15 Jahre seit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen: „die dramatischste Entwicklung in der palästinensischen Arena“

Israelische Beobachter sagen, es gäbe zweifellos einen weiteren Hamas-Putsch, ohne dass die IDF in der Westbank agiert, ganz so wie der vom Juni 2007 im Gazastreifen. Bereitet die Hamas sich darauf vor ihren Schritt am Tag nach dem Abgang von PA-Führer Mahmud Abbas zu unternehmen?

Palsätinenser wählen vor dem muslimischen Feiertag Id al-Adha Schafe, Kühe und Kamele auf einem Viehmarkt in Rafah aus, südlicher Gazastreifen, 2. Juli 2022 (Foto: Abed Rahim Khatib/Flash90)

Yaakov Lappin, JNS.org, 6. Juli 2022

Vor 15 Jahren, im Juni 2007, machte die Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts eine erdbebenartige Veränderung durch. Die islamistische Terrorfraktion Hamas ergriff im Gazastreifen mit einer Serie tödlicher Überfälle die Macht, schoss Raketen und Mörser auf von der Fatah geleitete PA-Basen und stürmte ihre Stellungen. In brutalen Hinrichtungen warf die Hamas PA-Personal von Hausdächern in den Tod und vollführte Erschießungen in Krankenhäusern, was viele des verbleibenden PA-Personals zwang in die Westbank zu fliehen.

Im Blick zurück auf den palästinensischen Schauplatz der letzten Generation erzählte Oberst (a.D.) David Hacham, ein ehemaliger Berater für arabische Angelegenheiten bei sieben israelischen Verteidigungsministern und ranghoher wissenschaftlicher Mitarbeiter am MirYam-Institut gegenüber JNS: „Es gibt keinen Zweifel: Die wichtige, höchst bedeutende und dramatischste Entwicklung ist die Machübernahme der Hamas im Gazastreifen und die Zwangsvertreibungen der PA und ihres Personals aus dem Bereich mit Hilfe des Einsatzes von Gewalt gewesen.“

Dieses Ereignis hat langfristige Auswirkungen auf alle folgenden internen palästinensischen Entwicklungen, insbesondere der Machbalance zwischen Hamas und Fatah, sowie auf das Wesen des palästinensisch-israelischen Konflikts, sagte er.

„Die Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen war einer der Gipfelpunkte im Prozess des Machtaufbaus der Hamas [seit ihrer Gründung 1987] sowie ihrer Bemühungen ihre strategischen Ziele zu propagieren, um zur führenden, dominierenden Kraft im palästinensischen System zu werden“, sagte Hacham.

Diese Anstrengungen, die auch heute weitergehen, sind von ständigen Versuchen begleitet die Position der rivalisierenden Fatah-Bewegung zu untergraben, Teil der Zielsetzung der Hamas die PA und die PLO zu übernehmen, so Hacham.

Anhänger der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Jihad nehmen an einer Kundgebung zur Feier des tödlichen Terroranschlags von Tel Aviv am 7. April 2022 teil – südlicher Gazastreifen, 8. April 2022 (Foto: Attia Muhammed/Flash90)

Obwohl der Hamas-Putsch für viele Beobachter überraschend kam, war er letztlich ein erwarteter Schritt, sagte er, weil es eine Haltestelle auf der geplanten Reise der Terrororganisation zur Verwirklichung ihrer strategischen Ziele ist, zu denen letztlichen die Vernichtung Israels und seine Ersetzung durch einen palästinensisch-islamischen Staat gehört.

Im Juni 2007 diente Hacham als Berater für arabische Angelegenheiten im Büro des israelischen Verteidigungsministers; er war verantwortlich für die Koordination der Kontakte mit einer ägyptischen Sicherheitsdelegation, die damals im Gazastreifen aktiv war.

„Ich erinnere mich gut an die dramatischen Ereignisse, die damals eintraten“, sagte er. „Besonders den dringenden Telefonanruf, den ich vom ägyptischen General Burhan Hamed er hielt, der die Delegation des ägyptischen Allgemeinen Geheimdienst-Direktorats im Gazastreifen leitete. Er erzählte mir mit viel Emotion von dem, was vor Ort stattfand und bat, dass sich ihm helfe ihn aus der Gegend zu retten. Am Ende konnte er den Übergang Rafah erreichen und sicher auf die ägyptische Seite kommen“, erinnert sich Hacham.

Letztlich, sagte er, schuf die Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas ein zweiköpfiges palästinensisches Herrschaftssystem, in dem jedes Machtzentrum durch die Geografie, die Politik, religiöse Orientierung und die Demografie getrennt ist. Im Ergebnis, sagte Hacham, wurde die PA zu einer verkrüppelten Instanz, anfällig und Druck ausgesetzt, die nicht die gesamte palästinensische Bevölkerung oder Territorien, in denen sie lebt.

Ein Palästinenser geht an einem Graffiti vorbei, das Raketen schießende Hamas-Kämpfer darstellt; Khan Junis im südlichen Gazastreifen, 30. Mai 2022 (Foto: Abed Rahim Khatib/Flash90)

„Fehlende Transparenz, Korruption, Vetternwirtschaft und mehr“

Oberst (a.D.) Mosche Elad, einer der Gründer der Sicherheitskoordination zwischen den israelischen Verteidigungskräften und der PA, sagte, die Hamas habe nicht geplant ein Regime im Gazastreifen zu führen, das sich an den Taliban oder dem Islamischen Staat (ISIS) orientiert, weil der Charakter der Bevölkerung des Gazastreifens kein religiös-extremistischer ist. „Für die Bevölkerung des Gazastreifens ist das eine weitere Regierungsbehörde, fast eine Besatzung, würde ich sagen. Seit 1948, als die Ägypter ein Militärregime ausriefen, haben die Einwohner des Gazastreifens keinen einzigen Tag Unabhängigkeit erlebt“, sagte Elad, Dozent am Western Galiläa College im Norden Israels.

„Daher ist die Hamas eine Regierungsobrigkeit, die nach der ägyptischen und der israelischen Obrigkeit kam“, fügte er hinzu.

Andererseits, argumentiert Elad, hatte die Hamas den Erfolg Regierungsmuster zu schaffen, die nicht völlig scheiterten und die in gewissen Bereichen nicht „unter die der PA abfallen, sie in einigen sie sogar übertrafen, obwohl beide fehlende Transparenz, Korruption, Vetternwirtschaft und mehr haben.“

„Im Verlauf der Jahre hat die Hamas verstanden, dass es nicht sowohl Terrororganisation sein und einen Staat von 2 Millionen Menschen regiereng kann. Daher hat man in den letzten Jahren das Gefühl, dies sei in den Köpfen der Organisation internalisiert worden und sie beschäftigen sich intensiv mit der Frage, wie die Bevölkerung besser regiert werden kann, darunter Möglichkeiten die Lebensbedingungen im Streifen zu verbessern“, stellte er fest.

Eine der Möglichkeiten für die Hamas das Dilemma zu lösen, wie man regieren kann ohne seine extremistische Ideologie aufzugeben, bestand darin eine hudna mit Israel anzustreben, einen zeitlich begrenzten, mehrjährigen Waffenstillstand, der es ihr ermöglicht sich zu organisieren, wenn es um Souveränität geht und die Regierungsleistung zu verbessern, so Elad.

„Das charakterisiert übrigens andere Regime mit fundamentalistischen Veranlagungen, wie die frühere Herrschaft der Muslimbruderschaft in Ägypten, Marokko und Tunesien“, fügte er an. „Die Notwendigkeit eine Bevölkerung gut zu regieren und als zentrale Adresse zu agieren, lenkt den willen um sich mit religiös-extremistischer Ideologie auseinanderzusetzen.“

Palästinensische Arbeiter warten am Übergang Erez in Beit Hanun im nördlichen Gazastreifen darauf zur Arbeit nach Israel einzureisen, 13. März 2022 (Foto: Attia Muhammed/Flash90)

„Zuckerbrot und Peitsche, Öffnung und Schließung des Gazastreifens“

Im Blick voraus auf das Ziel der Hamas die Westbank zu übernehmen, sagte Elad, dies sei eines der Alptraum-Szenarien für die Gegend. „In einige Städten [in Judäa und Samaria] hat die Hamas de facto die Herrschaft, so in Nablus und in Hebron; und wenn die IDF nicht in der Westbank wäre, dann würde es dort zweifellos einen weiteren Putsch wie den vom Juni 2007 im Gazastreifen geben und niemand in der PA könnte das verhindern“, sagte er.

„In der Hamas gibt es weiter den Wunsch die Westbank zu regieren, aber die Bewegung weiß, dass das nicht einfach sein wird, solange Israel die Siedlungen sichert und gleichzeitig auf den Zustand von PA-Führer Mahmud Abbas und seine Regierung ‚ein Auge wirft‘“, erklärte Elad und fügte hinzu, dass die Schüssel-Gabelung vor uns liegt, wenn Abbas – heute 87 Jahre alt – abtritt.

„Wenn die Hamas beschließt sich an Wahlen zu beteiligen und das demokratisch zu tun, könnte sie gewinnen – oder zumindest ein Unentschieden mit der PLO erzielen. Es könnte sein, dass die Hamas versteht, dass sie die Westbank nur über demokratische Wahlen übernehmen kann und dass die Bewegung sich darauf vorbereitet“, erklärte er.

Hacham deutete auf Schlüsselentwicklungen, die zum Pusch führten, so Israels Abzug aus dem Gazastreifen 2005 und die palästinensischen Wahlen 2006, bei denen die Hamas eine Mehrheit der Sitze im Palästinenserparlament erlangte. Als Ergebnis dieser Entwicklungen wurde Ismail Haniyeh von der Hamas Leiter einer palästinensischen Einheitsregierung, die nach dem Putsch von 2007 aufhörte zu existieren.

Von dem Punkt an, sagte Hacham, verwandelte sich der Gazastreifen in zutiefst feindliches Territorium für Israel und zur Startrampe für Terror- und Raketenangriffe auf israelische Städte, was zu mehreren Runden der Kämpfe führte, dessen letzte die Operation „Wächter der Mauern“ im Mai 2021 war. Israelische Bauern litten unter Jahren mit Brandballons, die Ernten abbrannten, Einwohner des Südens wurden gewalttätigen – von der Hamas inszenierten – Versuchen ausgesetzt über die Grenze nach Israel einzusickern, die von der IDF gestoppt wurden. Städte und Orte im Süden wurden regelmäßig von willkürlichen, massenhaften Raketenangriffen aus dem Gazastreifen ins Visier genommen.

Laut Elads Bewertung hat Israel, trotz der Herausforderungen, ein effektives Rezept gefunden den Konflikt zu verwalten; er fügte hinzu, dass die Arbeitsplätze und wirtschaftliche Möglichkeiten zu fördern sich allgemein als entscheidend dabei erwiesen hat das Gebiet zeitweise ruhig zu halten.

„Solange die Hamas ihre kompromisslose Haltung zu Israel beibehält, ist dies die Art mit dem Gazastreifen umzugehen – Zuckerbrot und Peitsche, um den Streifen in Übereinstimmung mit der Sicherheitslage zu öffnen und zu schließen“, sagt er.

Inzwischen plant die Hamas darauf zu warten, dass die Fatah sich mit internen Machtkämpfen um Abbas‘ Nachfolger „selbst erschöpft“, hält Elad fest, und dann den Versuch zu unternehmen die Kontrolle zu übernehmen. Allerdings, stellt er heraus, „wird das, solange Israel dort ist, nicht geschehen“.