Drei verschiedene Deutschlands

Manfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Das zeitgenössische Deutschland manifestiert sich auf drei Arten: das alte Deutschland, das neue Deutschland und das „mutierte“ Deutschland. Viele Ereignisse in Europa haben für Israel, Juden und/oder das Verstehen der Auswirkungen des Holocaust relevante Aspekte. In Deutschland ist dies öfter der Fall als in anderen europäischen Ländern.

Die jüngste extreme Gewalt von Anarchisten aus einer ganzen Reihe von Ländern vor und während des G20-Treffens von Weltführern in Hamburg ist ein typisches Beispiel. Bereits vor dem Treffen legten Randalierer Feuer, zündeten Autos an, zertrümmerten Schaufenster und warfen Molotowcocktails. Mehr fast 600 Polizisten wurden verletzt.[i]

Man frag sich, ob 20.000 Polizisten, die später von weiteren Kräften unterstützt wurden, diese Gewalt nicht durch Einsatz energischeren Handelns gegenüber den Randalierern hätte verhindern können. In Deutschland, wo die gewaltigen Verbrechen des Holocaust oft im Bewusstsein und vermutlich noch mehr im Unterbewusstsein vorhanden sind, lässt man lieber Bürger unter öffentlichen Unruhen leiden, statt den versehentlichen Tod eines Randalierers zu riskieren.

Gestärkt durch radikal andere Erfahrungen geht Israel mit diesen Dingen anders um. Sechs Millionen Juden wurden im Zweiten Weltkrieg von Deutschen getötet. Die israelische Regierung ordnet die Sicherheit ihrer Soldaten höher ein als die von denjenigen, die sie angreifen.

Auf den ersten Blick ist die deutsche Haltung gegenüber Randalierern nicht einzigartig. Während der Plünderungskrawalle durch Immigranten-Jugendliche aus muslimischen Ländern im Herbst 2005 in Frankreich verlor die Regierung mehrere Tage lang die Kontrolle. Schläger steckten Autos; Geschäfte und öffentliche Gebäude in Brand.[ii] Die Gründe dafür, dass die französische Regierung in ihrem Handeln gegenüber den Hooligans zurückhaltend war, unterschieden sich von denen der Deutschen. Wenn ein Randalierer getötet wurde, hätten sich weitere Mobs an Jugendlichen sich der Gewalt und den Plünderungen anschließen können. Auch wenn es in verschiedenen linken Kreisen Sympathie für die Hooligans gab,[iii] hatten die Randalierer in Hamburg keine signifikanten Kräfte in der Hinterhand.

Die jüngste starke Immigration von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern nach Deutschland hat sowohl „Holocaust-Einfluss“ als auch jüdische Aspekte. Damit, mehr als eine Million, hauptsächlich muslimische Flüchtlinge, nach Deutschland zu holen, versuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel der Welt zu zeigen, dass es ein neues Deutschland gibt. Die Botschaft war klar: Im Gegensatz zum alten Deutschland, das die jüdische Minderheit ermordete, hieß das neue Deutschland eine große Zahl einer anderen Minderheit, Muslime, willkommen.

Es gibt allerdings einen Haken. Viele der neuen Immigranten kommen aus Ländern, in denen es eine weit verbreitete, extreme Indoktrination mit Judenhass gibt. Das neue Deutschland ermöglichte damit die massive Zuwanderung von Antisemiten. Das ist nicht der einzige Preis, der gezahlt wird. Während der Silvesterfeiern von 2015/16 gab es in verschiedenen Städten sexuelle Übergriffe von Immigranten aus muslimischen Ländern gegenüber hunderten Frauen. Dasselbe passierte auch in einigen anderen europäischen Städten.

Man sollte daher das neue Deutschland etwas genauer zu untersuchen. Das Willkommen für russisch-jüdische Immigranten in vergangenen Jahrzehnten ist ein Indikator eines neuen Deutschland. Genauso die vielen Holocaust-Gedenkstätten überall im Land. Zusätzliche riesige Anzahlen an Antisemiten unter den Immigranten hereinzuholen wirft allerdings einen Schatten auf dieses neue Deutschland. Das Verhalten der extremsten Muslime könnte die Auswanderung einiger deutscher Juden verursachen.

Auch einige neue Versionen des alten Deutschland sind übrig geblieben. Ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung sind Neonazis. Sie sind nicht nur klassische Antisemiten, was Juden betrifft, sondern sie hassen auch Israel. Darüber hinaus gibt es eine weitere wichtige Gruppe, die man „mutiertes Deutschland“ nennen könnte. Diese Leute haben die Dämonisierung der Juden durch die Dämonisierung Israels ersetzt.[iv]

Sieben von 2004 bis 2015 von der Universität Bielefeld bzw. der Bertelsmann-Stiftung durchgeführte Studien ermittelten den Anteil der Deutschen, die zustimmten, dass Israel mit den Palästinensern so umgeht, wie die Nazis es mit den Juden taten. In der Umfrage von 2004 stimmten 51% zu.[v] 2015 betrug dieser Anteil 41%.[vi] Die deutschen Medien haben bei dieser Dämonisierung Israels eine Schlüsselrolle gespielt. Mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust gibt es hinlänglich Hinweise darauf, dass die gegenwärtige deutsche Demokratie immer noch enorme dunkle Flecken hat.

Drei unterschiedliche Deutschlands zu definieren, ist von Natur aus eine breite Kategorisierung. Als Werkzeug kann es aber hilfreich sein viele verschiedene Vorkommnisse zu klären, die sich im Land ereignen – oder zumindest gut definierte Fragen dazu zu stellen.

Bei Muslimen gibt es zum Beispiel Segmente, die dem alten Deutschland sehr nahe kommen. Ihre sichtbarsten Aufwiegler marschieren jedes Jahr am Quds-Tag in Berlin.[vii] Diese Demonstration ist eine Erfindung des iranischen Ayatollah-Regimes, das das Verschwinden Israels anstrebt, was nur durch Völkermord erreicht werden kann.

Ein weiteres Beispiel liefert eine Studie des britischen Think Tanks Chatham House, die zeigt, dass 51% der Deutschen möchte, dass das Land keine weiteren muslimischen Immigranten aufnimmt.[viii] Man kann vernünftigerweise annehmen, dass die „alten Deutschen“, d.h. Neonazis, zu denen gehören, die gegen die Zuwanderung sind. Es wäre aber aufschlussreich, wenn eine Meinungsumfrage durchgeführt würde, die zeigt, wie viele der Übrigen dem „neuen Deutschland“ näher stehen und wer zum mutierten Deutschland gehört.

Das sind nur zwei Beispiele dafür, wo das analytische Mittel der drei Deutschlands sich als nützlich erweist. Man riskiert nicht viel, wenn man vorhersagt, dass es in den kommenden Jahren viele weitere Ereignisse geben wird, bei denen die Verwendung dieser Einstufung Analysten in die Lage versetzen wird sie besser zu verstehen.

[i] https://www.welt.de/politik/deutschland/article166822423/Mehr-Opfer-als-bisher-bekannt-fast-600-Polizisten-verletzt.html

[ii] http://jcpa.org/article/the-autumn-2005-riots-in-france-part-i/; http://jcpa.org/article/the-autumn-2005-riots-in-france-part-ii/

[iii] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/g20-ausschreitungen-in-hamburg-die-linke-muss-sich-entscheiden-a-1156717.html

[iv] www.welt.de/geschichte/article166649191/Antisemitismus-ist-niemals-links-falsch-gedacht.html

[v] Aribert Heyder/Julia Iser/ Peter Schmidt: Israelkritik oder Antisemitismus? Meinungsbildung zwischen Öffentlichkeit, Medien und Tabus. In: Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Deutsche Zustände. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2005, S. 144ff.

[vi] www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Studie_LW_Germany_and_Israel_today_2015.pdf, S.35

[vii] www.berliner-zeitung.de/berlin/zentralrat-der-juden–al-quds-demonstration-ist-schande-fuer-berlin—24308930

[viii] www.chathamhouse.org/expert/comment/what-do-europeans-think-about-muslim-immigration

Ein Gedanke zu “Drei verschiedene Deutschlands

  1. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat.
    Der wird öffentlich vertreten/dargestellt durch Kontroll- und Ordnungskräfte (z.B. Polizei).
    Wenn Randalierer – in erheblichem Umfang! – unter dem Deckmantel »Demonstration« zerstörerische Gewalt gegen das Eigentum privater Unbeteiligter ausüben, hat der Staat mit Gegengewalt einzuschreiten.
    Tut er das nicht, billigt er.

    Gewalt, Chaos und Zerstörung waren beim G20 in HH vorzusehen und sogar vorausgesagt, sogar von den Chaoten angedroht.

    Der Staat hätte – auch mit dosiertem Schusswaffengebrauch – dagegen vorgehen müssen.
    Das wurde unterlassen.
    Also war der Staat entweder nicht adäquat handlungsfähig, oder das Ergebnis war – auch durch Hinnahme – gewollt.

    Im Anbetracht vieler anderer Umstände – geplante Gesetzesänderungen und Schüren von Ängsten – war das Resultat gewollt.

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