Mit der ständigen Drohung mit Raketenfeuer durch Hisbollah-Terroristen nimmt das Leben eine surreale Qualität an, da Soldaten, Checkpoints, warnende Sirenen und Evakuierte zum neuen Normal werden.
Uriel Heilman, The Times of Israel, 7. Mai 2024
Kiryat Schmona – So plant man eine Reportage-Reise in die Kriegszone in Israels Norden.
Du überprüfst die App des israelischen Heimatfront-Kommandos, um die Orte aktueller Angriffe durch die Hisbollah zu finden. Du suchst nach irgendeiner Stelle, wo etwas los ist, aber nicht zu viel – weil du weder Helm noch Schutzweste und deiner Frau ein paar vage Versprechen gegeben hast.
Du rätselst, welches Hemd du tragen sollst: Sollst du ein olivgrünes wählen, das aus deiner Garderobe die maximale Tarnung bietet oder erhöht Grün die Gefahr, dass ein Hisbollah-Heckenschütze dich für einen Soldaten hält und als Ziel erkennt? Auf jeden Fall trägst du Bluejeans, also passt du nicht richtig rein. Du entscheidest dich für ein Zwischending und nimmst ein braunes T-Shirt.
Ich lebe etwa zwei Stunden südlich der Konfliktzone, also habe ich, wenn ich mich auf den Weg zur Grenze mit dem Libanon mache, eine längere Fahrt vor mir und ich bin mir nicht sicher, wohin es geht. Entlang der Grenze sieht sich Israel täglichem Feuer der Hisbollah ausgesetzt, einer vom Iran unterstützten libanesischen Terrororganisation. Mehr als 60.000 Menschen in Nordisrael sind seit Oktober obdachlos gemacht worden.
Die sichtbare Militärpräsenz nimmt zu, je weiter ich nach Norden komme. Schützenpanzer, Armee-Jeeps und militärische Tanklaster drängen sich auf der Straße und die einzigen Reisenden an den Raststätten scheinen Soldaten zu sein. An einer Tankstelle betreibt eine Handvoll Freiwillig ein Barbecue, bietet Soldaten kostenlose Mittagessen, Snacks und Getränke.
Näher an Kiryat Schmona, der größten evakuierten israelischen Stadt, dünnt der Verkehr aus, aber es gibt immer noch ein paar Autos auf der Straße. Ich bin mit nicht ganz sicher, wo die Gefahr beginnt. Ich befinde mich im Pfannenstiel genannten Bereich Israelis, den man als Finger von Galiläa kennt, einer Landzunge, die im Westen und Norden vom Libanon und im Osten vom Golan (ehemals Syriens, heute Israels) umgeben ist. Ich sehe zum Himmel über der Bergkette zu meiner Linken, suche nach Projektilen. Der Bergzug selbst liegt in Israel, aber direkt dahinter ist der Libanon.
In der Konfliktzone ist es sicherer schnell zu fahren statt langsam, weil es für Terroristen schwieriger ist ein schnell fahrendes Fahrzeug mit einer schultergestützten Waffe zu treffen. Das ist einer der vielen Unterschiede zum normalen Leben in dieser auf den Kopf gestellten Welt und das ist der Grund, warum die Ampeln in Kiryat Schmona ständig gelb blinken. An einer roten Ampel anzuhalten ist zu gefährlich.
Als ich mich der südlichen Einfahrt nach Kiryat Schmona näherer, das nur drei Kilometer vom Libanon entfernt und tief in der Evakuierungszone liegt, zeugen die ruhigen, grünen Hügel vom Krieg, der etwa zwei Dutzend Menschen in Nordisrael seit Ausbruch der Feindseligkeiten im Oktober das Leben genommen hat. Auf der libanesischen Seite sind mehr als 350 Menschen getötet worden, die meisten davon laut Angaben der Terrororganisation Mitglieder der Hisbollah.
Die Gegend trägt immer noch die Kennzeichen eines der beliebtesten Ferienziele Israels. Schilder an der Straße werben für Kajakfahren, Taschenlampen-Touren in der Festung Nimrod nahe der syrischen Grenze, einer Seilbahnfahrt das Manara-Kliff hinaus. Es gibt keinen Stern, der andeutet, dass alles geschlossen ist oder der erklärt, dass Dutzende Häuser im Kibbuz Manara, einer israelischen Gemeinde mit 280 Einwohnern an der Grenze der libanesischen Grenze, durch Feuer der Hisbollah zerstört worden sind.
Ich hatte nicht vor den ganzen Weg nach Kiryat Schmona zu fahren. Aber ich stoße vor dem Erreichen der Stadt auf keinen Armee-Checkpoint und in dem Auto neben mir sehe ich eine ältere Frau hinter dem Steuer, die unbeeindruckt aussieht. Ach verdammt: Wenn sie das tun kann, kann ich das auch.
Ich schaffe es, während meines kurzen Besuchs in Kiryat Schmona ein paar Interviews zu führen, aber ich werde zweimal von Luftalarm-Sirenen vor einkommendem Raketenfeuer gewarnt. Einheimische bringen mich schnell in die Küche des einzigen Schwarma-Restaurants, das in der Stadt immer noch geöffnet ist.
Bevor ich die Stadt verlasse, hole ich die Landkarte auf mein Handy, um die beste Route hinaus zu finden. Es zeigt an, dass ich am Flughafen Beirut sei. Ich versuche es wieder. Diesmal bin ich in Kairo. Später erfahre ich, dass die israelischen Behörden regelmäßig GPS-Signale verfälschen, um mit Raketen bewaffneten Feinden keine Informationen über den Aufenthaltsort israelischer Zivilisten zu liefern. Ich war an einem Tag angekommen, an dem nach einem Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus GPS-Signale im gesamten Land verfälscht wurden, weil Israel Vergeltungsschläge des Iran oder seiner Handlanger im Libanon erwartete.
Als ich auf einer von Eukalyptusbäumen gesäumte Straße nach Osten durch den Finger Galiläas brause, erkenne ich, dass die Bäume eine Funktion erfüllen, über die ich nie zuvor nachgedacht habe: Sie bieten nicht nur willkommenen Schatten, sondern blockieren auch eine direkte Sichtlinie der Hisbollah. Später erfuhr ich, dass das so gewollt war.
Es dauert nur ein paar Minuten von hier zum Golan und ich fahre bald wieder Richtung Norden. Aber ein paar Minuten später begegne ich meinem ersten Checkpoint: Weiter nördlich ist es für Zivilisten gefährlich.
Ich fahre nach Kfar Szold hinein, der nördlichsten Gemeinde in Galiläa, die keine Evakuierungsanordnung erhalten haben. Die Soldaten am Kibbuz-Tor winken mich durch und ich parke vor einem Gästehaus, in dem meine beiden ältesten Kinder und ich vor ein paar Jahren bei einer Ski-Tour zum Hermon wohnten, rund 45 Minuten weiter. Die Fensterläden aller Zimmer sind verschlossen und der Gemeinschafts-Speisesaal ist leer. Die Blumen, die die Fußwege säumen, überwältigen mit ihrer gelb-lila Frühlings-Blumenpracht. Ich kann schwache Tuckern eines Traktors hören.
Vom Kibbuz aus fahre ich weiter ostwärts, das Plateau auf die Golanhöhen hinauf – Territorium, das Israel im Sechstage-Krieg 1967 eroberte und später annektierte. Das ist einer der schönsten Orte in Israel und er zeigt sich von seiner besten Seite: Die Hügel sind nach der Winter-Regenzeit zumeist grün, obwohl es bereits über 29 Grad warm ist. In ein paar Wochen werden sie vertrocknen und verdorrt sein, vergilbt bis zum nächsten Winterregen.
Obwohl er immer noch von Syrien beansprucht wird, hat der Golan seit dem Yom Kippur-Krieg 1973 keine Kämpfe mehr erlebt; damals war die Gegend Ort heftiger Panzerkämpfe zwischen syrischen und israelischen Streitkräften. Aber der zunehmende regionale Konflikt, der am 7. Oktober mit dem von der Hamas geführten Ansturms begann, bei dem 1.200 Menschen in Südisrael getötet und 252 in den Gazastreifen verschleppt wurden, hat die seit Jahren schlummernden Sorgen auf dem Golan neu geweckt.
Ich bemerkte neu errichtete Straßenböschungen mit Bunkern neben einigen Straßen – Stellungen, die die Armee im Fall einer Invasion des Gebiets halten soll. Nach dem Überraschungsangriff der Hamas und der folgenden Eröffnung der Nordfront durch die Hisbollah, kann dieses ansonsten Haaren herbeigezogenes Szenario nicht länger ignoriert werden. Im Verlauf der letzten sechs Kriegsmonate haben Raketenangriffe der Hisbollah viele Gebiete auf dem Golan erreicht, es hat auf dem Golan einige Infiltrationen mit Drohnen aus Syrien gegeben und Mitte April zielte der Iran mit seinem Trommelfeuer aus ballistischen Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen auf Stellen auf dem Golan.
Als die Sonne sinkt, suche ich nach einer Stelle für ein kurzes, spontanes Video, das ich in sozialen Medien posten konnte. Ich fand einen alten, rostenden Panzer, der aus einem der Krieg übrig war und bereitete meine Aufnahme vor. Aber am späten Nachmittag durchkreuzten Mückenschwärme meine Pläne und alles, was mir übrig blieb, war ein mit Kraftausdrücken befrachtetes Selfie-Video, in dem ich durch das hohe Gras stolpere und dabei vergeblich meine winzigen Widersacher zerquetsche.
Es ist an der Zeit eine Platz zum Schafen zu finden. Ich kenne den Golan gut genug, um dort Lieblingshotels zu haben, aber in einer Gemeinde nach der anderen fand ich sei alle geschlossen vor. Mein Telefon zeigte verfügbare AirBnbs in der Nähe, aber es gibt keinen Hinweis darauf, ob sie mit Bombenschutzräumen ausgestattet sind.
Vor einem der Kibbuzim auf dem Golan sitze ich am Straßenrand und reserviere mir übers Handy ein Hotel in der Nähe des Sees Genezareth – weit weg von da, wo ich am nächsten Tag sein will, aber sicher außerhalb der Konfliktzone. Jetzt ist es fast dunkel, aber es gibt noch genug Licht um ein Dutzend oder mehr Panzer zu erkennen, die in den Bäumen auf der anderen Straßenseite geparkt sind.
Als ich endlich an meinem Hotel ankomme, bin ich überrascht, dass der Parkplatz voll ist – bis ich die Lobby erreiche und entdecke, dass fast alle Gäste Evakuierte aus einer der Grenzgemeinden im Norden sind. Als ich die Rezeption erreiche, sieht der Rezeptionist auf und sagt zu mir: „Ich weiß, wer du bist! Du bist der, der uns auf Expedia buchte. Jetzt muss ich sehen, ob wir ein sauberes Zimmer haben.“
Er lässt mich lange in der Lobby warten. In der Zwischenzeit gehe ich zum Speisesaal, wo nur noch 20 Minuten bis zum Ende des Abendbuffets verbleiben. Ich verbringe am Ende einen langen Abend damit mit einer Gruppe Senioren aus einem evakuierten Kibbuz zu plaudern, der seit mehr als fünf Monaten in dem Hotel lebt. Sie scheinen guter Stimmung zu sein. Als sie mich am nächsten Morgen beim Frühstück sehen, grüßen sie mich herzlich mit Namen.
Es ist fast Mittag, bevor ich den Weg aus dem Hotel finde, um zurück auf die Golanhöhen zu fahren, um einen Tag mit Berichten aus drusischen und israelischen Dörfern in der Nähe des Dreiländerecks von Israel, Syrien und dem Libanon zu verbringen. Auf dem Weg stoße ich auf einige weitere ältere Damen bei einer Gymnastikübung und dann einige Kindergärtnerinnen in ihrer provisorischen Schule. Sie haben den Buggy eines arabischen Hotelbediensteten übernommen, der den Außenpool für die Saisoneröffnung vorbereitet und die Lehrerin versucht sie herauszulocken. Der Pool-Mann lacht.
In er Zeit meines Besuchs war es kurz vor Pessah und man erwartete im Hotel voll ausgebucht zu sein, aber ein großer Teil der Gäste sollten Evakuierte sein, die seit Monaten dort lebten.
Als ich eine von ihnen frage, ob sie glaubt, sie wird auch während der jüdischen Feiertage im Herbst noch im Hotel sein, breitet sich ein trauriges Lächeln in ihrem Gesicht aus. Sie zuckt mit den Schultern.
„Wir wissen gar nichts“, sagt sie. „Ich versuche in dieser Situation mein Bestes zu geben.“