Der palästinensische Gorbatschow?

heplev, 3. Februar 2002

Am 3. Januar 2002 enterten israelische Marineeinheiten ein Schiff im Roten Meer, auf dem sich 50t Waffen befanden. Die Israelis legten ihre Untersuchungen und Geheimdienst-Informationen westlichen Regierungen offen; diese belegten, dass die Palästinenserführung hinter dem Waffenschmuggel steckte und sie initiiert hatte. Das Schiff sollte die Ladung an die Palästinenser übergeben, damit diese ihren Terrorkampf gegen Israel verstärken konnten. In den USA hat das dazu geführt, dass der Kontakt der Amerikaner zu Yassir Arafat so gut wie abgebrochen wurde.

Ganz anders Europa. Trotz solcher Beweise für fehlende Friedfertigkeit und den fast eineinhalb Jahren Terror wird er in Europa weiterhin als Schlüsselfigur für den Frieden in Nahost angesehen. An ihm führt kein Weg vorbei. Soweit mag das stimmen – nur wird dabei Arafat ausschließlich als positive Figur, als Friedenspartner dargestellt; als der, der den Frieden bringt, nicht verhindert.

Die EU-Außenminister haben in ihren Beschlüssen von Laeken Ende Januar 2002 klar gesagt: „Israel braucht die Autonomiebehörde und ihren gewählten Präsidenten Yassir Arafat als Verhandlungspartner für beides: um den Terrorismus auszumerzen und auf einen Frieden hin zu arbeiten. Ihre Möglichkeit der Bekämpfung des Terrorismus darf nicht geschwächt werden.“

Was lässt die Minister zu dem Schluss kommen, dass man nur mit Arafat etwas erreichen kann? Wieso halten sie nicht nur derart an ihm fest, sondern fördern ihn auch ständig und unterstützen ihn, trotz seiner terroristischen Aktivitäten und der völligen Abstinenz jeglicher Taten, die Frieden zur Folge haben könnten?

Es gibt hier diejenigen, die bei einem Anschlag auf eine deutsche Synagoge für einen „Aufstand der Anständigen“ gegen „Rechts“ tönen – weil solche Anschläge nur Neonazis ausführen. Die gleichen Personen schweigen stille, wenn sich heraus stellt, dass dieser Anschlag von Menschen arabischer Herkunft bzw. Nationalität begangen wurden. Sie schweigen stille, wenn solche und schlimmere Taten im arabischen Raum geschehen. Sie schweigen stille, wenn arabische Terrorgruppen, hier oft nur als „militant“ oder gar als „Freiheitskämpfer“ bezeichnet, enge Kontakte zu unseren Neonazis pflegen.

Was ist das für ein Reflex?

Unsere Medien haben in der letzten Woche über die erste palästinensische Selbstmord-Attentäterin berichtet. Sie stellten sie in allen Einzelheiten vor; ihr Foto wurde gezeigt, wie sie eine Robe, einen „Doktorhut“ und ein Diplom in der Hand hält – offensichtlich die Verleihung eines Abschlusses (den sie aber gar nicht besitzt). Beschrieben und heraus gestellt wurde ihre Motivation, Verletzten zu helfen und so weiter und so fort. Sie wurde in den schillerndsten Farben dargestellt, alles Positive gezeigt, was man über sie sagen konnte. Auch ein paar Schatten – das abgebrochene Studium, die gescheiterte Ehe usw., aber das wurde nivelliert (durch das Problem der Kinderlosigkeit u.a.), machte sie noch sympathischer: Diese junge Frau stand mit beiden Beinen auf der Erde, rappelte sich nach solchen Rückschlägen wieder auf. Eine so sympathische junge Frau hat das Attentat ausgeführt?

Da kommt der Lesen/Zuschauer ins Grübeln. Wie kann so jemand nur so eine Tat ausführen? Und die einzig zulässige Erklärung: Verzweiflung. Verzweiflung über die Umstände, unter denen sie leben muss, unter denen ihr Volk leidet, unter denen … Und die Ursache kann nur bei den Israelis liegen, denn schließlich sind sie die Besatzer, die Unterdrücker, diejenigen, die die Gewalt anwenden. Aus dem Täter wird ein Opfer; die Erklärung wird zur Rechtfertigung und die Tat den Opfern angelastet.

Aber kann das so richtig sein? Das Motiv der Verzweiflung als einziger Erklärung für grässlichste Gewalttaten, wird Menschen wie den Selbstmord-Attentätern – oder auch den Kurden, die vor ein paar Jahren hier bei uns Autobahnen sperrten und von denen sich einer selbst verbrannte – ausschließlich unterstellt: Es „kann“ nur um Verzweiflung handeln, sonst würden diese Menschen nicht ihr Leben aufgeben.

Für grausame Taten und Attentate gegen Juden, Amerikaner, oft auch Christen kennt man keine andere Erklärung. Ausnahme: rechtsradikale Deutsche bzw. Europäer oder (nicht nur orthodoxe) Juden (in Israel). Die sind allesamt dumpf, verblendet, rassistisch und schlichtweg böse.

Begeht ein Moslem in „Palästina“ die gleichen Taten wie ein Neonazi bei uns, dann ist das erklärbar (und damit auch zu rechtfertigen). Begeht ein Moslem hier bei uns die Tat, dann gibt es auch Erklärungen dafür. Ihm wird die gleiche Verzweiflung unterstellt und zugute gehalten. Unterdrückt wurde er (wenn nicht von den Israelis, dann von seiner Familienstruktur oder der westlichen Gesellschaft, in der er lebt), benachteiligt (in der deutschen/europäischen Gesellschaft, die ihn in seiner Art nicht akzeptiert hat und nicht tolerant genug ist, ihm Chancen genommen oder verweigert hat, etc.); fehlende Chancengleichheit macht ihn verzweifelt.

Dass dieser Täter genauso verblendet, dumpf, rassistisch und schlichtweg böse gehandelt haben könnte wie die Neonazis, kommt nicht in Frage, selbst, wenn er einer islamistischen Gruppierung wie Mili Görüs angehört. Es kann nicht sein, was nicht sein darf?

Wie viel Realität steckt hinter der Erklärungs-Manie gegenüber moslemischen Tätern? (Vielleicht ja auch nur gegenüber Tätern, die nicht aus dem Westen kommen? Dahinter könnte ein Schuldkomplex der ehemaligen Kolonialherren stecken.) Wie viel Anerkennung – nicht nur Toleranz oder Verständnis! – „müssen“ wir den Menschen entgegen bringen, die unsere Werte nicht teilen, oft nicht zu teilen bereit sind oder dagegen kämpfen, aber hier leben wollen oder in ihrem Land unsere Gelder oder politische Unterstützung verlangen?

Mitte der 80-er Jahre erzählte mir eine Bekannte, dass ein iranischer Student ihres Umfelds sich so äußerte: „Deutsche Frauen sind alles Huren.“ Grund: Ihre Kleidung, die Titelblätter unserer Illustrierten und die („nicht vorhandene“) Sexualmoral. Meine Bekannte brachte dieser Haltung großes Verständnis entgegen. Man müsse das verstehen, in seinem Land herrschten ja schließlich striktere Vorstellungen. Das müsse man respektieren und akzeptieren. Sie fand nichts schlimm daran, dass der Mann so dachte. Sie rechtfertigte das.

Ich entgegnete ihr: Dieser Mann wusste, dass er sich in einer völlig anderen Kultur befand. Er war hoch gebildet. Und er hätte die Erfahrung haben müssen, dass nicht jede deutsche Frau mit jedem Mann beliebig in die Kiste hüpft; dass ein kurzer Rock nicht die ständige Aufforderung zu Sex ist. Sich diese Gedanken nicht zu machen, spricht von Ignoranz, ganz egal, was man von den offenherzigen Kleidungsgewohnheiten und der auch für viele hiesige Christen reichlichst laschen Sexualmoral in Europa hält. Seine Engstirnigkeit, die Verallgemeinerung wurde akzeptiert und als konsequent gelobt. Das nicht anzuerkennen wurde als intolerant und abzulehnen kategorisiert. Diese Gegenposition wurde von ihr (nach dem Verständnis ihres Bekannten selbst eine solche „Hure“, da deutsche Frau) nicht akzeptiert.

(Frage am Rande: Warum wird konservativen Christen nicht dieselbe Toleranz gegenüber ihrer Einstellung entgegen gebracht? Wo ist denn hier die Doppelmoral? Was den einen ohne Weiteres zugestanden wird, weil sie aus einem anderen Kulturkreis kommen, wird den anderen verboten, weil es als von Gestern und Bevormundung definiert wird, als „nicht mehr zeitgemäß“.)

Ähnliches beobachten wir mit den Geschehnissen im Nahen Osten: die Palästinenser dürfen vielleicht nicht alles tun, was sie tun, aber man hat enormes Verständnis und bietet jede Menge Rechtfertigung für Bomben, Mord, Verstümmelungen, übelste Hetz-Propaganda (die in Teilen sogar ungehemmt übernommen wird), Vertragsverletzungen usw. Aber derjenige, der sich dagegen wehrt, der wird verurteilt, dem wird jedes miese, hinterhältige Motiv unterstellt, das sich finden lässt.

Es wird ausgeblendet, dass Israel seit der Rückkehr der Juden nach „Palästina“ von allen umliegenden Arabern massiv bekämpft wird, mit dem einen, klar erklärten Ziel: Vernichtung. Es wird ausgeblendet, dass Arafat und seine Kumpane die Verträge von Oslo (und allen, die dazu gehören), nie Ernst gemeint haben – die Belege dafür werden schlichtweg nicht wahr genommen oder als israelische/rechte/extrem-christliche Propaganda abgetan. Es wird ausgeblendet, wie viel Israel sich bemüht hat, dass ein Friedensschluss möglich wird – die Angebote werden als nicht ausreichend angesehen (und damit die arabische Propaganda ohne sie zu hinterfragen übernommen). Es wird ausgeblendet, dass die PA ab 1993/94 statt z.B. einer vertraglich vereinbarten Erziehung zum Frieden und Ausgleich ausschließlich (!) den wilden Hass auf Juden/Israel in seinen Schulen, Medien und Moscheen predigen ließ. Hier hören wir immer nur – wie gerade erst wieder von den Außenministern der EU -, dass Arafat der einzig mögliche Partner für einen Frieden ist.

Arafat wird offensichtlich als eine Art Michail Gorbatschow des Nahen Ostens oder zumindest Palästinas angesehen. Wie der damals in der Sowjetunion eine neue Ära einläutete, so wird dies in Bezug auf den Nahen Osten Arafat zugeschrieben. So wie Gorbatschow in der zweiten Hälfte der 80-er Jahre Glasnost und Perestroika verkündete und eine gewisse Öffnung dem Westen gegenüber propagierte und die neue Offenheit in der eigenen Gesellschaft (wenigstens zum Teil) durchsetzte, so schreibt man Arafat den neuen Friedenswillen des Nahen Ostens und eine gewisse Öffnung zum Westen und zur Demokratie zu. Welche Berechtigung das hat, bleibt allerdings im Dunkeln.

Seit den 90-er Jahren verkündet Arafat gegenüber dem Westen Frieden; den „Frieden der Mutigen“, zu dem Israel ausgerechnet nach der unsäglichen PLO-Unterstützung für Saddam Hussein gedrängt wurde; es wurde der Prozess des „Land für Frieden“ vereinbart, der von der israelischen Linken mit Hilfe des Westens in einem Versuch angestrebt wurde, der durch keine einzige Erfahrung mit dem Vater des modernen Terrorismus gerechtfertigt war.

Wie widersprüchlich das ist, kann man vielleicht daran erkennen, dass Israel von Saddam mit Massenvernichtungsmitteln in einem Krieg bedroht wurde, der mit Israel nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte. Allerdings kam der kollektive arabische Antiisrael-Reflex zum Tragen, als der Irak durch den Aufbau der US-Golf-Allianz in die Defensive gedrängt wurde und flux Israel zum eigentlichen Ziel seines Krieges erklärte. Anscheinend reicht das aus, um eine Koalition zu sprengen, die einen arabischen Aggressor bekämpfen will; der ruft zum Kampf gegen das „zionistische Gebilde“ auf und schon ist alles mehr oder weniger gerechtfertigt oder vergessen, was er vorher tat – er muss in diesem Kampf unterstützt werden, schließlich es geht ja gegen die Zionisten. Israel durfte sich nicht aktiv verteidigen, das hätte die Allianz gesprengt. Also fielen Raketen auf den jüdischen Staat, es gab Tote (wenn auch nur einen durch direkte Einwirkung dieser Waffen). Aber Israel hielt still. Es verzichtete darauf sich zu wehren.

Zur Belohnung für dieses Stillhalten, zur Belohnung, die Golfkriegs-Allianz nicht gesprengt zu haben, wurde ihm der „Frieden“ mit Arafat aufgedrückt. Nach Beendigung der Kampfhandlungen gegen Irak hieß es, jetzt müsse aber Israel (das sich den Aggressionen der arabischen Seite gegenüber still verhalten hatte) den Palästinensern (die die Aggressionen begrüßt, unterstützt und bejubelt hatten) entgegen kommen. Als direkte Folge des Krieges Saddams und der westlichen Intervention zu Gunsten der übrigen Araber! Welche Logik hat das?

Arafat war durch sein Verhalten (jahrzentelanger Terror, Saddam-Unterstützung) zu diesem Zeitpunkt eigentlich im Mülleimer der Geschichte gelandet. Er wurde vor allem von Europa im Verein mit den Arabern aus diesem wieder hervor geholt. Wie sich jetzt zeigt, war das ein Riesenfehler; denn der Mann aus dem Müll mauserte sich durch geschickte Propaganda zum Friedensengel, der die Vernichtung Israels voran treibt. Nur: Europa will das nicht glauben, Europa verschließt die Augen davor.

Arafat redet ständig vom Frieden, von Rechten, von legitimem Widerstand und von Waffenstillständen – vor der westlichen Presse und vor westlichen Politikern. Die aufrührerischen Reden, das Gehetze in der arabischen Medienwelt, in arabischer Sprache, wird nicht wahrgenommen. Der Jubel über tatsächliche sowie die vermeintlichen Friedensbotschaften, Waffenstillstands-Ankündigungen und Gewaltsverzichts-Aufrufe übertönt die unmittelbar danach ausgegebenen gegenteiligen Parolen. Wen kümmert das schon? Europa folgt damit einem Wunschbild, das es sich selbst aufgebaut hat und das jeder Prüfung der Realität zum Opfer fallen würde.

Gorbatschow musste wohl nach seiner Wahl zum Partei- und Staatsratschef der KPdSU bzw. Sowjetunion die Partei-Sprache benutzen und erst alles umdefinieren, so dass es sich noch ähnlich bis gleich anhörte, aber doch dann eine andere Auslegung bekam; das war nötig, um die konservativen Parteibonzen bei der Stange zu halten oder ersetzen zu können und keine „Revolution“ gegen sich heraufzubeschwören. Die kam zwar 1992 trotzdem, aber da war schon so viel geschehen, dass es eine widerstandsbereite Bevölkerung und einen Boris Jelzin gab, die ihren Erfolg verhinderten.

Genau so scheint man Arafat zu sehen: Den eigenen Leuten gegenüber „muss“ er so reden, wie er redet. Nur darf man das nicht Ernst nehmen, denn es dient ja dem Frieden, weil er sein Volk erst langsam „umdrehen“ muss, weg von der Konfrontation und hin zum Miteinander. Und deshalb ist er einzig möglicher Verhandlungspartner; alle Hoffnung wird auf seine Version des vermeintlichen Friedens gesetzt. Aber ist das wirklich so?

Arafat hatte zehn Jahre Zeit, diesen „Umerziehungsprozess“ zu beginnen. Gorbatschow hatte sein Werk innerhalb von fünf Jahren so weit voran gebracht, dass der Ost- West-Konflikt praktisch ausgeräumt war. Arafat aber hat einen Propaganda-Apparat aufgebaut, der seit seiner Einrichtung kontinuierlich den Hass und den Kampf gepredigt hat; das Schulsystem der PA nutzt seit seiner Übernahme durch die PLO ausschließlich (aktuelle) Schulbücher, die aus den beiden Nachbarländern stammen, mit denen Israel Friedensverträge abgeschlossen hat: Jordanien und Ägypten. Aber diese Bücher verunglimpfen die Juden als Untermenschen, Teufel, Pest, Krebsgeschwür, Weltverschwörer usw., die ausgerottet werden müssen; diese Schulbücher predigen den Palästinenserstaat vom Jordan bis zum Mittelmeer – keine Rede vom Existenzrecht Israels. Die „Entschuldigung“, dass diese Bücher aus Ägypten und Jordanien stammen, zieht nicht. Was für ein Frieden ist das, der den Vertragspartner derart darstellt? Was kann Israel von diesen „friedlichen“ Nachbarn erwarten, wenn sie solche Hetze in ihre Kinder einpflanzen? Dann hätte das Material gar nicht benutzt werden dürfen oder es hätte in der Lehrerausbildung wie im Unterricht entsprechend aufgearbeitet werden müssen. Das geschah aber nicht, es wurde so gelehrt, wie es drin stand. Und dann hat nach sieben Jahren „Friedenspolitik“ des sich selbst zum Präsidenten überhobenen Vorsitzenden der Autonomiebehörde die PA für einige Klassen eine Reihe eigener, neu entwickelter Schulbücher eingeführt – von Mitgliedern der EU finanziert. Und was steht drin? Israel ist ein teuflisches, zionistisches Gebilde mit dem Ziel, die Palästinenser auszurotten, den Islam zu erniedrigen und die jüdische Weltverschwörung voran zu treiben; das „historische Palästina“ muss wieder errichtet werden (wann hat es je ein solches gegeben?), vom Jordan bis zum Mittelmeer. Der jüdische Staat existiert in den Büchern nicht, wird weder auf einer Karte gezeigt, noch anerkannt – statt dessen gilt „das ganze historische Palästina“ als von Juden besetzt und muss befreit werden.

Was hat Arafat getan, das mit Gorbatschow vergleichbar wäre? Ausschließlich die Reden gegenüber dem Westen, die er hält. Alles andere, die internen Änderungen, Reformen, hat er nicht einmal ansatzweise angefangen. Im Gegenteil: Er hat die Gegensätze zu Israel verschärft, hat schon 1994 verkündet, dass er die Verträge von Oslo als gleichwertig mit dem des Propheten Mohammed mit den Qureish ansieht. Der war auf zehn Jahre vereinbart worden, aber der Gründer des Islam hatte ihn nach nicht einmal zwei Jahren gebrochen, sobald er sich stark genug fühlte sie zu besiegen. Damit ist Oslo von Vorneherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Ein Friede war nicht in Sicht. Aber die Schuld für die heutige Situation wird Netanyahu und anderen „rechten“ Politikern Israels angelastet.

Wieso? Weil Israel seinen Pflichten nicht nach kam und den Rückzug mit Übergabe von Territorium an Arafat nicht in der Geschwindigkeit durchführte, wie sie ursprünglich vorgesehen waren. Kein Wort darüber, dass Arafat seine Verpflichtungen nicht einmal ansatzweise umzusetzen begann; kein Wort darüber, dass Israel die „Friedensdividende“ erduldete (durch Terror ermordete und verstümmelte Israelis) und dass die Terroristen die Autonomiegebiete als Schutz- und Rückzugsgebiete nutzten, in denen sie nichts zu befürchten hatten, weil sie dort nicht verfolgt wurden, eher noch das Gegenteil. Statt Anerkennung für seine Geduld und lange Zurückhaltung zu ernten, wurde Israel beschimpft und angegriffen, Männer wie Netanyahu zu immer weiteren Rückzügen aus den Gebieten ohne irgendeine Gegenleistung der Palästinenser gezwungen.

Und selbst jetzt noch, nachdem Arafat einen Verhandlungsfrieden sabotiert hat und nach 17 Monaten Palästinenser-Terror, werden die Schuldigen weiter nur auf der Seite Israels gesucht. Die EU-Außenminister erklären, dass Arafat der einzig mögliche Verhandlungspartner ist – ausgerechnet der, der selbst auf dem Prüfstand stehen müsste; der endlich den Beweis erbringen müsste, dass er zum Frieden bereit ist; der immer mit gespaltener Zunge geredet hat – der wird nun zum Zentrum der Welt des Nahen Ostens gemacht, zu dem, der darüber entscheidt, was richtig ist und was nicht.

Nein, Arafat ist kein Gorbatschow, ganz im Gegenteil. Er ist eine inzwischen aus dem arabischen Nationalismus und Sozialismus heraus muslimisierte Version Stalins: Von Verfolgungswahn besessen, genauso von seiner Mission (Vernichtung des jüdischen Staates und der „jüdischen Verschwörung“), von Narzismus zerfressen; dazu noch mit einem derart korrupten Apparat umgeben und selbst mit derart Unmengen von Geldern in den eigenen Taschen (das könnte anders als bei Stalin sein), die seinem Volk hätten zu Gute kommen müssen, dass sogar seine eigenen „Brüder“ (sprich: die arabischen Staaten) ihm nichts gerne direkt in die Hände geben, sondern es – anders als die EU – kontrolliert selbst verteilen wollen – die versprochene eine Milliarde US-Dollar für die Unterstützung der „Intifada“ ist immer noch nur in Teilen eingetroffen!

Und von diesem, von seinen arabischen „Brüdern“ als nicht vertrauenswürdig angesehenen „Präsidenten“, sollen die Israelis ihr Schicksal bestimmen lassen. Dann können die Juden auch gleich kollektiven Selbstmord begehen.

Arafat kann schon deshalb kein Gorbatschow sein, weil er im Vergleich die Generation verkörpert, die mit dem Tod des letzten Vorgängers des sowjetischen Reformers unter ging. Es hat keinen fundamentalen Wechsel gegeben – Arafat macht das, was er immer gemacht hat, nur auf einem anderen Level und in einer anderen Art. So, wie z.B. Breschnjew nach Unterzeichnung der SALT-Abkommen die SS-20 stationierte, lässt Arafat Waffen einschmuggeln – Gorbatschow hatte dagegen zur Verringerung der (Atom-)Waffen beigetragen.

Der große Wechsel hat nirgendwo in „Palästina“ stattgefunden. Arafat hätte wie Gorbatschow die Gegner des notwendigen neuen Weges zurück drängen müssen – er hat sie aber gefördert und genährt und zur Haupt- wenn nicht der einzigen Kraft in „Palästina“ gemacht. Er hätte wie Gorbatschow Reformen beginnen müssen – er hat aber die Kräfte forciert, die jede Reform verhinderten und sich lediglich bereichern. Die Liste lässt sich beliebig verlängern.

Europa drängt nicht nur, es fordert kategorisch die Zusammenarbeit mit Arafat. Ohne Arafat kann man sich nicht vorstellen, dass etwas erreichbar ist. Was aber ist MIT Arafat erreichbar?

Was ist, wenn dieser über 70 Jahre alte Scheinmessias plötzlich, aus welchem Grund auch immer (aber ohne Einwirkung der Israelis) nicht mehr zur Verfügung steht? Wird dann alles wirklich nur noch schlimmer?

Die Terroristen verlören nach europäischer Lesart (die berechtigt zu sein scheint) eine Identifikationsfigur, eine einigende Persönlichkeit, eine Art Übervater. Was ist daran so schlimm? Der vermeintliche Gorbatschow Palästinas wird keinen akzeptablen Frieden bringen, sondern nur eine Verbesserung der Ausgangssituation im Kampf gegen Israel anstreben. Der tödliche Überlebenskampf Israels wird weiter gehen.

Und was sollte ohne Arafat schlimmer werden? Die Attentate finden auch jetzt statt. Der Hass der Palästinenser wird von ihm nicht weniger geschürt. Die Ziele werden nicht geändert. Es besteht aber die Chance, dass die Uneinigkeit der Palästinenser nach Arafat dazu führt, dass Israel die zersplitterten Gruppierungen und Fraktionen eine nach der anderen in die Schranken weisen kann.

Eine Sowjetunion ohne Gorbatschow hätte die Konfrontation mit dem Westen weiter verfolgt. Die Sowjetunion unter Gorbatschow suchte die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und eines gewissen Ausgleichs mit dem Westen. Ein „Palästina“ verfolgt ausschließlich den Kampf gegen die Juden – mit oder ohne Arafat. Keine Rücksicht auf wirtschaftliche Nöte des Volkes, kein Weg des Ausgleichs mit den Israelis – nur Konfrontation und Maximalforderungen, die Israels Selbstmord bedeuten würden. Arafat weiß, was für Israel inakzeptabel ist und fordert daher genau das. Damit wird ein Ausgleich von vorne herein verhindert und der Grund für die Fortsetzung des „bewaffneten Kampfes“ geschaffen.

Während also Gorbatschow für den Wechsel stand, für eine neue Generation in der Sowjet-Führung, steht Arafat in der PLO/PA für Kontinuität der Konfrontation. Aber so, wie Gorbatschow vor seiner Wahl ins wichtigste Amt der UdSSR kaum bekannt war und jeder sich erst einmal fragte: „Wer ist denn der?“, so könnte auch aus den Palästinensern einer an die erste Stelle gespült werden, der heute weitgehend unbekannt und unbeachtet ist. Dann wäre ein Wechsel der palästinensischen Politik möglich. Diese Chance darf man nicht verneinen, nur weil man hier bei uns niemanden sieht, der den Stuhl Arafats übernehmen könnte.

Ob Europa das zu begreifen in der Lage ist? © heplev, Februar 2002