Der Anti-Netanyahu-Widerstand spielt mit dem Feuer

Ein falsches Narrativ zum Extremismus der neuen Regierung – verbreitet sowohl von Lapid als auch von linken Rabbinern – wird der Sache des Antizionismus helfen, nicht nur Netanyahus Kritikern.

Jonathan S. Tobin, 29. Dezember 2022

Wie die Demokraten, die an dem Wochenende, als im Januar 2017 Donald Trump als Präsident vereidigt wurde, zu Millionen auf die Straße gingen, haben Benjamin Netanyahus Feinde eindeutig vor als „Widerstand“ zu agieren statt als loyale Opposition.

Netanyahu und seine rechten und religiösen Koalitionspartner gewannen eine deutliche Mehrheit der 120 Sitze der Knesset; sie haben 64 Sitze gegenüber der Sammlung aus linken, ehemals rechten und arabischen politischen Parteien, die die letzten 18 Monate in Israel herrschten. Dennoch ist die Politik in Israel, wie im Fall der Vereinigten Staaten auch, zu einer Stammeskultur geworden. Aber selbst, wenn jeder sich inzwischen an die Situation gewöhnt hat, in der zwei Seiten einander nicht nur als falsch, sondern als Feinde von Anstand und Demokratie betrachten, spielen, während Netanyahus neue Regierung am Donnerstag vereidigt wird, seine Gegner mit Feuer.

Seitdem ihre Niederlage offenbar wurde, hat die „Jeder außer Bibi“-Opposition – angeführt von Interims-Premierminister Yair Lapid – ihr Bestes gegeben, um seinen Nachfolger als „gefährlich, extremistisch und unverantwortlich“ zu etikettieren. Nach dem Vorbild einer Seite aus dem Manuskript der US-Demokraten behauptet sein Lager, die Sieger der demokratischen Wahlen des Landes hätten vor die Demokratie zu zerstören.

Gemäß ihren Stichwörtern lassen viele in den israelischen Medien dieselben Themen dieser Quellen erklingen und plappern sie nach – wie die Kommentarseite der New York Times, auf die man sich immer verlassen kann, dass sie den jüdischen Staat ins schlimmstmögliche Licht stellt, wenn sie ihn nicht ganz und gar dämonisiert.

Die jüngste Eskalation dieser Bemühung kam von einer Gruppe von mehr als 300 amerikanischen Rabbinern. Sie unterschrieben einen offenen Brief, mit dem Netanyahu und seine Partner verurteilt wurden und gelobten Mitgliedern des von Bezalel und Smotrich geführten Zionistisch-Religiösen Blocks – zu dem Itamar Ben-Gvirs Partei Otzma Yehudit und die viel kleinere anti-LGBTQ-Fraktion Noam, geführt von Avi Maoz – zu vierbieten in ihren Synagogen oder bei ihren Organisationen zu sprechen.

Für jeden, der weiß, wie das amerikanisch-jüdische Leben funktioniert, ist dieser Boykott der 14 Knessetmitglieder, die unter dem Banner des religiösen Zionismus gewählt wurden, nichts Neues. Tatsächlich hießen viele der fraglichen Synagogen niemals Vertreter der israelischen Parteien rechts der Mitte willkommen, auch nicht denen von Netanyahus Likud.

Auch haben nur wenige von ihnen einen konservativen amerikanisch-jüdischen Redner eingeladen, außer er oder sie war von einem linken Gegenstück begleitet. Und selbst diese Praxis ist in den letzten Jahren mit dem Aufkommen der linken Intoleranz gegenüber Konservativen weitgehend aufgegeben worden.

Derweil werden jüdische Institutionen – einschließlich derer, die angeblich unparteiisch sind – oft genauso abgeneigt eine tatsächliche Diskussion über wichtige Themen zu ermöglichen, wie sie freier Meinungsäußerung gegenüber feindselig eingestellt sind – auf die Art, wie nicht linke Ansichten an Universitäten eher gecancelt werden statt über sie zu streiten.

Der Bann gegen die neu ins Amt kommende israelische Führung sollte daher in diesem Licht gesehen werden. Und ob Smotrich, Ben-Gvir oder orthodoxe Politiker zu Vorträgen eingeladen werden, wenn sie die USA besuchen, ist nicht die entscheidende Frage.

Was eine Rolle spielt, ist die anhaltende Propaganda-Kampagne Netanyahus Regierung als das moralische Äquivalent des Regimes im Iran darzustellen – ein Versuch Israel auf eine Weise zu schaden, die die Täter und ihre Weggefährten nicht zu verstehen scheinen.

Nicht überzeugende Argumente

Wenn man sie ernsthaft betrachtet, dann überzeugen die Gesprächsthemen zum mutmaßlichen Extremismus der neuen Koalition nicht.

Die Vorstellung, dass die vorgeschlagenen Reformen der Rechten zu einem außer Kontrolle geratenen, linken Obersten Gerichtshof antidemokratisch seien, sind absurd. Solche Reformen würden in einem System ein Maß an Rechenschaftspflicht wiederherstellen, in dem die Judikative jede Maßnahme, die von der Legislative verabschiedet wird, ohne Bezugnahme auf verfassungsrechtliche Prinzipien außer Kraft setzen kann – bis auf die, die die Richter frei erfinden.

Kein Amerikaner, ob rechts oder links, würde Richter tolerieren, die, anders als gewählte Repräsentanten des Volks, ihre Nachfolger selbst aussuchen. Dennoch ist das genau die Praxis, die von denjenigen verteidigt wird, die behaupten, sie zu ändern sei undemokratisch.

Andere vermeintlich extremistische Vorschläge sind, sieht man sie im Zusammenhang, ebenfalls nicht so radikal, wie sie dargestellt werden. Zum Beispiel ist die Behauptung der Kritiker Netanyahus, seine Regierung sei dabei Diskriminierung von Schwulen zu legalisieren oder Ärzten zu erlauben die Behandlung von Patienten aus religiösen Gründen zu verweigern, schlicht falsch.

Das tatsächliche Ziel ist es privaten Einzelnen und Unternehmen das Recht zu ermöglichen – wie es in der US-Verfassung vom ersten Verfassungszusatz gewährt wird – unter bestimmten Bedingungen nicht gezwungen zu sein an Praktiken teilzunehmen, die ihrem Glauben widersprechen.

Darüber hinaus plant Netanyahu, anders als die Petition der Rabbiner behauptet, nicht die Annexion von ganz Judäa und Samaria, ohne den Palästinensern das Wahlreich zu geben. Zur Debatte steht die Ausweitung des israelischen Rechts auf die von den Oslo-Vereinbarungen gekennzeichnete Area C, wo es israelische Gemeinden gibt, die nicht aufgegeben werden, selbst wenn die entfernte Möglichkeit eines Friedensvertrags mit den Palästinenser Realität werden sollte.

Genauso inhaltslos sind die Beschwerden der Rabbiner wegen eines Vorschlags Terroristen auszuweisen; ihre Petition behauptet fälschlich, das sei ein Versuch arabische Kritiker der Regierung mundtot zu machen.

Dann gibt es die Hysterie darüber Smotrich mehr Macht zu geben (als Finanzminister) um die Siedlungen zu finanzieren oder dem Minister für Nationale Sicherheit Ben-Gvir die Macht über die Polizei zu geben. Beides ist unangemessen.

Ersterer will schlicht die jüdischen Gemeinden in den Gebieten stärken, ein Schritt, der von der Mehrheit der israelischen Wählerschaft unterstützt wird. Letzterer hat ein Mandat zum Handeln, da die aus dem Amt scheidende Regierung das offenkundig nicht machte, um den starken Anstieg des palästinensischen Terrorismus und die heftige Verbrechensrate im arabisch-israelischen Sektor zu stoppen.

Sorgen darüber sind verständlich, ob Ben-Gvir, ein ehemaliger Anhänger des verstorbenen Rabbi Meir Kahane, und der altgediente rechte Aktivist Smotrich, verantwortlich handeln werden, sind sie erst einmal an der Macht. Aber beide sind begierig sich zu beweisen und sie wegen ihrer Überzeugungen und Verhalten der Vergangenheit statt der Gegenwart als für ein hohes Amt untauglich zu halten ist ein Prinzip, das wenige auf das gesamte politische Spektrum anwenden würden.

Tatsächlich waren fast alle, die heute schreien, die beiden würden die Demokratie bedrohen, absolut glücklich von der Beteiligung von Mansour Abbas, dem Leiter der antizionistischen Islamisten-Partei, an der aus dem Amt scheidenden Regierung; die Partei ist Schwulenrechten und freier Religionsausübung gegenüber noch feindlicher eingestellt las jeder aus der israelischen Rechten.

Sobald man sich an diese unbequeme Tatsache erinnert, wird der Großteil des Entsetzens der Linken wegen der neuen Regierung als üble parteiische Scheinheiligkeit entlarvt.

Dennoch sind einige Vorschläge – wie einer zur Ergänzung des Rückkehrrechts – umstritten. Das Gesetz wurde als Möglichkeit entworfen all denen in Israel Schutz zu geben, die von den Nazis mit dem Tod bedroht worden sein könnten, was heißen soll: jeder mit einem jüdischen Großelternteil. Das hat zu einem Zustrom vieler Immigranten geführt, besonders aus der früheren Sowjetunion, die weder jüdisch sind noch sich als solche identifizieren.

Die Frage, ob die „Großeltern-Klausel“ Jahrzehnte nach dem Holocaust immer noch nötig ist oder dem Land demografisch schadet – und wirtschaftlich, da viele dieser Immigranten Unterstützung vom Staat annehmen und das Land dann verlassen – ist diskutabel. Aber angesichts der Opposition Netanyahus und der meisten im Likud gegen diese Ergänzung wird das vermutlich nicht umzusetzen sein.

Dasselbe gilt dafür die nichtorthodoxen Konversionen für den Zweck der Aliyah anzuerkennen, was die Mehrheit der liberalen amerikanischen Juden zurecht übelnimmt, trotz der Tatsache, dass sehr wenige von ihnen nach Israel ziehen. Tatsächlich sind die meisten Amerikaner, die Israel zu ihrem Heim machen, orthodox. Hier wird Netanyahu allerdings sicherstellen, dass dies nicht Gesetz wird.

Antizionisten helfen, nicht nur Bibi-Kritikern

Die Verleumdung des anstehenden Kabinetts durch den Anti-Bibi-Widerstand ist mehr als eine Sache des Vorbringens unfairer Argumente. Lapid weiß, dass seine Vorwürfe – typisch für diejenigen, die israelische Politiker aller Couleur einander regelmäßig an den Kopf werfen –bestenfalls übertrieben sind.

Aber er strebt danach die Beziehungen zwischen der neuen Koalition und Washington zu verschlechtern und Umstände zu schaffen, unter denen die Regierung auseinanderfallen wird, selbst wenn seine eigenen Chancen die nächste Wahl zu gewinnen, vernachlässigbar sind. Was er und die Rabbiner dabei allerdings vergessen, ist, dass ihre Argumente, die nur dazu dienen sollen Netanyahu und seine Partner zu diskreditieren, von denen gehört und genutzt werden, die Israels Existenz bedrohen, egal, wer am Steuer des jüdischen Staates steht.

Die Lüge, dass Israel unter Netanyahu keine Demokratie sein wird, liefert der antisemitischen BDS-Bewegung und ihren jüdischen Mitreisenden von der Jewish Voice of Peace und IfNotNow Munition. Es trägt auch zur feindseligen Atmosphäre gegenüber dem Zionismus in einigen Bereichen bei, wo Israel unter Einfluss der intersektionalen Ideologie und der kritischen Rassentheorie bereits als Verkörperung von weißem Kolonialismus und „Apartheid“ verleumdet wird.

Vielleicht war es unvermeidlich, dass, wie so viel in der nach Israel importierten amerikanischen Kultur, die Delegitimierung politischer Gegner als Autoritäre folgte, die darauf aus sind die Freiheit ihrer Mitbürger zu vernichten. Vielleicht wird auch, sobald Netanyahu wieder im Amt ist und seine Regierung sich weitgehend so verhält wie ihr Vorgänger, die Schmierenkampagne nachlassen. Aber bei der Administration Trump haben wir gesehen, dass es, ist erst einmal in den Augen Washingtons und der amerikanisch-jüdischen Öffentlichkeit die Vorstellung etabliert, dass die Regierung illegitim ist, schwer sie wieder aus der Welt zu schaffen.

Das ist der Grund, warum diejenigen, die ihren Frust wegen des Siegs der Rechten bei der Knesset-Wahl am 1. November ihr Urteilsvermögen trüben lassen, damit aufhören müssen. Sie müssen erkennen, dass sie mit ihrem Versuch Bibi zu dämonisieren Israel und dem jüdischen Volk möglicherweise unwiderruflichen Schaden zufügen.