Als Tintin* in Haifa von der Irgun entführt wurde

Warum wurde das Mandat Palästina im 15. Band der Comicserie „Tim und Struppi“ in das erdachte „Emirat Khemed“ im „Land des Schwarzen Goldes“ verändert?

Chen Malul, the Librarians, 13. Juni 2022

„Einwohner des Landes Israel, seit auf der Hut: Ein belgischer Bürger mit der Neigung zu Ärger ist in Haifa als Araber verkleidet gesehen worden. Die Person nennt sich ‚Tintin‘. Man weiß von ihm, dass er herumschnüffelt, wo er nichts zu suchen hat und viel zu viele Fragen stellt. Jeder mit Informationen zu seinem Verbleib wird aufgefordert die Polizei zu informieren.“

Das Obige war keine öffentliche Sicherheitsmeldung, die von der israelischen Polizei oder dem Shin Bet ausgegeben wurde, sondern es war eine fiktive Szene, die sich in der weltberühmten und geliebten Comicbuch-Serie Die Abenteuer von Tim und Struppi spielte. Diese Geschichte in der Tintin-Reihe, Land des schwarzen Goldes, wurde zuerst in Serienform von September 1939 bis Mai 1940 veröffentlicht.

Englische Übersetzung von Die Abentuer von Tim und Struppe: Land des schwarzen Goldes

Die Geschichte dreht sich um ein geheimes Komplott zur Sabotage von Ölreserven im Nahen Osten. In die Zeit passend wird die Identität des Bösewichts als niemand anderem als dem bösartigen deutschen Arzt Dr. Müller offenbart. Als Teil von Tims Ermittlung begibt sich unser Held ins britische Mandat Palästina, wo er als lokaler Araber bekleidet durch die Straßen von Haifa streift. Er wird von der jüdischen Untergrundorganisation Irgun entführt, die sowohl die Araber als auch die Briten bekämpft.

Hergé, Tims Schöpfer, malte die ersten Comics, als er einen Monat auf Urlaub von der belgischen Armee hatte. Er wurde ins Militär eingezogen, als Deutschland am 1. September 1939 in Polen einmarschierte, aber selbst als Soldat schickte er weiter seine Comic Strip-Folgen an Le Petit Vingtième, die Zeitung, die die illustrierten Abenteuer des jungen Reporters bereits seit einem Jahrzehnt publizierte. Nachdem er sich eine Nasennebenhöhlenentzündung zuzog, wurde Hergé an dem Tag aus seinem Militärdienst entlassen, als Deutschland in Belgien einmarschierte.

Natürlich wurde die Reihe unter den neuen Umständen der deutschen Besatzung und angesichts der deutschen Nationalität des Schufts nicht fortgesetzt und die Leser, die Tims Abenteuern als Erholung von dem um sie herum ausgebrochenen furchtbaren Kriegs folgten, mussten mehrere Jahre warten, um herauszufinden, wie der junge Mann es schaffte dem tödlichen Sandsturm überlebte, nachdem er den Fängen des üblen Doktors entging.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wollte Hergé sich zunächst von seiner beliebten Figur distanzieren, aber von seiner Frau und Freunden gedrängt kehrte er bald zum Zeichnen der Abenteuer des neugierigen Investigativreporters zurück. Der ursprüngliche Plan lautete Tim und seinen weißen Hund Struppi zum Mond zu schicken, was aber später geschah, doch zuerst nahm er das Abenteuer wieder auf, das er nicht beendet hatte, als die Nazis in sein Land einmarschierten.

Abdallah, Erbe des Emirats Khemed, sprüht Juckpulver auf Dr. Müllers Hemd. Die Abenteuer  von Tim und Struppi: Im Land des schwarzen Goldes

Der zweite Serienteil von Land des schwarzen Goldes wurde von 1948 bis 1950 veröffentlicht. Wicht ist jedoch, dass das nicht die Endversion war…

In en 1960-er und 1970-er Jahren wurde The Adventures of Tintin in Großbritannien eingeführt. Es ist nicht klar, was genau Tintins legendären Schöpfer veranlasste Land des schwarzen Goldes neu zu zeichnen, aber diesmal gab es eine überraschende Wendung. In der englischen Version des beliebten Comics wurde das Mandat Palästina zum erdachten „Emirat Khemed“. Die Geschichte von Tintins Entführung durch die Irgun infolge eines Identifizierungsfehlers – wie die Geschichte in der Originalversion verlief – wurde durch eine Erzählung ersetzt, die die Militärpolizei in Khemed involvierte.

Kein Zweifel, Tim – der zu den mutigsten aller gezeichneten Detektive gehört – hatte keine Bedenken sich in unseren lokalen Krieg der Narrative verwickeln zu lassen. Das war aber nicht der Grund für die Veränderung. Die Ersetzung des historischen Mandats Palästina durch ein erfundenes ölreiches Fürstentum wurde vermutlich vorgenommen, um die britische Leserschaft nicht vor den Kopf zu stoßen, die Tintins Schöpfer zu gewinnen hoffte.

Links: Tim im Mandat Palästina. Rechts: Dieselbe Szene im erfundenen Emirat Khemed.

Leider wurde Land des schwarzen Goldes weder in der Version, die im Land Israel spielt noch in der mit dem erfundenen Land Khemed jemals ins Hebräische übersetzt.

* Im Deutschen ist das Tim von Tim und Struppi