Knick in der Logik

Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 10. September 2013 (direkt vom Autor)

Zweifel an der Echtheit der Bilder vergaster Menschen haben sich inzwischen verflüchtigt. Offen ist nur noch, ob Rebellen oder Syriens Armee die Giftgranaten auf Viertel in Damaskus verschossen hat.

Indem Russland empfiehlt, alle syrischen Massenvernichtungswaffen der UNO zu übergeben und nachdem Syriens Außenminister Walid Muallem dem Vorschlag „freudig zustimmt“ hat, widersprechen Russen wie Syrer ihren eigenen Aussagen.

Die Russen hatten noch im Juli in einem Geheimbericht an die UNO behauptet, dass Giftgas in den sunnitischen Gebieten des Irak produziert und über die Türkei an Al-Qaida-Rebellen in Syrien übergeben worden sei. Syrien hatte pauschal bestritten, Giftgas zu besitzen.

Am 22. Juli hatte Jihad Makdissi, Sprecher des syrischen Außenamtes, erklärt, dass Syrien Giftgas nicht gegen die eigene Bevölkerung einsetzen werde. Die New York Times feierte Makdissis sensationelle Worte als erstes offizielles syrisches Eingeständnis, doch über Massenvernichtungswaffen zu verfügen. Aber die Freude war verfrüht. Makdissi wurde wegen „falscher Behauptungen“ entlassen. Sein Haus in Damaskus wurde angezündet und er musste Hals über Kopf nach London fliehen.

Der russisch-syrische Kompromiss bedeutet also, dass die unkontrollierbaren Rebellen ihr Giftgas behalten dürfen, während Syrien zustimmt, nicht existente Waffen abzugeben. Hauptsache, der amerikanische Angriff wird abgewendet. Fast alle Welt atmete auf.

Der Zweite Kanal des israelischen Fernsehens berichtete jedoch am Dienstag von einem „Paket“ der Russen für die Syrer. Als Kompensation für die chemischen Waffen will Moskau Kampfflugzeuge, Panzer und Ersatzteile an Damaskus liefern. Präsident Vladimir Putin erklärte dazu: „Es ist schwer, Syrien oder sonst ein Land in der Welt zur einseitigen Abrüstung zu bewegen, solange es mit einer Militäraktion bedroht wird.“ Seit jenem 21. August, an dem 1.462 Menschen durch Giftgas umkamen, seien in Syrien 1.637 Menschen mit konventionellen Waffen getötet worden. Mit den neuen Flugzeugen und Panzern könnte Assads nun noch effektiver die eigene Bevölkerung umbringen. Nachdem die Welt zu 130.000 toten Syrern geschwiegen hat, gilt offensichtlich, dass ein Diktator konventionell beliebig viele Menschen umbringen darf. Schlimmer als Giftgas ist nur eine amerikanische Einmischung. Denn dann könnte es ja „Kollateralschaden“ geben.

Schlaglöcher oder eine massive Straßensperrung?

Paul Mirengoff, PowerLine blog, 23. September 2012

Auf Sixty Minutes wurde Präsident Obama heute Abend gefragt: „Haben die Ereignisse im Nahen Osten, die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten Sie einmal über die Unterstützung nachdenken lassen, die Sie den Regierungen geben, die seit dem Arabischen Frühling an die Macht gekommen sind?“ Obama antwortete:

Nun, ich sagte schon damals, dass dies ein holpriger Weg werden wird… Ich war ziemlich sicher und bin weiterhin ziemlich sicher, dass es Löcher in dieser Straße geben wird, denn, wissen Sie, an vielen dieser Orte ist das einzige Organisationsprinzip der Islam gewesen. Der Teil der Gesellschaft, der nicht völlig von der Regierung kontrolliert wurde.

Das ist eine verblüffende Antwort. Erstens fällt sie mir als Eingeständnis auf, dass der Islam ein Hindernis für die positiven Entwicklungen ist, die Obama in die Folge des Arabischen Frühlings setzte. Aber ist das nicht eine Beleidigung des Islam, diese große Religion des Friedens? Hoffen wir, dass niemand Obamas Meinung in eine Karikatur oder einen Film-Trailer umsetzt.

Doch zweitens: Warum betrachtet Obama den Einfluss des Islam auf die Staaten des „Arabischen Frühlings“ nur als „Löcher in der Straße“? Wenn der Islam (anders als die jetzt nicht mehr bestehenden Diktaturen) in diesen Staaten „das einzige Organisationsprinzip“ gewesen ist, dann sollten wir erwarten, dass diese Staaten um den Islam herum organisiert sind. Und da der Islam keine konkurrierende Organisationsprinzipien zulässt, sollten wir erwarten, dass die Probleme, deren Zeugen wir bisher geworden sind, weiter bestehen und – wenn sich überhaupt etwas ändert – einige Zeit lang schlimmer werden.

Das klingt mehr nach einer gesperrten Straße als nach einem Schlagloch.

Islamistischer Abgeordneter: Juden machen auf Dscherba ein “zweites Palästina”

Point of No Return, 5. Mai 2012

Unter Terrorwarnungen zur anstehenden Lag Ba’Omer-Pilgerreise zur Ghriba-Synagoge zitiert Rechtsanwalt und Blogger Souhail Ftouh einen Zeitungsartikel, tunesische Juden seien erschüttert von islamistischen Vorwürfen, sie würden auf der Insel Dscherba ein zweites Palästina schaffen:

Die arabische Zeitung Assarih aus Tunesien veröffentlichte am Dienstag, 2. Mai 2012 einen Artikel mit der Schlagzeile: „Tunesische Juden zittern vor Angst“

Die Zeitung sagte, die Äußerungen des für die (islamistische) Ennahda-Partei ins Parlament gewählten Basma Jbali, der forderte, dass Juden der Erwerb von Land auf der Insel Dscherba verboten werden solle, weil sie damit „aus Dscherba ein zweites Palästina“ machen wollen, hat viele Bedenken in der Gemeinde aufgeworfen.

Die Zeitung behauptet die Juden Tunesiens fürchteten, diese Äußerung werde zu antisemitischen Demonstrationen am 9. und 10. Mai aufpeitschen, während das Ritual der jährlichen Pilgerreise zur jüdischen Synagoge stattfindet, die auf der Insel im südlichen Tunesien steht.

Perez Trabelsi, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Dscherba, sagte der Zeitung Assarih, die Äußerungen von Basma Jbali würden wahrscheinlich innerhalb von Tagen der Pilgerreise zur Ghriba Ärger verursachen, da sie die Touristensaison beeinflussen, während die Menschen aller Religionen auf Dscherba sich anstrengen Touristen anzulocken.

Die tunesischen Juden, die jetzt „vor Angst zittern“, glauben, dass die Äußerungen des islamistischen Abgeordneten asma Jbali eine Gelegenheit für kleine Gruppen Radikaler bieten, um judenfeindliche Plakate zu schwenken während Hunderte Pilger auf die Insel Dscherba strömen.

Israel gibt Terrorwarnung aus (YNetNews):

Israels Antiterror-Büro (CTB) legte am Dienstag Nachdruck auf seine Empfehlung Tunesien nicht zu besuchen und erklärte, dass das Bedrohungslevel in dem Land derzeit auf Stufe 3 von 4 steht – was eine hohe Stufe, konkrete Bedrohung bedeutet.

Die Reisewarnung wurde angesichts von Absichten erteilt, dass während der Zeit des Lag Ba’Omer-Festes in dem Land Terroranschläge gegen israelische und jüdische Ziele verübt werden; das Fest wird Mittwoch und Donnerstag in der Stadt Dscherba stattfinden.

Haim Damari, Generaldirektor von Tunis Tours, sagte, das jährlich in der antiken Synagoge von Dscherba abgehaltene Fest gewöhnlich rund 40.000 Juden pro Jahr anzieht; die Tradition besagt, dass die Synagoge nach der Zerstörung des ersten Tempels im Jahr 586 v. Chr. von Juden im Exil gebaut wurde.

„Rund 1000 von ihnen [den 40.000 jüdischen Pilgern] sind Israelis, der Rest sind Einheimische, Juden libyscher Herkunft aus Italien und von der tunesischen jüdischen Gemeinde in Frankreich“, sagte Damari.

Nach seinen Angaben fand das Fest letztes Jahr „wegen der unfreundlichen Atmosphäre gegenüber den Juden im Land“ nicht statt. Damari plant viele solcher Touren ins Land und möchte die Tradition fortführen; er sagt, die Israelis würde auch dieses Jahr nicht kommen. „Juden von woanders werden ebenfalls nicht kommen, wie letztes Jahr; die einzigen Leute, die zum Lag Ba’Omer anwesend sein werden, werden wahrscheinlich nur von hier kommen“, sagte er.

Vor mehr als 10 Jahren wurden in der Synagoge auf Dscherba 21 Menschen von einem Selbstmord-Bomber ermordet, der sich mit einem mit Gas gefüllten Tankwagen sprengte.

Libysche Juden beobachten das Libyen nach Gaddafi

Manfred Gerstenfeld interviewt Maurice Roumani (direkt vom Autor)

„Libysche Juden begrüßten fast einhellig den Sturz Muammar Gaddafis; sie glaubten, er verdiene sein Schicksal. Gaddafi war berüchtigt dafür antiisraelisch zu sein. Mit den libyschen Juden in Italien veranstaltete er Spielchen: Mal gab er sich ihnen nahe, bei anderen Gelegenheiten distanziert. Bei seinem letzten Besuch in Rom im Jahr 2010 war Gaddafi zu einem Treffen mit den Juden nur während des Sabbat bereit. Er war sich sehr bewusst, dass ein solches Treffen demütigend wäre, da die Juden ihren heiligen Tag würden entweihen müssen. Nur ein paar Frauen trafen sich mit ihm. Sie wurden später vom Großteil der Gemeinde dafür getadelt.

Gaddafi hatte Entschädigungen für das riesige Kollektiv- und Privatvermögen versprochen, das die Juden zurückließen, als sie zur Flucht aus Libyen gezwungen wurden. Allerdings hielt er dieses Versprechen nie. Gaddafi lud außerdem Juden zur Rückkehr nach Libyen ein, was diese als List ansahen. Alles, was sie wollten, war die Rückgewinnung ihres Besitzes oder die Geschäftsverbindungen zu Libyen zu erneuern.“

Maurice Roumani
Maurice Roumani

Professor Maurice Roumani, weltweit anerkannter Experte für das libysche Judentum, lehrte Politik und Naher Osten an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva; er ist Gründungsdirektor des dortigen J. R. Elyachar Center for Sephardi Studies. Das jüngste seiner vielen Bücher heißt „The Jews of Libya: Coexistence, Persecution, Resettlement“ (Die Juden Libyens: Koexistenz, Verfolgung, Umsiedlung; 2008)

Er merkt an: „Die große Mehrheit der libyschen Juden lebt heute in Israel. Sie betrachteten Gaddafis Sturz noch positiver als libysche Juden andernorts – hauptsächlich in Italien, den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Gaddafi hatte wiederholt seine ehemaligen Landsleute in Israel eingeladen nach Libyen zurückzukommen, womit den Palästinensern erlaubt würde Palästina zurückzubekommen. Gaddafi unterstützte außerdem den Terrorismus.

Der allgemeine Konsens unter libyschen Juden gegenüber den derzeitigen Herrschern, dem Nationalen Übergangsrat (Transitional National Council, TNC) besteht in Skepsis und Ambivalenz. Niemand weiß, wohin die Entwicklungen des ‚Arabischen Frühlings‘, einschließlich denjenigen in Libyen, führen werden. Die islamische politisch Kultur Nordafrikas unterscheidet sich von der des Nahen Ostens. In der Vergangenheit war Libyen durch starken Nationalismus und moderaten Islamismus gekennzeichnet. Für die Zukunft gibt es dafür allerdings keine Garantie.

Über Repräsentanten im Ausland hat die World Organization of Libyen Jews in Or Yehuda aus Israel einige Kontakte zum TNC. Gegenwärtig befindet sich das Land erst am Anfang damit sein Haus zu bestellen. Es gibt Stammesrivalitäten, viele Milizen behalten ihre Waffen, es gibt keine nationale Armee und es fehlen Recht und Ordnung. Darüber hinaus gibt es keine politischen Parteien und deshalb keine Zivilgesellschaft. Es wird lange dauern, bis eine libysche Verfassung formuliert und ausgerufen werden kann. Hoffentlich wird dies den Minderheiten einen respektierten Status im Land bringen.

Die Haltung der zukünftigen libyschen Regierung zu den libyschen Juden im Ausland wird weitgehend von ihrer Zusammensetzung abhängen. Es ist viel zu früh um zu bewerten, wie die Rolle der Islamisten aussehen wird oder die der revolutionären Elite. Libyen als muslimisches Land kann die geopolitische Situation im Nahen Osten, einschließlich der Palästinenserfrage, nicht ignorieren.

Der Psychologe David Gerbi ist ein libyscher Jude, der versucht hat in dieser Situation eine aktive Rolle zu übernehmen. Er ist 1955 in Libyen geboren und wurde nach dem Krieg von 1967 zum Flüchtling. Wie so viele andere Juden wurde er nach Italien ausgeflogen. Die libysch-jüdische Gemeinde, die auf 2.500 Jahre Geschichte zurückblicken kann, hörte auf zu existieren, als Gerbi seine Tante – die letzte Jüdin Libyens – 2003 nach Rom holte. Viele Jahre lang war er dafür, Brücken zu den Arabern zu bauen. Gerbi besuchte das Land wieder im Jahr 2007 und erneut 2011, als er versuchte den Opfern der Revolution in den Krankenhäusern humanitäre Hilfe zu bringen.

Als er in Libyen war, versuchte er die ehemaligen Synagogen zu besuchen und ehemalige Friedhöfe zu finden. Viele waren unter Gaddafis Regime vorsätzlich zerstört worden. Gerbi versuchte eine Mauer einzureißen, die das Betreten der Ruinen einer Synagoge in Tripoli verhinderte, doch eine Miliz stoppte ihn. Gerbi ist desillusioniert, denn zuerst wurde er von Gaddafis Anhängern misshandelt und später vom TNC – was so weit ging, dass sein Leben in Gefahr war. Gerbi erkennt heute, dass die TNC-Führung in ihrer Haltung gegenüber den Juden ein doppeltes Spiel treibt und ambivalent ist.

Gerbis Timing war falsch. Er hätte warten sollen, bis sich der Staub legte und erst dann mit dem anfangen, was er machte. Ein Jude, der kommt, um jüdisches Erbe wiederherzustellen, in einem Land, in dem eine Revolution läuft, ist das Letzte, was der TNC am Hals haben wollte.“

Roumani schließt: „Es mag immer noch etwas Sympathie für Juden unter älteren Libyern vorhanden sein. Was die libyschen Juden angeht, so wird die Haltung der Regierung gegenüber der Entschädigungsfrage ein entscheidender Testfall sein. Wenn Entschädigungen für Kollektiv- und Privateigentum gezahlt wird und wenn Synagogen restauriert werden können, könnten die libyschen Juden – zumindest diejenigen, die außerhalb Israels leben – gelegentlich das Land besuchen.“

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Vorsitzender des Aufsichtsrats des
Jerusalem Center of Public Affairs.

Was bedeutet „moderat“ islamistisch?

Aymenn Jawad Al-Tamimi, Middle East Forum, 17. November 2011

In der Endphase des Wahlkampfs vor der tunesischen Verfassunggebenden Versammlung und dem Nachhinein, als eine Mehrheit der Sitze von der al-Nahda-Partei (Renaissance-Partei) gewonnen worden war, könnten Ihnen regelmäßige Bezugnahmen auf diese politische Organisation als „moderat islamitischte“ Partei in den Medien aufgefallen sein. Das ist natürlich nicht das erste Mal, dass solche Begriffe genutzt worden sind, um islamistische politische Parteien zu kennzeichnen: Erinnern Sie sich zum Beispiel daran, wie die in der Türkei herrschende AKP oft „sanft islamistisch“ genannt wird (um einen Formulierung des Economist auszuborgen).

Unglücklicherweise kann eine solche Terminologie aber nur als Teil dessen beschrieben werden, das Hussein Ibish – der Direktor der American Task Force on Palestine – eine „intellektuelle und politisch nicht zu rechtfertige Eile“ nennt, mit der islamistische Parteien als „moderater oder pluralistischer dargestellt werden, als sie tatsächlich sind“.

Nehmen wir den Fall der al-Nahda in Tunesien, die die Erwartungen der meisten Analysten um das zweifache übertrafen; diese hatten erwartet, dass sie bei höchstens 20% der Sitze gewinnen würde. Parteiführer Rashid Ghannouchi hat versucht die Säkularisten seiner angeblich moderaten Referenzen  zu versichern, indem er das Beispiel der Türkei anführte, die oft als Modell dafür angeführt wird, wie unter der angeblich pragmatischen AKP säkulare Traditionen mit Islamismus in Einklang gebracht werden.

In Wirklichkeit demonstriert die Bilanz der AKP-Regierung, wie die Islamisten in der Türkei sukzessive den demokratischen Reformprozess umgekehrt haben, der in den ersten drei Jahren nach dem Aufstieg der AKP zur Macht bei den Wahlen 2002 initiiert wurde. Das Ziel war damals der Türkei die EU-Mitgliedschaft zu bringen und angesichts der damals weit verbreiteten Unterstützung durch die türkische Bevölkerung für dieses Ziel, wie auch der Tatsache, dass das Militär 1998 eingegriffen hatte um den ideologischen Vorgänger der AKP – die „Wohlfahrtspartei“ – zu verbieten, zog die AKP bei der Umsetzung des Reformprozesses pragmatisch mit.

Doch seit 2005 der Antrag bei der EU zum Stillstand gekommen ist, sind die autoritären Tendenzen der AKP zunehmend offensichtlich geworden, gemäß mit der schrittweisen Einführung eines Islamisierungsprogramms, das auch von der Muslimbruderschaft in Ägypten unterstützt wird. Zu den Beispielen für diese Besorgnis erregenden Trends gehört das Abhören der Handys von politischen Gegnern, deftige „Steuerstrafen“ für die unabhängige Medienfirma Dogan, die vor kurzem gezwungen wurde einen ihrer drei Fernsehkanäle zu verkaufen, um die Strafgelder zu mindern und stärkere Kontrolle der Medien als Ganzem durch pro-AKP-Firmen, während türkische Behörden Lobbyarbeit leisteten, um den Marktanteil von Dogan zu verringern.

Derweil wurden mehr und mehr Journalisten und Militärs aufgrund fadenscheiniger Vorwürfe Komplotte zu schmieden inhaftiert. Das International Press Institute berichtet, dass die Türkei bei der Zahl der inhaftierten Journalisten weltweit führt – derzeit befinden sich 57 von ihnen hinter Gittern; und der Analyst Soner Cagaptay weist darauf hin, dass rund die Hälfte aller türkischen Admirale im Gefängnis sitzen.

Auf der größeren internationalen Bühne hat die AKP-Regierung die Muslimbruderschaft gedrängt Vorteile aus den Unruhen in Syrien zu ziehen, während Assad hofft die Kurden als Stellvertreter gegen die Türkei zu gewinnen, indem er ihnen Autonomie gewährt, wie Le Figaro berichtet. Die Kriegslüsternheit der AKP gegenüber Zypern und Israel ist ebenfalls wert vermerkt zu werden, da der türkische Premierminister damit gedroht hat „Fregatten, Kanonenboote und … die Luftwaffe gegen Zypern loszuschicken, sollte es mit seinen Plänen weitermachen mögliche sehr große Öl- und Gasvorkommen in den Gewässern des östlichen Mittelmeeres zu erschließen.

Zurück in Tunesien ist auch auf Arabisch festgehalten worden, dass Gannouchi auf den von der Hamas geführten Gazastreifen als „Modell für Freiheit heute“ verwiesen hat. Die Palästinensergebiete sind ein einschlägiger Fall, der diskutiert werden sollte. Natürlich stimmt es, dass die Hamas 2006 bei den Wahlen von den Palästinensern demokratisch gewählt wurde; doch die Amtszeit der Hamas an der Macht lief letztes Jahr aus und die Gruppe hat seitdem alle Versuche der PA blockiert Wahlen abzuhalten.

Der Grund für das Verhalten der Hamas in diesem Fall ist der Schlag gegen die Popularität, den die Gruppe wegen ihrer schlechten Regierungsführung im Gazastreifen erlitt, wo die Fatah 2007 völlig von der Macht vertrieben wurde und die Hamas eine Herrschaft des islamischen Rechts errichtete.

Daher muss man wohl mit Ibishs Standpunkt überein stimmen, dass es „einfach dumm ist nicht zu erkennen, dass sei [die islamistischen Parteien] auf eine sehr bedeutsame Weise radikal bleiben und ihre totalitären Impulse behalten. Dass sie gerne die Rechte des Individuums, von Frauen und Minderheiten im Namen der Religion weitgehend und gravieren einschränken wollen, ist offensichtlich.“

Folgt angesichts der beträchtlichen Basisunterstützung, die Gruppen wie al-Nahda und die Muslimbruderschaft haben, dass wir uns wieder in der alten Zweiteilung der „säkularen Tyrannei oder Islamisten“ befinden? Nicht unbedingt. Allgemein heißt es, dass die Demokratie, soll sie im Nahen Osten und Nordafrika funktionieren, strenge Überprüfungen der Regierungsmacht durch die Verfassung braucht, die vom Militär durchgesetzt werden und mit einer entschiedenen, gesunden säkularen Opposition begleitet werden, die notwendig sind, um zu verhindern, dass die Islamisten uneingeschränkte Macht erlangen.

Daher können Säkularisten viel aus der türkischen Erfahrung mit der AKP lernen. Erstens: Das Militär sollte keine Angst vor Konfrontation mit der Regierung haben, wenn die Warnsignale des islamistischen Autoritarismus offenbar werden. Unglücklicherweise entscheidet sich das türkische Offizierskorps nach Hunderten Verhaftungen zu spät zum Handeln, sollte es irgendetwas planen, um gegen die autokratischen Initiativen der AKP etwas zu unternehmen. In Tunesien ist es beunruhigend festzustellen, dass die Armee sich weitgehend aus dem politischen Bereich zurückzuziehen scheint, während die Armee in Ägypten islamistischen Stimmungen nachgibt, so wie, als es einen Angriff auf die israelische Botschaft in Kairo ermöglichte und protestierende koptische Christen in Maspero (in Kairo) massakrierte.

Währenddessen müssen säkulare Parteien in Tunesien und anderen Länder ihre Parteistreitigkeiten beiseite schieben und bei der Werbung für liberal-demokratische Werte zusammenstehen, während sie sich anstrengen den Wählern ein umfassendes politisches Programm anzubieten, statt die islamistischen Parteien nur wegen ihrer radikalen Geschichte anzugreifen. In der Türkei hat es die Opposition zehn Jahre lang versäumt die Kurve zu kriegen und verhält sich zu unberechenbar, indem sie nur um Opposition zu sein die sinnvolleren Aspekte der AKP-Politik, wie die Stationierung eines NATO-Radarsystems, verurteilt.

Letztlich  liegt die Lösung zur Verminderung der Attraktivität der islamistischen Parteien und sie irgendwann zu marginalisieren in der Reform des Mainstream-Islam, um die Religion als Ganzes mit modernen Vorstellungen von Menschenrechten und liberaler Demokratie in Einklang zu bringen – vor allem muss die Scharia vom öffentlichen Raum getrennt werden – aber die oben skizzierten Vorschläge sollten eine realistische Chance haben die islamistischen Parteien zumindest in Schach zu halten und sie vielleicht zu zwingen sich aufgrund politischer Zweckmäßigkeit zu mäßigen, selbst wenn sie im Herzen radikal bleiben.

Update: Al-Nahda-Generalsekretär Hamadi Jbeli wurde vor kurzem auf Film festgehalten, als er erklärte: „Wir befinden uns, so Allah will, im sechsten Kalifat.“ So viel dann also zu „moderat islamistisch“.

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ergänzend:
„Moderater Islamismus“ – gibt es ihn?

Vom Arabischen Frühling zum Islamistischen Winter

Demonstranten waren von Moscheen geschickt

Khaled Abu Toameh, Hudson New York, 28. Oktober 2011

Die „Revolutionäre“, die den libyschen Diktator Moammar Gaddafi sodomisierten, skandierten den berühmten islamischen Schlachtruf „Allahu Akbar!“ [Allah ist größer]

Als die Führer der Revolution auf einer Pressekonferenz Gaddafis Tod verkündeten, begannen selbst säkulare Muslime zu skandieren: „Allahu Akbar!“

Ein paar Tage später erklärte der Führer von Libyens Nationalem Übergangsrat, Mustafa Abdul Jalil, auf einer Demonstration in Benghazi, dass sein Land jetzt ein islamischer Staat werden würde. „Als muslimisches Land haben wir die islamische Scharia als Hauptquelle des Rechts übernommen. Entsprechend ist jedes Gesetz, das den islamischen Prinzipien mit der islamischen Scharia widerspricht, rechtlich außer Kraft gesetzt.“

An diesem Punkt ist noch nicht klar, welche Version des islamischen Rechts die neuen Herrscher Libyens durchsetzen wollen. Wird Libyen sich nach dem Beispiel des Iran, des Sudan und Saudi-Arabiens richten, wo Ehebrecher zu Tode gesteinigt und verurteilten Dieben die Hände abgehackt und auf öffentlichen Plätzen geköpft werden? Oder wird Libyen eine „moderatere“ Version des Islam gutheißen, wie es in vielen arabischen und islamischen Ländern der Fall ist?

Wie auch immer, inzwischen ist klar, dass das Libyen nach Gaddafi alles andere als ein säkulares und demokratisches Land sein wird, sondern eines, wo es keinen Raum für Liberale und Moderate gibt.

Diejenigen, die glaubten der arabische Frühling würde Moderatheit und Säkularismus in die arabische Welt bringen, stehen vor einer großen Enttäuschung.

Die Ergebnisse der ersten freien Wahlen, die unter dem Schirm des Arabischen Frühlings abgehalten wurden, haben in Tunesien jetzt die Islamisten an die Macht gebracht. Doch die Islamisten, die die Wahlen in Tunesien gewannen, werden bereits von ihren Rivalen beschuldigt zu „moderat“ zu sein, weil sie nicht Jihad und Terror gegen die „Ungläubigen“ befürworten.

Was ist mit all den jungen und charismatischen Facebook-Repräsentanten geschehen, die allen erzählten, dass die Aufstände den arabischen Ländern westliche Werte und Demokratie bringen würden? Einige der säkularen  Parteien, die in Tunesien zur Wahl standen, gewannen nicht einen einzigen Sitz im Parlament.

Was vielen westlichen Beobachtern entging ist, dass die meisten der Antiregierungs-Demonstrationen, die im Verlauf der letzten zehn Monate über die arabischen Welt hinwegfegten, oft aus Moscheen heraus gestartet wurden und Freitagsgebeten folgten.

Das gilt insbesondere für Ägypten, den Jemen, Syrien und Jordanien.

Dank des Arabischen Frühlings beginnen die Islamisten in diesen Ländern aus ihren Verstecken zu kommen, um legitime Spieler auf der politischen Bühne zu werden.

Die Schrift an der Wand ist sehr groß und klar. In freien und demokratischen Wahlen werden diejenigen, die das Banner des „Der Islam ist die Lösung“ tragen, wichtige Siege in den meisten, wenn nicht allen arabischen Ländern davon tragen. Die Palästinenser waren die ersten, die diesen neuen Trend erfuhren, damals, 2006, als die Hamas die säkulare Fatah in freien und fairen Parlamentswahlen besiegten, die auf Forderung der USA und der EU abgehalten wurden.

Die Führer des Arabischen Frühlings haben es versäumt sich ihrem Volk als eine bessere Alternative zu den Islamisten anzubieten. So weit es viele Araber angeht, ist dies eine gesichtslose Facebook-Revolution, die darin versagt hat neue Führer hervorzubringen. Der Arabische Frühling wird zum Islamistischen Winter.