Die Wahl in Deutschland: der langfristige Einfluss der Vergangenheit

Manfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Die gerade stattgefundenen Parlamentswahlen haben einmal mehr gezeigt, dass Deutschland den Einfluss seiner kriminelle Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg nicht aus seinem System waschen kann. Der Wahlerfolg der Partei AfD, die 12,6% der Stimmen erhielt, wird allgemein als Beispiel dafür betrachtet, dass die Wähler die Politik der offenen Tür ablehnen, die seit September 2015 mehr als eine Million Migranten nach Deutschland gebracht hat, darunter viele Muslime aus Syrien und dem Irak.

Ein Schlüsselelement der unangebrachten Politik der offenen Tür der Regierung bestand darin der Welt zeigen, dass das heutige Deutschland das Gegenteil von Nazideutschland ist. Letzteres verfolgte eine ethnische Minderheit in Tötungsabsicht. Das heutige Deutschland versuchte riesige Zahlen eine anderen Minderheit willkommen zu heißen. Als Ergebnis dieses falschen Konzepts verlor die führende Christlich-Demokratische Union enorm und erhielt bei der Wahl einen niedrigeren Stimmenanteil als bei allen vorherigen Wahlen mit Ausnahme von 1949. Das wird üblicherweise als hauptsächlich mit der weitverbreiteten Opposition zum riesigen Migrantenstrom in Verbindung stehend interpretiert.

Es gibt viele weitere Beweise für das Argument, dass der Einfluss des Zweiten Weltkriegs immer noch von Bedeutung ist. Hier können nur ein paar wenige genannt werden: Eine Reihe von Umfragen zeigt über die Jahre, dass mindestens 40% der Deutschen Israel dadurch dämonisieren, dass sie von ihm denken, es behandle die Palästinenser so wie die Nazis die Juden.[1] Das ist eine mutierte zeitgenössische Auffassung aus der Nazizeit, in der Juden als das absolut Böse galten – jetzt wird Israel als das absolut Böse betrachtet. Das sagt weit mehr über die Psyche dieser Deutschen aus als über Israel. Der verstorbene, in Deutschland geborene israelische Psychologe Nathan Durst, der solche Phänomene analysierte, sagte: „Wenn alles furchtbar wird, gibt es kein absolutes Böses mehr. Das ist eine große Erleichterung für die Erben der Schuld.“[2]

Dieselbe Notwendigkeit die Vergangenheit zu „kompensieren“ gibt es in vielen deutschen Medien. Benjamin Weinthal hat in der Jerusalem Post die regelmäßigen starken Verfälschungen der linken Tageszeitung taz zum palästinensisch-israelischen Konflikt aufgezeigt.[3]

Ein Ereignis illustriert das extreme Bedürfnis einiger führender Deutscher Israel zu dämonisieren. Es ist wegen der beteiligten Person und der Zeitung, die seinen Text veröffentlichte, ikonenhaft. Die „liberale“ Süddeutsche Zeitung veröffentlichte 2012 ein Hass-Gedicht des Literatur-Nobelpreisträgers Günter Grass. Er behauptete, dass Israel zum Ziel habe am iranischen Volk mit Atombomben Völkermord zu verüben.[4] Das war eine der ekelhaftesten Beschuldigungen in einem großen Spektrum an Dämonisierungstricks. Ohne jegliche Basis in der Realität wird ein Ziel der Vorbereitung einer extrem üblen Tat in der Zukunft beschuldigt.

Grass, der die Sozialdemokraten unterstützte, hatte keine makellose Vergangenheit. Im Alter von 17 Jahren trat er freiwillig der Waffen-SS bei. Mehr als 60 Jahre lang verbarg er diesen Umstand.[5] Dieselbe „Qualitäts“-Zeitung hat zudem antisemitische Karikaturen über Israel veröffentlicht.[6]

Grass‘ hetzendes Gedicht erinnerte mich an eine ganz andere Beschuldigung zukünftiger böser Taten. Als ich 1990 im Ausland für ein Buch zum wirtschaftlichen und politischen Potenzial Italiens recherchierte, interviewte ich ein Mitglied der Geschäftsleitung einer der größten deutschen Banken. Sein Vater war ein prominenter sozialdemokratischer Politiker. Sein Interesse an unserem Gespräch nahm stark zu, als er bemerkte, dass ich Israeli war.

Wir diskutierten allerlei deutsche, jüdische und israelische Themen. Er merkte an, dass zeitgenössische Deutsche in der Lage seien dasselbe zu tun, was die Nazis den Juden antaten. Ich glaubte das damals nicht, glaube es auch heute nicht. Wenn jedoch ein solcher Vorwurf von den internationalen Medien und anderen systematisch propagiert worden wäre, bis 40% der Europäer es glauben, dann wäre Deutschlands Führungsposition in Europa unhaltbar geworden.

Zusätzlich zu dem oben Erwähnten bestätigen viele weitere Beispiele die wichtige Botschaft: Es ist unmöglich in weniger als fünfundsiebzig Jahren gigantische Verbrechen wie die der Deutschen unter der Naziherrschaft aus der Mentalität des Landes wegzuwaschen.

All das hat mehrere wichtige Folgen für die deutsche Politik gehabt. Deutschlands Führungspolitiker müssen in gewissen sozialen Fragen viel weiter vorausdenken als in anderen Ländern. Die Flüchtlingsfrage ist das jüngste herausragende Beispiel dieses Bedürfnisses. Sie hätte schon vor Jahren angegangen werden sollen. Als Millionen Zivilisten begannen aus Syrien und dem Irak zu fliehen, konnte man absehen, dass ein Teil von ihnen nach einiger Zeit in wohlhabende westeuropäische Länder und insbesondere nach Deutschland emigrieren wollen würden. Es wäre logisch gewesen, hätte die deutsche Regierung als Führer der EU im Voraus daran gedacht im Nahen Osten Orte für diese Flüchtlinge zu finden und Vorschläge zu machen, welche Finanzierung zu diesem Zweck von westlichen Ländern zur Verfügung gestellt werden sollte.

Als der Strom der Flüchtlinge 2015 rapide zunahm, hätte Deutschlands Führung erkennen müssen, dass ein massiver Zustrom ernste Konsequenzen für den Zusammenhalt der deutschen Gesellschaft haben würde. Frühere Immigration, zumeist durch Muslime, hat bereits zu wichtigen Integrationsproblemen mit einem Teil von ihnen geführt.

Das Wahlergebnis und die erwarteten Probleme für die Bildung einer kohärenten Regierung sind eine zusätzliche Erinnerung daran, dass in einem immer noch von der Vergangenheit beeinflussten Deutschland für riesige Fehler ein hoher Preis gezahlt wird. Das sollte auch zur Besinnung bezüglich der radikalen Pläne führen, die in Sachen weiterer Integration der – von Deutschland dominierten – Europäischen Union verbreitet werden.[7]

[1] http://www.jpost.com/Opinion/The-three-Germanies-501099

[2] http://www.jcpa.org/phas/phas-durst.htm

[3] www.jpost.com/Diaspora/German-progressive-paper-blasted-for-legitimizing-terrorism-and-stoking-Nazi-like-ideology-505771; http://www.jpost.com/Diaspora/Writer-under-fire-for-demonizing-German-Jews-506158

[4] http://www.sueddeutsche.de/kultur/gedicht-zum-konflikt-zwischen-israel-und-iran-was-gesagt-werden-muss-1.1325809

[5] http://www.theguardian.com/world/2006/aug/16/germany.books

[7] http://www.jpost.com/Jewish-World/Jewish-News/German-paper-publishes-anti-Semitic-cartoon-attacking-Israel-318473

[7] https://euobserver.com/political/139214