Wie der Antisemitismus sich seit der Schoah verändert hat

ManfredGerstenfeldManfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Der Yom HaSchoah (Holocaust-Gedenktag) ist eine passende Gelegenheit sich einen Überblick über die vielen Arten zu verschaffen, auf die sich der Antisemitismus seit dem Holocaust verändert hat. Die aktuellen Formen des Antisemitismus zu identifizieren ist um so wichtiger, als sie den extremen Judenhass in einem Großteil Europas fortführen, das die Infrastruktur für den Völkermord an sechs Millionen Juden bereitstellte.

Eine solche Analyse ist etwas Komplexes. Die Grundmotive des Antisemitismus sind fast zwei Jahrtausende unverändert geblieben, aber ihre Erscheinungsformen haben mutiert und tun das weiter. Die ungeheuerliche Vorstellung, dass die Juden das absolut Böse sind, wurde von Christen vor vielen Jahrhunderten eingeleitet und beherrscht einige Kreise bis heute. Diese Dämonisierung wird mit der falschen, allen Juden der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugeschriebenen Verantwortung für den Tod Jesu begründet.

Der Nationalsozialismus, die extremste Bewegung des ethnisch-nationalen Rassismus, verwandelte dieses Kernmotiv der Juden als dem absolut Bösen in eine pseudowissenschaftliche Klassifizierung der Juden als Untermenschen. Derzeit ist das Motiv des absolut Bösen dem Nationalsozialismus zugeordnet. Das ist in Vorstellungen von Israel als Nazistaat mutiert. Umfragen haben gezeigt, dass Überzeugungen wie „Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“ von mindestens 40% der Bevölkerung Europas getragen werden.[1]

Ähnliche Mutationen haben in Bezug auf wichtige Untermotive stattgefunden. Aus „jüdischen Verschwörungen“ sind „zionistische Verschwörungen“ geworden.[2] Der Ritualmord-Vorwurf, eine erfundene, mittelalterliche Verleumdung, die die Juden beschuldigt das Blut christlicher Kinder zum Backen von Matzen zu verwenden, ist im Kontext des Antiisraelismus ebenfalls mutiert. Vor einigen Jahren veröffentlichte die größte schwedische Zeitung, Aftonbladet, einen Artikel, in dem es hieß, dass Israelis Palästinenser töten, um ihnen ihre Organe für Juden zu entnehmen.[3]

Neben Mutationen uralter Hassmotive hat es eine beträchtliche Zahl weiterer Innovationen im Post-Holocaust-Antisemitismus gegeben. Am offensichtlichsten ist das Aufkommen von Holocaust-Leugnung. Dessen zugrundeliegendes Konzept ist einfach: Die bösen überlebenden Juden erfanden einen Völkermord an 6 Millionen ihrer Glaubensgeschwister durch die Deutschen und ihre Verbündeten. Damit nahmen sie die falsche Position der absoluten Opfer ein und beschuldigten verlogenerweise viele Europäer eines nicht existenten Massenmordes.

Abgesehen von Holocaust verursachte eine Reihe weiterer Faktoren Veränderungen, die den Nachkriegsantisemitismus enorm beeinflussten. Einer davon war die Gründung des Staates Israel, der es Antisemiten erlaubte ihren Hass auf den jüdischen Staat zu lenken, statt auf die überlebenden Juden. Die erwähnte Etikettierung Israels als Nazistaat ist dafür das deutlichste Beispiel.

Die innovativen Elemente des Antisemitismus zu analysieren wird durch mindestens drei weitere Faktoren erschwert, die in zeitgenössischen Erscheinungsformen des Phänomens Schlüsselrollen spielen. Diese sind das Aufkommen einer Nachkriegs-Opferkultur, die starke Zunahme des Postmodernismus und die Erfindung des Internets in Verbindung mit der Entwicklung der sozialen Medien.

Die Opferkultur ist am einfachsten zu analysieren. Sie entwickelte sich als Ergebnis des Holocaust und konzentrierte sich ursprünglich auf die Juden. Aus dem größten Teil des britischen Mandats Palästina war bereits ein Palästinenserstaat gemacht worden, der heute Jordanien heißt. Während die Juden die Teilung des Restes zwischen sich und den heute Palästinenser genannten Menschen akzeptierten, machten die Araber das nicht.

Trotzdem haben Antisemiten seitdem versucht aus den palästinensischen Arabern absolute Opfer zu machen, ungeachtet der Tatsache, dass die Mehrheit der Palästinenserpartei Hamas gewählt haben, vom Wesen her eine Bewegung aus Islamo-Nazis; in ihrer Charta wird offen für den Völkermord an den Juden geworben.[4] Als Teil dieses Prozesses ist Jesus, im Christentum als derjenige verehrt, der für die Menschheit starb, für einige Christen rückwirkend zum Palästinenser geworden. Sie vergleichen die Palästinenser mit Jesus am Kreuz, obwohl seine Lehren weit davon entfernt waren Völkermord zu unterstützen.

Der Postmodernismus ist schwieriger zu analysieren. Eines seiner Kennzeichen ist die Aufsplitterung von Sachverhalten. Das gilt auch für den Antisemitismus. Die Zahl antisemitischer Untermotive hat sich enorm vervielfältigt. Es gibt keine großen, identifizierbaren Aufwiegler wie die katholische Kirche beim religiösen Antisemitismus oder Nazideutschland beim ethnischen Antisemitismus.

Tatsächlich sind die Täterkategorien ebenfalls aufgesplittert. Man findet regelmäßig prominente Befürworter und Täter des Antisemitismus, die unter dem Mantel des Antiisraelismus agieren. Sie fallen besonders bei muslimischen Staaten, Muslimen in der westlichen Welt, Mainstream- und anderen Politikern, Medien, Akademikern, Gewerkschaften, NGOs, Rechtsextremen, für Lawfare eintretenden Juristen, den Vereinten Nationen mit ihrer extremen Einseitigkeit, selbsthassenden israelischen und jüdischen Einzelpersonen im Internet usw. auf.

Während das Christentum Antisemitismus in erster Linie durch Predigt und Lehre beförderte, haben sich heute auch die Verfahren seiner Vermittlung verändert. Medien stacheln mit Editorials und einseitiger Berichterstattung zu Antisemitismus auf; sie können zudem zur Ausstrahlung von Hass genutzt werden, indem man Hass verbreitende Op-Eds veröffentlicht. Die UNO hetzt mit Äußerungen ihres Generalsekretärs Ban Ki-moon gegen Israel und vermittelt Hass durch ihre Unterstützung von durch arabische Staaten initiierte, antiisraelische Anträge.[5]

Das Internet ist zu einer riesigen Plattform für die Vermittlung von Hass geworden. Es spiegelt allerdings auch eine weitere Veränderung des Antisemitismus mit der gewaltigen Beschleunigung der Verbreitung von Hassbotschaften. Im Mittelalter wanderten Dominikanermönche von Stadt zu Stadt und stifteten stetig und durchgängig zu Hass auf Juden an.[6] Das Internet kann Hassbotschaften innerhalb von Stunden oder Tagen an jeden Ort der Welt übermitteln und vervielfältigen.

Diese Veränderungen haben zwar den Wesenskern des Antisemitismus nicht geändert, aber sie sind so groß, dass die klassischen Methoden der Antisemitismusstudien zu unzureichenden Mitteln für das Verständnis des zeitgenössischen Hasskomplexes geworden sind. Aufeinander folgende israelische Regierungen haben es versäumt das Studium des Antiisraelismus zu stimulieren. Israel zahlt dafür einen hohen Preis, da es unerlässlich ist die Struktur der Bedrohungen des Landes in allen Details in Erfahrung zu bringen, um sie bekämpfen zu können. Tatsächlich hat die Inkompetenz der Regierungen in diesem Bereich eine wichtige Rolle dabei gespielt den aktuellen verbalen Ansturm gegen das Land möglich zu machen.

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[1] library.fes.de/pdf-files/do/07908-20110311.pdf

[2] S. zum Beispiel: http://www.timesofisrael.com/senior-dutch-govt-employee-isis-a-zionist-conspiracy/

[3] Donald Boström: Våra söner plundras på sina organ. Aftonbladet, 17. August 2009 (schwedisch). S. auch Mikael Tossavainen: The Aftonbladet Organ-Trafficking Accusations against Israel: A Case Study. Post-Holocaust and Anti-Semitism, Nr. 95, 1. März 2010.

[4] http://avalon.law.yale.edu/20th_century/hamas.asp

[5] http://www.jpost.com/Opinion/How-Ban-Ki-moon-undermines-the-UNs-universal-values-416628

[6] http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/judaica/ejud_0002_0005_0_05318.html

2 Gedanken zu “Wie der Antisemitismus sich seit der Schoah verändert hat

  1. Das sehe ich vollkommen anderst.
    Meiner Ansicht nach gibt es 4 Arten von Antisemitismus (derzeit).
    Den Antisemitismus von Rechts, von Links, von extremistischen Muslimen und den gedankenlosen Antisemitismus.
    – Rechter Antisemitismus: Scheint nachzulassen, da der Islam, gefolgt von den Linken zum Hauptfeind der Nazis wurde. Da die Juden ebenfalls Probleme mit dem Islam und den Linken haben (siehe unten) könnte es durchaus sein, dass die Nazis die Juden teilweise sogar als Verbündete ansehen.
    – Linker Antisemitismus: Entwickelt sich vor allem aus der Israelischen Gewalt gegen die wehrlosen Palästinenser. Das resultiert vor allem durch mangelhafte Informationen über die tatsächlichen Gegebenheiten.
    – Islamischer Antisemitismus: Israel sitzt nun mal mitten in der muslimischen Welt und daher hat Israel die meisten Konfrontationspunkte mit den Muslimen.
    Aber die Israel isst nicht alleine. Die Muslimen sind auch gegen Christen und gegen andere Muslime.
    – Gedankenloser Antisemitismus: Aus dem Alltag heraus. Irgendwelche aggressive Bürchschen, die für ihre Aggressionen einen Grund benötigen. Irgendeinen Spruch der Rechten oder Linken findet sich da immer. Ist aber völlig unpolitisch oder unreligiös. Diese Form der Aggression kann jeden treffen.

    Ich denke, dass es deutlich mehr Informationen über Israel geben sollte. Denn das würde den Linken die Argumente nehmen.
    Dieser Blog ist dazu eigentlich ideal, aber er erreicht viel zu wenige Leute.
    Der Zentralrat der Juden müsste dafür eigentlich sorgen, aber deren Arbeit beschränkt sich darauf die „bösen Buben“ als Antisemit und Nazi zu beschimpfen. Und das ist natürlich eher kontraproduktiv.

  2. Meiner Meinung nach der Antisemitismus in Deutschland seit Einzug der Flüchtlinge wieder größer geworden. Es gab ihn schon vorher aber nicht in der Zahl. Kleine rechte Gruppen, und mittelgroße linke Gruppen waren schon vorher antisemitisch eingestellt. Wirklich „offen“ wurde er aber wieder durch die Demos von Palästinensern in den großen deutschen Städten der dadurch auch viel aggressiver wurde. Dazu kommen, Falschinformationen über Israel in der deutschen Presselandschaft die diesen Zustand noch verschlimmern. Für mich ist der Beweis gegeben, als sich Deutschland von der „offiziellen“ Seite her, langsam von Israel entfernten um es den einwandernden Moslems „leichter“ zu machen. Ich habe mich nach diesen „Moslemkrawallen“ in den deutschen Großstädten, von Deutschland distanziert und es offiziell per Mail der israelischen Botschaft mitgeteilt. Ich habe mich wirklich geschämt für Deutschland.

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