Die jemenitischen Juden, die 1881 im Heiligen Land ankamen

Kurz vor dem, was als „Die erste Aliyah“ bekannt ist, kam eine Gruppe Juden aus dem Jemen im Land Israel an. Mehrere Dutzend jemenitische Familien hatten sich auf eine lange und beschwerliche Reise begeben, um sich in Jerusalem niederzulassen. Einmal dort angekommen begegneten ihnen Feindseligkeit, Arroganz und Entbehrung seitens ihrer Mitjuden. Wohin wandten sie sich und wer kam ihnen zu Hilfe?

Amit Naor, the Librarians, 27. März 2022

Häuser im Dorf Siloah. Sammlung Haim Berger, aus der Sammlung Bitmuna, Nationalbibliothek Israels.

Wann begann die „erste Aliyah“ – die erste große Welle zionistischer Immigration ins Land Israel? Wenn Sie mit Erzählungen von den Pogromen in Russland 1881 und den Pionieren der Bilu-Bewegung antworten, dann könnten Sie falsch liegen. Es gab verschiedene Gründe, die Historiker dazu brachten diese Welle Immigranten aus Europa „Die Erste Aliyah“ zu nennen, obwohl davor Juden de facto in einem Rinnsal aus verschiedenen Teilen des Globus immigrierten. Mehrere Monate, bevor die osteuropäischen Juden im Hafen von Jaffa ankamen, um die lokale jüdische Gemeinschaft zu erweitern und wiederzubeleben, war eine andere Gruppe Juden angekommen, allerdings mit weit weniger historischem Tamtam. Dabei handelte es sich um jemenitische Juden, die meisten von ihnen aus der Stadt Sana’a, die sich kurz nach dem Fest Schawuot im Mai 1881 auf eine beschwerliche Reise ins Land Israel begeben hatten.

Was brachte sie zu diesem Schritt? Die Gründe sind nicht ganz klar, aber offenbar war ein Faktor, der dazu beitrug, dass der osmanische Statthalter im Jemen eine Immigrationsgenehmigung gegeben hatte. Die ersten kamen im August 1881. In den folgenden Monaten und das Jahr 1882 hindurch kamen weitere Immigranten aus dem Jemen, insgesamt rund 200 Personen. Im Vergleich dazu zählten die Bilu-Pioniere, die ein paar Monate später kamen, nur wenige Dutzend. Der dieser Welle jemenitischer Immigranten gegebenen Name, E’eleh BeTamar, bedeutet „Ich will die Palme ersteigen.“ Er ist einem Vers des Hohelied entnommen (Hohelied 7,9) und entstammt zudem einem Anagramm des hebräischen Jahrs 5642 – תרמ”ב (das entspricht 1881/82 und wird in Hebräisch tarmab ausgesprochen).

Zwei jemenitische Immigranten, ein Mann und ein Kind, im Dorf Siloah. Zur Verfügung gestellt vom Anwesen Zeev Alksandrowicz, The Prikter Family National Photogrpahy Collection in der Nationalbibliothek Israels.

Die damalige jüdische Gemeinschaft im Land Israel, der Jischuw, bestand aus Neuankömmlingen sowie aus langjährigen Einwohnern, die seit Generationen dort gewesen waren. Eingewanderte Neuankömmlinge hatten gerade die Landwirtschaftsgemeinschaft Petah Tikva gegründet, eine weitere in Rosch Pina war kurz zuvor verlassen worden, um im folgenden Jahr wiedergegründet zu werden und in der Landwirtschaftsschule in Mikwe Israel waren Studien im Gang. Aber die Mehrheit der Juden im Land Israel wohnten in den vier heiligen Städten: Jerusalem, Hebron, Tiberias und Safed. Diese Menschen waren kollektiv als der „alte Jischuw“ bekannt.

Die Neueinwanderer aus dem Jemen hatten nur ein einziges Ziel im Visier – Zion, Jerusalem. Ihre Reise war lang und schwierig gewesen, wobei es unterwegs nur wenige freundliche und einladende Gesichter gab. Sie mussten raues Gelände passieren, reisten über Ägypten und Indien, bis sie schließlich das Heilige Land erreichten. Selbst diejenigen, die den Jemen mit Geldmitteln verließen, kamen im Land Israel mit leeren Taschen an.

Zwei jemenitische Immigranten im Dorf Siloah. Zur Verfügung gestellt vom Anwesen Zeev Alksandrowicz, The Prikter Family National Photogrpahy Collection in der Nationalbibliothek Israels.

Einmal im Land Israel angekommen, machten sie sich auf nach Jerusalem. Aber als sie die Stadt erreichten, wurde diesen Juden aus einem fernen Land, gekleidet in ihre einzigartige Kluft oder was davon übrig war, mit Feindseligkeit begegnet. Die jemenitischen Juden sahen nicht nur sehr anders als die sepharidischen und aschkenasischen Juden, die bereits dort lebten, sie folgten auch anderen Traditionen, was es ihnen schwer machte sich in die jüdische Bevölkerung zu integrieren. Darüber hinaus stellten einige der lokalen Juden sogar das Judentum der neu Zugewanderten infrage. Das hatte einige Ironie, bedenkt man, dass Juden schon lange im Jemen lebten, bevor Europas sephardische und aschkenasische Gemeinden überhaupt entstanden.

Verdacht und der Zweifel hatten auch praktische Auswirkungen. Der Alte Jischuw in Jerusalem war über Gemeinde-Netzwerke, kollels genannt, organisiert, die finanzielle Unterstützung für die jüdischen Einwohner der Stadt ermöglichten. Die Inkompatibilität mit den bekannten ethnischen Mustern veranlasste die Administratoren der Gemeinschaften es abzulehnen sie in den bestehenden kollels zu akzeptieren und als Ergebnis erhielten sie keinen Anteil an den Almosengeldern, die die Juden der Stadt während dieser Zeit unterstützten. Praktisch ausgedrückt bedeutete das auch, dass den jüngsten jüdischen Ankömmlingen aus dem Jemen verboten wurde sich innerhalb der Mauern der Altstadt niederzulassen.

Mittellos und als Ausländer angesehen, hatten die jemenitischen Juden kein andere Wahl als sich anderswo nach Unterkunft umzusehen. Dennoch gaben sie ihren Traum sich in Jerusalem niederzulassen nicht auf. Als ersten Schritt bauten sie einfache Hütten vor den Mauern der Altstadt und schliefen im Freien, unter freiem Himmel. Einige jemenitische Immigranten schliefen sogar in Höhlen, Scheunen und anderen behelfsmäßigen Unterständen im Umfeld der ummauerten Stadt.

Häuser im Dorf Siloah Ende des 19. Jahrhunderts. Foto: Nadav Mann, Bitmuna. Aus der Sammlung Degani, the Priztker Family National Photography Collection, Nationalbibliothek Israels
Das Dorf Siloah Ende des 19. Jahrhunderts. Foto: Nadav Mann, Bitmuna. Aus der Sammlung Degani, the Priztker Family National Photography Collection, Nationalbibliothek Israels

Die Immigranten wollten nicht auf Almosen warten oder auf jemanden, der sie rettet. Die jungen Leute unter ihnen suchten sofort Arbeit bei den arabischen Bauunternehmern der Stadt. Sie scheuten sich auch nicht sich dabei die Hände schmutzig zu machen, wie dem Mischen von Mörtel, Gepäckträgerdiensten, schwere Steine für Gebäude zu schleppen oder dem Pflastern von Straßen. Die älteren Immigranten betrieben Handwerksarbeiten wie Zimmerei oder der Reparatur von Tonwaren. Allerdings reichten diese Jobs nicht aus, um die gesamte Gemeinde zu versorgen und die Unterkunftsfrage musste immer noch gelöst werden.

Die jemenitischen Immigranten setzten auch ihre Versuche fort sich einem der kollels in der Stadt anzuschließen, um das verteilte Almosengeld zu erhalten, das ihnen zustand. Überraschender weise gab es Zeiten, in denen die Gruppe Teil des aschkenasischen kollels war. Schließlich schlossen sie sich aber dem sephardischen kollel an, dessen Mitglieder Hebräisch sprachen und Arabisch mit einer Aussprache nutzten, die es für die jemenitischen Juden einfacher machte zu kommunizieren, da sich gegenüber aschkenasischen Juden einen erheblich andere Aussprache hatten. Jahre später gründeten die jemenitischen Juden ihre eigene, unabhängige Gemeinschaft, zum Teil wegen der herablassenden Haltung ihrer Mitjuden, die ihnen keinen fairen Anteil an den Spendengeldern aus dem Ausland zuteilten.

Jemenitische Jungen spielen auf der Straße des Dorfs Siloah. Zur Verfügung gestellt vom Anwesen Zeev Alksandrowicz, The Prikter Family National Photogrpahy Collection in der Nationalbibliothek Israels.

Da ihnen die Unterkunft in der eigentlichen Stadt verwehrt wurde, hofften die jemenitischen Juden sich so nahe wie möglich daran niederzulassen. Ihre Rettung kam von einer unerwarteten Quelle. Israel Dov Frumkin, der Herausgeber der Zeitung Havatzelet, setzte sich leidenschaftlich für die Immigranten aus dem Jemen ein. Er schrieb in seiner Zeitung über ihre jämmerliche Lage und kontaktierte den Philanthropen Boaz Ben Yonatan Mizrahi, der schließlich den Immigranten aus dem Jemen die Hälfte des ihm gehörenden Landes an den Hängen des Ölbergs, nahe des Kidron-Bachs stiftete. Die neuen Pächter nannten es das Dorf Siloah, nach dem berühmten Siloah-Teich (oder Siloam), der von der Gihon-Quelle gespeist wurde.

Die Nähe zur Altstadt und dem Tempelberg – nur eine Viertelstunde zu Fuß entfernt – sowie die nahe gelegenen Wasserquellen und offenes Ackerland, trugen zur Entscheidung der jemenitischen Juden bei sich dort niederzulassen. Aber sie waren nicht allein. Das Dorf Silwan, dessen meiste Einwohner Araber sind, besteht bis heute. Ortsansässige sagten aus, dass die nachbarschaftlichen Beziehungen anfangs sehr gut waren und die jüdischen und arabischen Einwohner sich gegenseitig zu den Festen der anderen besuchten. Laut dieser Aussagen lernten die Araber sogar jemenitische Hochzeitslieder zu singen.

Ein jemenitischer Immigrantenjunge mit einem Lamm im Dorf Siloah. Zur Verfügung gestellt vom Anwesen Zeev Alksandrowicz, The Prikter Family National Photogrpahy Collection in der Nationalbibliothek Israels.

Die Siedlung wuchs langsam, hatte auf ihrem Höhepunkt 150 Familien. Die Erweiterung stoppte, als der sich intensivierende jüdisch-arabische Konflikt der anderen Teile des Landes das Dorf erreichte. Während der arabischen Krawalle von 1929 wurde es für die jüdischen Einwohner gefährlich die Straßen nach Siloah zu nutzen, es gab in der Gegend mehrere gewalttätige Vorfälle. Mit zunehmenden Spannungen intervenierte der Mukhtar des Dorfes, Haddsch Mohammed Ruslan, zugunsten der jüdischen Einwohner und trat den gewalttätigen Aufrührern entgegen. Um die Lage nicht zu eskalieren, lehnten die jüdischen Einwohner sogar das Angebot der Haganah ab Kämpfer zu ihrem Schutz zu schicken. Letztlich konnte der Mukhtar die Aufrührer nicht abwehren. Die Juden von Siloah ließen ihre Habe bei ihren arabischen Nachbarn zurück und zogen vorübergehend in die Altstadt, wo sie wie Flüchtlinge lebten. Nachdem die Ruhe wieder hergestellt war, kehrten die Juden ins Dorf zurück und die Geschichte des Mukhtar, der ihnen zu Hilfe kam, grub sich in ihre Erinnerung ein.

Trotzdem konnten die nachbarschafltichen Beziehungen die Intensivierung des Konflikts nicht überleben. Der Große Arabische Aufstand von 1936 bis 1939 beendete schließlich die jüdische Siedlung in Siloah. Der arabische Boykott jüdischer Produkte und die Schließung des Dungtors durch die Behörden schnitten das Dorf von der Stadt ab – ein wirtschaftlich vernichtender Schlag. Es gab auch zunehmende Schikane durch arabische Banden, die aus Hebron und Nablus kamen, dazu Plünderungen und sogar Mordfälle. Langsam zogen mehr und mehr Familien weg, bis im August 1938, genau 57 Jahre, nachdem die ersten Immigranten aus Sana’a im Jemen in Jerusalem ankamen, der letzten der jüdischen Einwohner Siloahs evakuiert wurden.