine ruhige Kulisse. Die neueren Häuser der Kibbuz-Einwohner im Daria Resort. (Foto: M. Verses)

Dort zu stehen und die beiden Welten anzustarren – den alten, gescheiterten Kibbuz mit seinen rostenden Relikten von gestern und das lebhafte und erfolgreiche Strand-Resort des heutigen Daria, konnte ich nicht widerstehen darüber nachzudenken, ob das Durchschreiten des Tores wie das Durchschreiten aus der Vergangenheit in die Zukunft ist – vom gescheiterten Kibbuz-Sozialismus zum Triumph des modernen Kapitalismus, verkörpert im heutigen Israel, das den Markennamen „Start-up Nation“ bekommen hat.

Leider ist das in diesem Fall so.

Atemberaubender Sonnenuntergang. Der zeitlos ruhige Übergang vom Tag zur Nacht (Foto: M. Verses)

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