Wo sich die Medien bei Israel irren

Ehemaliger AP-Reporter: Die Nachrichten sagen uns weniger über Israel als über die Menschen, welche die Nachrichten schreiben

Matti Friedman, The Atlantic, 30. November 2014 (Übersetzung: Yvaine de Winter)

Im Gaza-Krieg diesen Sommer wurde deutlich, dass einer der wesentlichsten Aspekte im mediengesättigten Konflikt zwischen Juden und Arabern weitestgehend unbeachtet blieb: die Presse selbst. Die westliche Presse war kein Beobachter des Konflikts mehr, sondern schwang sich zu einem Akteur auf – eine Rolle mit Konsequenzen für die vielen Millionen Menschen, die die aktuellen Ereignisse verstehen wollten. Dies gilt auch für Politiker, die sich auf die Presseberichte verlassen, um eine Region zu verstehen, in der sie sich die ganze Zeit produktiv einmischen wollen und darin jedoch ständig versagen.

Ein Essay, den ich nach dem Krieg für das Portal „Tablet“ geschrieben habe, erregte großes Interesse. Er basiert auf meinen Erfahrungen als Reporter und Redakteur im Jerusalem-Büro der Associated Press, einer der weltgrößten Nachrichtenagenturen, von 2006 bis 2011. Ich erwähnte die Existenz eines Problems und beschrieb es grob. Mit Hilfe von Mitarbeiterzahlen illustrierte ich die unverhältnismäßig hohe Aufmerksamkeit der Medien auf diesen Konflikt im Vergleich mit anderen Konflikten und führte Beispiele für redaktionelle Entscheidungen an, die von ideologischen Erwägungen herzurühren schienen statt von journalistischen. Ich machte deutlich, dass dadurch eine allzu vereinfachte Story entstand – eine Art modernes Moral-Lehrstück, in welchem die Juden Israels mehr als jedes andere irdische Volk als Beispiel für moralisches Versagen vorgeführt werden. Dieses Denkmuster ist in der westlichen Zivilisation tief verwurzelt.

Doch wie genau manifestiert sich dieses Denkmuster in der alltäglichen Funktion (oder Nichtfunktion) der Presse? Um dies zu beantworten, möchte ich die Art und Weise darlegen, in welcher die westliche Presseberichterstattung durch einzigartige Umstände hier in Israel und durch medienbeeinflussende Schwachstellen jenseits der Grenzen dieses Konflikts geprägt ist. Hierbei erwähne ich auch eigene Erfahrungen sowie die von Kollegen. Diese Erfahrungen haben offensichtlich ihre Grenzen, sind aber trotzdem, wie ich glaube, repräsentativ.

Ein Aufmarsch zur Unterstützung des islamischen Dschihad an der Al-Quds-Universität in Ostjerusalem, November 2013 (mit Dank an Matti Friedman)

Ich beginne mit einer einfachen Illustration. Obiges Foto stammt von einem Studentenaufmarsch letzten November an der Al-Quds-Universität, einer etablierten palästinensischen Institution in Ostjerusalem. Er fand als Unterstützung der bewaffneten Fundamentalistengruppe Islamischer Dschihad statt. Einige mimten tote israelische Soldaten, und eine Reihe maskierter Männer zeigte einen steifarmigen Gruß, der von einigen der vielen hundert Studenten, die an dem Aufmarsch teilnahmen, erwidert wurde. An der Schule finden regelmäßig ähnliche Aufmärsche statt.

Ich zeige dieses Foto nicht, um Argumente dafür zu liefern, dass die Palästinenser Nazis sind. Palästinenser sind keine Nazis. Wie die Israelis sind sie Menschen, die mit einer schwierigen Gegenwart und Vergangenheit auf zuweilen hässliche Art und Weise umgehen. Ich zeige es aus einem anderen Grund.

Ein solches Ereignis wie das an der Al-Quds-Universität, die damals von einem bekannten moderaten Professor geleitet wurde und die Verbindungen zu Schwesterinstitutionen in Amerika hat, sagt etwas über den Geist, der heute in der palästinensischen Gesellschaft und der gesamten arabischen Welt vorherrscht. Der Aufmarsch ist interessant als visuelle Verbindung zwischen dem radikalen Islam hier und anderswo in der Region; ein Bild wie dieses könnte erklären helfen, warum viele völlig vernünftige Israelis sich davor fürchten, ihr Militär aus Ostjerusalem oder dem Westjordanland zurückzuziehen, selbst wenn sie die Besatzung ablehnen und mit ihren palästinensischen Nachbarn in Frieden leben möchten. Die Aufnahmen von dieser Demonstration waren, wie Bildredakteure gerne sagen, „stark“. Mit anderen Worten, der Aufmarsch besaß alle notwendigen Elemente einer guten Nachrichtenstory.

Der Aufmarsch fand nur eine kurze Autofahrt von den Unterkünften und Büros der vielen hundert internationalen Journalisten statt, die in Jerusalem arbeiten. Und die Journalisten wussten Bescheid: Einen Tag später verfügte beispielsweise das ziemlich große Jerusalem-Büro der Associated Press über Fotos von dem Aufmarsch einschließlich der oben gezeigten Aufnahme. (Die Fotos wurden von einem meiner Bekannten geschossen, der an jenem Tag auf dem Campus war und den ich selbst ins AP-Büro geschickt hatte.) Die Redakteure in Jerusalem entschieden, die Fotos und der Aufmarsch seien keine Nachricht wert, und die Demonstration wurde erst Wochen später von AP erwähnt, als das Bostoner AP-Büro berichtete, die Brandeis-Universität habe ihre Verbindungen mit Al-Quds wegen des Vorfalls abgebrochen. Am gleichen Tag, als AP den Aufmarsch zu ignorieren entschied (6. November 2013), veröffentlichte dasselbe Büro einen Bericht über eine Zusage des US-Außenministeriums, der Palästinenserbehörde etwas mehr Geld zukommen zu lassen; das war eine Nachricht wert. Das ist normal. Eine weitere Illustration: Der Bau von 100 Wohnungen in einer jüdischen Siedlung ist immer eine Nachricht wert; der Schmuggel von 100 Raketen nach Gaza durch die Hamas ist, mit wenigen Ausnahmen, absolut keine Nachricht wert.

Ich erwähne diese Fälle, um die Art von Entscheidung darzulegen, die regelmäßig in den Büros der Auslandspresse getroffen wird, wenn über Israel und die Palästinensergebiete berichtet wird, und auch um zu zeigen, dass die Informationspipeline nicht nur rostet und Leck schlägt, was in den Medien ganz normal ist, sondern absichtlich verstopft wird.

Für Probleme in der Berichterstattung gibt es banale Erklärungen – die Reporter sind gestresst, die Redakteure mit Arbeit überladen und abgelenkt. Dies ist durchaus der Fall, und es erklärt kleinere Fehler und Fehlgriffe wie z. B. schlecht durchdachte Schlagzeilen, weshalb mir solche Details für gewöhnlich unwichtig erscheinen oder keine große Analyse wert sind. Einige behaupten, Übertreibungen und Auslassungen seien das unvermeidliche Resultat einer aufrichtigen Bemühung um Berichterstattung in einer fordernden und zuweilen gefährlichen Umgebung, und das habe ich anfangs ebenfalls geglaubt. Aber nach einigen Jahren Berufserfahrung denke ich anders. Solche Ausflüchte können nicht erklären, warum dieselben Übertreibungen und Auslassungen immer und immer wieder auftreten, warum sich derart viele Medien dieser Übertreibungen und Auslassungen schuldig machen und warum die simple „Israel-Story“ der internationalen Medien den Menschen, welche den historischen und regionalen Kontext der Geschehnisse an diesem Ort kennen, so fremdartig vorkommt. Die Erklärung hierfür findet sich woanders.

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Um den größten Teil des internationalen Israel-Journalismus zu begreifen, ist es wichtig zu verstehen, dass die Meldungen uns weniger über Israel sagen als viel mehr über die Menschen, die die Nachrichten schreiben. Journalistische Entscheidungen werden von Menschen getroffen, die in einem bestimmten sozialen Milieu existieren, einem Milieu, das wie die meisten sozialen Gruppen eine bestimmte Gleichmäßigkeit in Einstellung, Verhalten und sogar Kleidung aufweist (wer sich dafür interessiert: die aktuelle Mode besteht nicht länger aus Westen mit unnötigen Taschen, sondern aus Hemden mit unnötigen Knöpfen). Diese Leute kennen sich untereinander, treffen sich regelmäßig, tauschen Informationen aus und behalten die Arbeit der anderen im Blick. Dies hilft erklären, warum ein Leser verschiedener Artikel eines bestimmten Tages von einem halben Dutzend der größten Nachrichtenagenturen in der Region trotzdem in etwa dieselbe Story erzählt bekommt, obwohl die Texte von völlig anderen Leuten geschrieben und aufbereitet wurden.

Der beste Hinweis auf eine der Schlüsselerscheinungen, die hier zum Tragen kommen, stammt von keinem Reporter vor Ort, sondern vom Journalisten und Autoren Philip Gourevitch. 2010 schrieb er, in Ruanda und anderswo in Afrika sei er der ethischen Grauzone von Verbindungen zwischen Reportern und NGOs begegnet. „Zu oft beschreibt die Presse Vertreter des Humanitätsgedankens mit unkritischer Bewunderung“, sagte er in The New Yorker. „Warum nicht danach trachten, dass sie ehrlich bleiben? Warum soll unsere Berichterstattung so klingen wie ihre eigene Selbstbeschreibung bei Spendenaufrufen? Warum sollen wir (wie es viele Fotojournalisten und Pressereporter tun) neben dem Journalismus auch für humanitäre Organisationen arbeiten und bei ihren offiziellen Berichten und institutionellen Appellen aushelfen, wobei wir gleichzeitig niemals in Betracht ziehen würden, dasselbe für Firmen, politische Parteien oder Regierungsbehörden zu tun?“

Diese Verwirrung ist im Falle von Israel und den Palästinensergebieten sehr präsent, wo ausländische Aktivisten ganz normal sind und wo internationale NGOs und zahlreiche Arme der Vereinten Nationen zu den mächtigsten Akteuren zählen, die Milliarden von Dollars handhaben und Tausende Mitarbeiter aus dem In– und Ausland beschäftigen. Ihre SUVs dominieren Teile Ostjerusalems, und ihre Aufwandskonten halten Ramallah am Leben. Sie verschaffen ihren Reportern gesellschaftliche Kontakte, Liebespartner und alternative Jobs – eine Tatsache, die angesichts des Zusammenbrechens vieler Zeitungen und dem minimalen Budget ihrer Internet-Nachfolger für Reporter heute wichtiger ist denn je.

Während meiner Zeit bei der Presse lernte ich, dass unsere Beziehung zu diesen Gruppen keine journalistische ist. Meine Kollegen und ich analysierten und kritisierten sie nicht. Vielen ausländischen Journalisten waren sie keine Ziele, sondern Quellen und Freunde – in gewisser Hinsicht waren sie Kollegen in einer informellen Allianz. Diese Allianz besteht aus Aktivisten und internationalen Mitarbeitern der Vereinten Nationen und der NGOs; das westliche diplomatische Korps, insbesondere in Ostjerusalem; und ausländische Reporter. (Es gibt auch eine lokale Komponente aus einer geringen Zahl israelischer Menschenrechtsaktivisten, die zum Großteil von europäischen Regierungen finanziert werden, und palästinensischen Mitarbeitern der Palästinenserbehörde, der NGOs und der UN.) Man trifft sich an Orten wie dem prächtigen orientalischen Hof des American-Colony-Hotels in Ostjerusalem oder auf Partys am Dachpool des britischen Konsulats. Das prägende Merkmal fast aller dieser Leute ist ihre Vergänglichkeit. Sie kommen von irgendwoher, verbleiben eine Weile in einer absonderlichen Subkultur von Auswanderern, und gehen dann wieder fort.

In diesen Zirkeln ist eine Abneigung gegenüber Israel meiner Erfahrung nach zu etwas zwischen einem akzeptierten Vorurteil und einer Vorbedingung für den Eintritt in jene Zirkel geworden. Ich spreche hier nicht von einer kritischen Einstellung gegenüber der israelischen Politik oder der ungeschickten heutigen Regierung, sondern von dem Glauben, dass die Juden Israels in gewissem Maße ein Symbol für die Missstände der Welt sind, insbesondere jener, die mit Nationalismus, Militarismus, Kolonialismus und Rassismus einhergehen – eine Vorstellung, die schnell zu einem der zentralen Elemente des „fortschrittlichen“ westlichen Zeitgeists geworden ist und sich von der europäischen Linken auf amerikanische Universitätscampusse und Intellektuelle übertragen hat, einschließlich Journalisten. In dieser sozialen Gruppe schlägt sich diese Haltung in redaktionellen Entscheidungen einzelner Israel-Reporter und -Redakteure nieder, und dies wiederum verleiht dieser Denkweise die Mittel zur Selbstreplikation.

* * *

Jeder, der mal ins Ausland gereist ist, weiß, dass die Ankunft in einem fremden Land beängstigend wirken kann, und dies gilt umso mehr, wenn von einem erwartet wird, sofortige Sachkenntnis an den Tag zu legen. 2008 habe ich das selbst erlebt, als die AP mich losschickte, über die russische Invasion Georgiens zu berichten, und 24 Stunden später fand ich mich in einem Konvoi aus russischen Militärfahrzeugen wieder. Weder kannte ich Georgisch noch Russisch, und ich wusste auch nichts über die relevante Geschichte – ich wusste nicht mal, wo Norden war, und war vor Ort praktisch völlig deplaziert. Für einen Reporter in einer Situation wie der von mir soeben beschriebenen ist die Lösung, nahe bei informierteren Kollegen zu bleiben und sich dem gemeinsamen Narrativ anzuschließen.

Viele Reporter, die gerade erst nach Israel gekommen sind und sich ähnlich hilflos fühlen, sozialisieren sich sehr schnell in den genannten Zirkeln. Dies verschafft ihnen nicht nur Quellen und Freundschaften, sondern auch ein fertiges Rahmengefüge für ihre Berichterstattung – Werkzeuge zur Zusammenfassung und Verzerrung komplexer Ereignisse zu einem simplen Narrativ, wo es einen bösen Mann gibt, der keinen Frieden will, und einen guten Mann, der ihn will. Das ist die „Israel-Story“, und sie hat den Vorteil, dass sie leicht zu berichten ist. Alle hier gehen an ihr Handy, und alle wissen, was sie sagen sollen. Du kannst deine Kinder auf eine gute Schule bringen und in guten Restaurants speisen. Es ist okay, wenn du schwul bist. Deine Chancen, in einem YouTube-Video enthauptet zu werden, sind nicht groß. Fast alle Informationen, die du brauchst – d. h. in den meisten Fällen israelkritische Informationen –, sind nicht nur leicht verfügbar, sondern wurden bereits von Israeljournalisten berichtet oder von NGOs zusammengestellt. Du kannst behaupten, den Mächtigen die Wahrheit zu sagen, wobei du dir jedoch die einzigen „Mächtigen“ in der Region ausgesucht hast, die keine Bedrohung deiner Sicherheit darstellen.

Viele ausländische Journalisten sind dazu übergegangen, sich als Teil dieser Welt von internationalen Organisationen zu sehen, insbesondere als Medienarm dieser Welt. Sie beschreiben und erklären nicht mehr, was schwierig und wichtig genug ist, sondern sie „helfen“. Und da fangen die Probleme an, denn „Helfen“ ist immer ein undurchsichtiges, subjektives und politisches Unterfangen, was erschwert wird, wenn man nicht mit den relevanten Sprachen und der Geschichte vertraut ist.

Verwirrung über die Rolle der Presse erklärt einen der seltsamsten Aspekte der hiesigen Berichterstattung – nämlich dass fast nie über internationale Organisationen berichtet wird, obwohl sie zu den mächtigsten Akteuren im Rahmen der Israel-Story zählen. Sind sie aufgebläht, ineffektiv, korrupt? Helfen sie oder schaden sie? Wir wissen es nicht, da diese Gruppen nur zitiert werden, aber es wird nicht über sie berichtet. Journalisten wandern zwischen Orten wie der BBC und Organisationen wie Oxfam hin und her. Der aktuelle Sprecher der UN-Behörde für palästinensische Flüchtlinge in Gaza zum Beispiel ist ein ehemaliger BBC-Mann. Eine Palästinenserin, die sich vor einigen Jahren an Protesten gegen Israel beteiligte und zornige Tweets formulierte, arbeitete zur selben Zeit als Sprecherin eines UN-Büros und war eng mit einigen mir bekannten Reportern befreundet. Und so weiter.

Ein palästinensischer Protestler entkommt Tränengas, das bei einer Demonstration im Westjordanland nahe Ramallah von israelischen Sicherheitskräften versprüht wurde. (Darren Whiteside/Reuters)

In den Palästinensergebieten arbeitende internationale Organisationen haben im Großen und Ganzen eine Sprecherrolle für die Palästinenser und gegen Israel angenommen, und viele Presseleute ersetzen ihre journalistische Funktion durch diese politische Rolle. Diese Dynamik erklärt die Denkweise hinter redaktionellen Entscheidungen, die ansonsten schwierig zu verstehen sind, wie die Unterdrückung eines Berichts über ein israelisches Friedensangebot an die Palästinenser im Jahre 2008 durch das Jerusalem-Büro der AP oder die Entscheidung, den Aufmarsch an der Al-Quds-Universität zu ignorieren, oder die Vorstellung, der Bau großer Rüstungswerke durch die Hamas in Gaza in den letzten Jahren sei keine ernstzunehmenden Berichte wert, obwohl das Thema objektiv eine der wichtigsten Storys überhaupt wäre und unbedingt die Aufmerksamkeit von Reportern erfordern würde.

Wie üblich hat Orwell das vorausgesehen. Im Jahr 1946 beschrieb er kommunistischen und „Mitläufer“-Journalismus wie folgt: „Das Argument, die Wahrheit zu sagen sei ‘inopportun’ oder ‘spiele jemandem in die Hände’, wird als unbeantwortbar empfunden, und nur wenige stört die Aussicht, dass die von ihnen gebilligten Lügen von den Zeitungen in die Geschichtsbücher übergehen.“ Die von mir erwähnten Storys wären „inopportun“ für die Palästinenser und würden den Israelis „in die Hände spielen“. Daher sind das nach Ansicht der Presse generell keine Nachrichten.

Nach dem drei Wochen dauernden Gazakrieg 2008-09 wusste ich noch nicht, wie die Dinge liefen – damals verbrachte ich ungefähr eine Woche mit dem Schreiben einer Story über NGOs wie Human Rights Watch, deren Israel-Arbeit soeben eine ungewöhnliche öffentliche Auspeitschung in der New York Times erfahren hatte, und zwar von ihrem eigenen Gründer Robert Bernstein. (Der Nahe Osten, so Bernstein, sei „von autoritären Regimes mit erschreckender Menschenrechtsbilanz durchsetzt. Human Rights Watch jedoch verurteilte Israel in den letzten Jahren weitaus öfter wegen Verletzungen internationalen Rechts als jedes andere Land in der Region.“) Mein Artikel war anbetrachts der Umstände sehr freundlich und begann wie folgt:

JERUSALEM (AP) – Die gereizte Beziehung zwischen Israel und seinen Kritikern in Menschenrechtsorganisationen ist zu einem nie dagewesenen Krieg der Worte ausgeufert, während Israels Gaza-Offensive auch zehn Monate nach Beendigung der Kämpfe immer noch nachhallt.

Die Redakteure verhinderten die Story.

Ungefähr zu dieser Zeit kämpfte eine in Jerusalem ansässige Gruppe namens NGO Monitor gegen die internationalen Organisationen, die Israel nach dem Gaza-Konflikt verurteilt hatten, und obwohl die Gruppe sehr proisraelisch und keinesfalls ein objektiver Beobachter war, hätte sie in unseren Artikeln ein parteiisches Gegengewicht zu den Anschuldigungen der NGOs setzen können, Israel habe „Kriegsverbrechen“ begangen. Doch die explizite Anweisung unseres Büros an Reporter lautete, niemals die Gruppe oder ihren Direktor, einen in den USA aufgewachsenen Professor namens Gerald Steinberg, zu zitieren. Zu meiner Zeit als AP-Schreiber, der sich durch den lokalen Konflikt mit seiner Myriade von Verrückten, Fanatikern und Mördern kämpfte, war die einzige Person, die ich je einem Interviewverbot unterliegen sah, jener Professor.

Als die UN ihren umstrittenen Goldstone-Report über die Kämpfe im Gazastreifen veröffentlichte, posaunte unser Büro dessen Funde in Dutzenden von Artikeln hinaus, obwohl es schon damals Diskussionen über das Unvermögen des Reports gab, seine zentrale Anschuldigung zu beweisen: dass Israel absichtlich Zivilisten getötet hätte. (Der Direktor von Israels wichtigster Menschenrechtsgruppe B’Tselem, der dem israelischen Kriegseinsatz kritisch gegenüberstand, sagte mir damals, diese Behauptung sei „angesichts der Tatsachen weit hergeholt“, eine Einschätzung, der vom Autor des Reports schlussendlich beigepflichtet wurde. „Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, wäre der Goldstone-Report ein anderes Dokument geworden“, schrieb Richard Goldstone im April 2011 in der Washington Post.) Wir erkannten, dass es unser Job war, keine Kritik am UN-Bericht (oder an irgendeinem ähnlichen Bericht) zu üben, sondern ihn unter die Leute zu bringen.

Entscheidungen wie diese sind schwer zu begreifen, wenn man glaubt, die Aufgabe der Auslandspresse sei es, den Menschen in fernen Ländern komplizierte Sachverhalte zu erklären. Es ergibt aber Sinn, wenn man versteht, dass die über Israel und die Palästinensergebiete berichtenden Journalisten ihre Rolle anders auffassen. Radio– und Zeitungsjournalist Mark Lavie, der seit 1972 aus der Region berichtete, war mein AP-Kollege – er war Redakteur im Jerusalemer Büro und danach bis zu seinem Abschied aus dem Berufsleben letztes Jahr in Kairo. (Lavie war der erste gewesen, der Ende 2008 von dem israelischen Friedensangebot erfuhr, aber seine Vorgesetzten wiesen ihn an, die Story zu ignorieren.) Als ein in Indiana geborener Israeli der moderaten Politik hatte er eine lange Laufbahn im Journalismus vorzuweisen, die sich über mehrere Kriege und die erste palästinensische Intifada zog, und er fand wenig Grund, sich über die Arbeitsweise der Medien zu beschweren.

Aber die Dinge änderten sich ernsthaft im Jahr 2000, als die Friedensbemühungen zusammenfielen und die zweite Intifada ausbrach. Israel akzeptierte im Herbst jenes Jahres Präsident Bill Clintons Friedenskonzept, und die Palästinenser lehnten es ab, wie Clinton deutlich machte. Dennoch blieb es laut Lavie weiterhin die redaktionelle Ausrichtung des Büros, dass der Konflikt Israels Schuld sei, und die Palästinenser sowie die arabische Welt seien schuldlos. Gegen Ende von Lavies Karriere editierte er Israel-Texte in der AP-Nahostabteilung in Kairo und versuchte, das Gleichgewicht und den Kontext von Storys wiederherzustellen, die seinen Worten zufolge kaum der Wirklichkeit entsprachen. Es sah sich nicht länger als stolzes Mitglied der internationalen Presse, sondern als „Judenknabe mit seinen Fingern in der Wunde“. Er schrieb ein Buch, Broken Spring, über das Abgleiten des Nahen Ostens ins Chaos, das er hautnah mitbekam, und er zog sich desillusioniert und aufgebracht aus dem Berufsleben zurück.

Ich war damals geneigt, die spezifischen Versäumnisse, die wir bei der AP erlebten, als Symptome eines allgemeinen Denkmusters in der Presse wahrzunehmen, aber Lavie drückte sich da deutlicher aus und bezeichnete die einflussreichen amerikanischen Nachrichtenagenturen als Hauptverursacher dieses Denkmusters. (In einer Stellungnahme verwarf AP-Sprecher Paul Colford meine Kritik als „Verzerrungen, Halbwahrheiten und Ungenauigkeiten“ und verneinte, dass die AP-Berichterstattung einseitig gegen Israel gerichtet sei.) Dies liegt nicht nur daran, dass Tausende von Medien das AP-Material unmittelbar übernehmen, sondern auch daran, dass viele Journalisten als allererstes die AP-Meldungen lesen, wenn sie frühmorgens ins Büro kommen (heutzutage lesen sie die AP-Meldungen auf Twitter). Die AP ist wie Ringo Starr, sie spielt ihre Musik im Bühnenhintergrund – es mag glanzvollere Künstler auf der Vorderseite der Bühne geben, und man mag den Künstler im Hintergrund nicht immer wahrnehmen, aber wenn Ringo nicht da ist, dann läuft die Show nicht.

Lavie glaubt, dass sich die Israel-Operation von AP in den letzten Jahren seiner Karriere von ihrer traditionellen Rolle der sorgfältigen Erklärung wegbewegte und sich einer Art politischem Aktivismus annäherte, der die weltweit wachsende Feindseligkeit gegenüber Israel mitverursachte und sich gleichzeitig davon nährte. „Die AP ist extrem wichtig, und bewegte sich die AP, so bewegte sich ein Großteil der Welt mit ihr“, sagte Lavie. „Das war der Punkt, an dem es für jeden professionellen Journalisten schwieriger wurde, hier zu arbeiten, egal ob Jude oder nicht. Ich widerspreche der Vorstellung, meine Unzufriedenheit hätte damit zu tun, dass ich Jude bzw. Israeli bin. Sie hatte mit dem Journalismus zu tun.“

* * *

Bei der Beschreibung der Gegebenheiten während der Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg schrieb der amerikanische Kritiker Paul Fussell, die Presse sei zensiert gewesen und habe sich gleichzeitig selbst in einem solchen Ausmaß zensiert, dass „fast sechs Jahre lang ein großer Teil der tatsächlichen Ereignisse – vielleicht ein Viertel bis die Hälfte – für tabu erklärt wurden, und der gesäuberte und beschönigte Rest wurde als das Ganze präsentiert.“ Im selben Krieg waren amerikanische Journalisten (vor allem von Henry Luces Magazinen) in etwas involviert, das Fussell den „großen China-Betrug“ nennt – Jahre verzerrter Berichterstattung, die Chiang Kai-sheks korruptes Regime als ehrbaren Verbündeten des Westens gegen Japan darstellen sollte. Sechsmal prangte Chiang auf dem Titelbild des Time Magazine, und die Korruption und Dysfunktion seiner Regierung wurden gewissenhaft ignoriert. Ein in China stationierter Soldat war von dem Kontrast zwischen dem, was er sah, und dem, was er las, derart desillusioniert, dass er bei seiner Entlassung aus dem Militärdienst sagte: „Ich bin zu Newsweek übergewechselt.“

Mit anderen Worten: Journalistische Halluzinationen haben Präzedenzfälle. Meist kommt es zu solchen Halluzinationen (wie im Fall des großen China-Betrugs), wenn Reporter nicht die Freiheit haben, zu schreiben, was sie sehen, sondern wenn von ihnen erwartet wird, eine „Story“ aufrechtzuerhalten, die vorhersagbaren Mustern folgt. Für die internationale Presse sind die hässlicheren Merkmale der palästinensischen Gesellschaft und Politik meist unberührbare Themen, da sie die „Israel-Story“ beschädigen würden – die Story des moralischen Versagens der Juden.

Die meisten Konsumenten der Israel-Story wissen nicht, wie die Story fabriziert wird. Aber die Hamas weiß es. Seit ihrer Machtübernahme in Gaza im Jahr 2007 hat die islamische Widerstandsbewegung verstanden, dass viele Reporter einem Narrativ anhängen, in dem die Israelis die Unterdrücker und die Palästinenser die passiven Opfer mit plausiblen Zielen sind, und dem widersprechende Informationen sind uninteressant. Nachdem sie dies erkannt haben, vertrauten gewisse Hamas-Sprecher westlichen Journalisten (davon auch einige, die ich persönlich kenne) an, dass die Gruppe in Wirklichkeit ein insgeheim pragmatische Organisation mit kriegerischer Rhetorik ist, und die Journalisten haben es in ihrem Eifer, dem Geständnis Glauben zu schenken, als Sensation hinausposaunt, statt es als Meinungsmache zu verstehen.

Während meiner Zeit bei der AP halfen wir der Hamas bei der Verbreitung dieser Aussagen mit einer internen Berichterstattungs-Richtlinie, die als „überraschende Anzeichen von Moderation“ beschrieben werden könnte (ein unmittelbarer Vorläufer der Richtlinie „die Muslimbruderschaft ist in Wirklichkeit liberal“, die kurzzeitig in Ägypten in Mode war). In einer meiner Lieblingsstorys mit dem Titel „Die tolerantere Hamas“ (11. Dezember 2011) zitierten die Reporter einen Hamas-Sprecher, die Politik der Bewegung sei, dass „wir niemandem etwas vorschreiben werden“, und ein anderer Hamas-Führer sagte, die Bewegung habe „gelernt, anderen gegenüber toleranter zu sein“. Ungefähr zur selben Zeit informierten mich die leitenden Redakteure des Büros, unser palästinensischer Reporter in Gaza könne unmöglich kritische Berichte über die Hamas zur Verfügung stellen, da ihn das persönlich in Gefahr brächte.

Der Hamas hilft bei ihrer Medienmanipulation der alte Reporterglaube, eine Art Reflex, dass Reporter nicht die Existenz von Reportern erwähnen sollten. Bei einem Konflikt wie dem unsrigen erfordert dies beträchtliche Anstrengungen: Beispielsweise berichten so viele Fotografen über Proteste in Israel und die Palästinensergebiete, dass eine der größten Herausforderungen für Fotografen darin besteht, ihre Kollegen aus dem Bild zu halten. Dass die anderen Fotografen für die Story ebenso wichtig sind wie palästinensische Protestanten oder israelische Soldaten – das scheint nicht in Betracht gezogen zu werden.

Ein Hamas-Kämpfer in einem unterirdischen Tunnel in Gaza, August 2014, bei einer Führung für Reuters-Journalisten (Mohammed Salem/Reuters)

In Gaza wandelt sich dies von einer Eigenart der Pressepsychologie zu einem beträchtlichen Manko. Es ist die Strategie der Hamas, eine Antwort von Israel zu provozieren, indem sie Israel aus der Deckung hinter palästinensischen Zivilisten heraus angreift, und wenn Israels Antwort dann jene Zivilisten tötet, dann filmt eines der weltweit größten Pressekontingente die Opfer, und die nachfolgende Empörung im Ausland schwächt Israels Reaktion. Eine zwar skrupellose Strategie, aber eine effektive. Sie verlässt sich auf die Kooperation der Journalisten. Einer der Gründe, warum das funktioniert, ist der von mir erwähnte Reflex. Wenn man berichtet, dass die Strategie der Hamas auf einer Zusammenarbeit mit den Medien fußt, wirft das einige schwierige Fragen auf, zum Beispiel: Wie genau sieht die Beziehung zwischen den Medien und der Hamas aus? Und hat diese Beziehung die Medien korrumpiert? Es ist leichter, die anderen Fotografen einfach aus dem Bild zu lassen und die Aufnahme selbst die Story erzählen zu lassen: Hier sind tote Menschen, und Israel hat sie umgebracht.

Bei früheren Kampfhandlungen in Gaza hat die Hamas gelernt, dass die internationale Berichterstattung aus dem Gebiet ihren Bedürfnissen angepasst werden kann, eine Lektion, die sie im diesjährigen Krieg in die Tat umgesetzt hat. Die meiste Pressearbeit in Gaza wird von lokalen Mittelsmännern, Übersetzern und Reportern erledigt, also von Leuten, die es verständlicherweise nicht wagen würden, sich mit der Hamas zu überwerfen. Dies macht es für die Gruppe nur selten notwendig, einen Westler zu bedrohen. Die Kämpfer der Organisation konnten zum Verschwinden aufgefordert werden. Der Presse konnte man vertrauen, dass sie ihre Rolle im Hamas-Drehbuch erfüllt, statt dass sie berichtet, dass überhaupt ein solches Drehbuch existiert. Laut der Hamas gab es keine Strategie der Hamas – oder, wie Reporter sagen würden, das war „nicht die Story“. Es gab keine Hamas-Charta, die die Juden jahrhundertelanger Niedertracht bezichtigte oder zum Mord an ihnen aufrief; das war nicht die Story. Die auf israelische Städte niedergehenden Raketen waren recht harmlos; auch sie waren nicht die Story.

Die Hamas wusste, dass die Journalisten die von der Hamas selbst mitgeteilten zivilen Opferzahlen nicht nur als Fakt akzeptieren würden – mitgeteilt durch die UN bzw. durch etwas namens „Gaza-Gesundheitsministerium“, ein von der Hamas kontrolliertes Büro -, sondern diese Zahlen sogar zum Kernpunkt ihrer Berichterstattung machen würden. Die Hamas wusste, dass Reporter eingeschüchtert werden konnten, falls nötig, und dass sie nicht über die Einschüchterung berichten würden; westliche Nachrichtenorganisationen sehen keinen zwingenden ethischen Grund, ihre Leser über die Restriktionen zu informieren, die ihre Berichterstattung in Unterdrückerstaaten oder anderen Gefahrengebieten prägen. Nach dem Krieg konnte man sich auf die Allianz aus NGOs, UN und Medien verlassen, dass sie die Organe der internationalen Gemeinschaft auf Israel loslassen und die Dschihadistengruppe in Ruhe lassen würden.

Als die Hamas-Führer vor den diesjährigen Kriegshandlungen ihre Vorteile prüften, wussten sie, dass auch die internationale Presse einer dieser Vorteile war. Die AP-Mitarbeiter in Gaza City würden einen Raketenabschuss genau neben ihrem Büro miterleben, was die Reporter und auch nahestehende Zivilisten gefährde würde – und die AP würde nicht darüber berichten, nicht einmal in AP-Artikeln über die israelischen Stellungnahmen, die Hamas würde Raketen aus Bevölkerungszentren heraus abfeuern. (Dies ist passiert.) Hamas-Kämpfer würden in das Gaza-Büro der AP hereinstürmen und die Mitarbeiter bedrohen – und die AP würde nicht darüber berichten. (Auch das ist passiert.) Kameraleute außerhalb des Shifa-Hospitals in Gaza City würden die Ankunft ziviler Opfer filmen und dann nach dem Signal eines Hamas-Funktionärs ihre Kameras abschalten, sobald verwundete und tote Kämpfer ins Hospital kamen, was der Hamas bei der Aufrechterhaltung der Illusion half, nur Zivilisten würden sterben. (Auch das ist passiert; diese Information entstammt zahlreichen Quellen, die das unmittelbar miterlebten.)

AP-Sprecher Colford bestätigte, bewaffnete Militante seien gegen Anfang des Krieges in das Gaza-Büro der AP gekommen und hätten sich über ein Foto beschwert, das die Stellung einer Raketenabschussrampe zeigte. Er sagte aber auch, die Hamas hätte behauptet, jene Männer „seien keine Repräsentanten der Gruppe gewesen“. Die AP „berichtet nicht über viele Interaktionen mit Milizen, Armeen, Schlägern oder Regierungen“, schrieb er. „Diese Vorfälle sind Teil der Schwierigkeiten, die Nachrichten an die Öffentlichkeit zu bringen – aber sie selbst sind keine Nachrichten.“

Während Jesiden, Christen und Kurden aktuell nicht weit von hier vor den Streitmächten des radikalen Islam zurückweichen, begann der lokale Arm dieser Ideologie diesen Sommer seinen jüngsten Krieg gegen die letzte florierende Minderheit im Nahen Osten. Die westliche Presse kam in Massen, um darüber zu berichten. Dieser Konflikt beinhaltete auch den unablässigen Beschuss Israels mit Raketen, und man kämpfte absichtlich hinter einem menschlichen Schutzschild aus palästinensischen Zivilisten, wodurch viele von ihnen zu Tode kamen. Abgestumpft durch die jahrelange „Israel-Story“ und abgehärtet gegen ihre routinemäßigen Auslassungen, verwirrt über die zu spielende Rolle und vereinnahmt von der Hamas, beschrieben Reporter diesen Krieg als israelischen Angriff auf unschuldige Menschen. Damit war diese Gruppe intelligenter und durchaus wohlmeinender Profis keine verlässlichen Beobachter mehr, sondern wurde zum Verstärker der Propaganda einer der intolerantesten und aggressivsten Mächte auf Erden. Und das, wie sie sagen, ist die Story.

2 Gedanken zu “Wo sich die Medien bei Israel irren

  1. Perfekt und furchtbar.

    Habe selten oder nie etwas durchgehend so Sorgfältiges in dieser Kombination aus sachbezogener Perfektion und furchtbarer Aussage gelesen

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