„Wir sind nie allein“: Einsame Soldaten sprechen davon, auch im Krieg ein Gefühl der Bestimmung zu haben

Israel HaYom schließt eine Serie ab, die die Widerstandsfähigkeit und Kameraderie einsamer Soldaten einfängt, die allen Schwierigkeiten zum Trotz mit Hilfe des Zentrums für Einsame Soldaten in der IDF dienen.

Vorbemerkung zur Übersetzung: Der Begriff „einsamer Soldat“ ist etwas unglücklich. Er bezeichnet Soldaten in der IDF, die keine familiäre Unterstützung in Israel haben, während oder weil sie in der IDF dienen. Das kann daran liegen, dass sie aus einem anderen Land kommen und ihre Familien weit weg sind, aber auch daran, dass sie aufgrund ihres Entschlusses in der IDF zu dienen der Kontakt von ihrer Familie abgebrochen wurde. Auf jeden Fall handelt es sich um Soldaten, die auf sich allein gestellt sind und alleine klarkommen müssen.

Adi Rubinstein, Israel HaYom, 30. April 2024

Von links nach rechts: die einsamen Soldaten Jonathan, Rachel, Ram, Hadar und Daniel (Foto: Avishag Shaar-Yashuv)

Der Krieg im Gazastreifen brachte zahllose Geschichten über Heldentum. Entscheidungen in Sekundenbruchteilen, die ganze Leben veränderten, der Ziehung einer klaren Trennlinie zwischen vorher und nachher. Einige Entscheidungen sind dem Rampenlicht allerdings entgangen. Sie werden zwar nicht in Erzählungen vom Schlachtfeld verankert werden, aber sie sind Zeugnisse unserer Existenz hier, der Konflikte, die wir führen und des Charakters unseres Militärs und Volks, insbesondere der jüngeren Generation.

In den letzten Monaten hat Israel HaYom über die Erfahrungen einsamer Soldaten berichtet, die mit dem Zentrum für einsame Soldaten im Gedenken an Michael Levin verbunden sind. Unser Ziel bestand darin die Geschichten junger Personen zu erzählen, die entschieden in die Armee einzutreten, manchmal unter großen Schwierigkeiten. Dieser letzte Artikel in der Serie dient dazu die Widerstandsfähigkeit, Kameraderie und tiefgehende Zielstrebigkeit zusammenzufassen, der die Erfahrungen als einsame Soldaten definiert.

Im Begrüßungshauptsitz der Stiftung in Tel Aviv trafen wir uns mit fünf Soldaten, die diese Gruppe vielleicht am besten verkörpert. Etwa die Hälfte aller einsamen Soldaten wurden in Israel geboren und haben mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Andere stehen vor Sprachbarrieren, weil sie aus Jiddisch sprechend ultraorthodoxen Gemeinschaften kommen oder die 12 Jahre Schule nicht vollständig absolviert haben.

Jonathan (Foto: Avishag Shaar-Yashuv)

Zu den Anwesenden gehörte Jonathan Lambert, ein ehemals einsamer Soldat, dem die familiäre Unterstützung fehlt. Er wandte sich während seines Militärdienstes an die Stiftung. Heute ist er im Alter von 23 Jahren Reservesoldat der für Eisenschwerter eingezogen wurde, als er in Jerusalem wohnte; die Stiftung unterstützt ihn weiter.

Rachel Cohen (22) immigrierte vor drei Jahren aus den USA, um über das Mahal-Programm in der Armee zu dienen, das für jüdische Jugendliche aus dem Ausland gedacht ist, die freiwillig eine kurze Zeit Militärdienst leisten wollen.

Genauso zog Daniel Gerstein vor sieben Jahren aus New York nach Israel, bevor er 18 wurde; er wollte in der IDF dienen. Eine Notfall-Einberufung holte ihn aus dem Hinterland von New York – doch er zögerte nicht unverzüglich zurückzukehren um zu kämpfen.

Eine weitere Teilnehmerin ist Hadar Shay Omram (24), der ebenfalls familiäre Unterstützung fehlt. Die Stiftung hat sie etwa zwei Monate lang begleitet, seit sie zum Reservedienst eingezogen wurde.

Der Jüngste in der Gruppe, Ram Neumark, zog vor fünf Jahren im Alter von nur 17 Jahren alleine aus Sibirien nach Israel. Es wird erwartet, dass er bald seinen Wehrdienst antritt.

Frage: Beschreibe den Moment, in dem du beschlossen hast, dass ein einsamer Soldat zu werden für dich die richtige Entscheidung war.

Jonathan: „Mit 13 hörte ich auf religiös zu sein. Ich wohnte damals bei meiner Familie. Als ich mit dem Studium fertig war, ging ich zum Militär. Es gab Probleme mit meinen Eltern und der Familie, aber ich lebte nach der Einberufung weiter bei ihnen. Später, während meines Dienstes, als ich zum Kommandeur bei den Pionieren ernannt wurde, erkannte ich, dass ich Zuhause ausziehen musste. Anfangs erkannte mich die Armee nicht als einsamen Soldaten an, weil die Umstände für Israelis so unterschiedlich sind. Aber die Stiftung half mir, ermöglichte mir mein neues Leben anzufangen. Für mich war das eine natürliche Entscheidung, trotz all der Probleme.“

Ram: „Mein Bruder kam vor mir nach Israel. Ich wollte immer immigrieren und in der Armee dienen und meine Familie ahnte das. Obwohl Sibirien weit weg ist, hatte ich das Gefühl, dass das die Armee ist, in der ich dienen wollte. Ich ging auf ein Internat im Jesreel-Tal und zog danach in eine Wohnung für einsame Soldaten, was die Vorbereitung auf den Beginn meines Dienstes war.“

Rachel (Foto: Avishag Shaar-Yashuv)

Rachel: „Als ich alleine von New York ankam, um in der Armee zu dienen, sahen die Leute mich seltsam an. Genau derselbe Blick, den sie mir zuwarfen, als sie erkannten, dass ich im Krieg diene. Ich erinnere mich allerdings nicht daran, trotz aller Herausforderungen je in Erwägung gezogen zu habe nicht in der israelischen Armee zu dienen – besonders jetzt wo ich zu Besuchen nach Hause zurückkehre und sehe, wie die Leute mich wahrnehmen.“

Danny: „Ab dem Moment, als ich herkam um meinen Militärdienst zu beginnen, mochte ich den Begriff ‚einsamer Soldat‘ nicht. Er unterstellt, dass ich alleine bin, ohne jemanden, der mir hilft. Also sagte ich allen, dass ich ein ‚unabhängiger Soldat‘ bin. Heißt: Ja, der Definition nah bin ich praktisch den ganzen Tag allein, aber nicht wirklich. Ich bin ziemlich selbstständig, ich habe mich nie wirklich allein gefühlt.“

Hadar: „Bis ich 12 war, bin ich in einem Moschaw aufgewachsen. Als meine Eltern sich scheiden ließen, bin ich mit meinem Vater weggezogen und wohnte bei ihm, bis ich 17 war. In dem Alter verließ ich auch das Zuhause meines Vaters und dann war ich allein. Ich wanderte mit 18 kurz umher, dann ging ich zur Armee und mir wurde erlaubt in einem Soldatenhaus zu schlafen. Das rettete mein Leben. Als ich zur Stiftung kam, verstand ich, dass ich eine Familie habe, die meine Erfahrungen verstehen kann.“

Frage: Beschreibe in zwei Worten, wie es ist ein einsamer Soldat zu sein.

Hadar: „Wir werden alle als ‚einsame‘ Soldaten definiert – aber am Sabbat sind wir nie alleine.“

Danny. „Wenn ich sage, ich bin ein einsamer Soldat, besonders mit einem amerikanischen Akzent, dann laden mich die Leute sofort zum Sabbatessen ein.“

Ram: „Ich habe die Erfahrung noch nicht als einsamer Soldat gemacht, aber vor Armee-Vorprogramm z.B. gab es 40 von uns und jede Woche bestand jemand anderes darauf, dass ich mich ihnen zum Sabbatessen anschließe.“

Frage: Reden wir vom 7. Oktober. Wo wart ihr an diesem dunklen Morgen, als der Ansturm begann?

Jonathan: „Ich war am 7. Oktober bereits zum Reservedienst einberufen worden. Es wird viel über einsame Soldaten diskutiert, aber es gibt auch einsame Reservisten. Selbst während meines regulären Dienstes verstand ich die Herausforderungen innerhalb der Armee, aber auch gegenüber der Familie und seit dem Krieg kämpfe ich alleine mit der israelischen Bürokratie, die nun wahrlich nicht damit rechnete mit so vielen einsamen Reservisten zu tun zu haben.“

Danny (Foto: Avishag Shaar-Yashuv)>

Danny: „Ja, uns fehlt ein echter offizieller Status. Sie beriefen mich mit notfallartig ein, ich flog aus New York her, kam an und wurde sofort in den Kampf geworfen. Wenn ich aber Heimaturlaub habe – wo ist unsere eigentliche Heimat? Es ist nicht so, als hätten wir hier Familie.“

Rachel: „Ich sollte mitten im Krieg im Januar entlassen werden, aber ich hatte als Berufssoldatin angemustert und soll jetzt im Mai entlassen werden. Gerade bin ich aus einem Sonderurlaub zurück und die Leute in den USA erkundigten sich, ob die Lage wirklich so ist, wie sie in den sozialen Medien dargestellt wird; sie fragen, ob unser Handeln gegenüber den Palästinensern sorgfältig ist. Plötzlich war es sehr seltsam mein Leben neben ihrem zu sehen. Sie können die Erfahrung nicht begreifen im Gazastreifen zu sein und ihn dann zu verlassen, noch nicht einmal die Leute, die mir am nächsten stehen.“

Frage: Auf dem Schlachtfeld gibt es keine Unterschiede, aber wenn ihr den Gazastreifen verlasst oder nach Hause kommt, da spürt man ihn wirklich.

Ram: „Ich hatte die Erfahrung in der Armee noch nicht, aber für mich hat dieser Krieg mein Gefühl der Zielsetzung deutlich gemacht. Wenn ich auf Freunde treffe, die im Armee-Vorprogramm mit mir zusammen waren oder im Gazastreifen und zurückkehren, dann spreche ich mit ihnen und erkenne, dass herzukommen und in die Armee einzurücken natürlich die richtige Entscheidung war. Glaubt ihr, ich hätte mich genauso gefühlt, wenn ich in die russische Armee gegangen wäre? Absolut nicht.“

Danny: „Wir sind tief mit dem verbunden, was wir auf geistiger Ebene tun, aber unser Kampf ist anders und die Probleme sind anders. Wenn du aus dem Gazastreifen kommst, wirst du mit den Herausforderungen der israelischen Bürokratie konfrontiert.“

Hadar: „Jede Schwierigkeit, der ich begegne – die akzeptiere ich mit Liebe, ob das in meinem persönlichen Leben ist oder in der Armee. Es war allerdings verständlicherweise viel schwieriger, als ich in der Kaserne war, weil das auch mit sich bringt längere Zeit an einem Ort zu sein. Darüber hinaus war ich auf einer geschlossenen Basis. Als einsamer Soldat verstehst du, dass jedes Problem zwangsläufig ein weiteres herbeiführt.“

Jonathan: „Die Leute, die mich als normalen Soldaten trafen oder die mich jetzt in der Reserve treffen, begreifen immer noch nicht, was es heißt ein einsamer Soldat zu sein. Sie verstehen nicht, warum ich nicht bei meiner Familie bin. Das ist für alle einsamen Soldaten ein Dilemma, die aus hareidischen Familien kommen. Unser Ringen ist in allen Bereichen des Lebens im Land einzigartig, nicht nur in der Armee, sondern auch finanziell. Letztlich fehlt uns wie jedem einsamen Soldaten, der aus dem Gazastreifen zurückkommt, eine Familie, zu der wir zurückkehren; einzig Einzelne wie wir bilden unsere Familie oder die Stiftung für einsame Soldaten, die sich um unsere Bedürfnisse kümmert.“

Hadar (Foto: Avishag Shaar-Yashuv)

„Das Leben hier hat einen Sinn“

Die jungen Leute wollen sich nicht beschweren, nicht einmal zeitweilig. Ihr Ton war nicht klagend, sondern voller Stolz – ein Stolz, der wieder daran erinnert, wie falsch wir bei dieser Generation lagen, die wir voreilig als „TikTok-Kids“ bezeichneten, die allem gegenüber gleichgültig sind.

Es gibt hier keinen Individualismus – sondern in erster Linie den Wunsch nach geteiltem Schicksal und dem Sinn, der die Entscheidung zum Dienst als einsamer Soldat mit sich bringt. Derweil ist es der israelischen Bürokratie, vielleicht wegen ihrer Jugend, noch nicht gelungen sie zu brechen.

Frage: Ich spüre, dass ihr, obwohl die staatlichen Behörden wie üblich euren Beitrag zu ihrem Volk nicht wirklich würdigen, das noch nicht einen einzigen Moment bedauert habt.

Danny: „Es ist eine herausfordernde und ermüdende Erfahrung. Als wir unseren Dienst abgeschlossen haben, nahmen alle meine Freunde den ersten Flug raus aus Israel, weil sie sagten: ‚Wer wird sich jetzt um uns kümmern, wie werden wir klarkommen?‘ Ich beschloss zu bleiben und zu kämpfen und ich glaube insgesamt bedauern sie ihre Entscheidung. Das Leben hier hat Sinn und wenn du die hier bestehenden Schwierigkeiten bewältigst, dann verstehst du auf einmal, dass all die anderen Herausforderungen des Lebens bewältigen kannst. Das ist eine Erfahrung, die dich reifer macht und auf das Leben vorbereitet.“

Hadar: „Als einsamer Soldat hat du nichts zu verlieren. Dieses Gefühl hatte ich schon während der COVID-19-Pandemie – die aus meiner Sicht einem Krieg ähnelte, weil ich viele Stunden lang alleine in der Kaserne eingesperrt war und nirgendwo hin konnte – und jetzt ist es noch akuter. Letztlich hat mich der Militärdienst im Leben nur weitergebracht.“

Jonathan: „In vieler Hinsicht zahlen einsame Soldaten den Preis der Gesellschaft, in der sie leben, noch bevor sie überhaupt Soldaten wurden. Und wenn du ein israelischer einsamer Soldat bist, bedeutet das in der Regel, dass du aus irgendeiner Art von Bedrängnis oder Schwierigkeit kommst, noch vor der Armee. Besonders, wenn du aus einer hareidischen Familie kommst oder einen wirtschaftlich benachteiligten Hintergrund hat. Und dann gibt es die Schwierigkeiten in der Armee und die dortige Realität und nach der Armee kehrst du in deine herausfordernde Wirklichkeit zurück, ein verwandelter Einzelner und beginnst eigentlich ein neues Leben israelischen Kontext.“

Frage: Zum Abschluss – welche einen Tipp würdest du zukünftigen einsamen – männlichen wie weiblichen – Soldaten geben wollen, die diesen Artikel lesen?

Ram (Foto: Avishag Shaar-Yashuv)

Ram: „Sie mutig und bitte um Hilfe. Es gibt viele Einzelne, die dir gerne helfen. Die Leute werden dir wirklich auf halbem Weg entgegenkommen und für dich da sein. Selbst wenn es so scheint, als seist du allein – das ist nie wirklich so.“

Danny: „Sei nie schüchtern. Sag dir selbst: ‚Ich werde nicht um Hilfe bitten‘, weil das etwas Unwichtiges ist, aber am Ende kann diese kleine Sache dein Leben ändern.“

Jonathan: „Die Grundlage, von der wir ein Teil sind, ist eine enorme Hilfe. Scheue dich nicht zu kommen und Hilfe von dieser Organisation zu erbitten. Das ultimative Ziel ist natürlich zu lernen auf eigenen Füßen zu stehen und mit den Problemen unabhängig fertig zu werden – aber auch zu wissen, dass du hier eine Ressource z.B. zu Rechten hast, derer du dir nicht bewusst bist.“

Rachel: „Wenn ich z.B. in der Wohnung der Stiftung in Jerusalem ankomme und wir alle einsame Soldaten sind – dann werde ich daran erinnert, dass es Leute gibt, die mich verstehen und meine Sprach sprechen, weil sie Dinge erlebt haben, die ich auch erlebt habe.“

Eine Spur hinterlassen

Hadar: „Wir müssen immer die positiven Aspekte erkennen, die mit dem Dienst in der IDF und den damit verbundenen Organisationen und Stiftungen einhergehen. Das Leben als einsamer Soldat ist von Natur aus schwierig und die Herausforderungen werden auf jeden Fall kommen. Wenn wir aber Hilfe bei der Armee, der Stiftung oder Freunden suchen, dann werden wir nicht nur das Gefühl haben, dass wir Hilfe erhalten, sondern auch, dass wir eine Familie haben, die uns durch unser Leben begleitet.

Und wir müssen uns immer daran erinnern, das ist sehr wichtig, dass Freunde, die einsame Soldaten sind, Freunde fürs Leben und die gesamte Reise sind. Es überrascht nicht zu hören, dass einsame Soldaten – männliche wie weibliche – heiraten und zusammen Familien gründen. Am Ende des Tages ist das unsere Gemeinschaft.“

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..