Bayreuth – eine Stadt sah Pink!

oder: Die vier edlen Wahrheiten moderner Israelkritik

von Dr. Günter Beck-Mathieu (direkt vom Autor)

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Protest der DIG vor dem Festakt am Audimax der Universität Bayreuth

Aufs Theatermachen, das muss man den Bayreuthern lassen, verstehen sie sich. Eben wurde in der Wagnerstadt eine Posse auf die Bühne gebracht, die das Zeug dazu hat, als Beispiel eines Lehrtheaters für modernen Antisemitismus gelten zu können. Eine Theaterkritik.

Eine Stadt sieht Pink.

Der Plot: Auf Vorschlag der Universität Bayreuth verleiht die Stadt ihren Toleranzpreis an die US-Bürgerrechtsorganisation Code Pink – Vorwürfe an Code Pink wegen antiisraelischer Aktivitäten und Nähe zu Holocaustleugnern werden laut – Die Bayreuther Oberbürgermeisterin rudert zurück: „Bereits begründete Zweifel an der Eignung eines möglichen Preisträgers reichen meiner Meinung nach aus, um den Preis nicht zu verleihen.“ – Die Vergabe des Preises wird ausgesetzt und neu diskutiert – Der israelische Botschafter, die deutsch-israelische Parlamentariergruppe des Bundestages, der bayerische Ministerpräsident, die Deutsch-Israelische Gesellschaft Oberfranken fordern die Stadträte auf, den Preis nicht zu vergeben – Der Stadtrat stimmt mit 23 von 41 Stimmen gegen die Oberbürgermeisterin nun doch für die Vergabe des Preises an Code Pink – Die Deutsch-Israelische Gesellschaft wirft Code Pink vor, die Boykottbewegung gegen Israel zu unterstützen und Israel als Apartheid-Staat zu bezeichnen – Endlich: Preisverleihung zweiter Klasse im Audimax der Uni Bayreuth vor kleinem Kreis.

Eine Stadt sah Pink!

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Wie in Bertolt Brechts gutem Menschen von Sezuan so bleiben auch hier Fragen: Wie kommt eine Stadt mit dem Ruf Bayreuths dazu, Israelfeinde auszuzeichnen? Weshalb schlägt die Universität Bayreuth einen Preisträger vor, der auch akademischen Boykott Israels unterstützt? Was macht die Bayreuther Posse zu einem Muster für des Verhalten gegenüber Juden und dem jüdischen Staat? Brechts guter Mensch von Sezuan ist ein Musterbeispiel epischen Lehrtheaters. In Bayreuth wurde nun eine Lehrposse moderner Judenfeindschaft vulgo Antisemitismus auf die Bühne gebracht. Wir sind aufgerufen, unsere Schlüsse zu ziehen. Brecht wenig später: „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“ Nun denn …

In den Bayreuther Ereignissen haben sich auf wundersame Weise vier eherne Lügen gebündelt, die den Feinden Judas als „Wahrheiten“ gelten. Wie für den Buddhisten die so genannten „vier edlen Wahrheiten“ den unhinterfragbaren Grund seiner Religion bilden, so sind diese „vier edlen Wahrheiten“ dem modernen Judenfeind der unhinterfragbare Grund seiner Weltanschauung. Diese „vier edlen Wahrheiten“ bilden den Grundakkord des modernen Antisemitismus, der im Gewande der Israelkritik einherkommt. Die „Wahrheiten“ werden in unterschiedlichen Variationen vorgetragen, doch stets in falschem Diskant. Worin liegt der paradigmatische Charakter des Bayreuther Theaterspiels? Eben darin: Es könnte sich in jeder deutschen Stadt zutragen.

Und das sind die vier edlen Wahrheiten moderner Israelkritik:

  1. Es gibt die Juden und die Anderen.

Nicht nur der Nahostkonflikt, der aber besonders, lässt sich reduzieren auf einen grundsätzlichen Antagonismus von Juden und Nichtjuden. Das ist die Ursuppe aller Judenfeindschaft. Die Wahrheit galt schon immer: Sartre erzählt in seinem Essay zur Judenfrage von 1944 die Geschichte einer Frau, die Probleme mit einem jüdischen Kürschner hatte. Selbstverständlich schimpfte sie auf die Juden. Sie hätte ja auch über die Kürschner herziehen können.

Auch heute: Code Pink und die mit ihnen sympathisierenden Bayreuther kamen nicht einmal auf die Idee, dass es auch andere Konstellationen als Ursache von Unruhe im Nahen Osten geben könne. Wie wäre es zum Beispiel in arabischen Staaten und Gebieten mit einem Gegenüber von korrupten Eliten und einem ausgebeuteten Volk oder einem Gegenüber von islamistischen Fanatikern und eher säkular denkender neuer Mittelschicht? Alle glauben, der Nahe Osten – oder noch besser: die arabische Welt – wäre befriedet, wenn die Gegenüberstellung von Juden und Arabern aufgelöst wäre.

Dieser Dualismus, dieser Antagonismus offenbart ein manichäisches Weltverständnis: Gut und Böse stehen sich gegenüber. Es geht für den Judenfeind nicht um das Gegenüber von Freiheit und Unfreiheit, von Demokratie und Diktatur. Der Antagonismus muss aufgelöst werden und so werden die Juden mehr oder minder höflich ersucht, die Westbank zu räumen. Man könnte mit gleichem Recht wohl auch fordern, dass die Araber aus der Westbank verschwänden. Das allerdings geht nicht wegen der edlen Wahrheit Nummer zwo:

  1. Die Juden sind schuld!

Elsa Rassbach, die Deutschland-Sprecherin von Code Pink, hat bei ihrer Dankesrede für die Verleihung des Preises aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht: „Das palästinensische Volk teilt mit uns allen die Sehnsucht nach Frieden, Freiheit und Sicherheit.“ Und die jüdischen Israelis? Im manichäischen Weltbild stehen sich Gut und Böse gegenüber. Für Israelgegner ist die Rollenzuordnung klar: Die Juden in Israel sind die Bösen, die Araber die Guten! Im Nahen Osten gibt es keine Probleme mit mediokren und brutalen Despoten, es gibt keine Probleme mit unterschiedlichen islamischen Fraktionen, es gibt kein Problem mit islamistischen Fundamentalisten, es gibt kein Problem mit gesellschaftlicher Unterentwicklung, es gibt keine Probleme bei der Gleichstellung von Frauen oder der Unterdrückung von Minderheiten, …

Probleme gibt es, weil die jüdischen Israelis da sind und es für alle wäre besser, sie wären nicht da. Deshalb halten sich Code Pink Aktivisten auch gerne da auf, wo (ausweislich eines Videos auf youtube) skandiert wird: „Judaism yes, Zionism no – the state of Israel has to go!“ Die jüdischen Israelis sind verantwortlich für all das Leid, die Unterdrückung, die Demütigungen – und das nicht nur im Nahen Osten. Grass hyperventilierte einst: „Israel bedroht den Weltfrieden!“

Die Palästinenser dagegen sind immer die Opfer, sie wollen Frieden und die Zwei-Staaten-Lösung. Die Viktimisierung von Palästinensern durch vornehmlich westliche Israelgegner trägt Züge einer Idealisierung des edlen Wilden und zeigt damit neokolonialistisches Denken at its worst.

Die Gründe liegen für G wie GraSS und C wie Code Pink e tutti quanti auf der Hand: Israel hat Land gestohlen und Israel ist ein Apartheid-Staat. Davon lassen sich Ann Wright und Elsa Rassbach von Code Pink auch im persönlichen Gespräch nicht abbringen. Beide kommen aus den USA. Auf die Idee, dass sie als Amerikanerinnen vielleicht auf gestohlenem Terrain leben, kommen sie natürlich nicht. Die Wahrnehmung des Antisemiten bleibt selektiv:

  1. Juden zu bekämpfen ist ein moralisches Gebot!

Code Pink unterstützt den Boykott gegen Israel. Die BDS-Bewegung selektiert: jüdische Israelis werden mit einem Bann belegt. Dabei genügt es bereits, wenn jüdische Künstler oder Wissenschaftler lediglich in Israel geboren wurden.

Da es um den Kampf gegen das Böse geht (in der manichäischen Vorstellung breitet sich das Gute dann ganz von alleine aus), ist diese Selektion nach Religion nicht nur erlaubt, sondern moralisch geradezu geboten. Moderne Judenfeindschaft schwitzt hier Moral aus allen Poren – aber moralisch war der Antisemitismus zu allen Zeiten. Es fanden sich immer Gründe, mindestens die Welt zu retten. Eine spezifisch deutsche Variante dieser Weltrettungsmoral schreckt nicht davor zurück, den Juden gar vor sich selbst zu retten. Diese Rettungsaktion wird meist intoniert mit: „Gerade wir als Deutsche …“ oder: „Gerade als Freunde Israels müssen wir …“. Merke: Der moderne Antisemitismus sagt nicht mehr „Ich bin die Judenfeindschaft!“, sondern: „Ich bin die Judenfreundschaft!“

Ausgerüstet mit diesem moralischen Imperativ darf man alle antisemitischen und antiisraelischen Märchen wiederkäuen: die Israelis klauen wahlweise Wasser oder Land, sie unterhalten ein Apartheid-Regime, bestimmte Gebiete müssen wieder judenrein gemacht werden … Die Palästinenser indes sollten nicht so naiv sein und glauben, dass hier irgendjemand aus Zuneigung zu ihnen handelt. Weit gefehlt! Wo bleiben die Proteste der Israelkritiker gegen die Behandlung der Palästinenser im Libanon oder kürzlich in Yarmouk?

  1. Kritik an Israel ist kein Antisemitismus!

Vor dem Audimax der Uni Bayreuth, in dem die Preisverleihung an Code Pink zelebriert wird, hat sich eine jüdische Amerikanerin postiert, die in Bayreuth studiert. Sie hält ein selbstbeschriftetes Plakat hoch: „Israelkritik ist nicht Antisemitismus. Als Jüdin verurteile ich die israelische Besetzung.“ Am Ende ihrer Dankesrede kündigt Ann Wright an, mit den 10.000 Euro Preisgeld ein Symposion zu finanzieren, das zeigen soll, dass Israelkritik nicht Antisemitismus sei. Ja, der Israelkritiker meint es gut mit Israel, er geriert sich als Freund der Juden.

Wir sind an der Klimax des Theaterstückes angelangt. Es handelt sich hier wohl um die umstrittenste der vier edlen Wahrheiten. Denn Kritik an der Politik eines Landes ist nicht nur erlaubt, sondern geboten. Kritik an der Politik der israelischen Regierung wird wohl nirgends so vehement vorgetragen wie in Israel selbst. Um das zu entdecken, muss man nicht einmal des Hebräischen mächtig sein. Es genügt, die englischsprachigen israelischen Medien zu konsumieren.

Israelfeindlich und antisemitisch wird die Chose nur, wenn die Kritik grundsätzlich wird, zu einem geschlossenen ideologischen System ausgearbeitet oder gar gegen die Existenz des Landes Israel gerichtet ist. Die Israelkritiker bezeichnen sich in solchen Fällen gerne als Antizionisten. Man kann die Politik Ungarns heftig kritisieren, käme aber wohl kaum auf die Idee, sich als „antiungarisch“ oder „antimagyarisch“ zu bezeichnen, die Existenzberechtigung Ungarns zu bestreiten und den Volksstamm der Magyaren wieder zur Rückkehr zum Ural aufzufordern, woher er einmal gekommen ist.

Die Israelkritik, wie sie von Code Pink vorgetragen wurde und von Bayreuth mit einem Preis ausgezeichnet, trägt diese Kennzeichen und ist damit ganz klar antisemitisch. Man kann auch nicht sagen, dass es hier lediglich Brücken zwischen Israelkritik und Antisemitismus gäbe. Nein, diese Art von Israelkritik ist der Antisemitismus leibhaftig. Die Begriffe müssen schon genau sein, denn „wer die Dinge beim falschen Namen nennt, trägt zum Unglück der Welt bei“ (Albert Camus).

Die Bayreuther Stadträte, die für die Preisvergabe votierten, hätten dies alles wissen können. Es wurde ihnen gesagt. Rechthaberei, spießige Bräsigkeit, politischer Dilettantismus und des nötige Quäntchen Judenverachtung haben sie dumm gemacht. Und schämten sich nicht! – Das ist auch eine Form selbstgewählter Unmündigkeit.

Die Lehrposse bietet noch einen Antiklimax: Die Bayreuther Oberbürgermeisterin übergibt den Preis, hält aber eine Rede gegen die Preisverleihung, an deren Höhepunkt sie bekennt: „Die Preisverleihung an Code Pink schmerzt.“

Ja, die Bayreuther können Theater. Und zu ihrer Ehrenrettung sei es gesagt: Bei der Verleihung des Aachener Friedenspreises an Code Pink 2014 gab es keine Proteste.

Dr. Günter Beck-Mathieu ist Vorsitzender der
Deutsch-Israelischen Gesellschaft Bayreuth-Oberfranken.
Dieser Artikel „Eine Stadt sah Pink!“ ist die Fortsetzung des Artikels „Eine Stadt sieht Pink!