Eine traurige Nachricht

Heute Morgen ist Dr. Manfred Gerstenfeld nach kurzer, heftiger Krankheit verstorben.

Er war in den letzten Jahren DER Antisemitismus-Experte der Welt gewesen, bescheiden und offen für Ideen und mit starken eigenen Gedanken, wie (nicht nur) Israel gegen den weltweiten Antisemitismus und Israelhass angehen kann, was auch auf diesem Blog immerhin rund neun Jahre lang jeden Montag zu lesen war.

Er hinterlässt eine große Lücke.

Eine israelische Agentur für Gegenpropaganda versus private Anstrengungen Israel zu verteidigen

Manfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Im Verlauf der Jahre ist eine Vielzahl an Freiwilligen-Organisationen entstanden, um Israel gegen die vielen verbalen Attacken zu verteidigen, die von der westlichen Welt ausgehen. Da die Kosten solcher Aktivitäten beträchtlich und die Mittelbeschaffung begrenzt sind, agiert jede von ihnen in einem konkreten, oft aber sehr eng begrenzten Bereich.

Ich werde oft gefragt, warum die Verknüpfung der Aktivitäten all dieser Organisationen kein würdiger Ersatz für die Gegenpropaganda-Agentur ist, die der israelische Staat schon vor langem hätte einrichten sollen. Eine zweite Frage, die solche Bemerkungen regelmäßig begleitet, lautet: „Warum kann eine Vielzahl reicher Juden nicht die Finanzierung privater einer proisraelischen Gegenpropaganda-Agentur übernehmen?“ Könnte ein solches Gremium nicht dieselbe Rolle ausfüllen wie eine Regierungsstelle?

Manchmal wird das von einer Anmerkung begleitet: „Israel sollte in der Tat seine Hasbara verbessern.“ Letzteres bedeutet so viel wie „öffentliche Diplomatie“, ein völlig anderer Begriff als Gegenpropaganda. Öffentliche Diplomatie kann Äußerungen wie diese enthalten: „Israel produziert die schönsten Tomate der Welt.“ Das lädt antiisraelische Hasser dazu ein zu sagen: „Ja, aber ihr tötet Palästinenser.“

Das Thema der Gegenpropaganda ist ein komplexes, von dem die Leute sehr wenig wissen. Die Antwort auf die zwei Fragen oben erfordert die detaillierte Erklärung einer Reihe von Schlüsselaspekten. Der vielleicht wichtigste ist, dass eine solche private Agentur eng mit dem Mossad, dem Inlandsgeheimdienst Schabak, dem Militärgeheimdienst Aman und dem Nationalen Cyber-Direktorat Israels zusammenarbeiten müsste. Bei allen handelt es sich um Dienststellen der Regierung, die keinem Nichtregierungs-Gremium Staatsgeheimnisse preisgeben dürfen.

Ich brachte die Idee einer Gegenpropaganda-Agentur erstmals in meinem Buch The War of a Million Cuts. The Struggle Against the Delegitimization of Israel and the Jews and the Growth of New Anti-Semitism auf, das 2015 veröffentlicht wurde.[1] Damals konsultierte ich eine Reihe Leute, die mit dem Bereich einigermaßen vertraut waren. Wir schätzten das Jahresbudget für eine ordentlich funktionierende staatliche Gegenpropaganda-Agentur auf etwa US$250 Millionen. Selbst für eine Reihe der größten pro-israelischen Spender zusammengenommen ist das eine sehr große Summe.

Dennoch gibt es weitere Aspekte, die eine staatliche Gegenpropaganda-Agentur von einer Ansammlung privater proisraelischer Gruppen unterscheidet. Die amerikanische Organisation CAMERA ist ein Beispiel für eine proisraelische Organisation, die sehr gute Arbeit darin leistet Medienverzerrungen in den USA und einigen anderen Ländern wie Großbritannien bloßzustellen. Einer ihrer Leiter verfolgt den Guardian und zeigt regelmäßig die vielen Abwegigkeiten zu Israel in dessen Artikeln. Sein Sprachgebrauch muss jedoch verhalten sein. Dasselbe gilt für HonestReporting, eine weitere wertvolle Organisation, die in diesem Bereich tätig ist.

Eine israelische Gegenpropaganda-Agentur würde auf ganz andere Weise agieren. Sie könnte mit der Erkenntnis beginnen, dass der Guardian eine extrem antiisraelische Zeitung ist. Sie kann als Teilzeitfeind des Landes betrachtet werden. Die Gegenpropaganda-Agentur würde keine Zeit damit verschwenden der Öffentlichkeit aufzuzeigen, was an den Artikeln im Guardian falsch ist, Lügen zu ermitteln oder Vorfälle festzuhalten, wo diese Zeitung extreme Israelfeinde mobilisiert, einschließlich Juden und Israelis, die Hass auf den Staat schüren, beispielsweise die israelische Organisation B’Tselem.

Stattdessen würden die Leiter der Agentur sich fragen: „Wie schaden wir diesem Feind so schnell wie möglich mit minimalem Aufwand?“ Der Urheber eines solchen Schadens könnte offen oder verborgen sein. Die Antwort auf diese Fragen ist nicht sehr schwierig, aber sie offenzulegen würde hier kontraproduktiv sein.

Denselben Einschränkungen, denen sich CAMERA und HonestReporting gegenüber sehen, begegnen auch andere verdienstvolle Organisationen, die Israel in einer Reihe von Bereichen verteidigen. Um nur zwei zu nennen: NGO Monitor und Palestinian Media Watch. Ihre Veröffentlichungen beinhalten extrem wertvolle Informationen für eine Gegenpropaganda-Agentur, sind aber kein Ersatz für ihre Aktivitäten. Die Agentur würde sich auf die antiisraelische Hetze insgesamt konzentrieren und sie betrachten. Die gesamten Publikationen der Israel verteidigenden Organisationen sind eine eher unorganisierte Masse. Die Agentur muss abdecken, was für Israel wichtig ist, eine Verteidigungsorganisation kann aussuchen, auf was sie reagiert.

Unter dem ehemaligen Minister Pompeo gab es vom US-Außenministerium einige frühe Anzeichen dafür, dass einige „Menschenrechts“-NGOs als gleichzeitig antisemitische Aktivitäten betreibend entlarvt werden würden. Humand Rights Watch, Amnesty International und Oxfam wurden ausdrücklich angeführt.[2] Man könnte diese Gruppen als „Gutmenschen-Antisemiten“ bezeichnen.[3] Bei NGO Monitor ist viel negative Information über ihre antiisraelischen Aktivitäten zu finden.

Leider gab es zu diesem Gutmenschen-Antisemitismus keine Folgemaßnahmen, wie man es sich erhofft hätte. Es hat sich aber das Fenster für diesen Missbrauch geöffnet. Das Konzept war einfach. Die Gutmenschen-Antisemiten nehmen eine bestimmte Anzahl an Menschenrechts-Positionen ein. Das schafft am Rande die Möglichkeit Israel mit widerlichen Kommentaren zu attackieren.

Ein interessantes Beispiel dafür brachte Hillel Neuer, der UN Watch in Genf leitet. Er veröffentlichte im Dezember 2019, dass Ken Roth, der Leiter von Human Rights Watch (HRW) im Verlauf eines Zeitraums von 18 Monaten mehr als 70% seiner Tweets dem Vorwurf illegaler Aktivitäten gegen Israel widmete. Im Gegensatz dazu widmete er von Januar 2017 bis Juni 2018 nur 1% seiner Tweets zum selben Thema dem Irak, Libyen, Russland, Syrien oder dem Jemen.[4]

Für eine gut finanzierte israelische Gegenpropaganda-Agentur wäre es nicht sonderlich schwierig weithin die Nachricht zu verbreiten, dass HRW eine zumindest zum Teil antisemitische Organisation ist, die von einem extrem antiisraelischen Hetzer geleitet wird. Ein paar Monate starker Anstrengung – was keine private Gruppe tun könnte – würden Roth höchstwahrscheinlich davon überzeugen, dass sein antiisraelisches Schüren von Hass für seine Organisation nicht gesund ist. Würde er das nicht begreifen, dann würden das einige seiner wichtigsten Spender tun – insbesondere, wenn sie als Financiers einer teilzeit-antisemitischen Gruppe geoutet würden.

Aus dem oben Beschriebenen sollte deutlich werden, dass die Einrichtung einer Gegenpropaganda-Agentur nur durch den Staat Israel erfolgen kann. Dem ist von Premierminister Benjamin Netanyahu seit Jahren Widerstand geleistet worden. Vielleicht könnte jemand seinen zukünftigen Nachfolger überzeugen diesen lange überfälligen Schritt zu unternehmen.

Dr. Manfred Gerstenfeld ist der ehemalige Vorsitzende des Jerusalem Center for Public Affairs. Er war mehr als 30 Jahre lang strategischer Berater einiger weltweit führender westlicher Konzerne. Zu den Ehrungen, die er erhielt, ge hörte 2019 der International Lion of Juda Award des Canadian Institute for Jewish Research, mit dem er als führende internationale Autorität zu zeitgenössischem Antisemitismus anerkannt wurde. Sein wichtigstes Buch zu dem Thema ist The War of a Million Cuts The struggle against the delegitimization of Israel and the Jews and the growth of New anti-Semitism (von dem bereits einige Kapitel auf diesem Blog in Übersetzung zu lesen sind).

[1] https://jcpa.org/book/the-war-of-a-million-cuts-the-struggle-against-the-delegitimization-of-israel-and-the-jews-and-the-growth-of-new-anti-semitism/

[2] http://www.jta.org/2020/10/22/politics/report-state-department-planning-to-label-human-rights-groups-anti-semitic

[3] https://besacenter.org/perspectives-papers/us-exposes-do-gooder-antisemites/

[4] https://blogs.timesofisrael.com/obsessed-93-of-ken-roths-illegal-accusations-targeted-israel-last-month/

Israels Feinde greifen sein Impfprogramm an

Manfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Die aktuellen Friedensvereinbarungen mit einer Reihe weiterer arabischer Staaten sorgten in Israel für eine gewisse Euphorie. Diese Abkommen waren nicht nur ein großer Rückschlag für die Palästinenser. Sie kamen auch als Schock für Westler, die vor den palästinensischen Völkermord-Propagandisten und dem die palästinensische Gesellschaft durchziehenden Todeskult die Augen verschließen bzw. ihn bagatellisieren oder schönreden. Viele dieser Westler kann man am besten als progressive Perverse beschreiben.

Dennoch veranlassten die neuen Vereinbarungen mit vier arabischen Staaten die israelische Führung, den anhaltenden Hass-Kampagnen gegen Israel durch seine vielen Feinde noch weniger Aufmerksamkeit zu schenken als bisher. Das wurde nach dem Beginn der massiven israelischen Impfkampagne einmal mehr deutlich.

Für objektive Beobachter ist Israels Impfkampagne eine Erfolgsstory. Bisher ist ein weit größerer Anteil der Bevölkerung Israels geimpft worden als in jedem anderen Land. Viele Politiker des Auslands haben Israel dafür gelobt.[1]

Eine Reihe westlicher, langfristiger (zum Teil Teilzeit-) Feinde Israels haben seinen Impferfolg dazu verwendet das Land zu verleumden. Die Palästinenser mögen die falschen Anschuldigungen erfunden haben, dass Israel für die Impfung der Palästinenser parallel zu der der in der Westbank lebenden Bürger Israels verantwortlich seien. Verschiedene Westler folgten dem.

Ein solcher Teilzeit-Feind Israels, der diese Behauptung erhob, ist die britische Wochenzeitung The Observer. Das Blatt veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel Palestinians excluded from Israeli Covid vaccination rollout as jabs got to settlers.[2] Dieser Artikel wurde auch am 3. Januar im Schwesterorgan, der Tageszeitung The Guardian veröffentlicht. In dem vom israelischen Korrespontenten Oliver Homes zusammen mit Hazem Balousha im Gazastreifen geschriebenen Text heißt es: „Israel feiert einen eindrucksvollen, rekordverdächtigen Impfschub, weil es mehr als einem Zehntel der Bevölkerung erste Injektionen gegeben hat. Aber die Palästinenser in den israelisch besetzten Gebieten Westbank und Gazastreifen müssen zusehen und warten.“ Der für ihre Story vermittelte Hintergrund lautete: „Israelische, palästinensische und internationale Menschenrechtsgruppen haben Israel beschuldigt in der Pandemie moralischen, humanitären und juristischen Verpflichtungen als Besatzungsmacht auszuweichen.“ Der Artikel legt zudem fälschlich nahe, dass der Gazastreifen von Israel besetzt ist. In diesem Gebiet gibt es allerdings keine Israelis.[3] Die Westbank ist auch kein von Israel besetztes, sondern „umstrittenes Gebiet“. Es gab nie einen palästinensischen Staat.[4]

Zahlreiche antiisraelische Medien und weitere Feinde Israels schlossen sich dem Chor an, Israel sei verpflichtet die Palästinenser zu impfen. Offizielle israelische Quellen erklärten, dass es dafür keine rechtliche Grundlage gibt. Wichtiger ist vielleicht, dass die palästinensische Autonomiebehörde daran nicht einmal interessiert war. Sie kontrolliert Teile der Westbank und gemäß den Oslo II-Vereinbarungen von 1995 ist sie für die palästinensische Bevölkerung in dem Gebiet verantwortlich. Sie hat ihre eigenen Beschaffungsmöglichkeiten und kündigten Verträge mit vier Produzenten an, darunter der Hersteller des russischen Sputnik V.[5][6]

Die israelische Obrigkeit überließ die verbale Verteidigung des Landes hauptsächlich privaten Gremien und Freiwilligen.[7][8] In einem Interview auf CNN sagte Gideon Sa’ar, ein ehemaliger Minister des Likud, der bei den anstehenden Wahlen als Leiter der Partei Neue Hoffnung antritt: „Ich denke, dass die palästinensische Autonomiebehörde genug Geld hat, um terroristischen Mördern Gehälter zu zahlen, denen, die Belohnungen für Verbrechen erhalten, die sie gegen Israel verüben … wenn sie [die Palästinenser] dafür Geld haben, dann können sie sich auch um ihre Einwohner kümmern.“[9]

Am 12. Januar setzte der Guardian seine Attacken auf Israel fort. Er veröffentlichte einen Artikel von Hagai El-Ad, dem Exekutivdirektor von B’Tselem, überschrieben mit: „Wir sind Israels größte Menschenrechtsgruppe – und wir bezeichnen das als Apartheid.“ Der Artikel hätte einen alternativen Titel tragen können: „Wir sind die führende israelische Menschenrechtsgruppe für palästinensische Mörder“.[10] Der Artikel wurde auch von der linken französischen Tageszeitung Le Monde veröffentlicht.[11]

Während er Israel der Apartheid beschuldigt, gibt es in El-Ads Artikel nicht ein einziges Wort zur Werbung für Mord an Israelis durch die Palästinenserführung oder den die palästinensische Gesellschaft durchziehenden Todeskult. Die Redakteure des Guardian, die beschlossen diesen Text zu veröffentlichen, müssen gewusst haben, wie verzerrt dessen Inhalt war.

Ein paar Tage später, am 17. Januar, kam der nächste Schritt des verkommenen Programms des Guardian gegen Israel. Er nutzt den Artikel des extremen Israel-Verleumders El-Ad – den er schon nicht hätte veröffentlichen sollen – als Grundlage für einen Leitartikel. Dieser war überschrieben mit: „Die Sicht des Guardian auf Israel und Apartheid: Prophetie oder Beschreibung?“ Darin enthalten waren keinerlei Zitate palästinensischer Führer zum Völkermord an Juden oder der Werbung sie zu ermorden. Er erwähnte jedoch die Gleichsetzung Israels mit einem Apartheidstaat durch die führenden israelfeindlichen Hassschürer Bischof Desmond Tutu und Jimmy Carter.[12]

Infolge des Fehlens einer israelischen Gegenpropaganda-Agentur können die Feinde des Landes wie The Guardian und The Observer es ungehindert schlecht zu machen. Sie haben wenig bis nichts zu möglichen Reaktionen zu befürchten. Eine normale israelische Reaktion hätte lauten sollen: „Wie können wir gegen diese Feinde da zurückschlagen, wo sie am verletzbarsten sind?“

Auslandsmedien, die Korrespondenten in Israel haben, fallen im Großen und Ganzen in zwei Kategorien: Journalisten, die versuchen eine ausgewogene Interpretation dessen zu geben, was passiert und Medien-Vertreter, die israelfeindliche Propagandisten sind, sich aber als Journalisten tarnen. Israel behandelt sie gleich, indem sie allen von ihnen Presseausweise ausgibt.

Es gibt in der Vergangenheit in erster Linie einen bedeutenden Fall, bei dem Israel versuchte den Auslandsmedien eine Lektion zu erteilen. 2003 brach die israelische Regierung mehrere Monate lang die Beziehung zur BBC ab. 2004 schrieb der damalige Minister Natan Sharansky in einer seltenen Reaktion aus Jerusalem einen Brief an die BBC, dass ihre Reporterin Orla Guerin nicht nur einen neuen Standard für einseitigen Journalismus gesetzt hatte, sondern ihre Berichterstattung „zudem Bedenken aufgeworfen hat, dass sie von Antisemitismus befallen war“.

Sharansky verwies auf den Fall eines palästinensischen Jugendlichen, der als menschliche Bombe explodieren sollte. In der Berichterstattung zu diesem Fall konzentrierten sich andere große Medien auf die Verwendung von Kindern durch palästinensische Terrorgruppen, aber Guerin stellte in den Mittelpunkt, dass die Israelis ein Kind vor den internationalen Medien vorgeführt habe. Sharansky stellte zudem heraus, dass er sich an keinen einzigen Bericht erinnern konnte, in dem die BBC „die Art und Mittel vermerkt, mit denen die palästinensische  Obrigkeit Ereignisse für die Medien inszeniert oder die Medien zu Storys lenkt, die den Zielen der palästinensischen Interessen dienen.“[13]

Mit unserem gegenwärtigen Verständnis dessen, wie Israels Medienfeinde Themen mit Bezug zu Israel behandeln, kann man ihnen weit durchdachter entgegentreten. Die Hetze gegen Israel stammt aus den Zentralen der Medien im Ausland. Der lokale Korrespondent ist ein sehr sekundäres Ziel. Er liefert, was seine Bosse haben wollen. Darin unterscheidet er sich kaum von einer Zahl seiner Vorgänger. Hätte Israel eine Agentur für Gegenpropaganda, so würde sie dem Guardian gewaltige Probleme schaffen, ohne Gesetze zu brechen. Es ist nicht schwer ein paar Beispiele zu geben, aber warum ihnen Ideen liefern?

Es gibt jedes Jahr Dutzende Fälle, wie dem des Missbrauchs des israelischen Impfprogramms durch seine Medienfeinde. Es ist daher wichtig zu erklären, warum Israel keine Agentur für Gegenpropaganda hat, obwohl es diese dringend braucht. Die Verantwortung für dieses Versagen fällt direkt auf Premierminister Benjamin Netanyahu zurück. Ihre Gründung ist ihm seit Jahren von Mitarbeitern und auch von jüdischen Leitern im Ausland vorgeschlagen worden – und hat daher nichts mit seiner aktuellen Fokussierung auf seine Gerichtsverfahren zu tun. Er hat das immer blockiert. Israel zahlt ständig einen hohen Preis für diese völlig abwegige Politik.

[1] https://en.globes.co.il/en/article-global-media-praises-speed-of-israels-vaccination-drive-1001355195

[2] Palästinenser von israelischem Covid-Impfbeginn ausgeschlossen, während Siedler spritzen bekommen.

[3] http://www.theguardian.com/world/2021/jan/03/palestinians-excluded-from-israeli-covid-vaccine-rollout-as-jabs-go-to-settlers

[4] http://www.jcpa.org/jl/vp470.htm

[5] www.timesofisrael.com/israeli-health-funds-at-center-of-world-beating-coronavirus-vaccination-push

[6] https://time.com/5930060/israel-covid-vaccine-palestinians/

[7] https://de.gatestoneinstitute.org/16966/israel-impfprogramm

[8] http://www.camera.org/article/ap-falsely-casts-israel-as-responsible-for-providing-palestinians-with-vaccines/

[9] http://www.jpost.com/israel-news/saar-to-cnn-i-intend-to-win-i-believe-israelis-will-create-the-change-655565

[10] http://www.theguardian.com/commentisfree/2021/jan/12/israel-largest-human-rights-group-apartheid

[11] http://www.lemonde.fr/international/article/2021/01/12/pour-la-premiere-fois-une-organisation-israelienne-b-tselem-denonce-un-regime-d-apartheid_6065937_3210.html

[12] http://www.theguardian.com/commentisfree/2021/jan/17/the-guardian-view-on-israel-and-apartheid-prophecy-or-description

[13] Letter from Natan Sharansky to Jonathan Baker, head of Foreign News, BBC, March 30, 2004

Der ignorante Antisemitismus der obersten Richter Europas

Manfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Dass der Europäische Gerichtshofs in Luxemburg es auf die Liste der Top Ten der schlimmsten antisemitischen Vorfälle 2020 des Simon Wiesenthal Center (SWC) geschafft hat, ist eine höchst negative Leistung. Das ist umso bemerkenswerter, als sich die Auflistung des Gerichts auf ein fehlerhaftes Urteil stützte, das eine bedeutende Lüge beinhaltet.

Das höchste Gericht der EU entschied, dass ein Beschluss der flämischen Regierung, das rituelle Schlachten von Tieren nur nach einer Betäubung zu erlauben, einen „fairen Ausgleich zwischen dem Wohlergehen der Tiere und der freien Religionsausübung“ ermögliche.[1] Warum ist das eine Lüge? Weil für religiöse Vorschriften einhaltende Juden – wie auch für viele Muslime[2] – das Fleisch von vor der Schlachtung betäubten Tieren zu essen verboten ist. Daher kann es keinen „fairen Ausgleich“ zwischen Tierwohl und dem Verbot des Gebots einer Religion geben, wie das Gericht fälschlich behauptet.[3]

Das Urteil des Gerichts widersprach damit auch einer Empfehlung seines Generalanwalts, der das flämische Gesetz annullieren wollte. Er sagte, strengere Tierwohl-Gesetze könnten zugelassen werden, wenn der „Kern“ des religiösen Brauchs nicht beeinträchtigt wird. Das Urteil des Gerichts tastete allerdings diesen „Kern des religiösen Brauchs“ an.

Es gibt viele Aspekte im Hintergrund, wenn man diese juristische Entscheidung betrachtet. Nachdem Hitler 1933 an die Macht kam, führte die Nazi-Regierung in Deutschland ähnliche Maßnahmen ein. Das passte in ihre antisemitische Politik. Obwohl sie für ihre Entscheidung einen anderen Grund angaben, stellten sich die Richter des Europäischen Gerichtshof hinter Hitlers Ansatz.[4] Das SWC erwähnt in seinem Dokument ausdrücklich die Verbindung zwischen den Entscheidungen des Gerichts und Hitlers. Die Europa-Richter haben den antisemitischen Charakter und die Geschichte ihrer aktuellen Entscheidung möglicherweise nicht erkannt. Antisemitismus aus Unwissen ist nur einer der vielen Stränge des Hasses.

Die Richter in Luxemburg sind in ein antisemitisches Thema mit langer Geschichte gewatet. Das am wenigsten Negative, das angenommen werden kann, ist, dass sie zu diesem Thema keinerlei Grundkenntnisse über die Vergangenheit hatten, ansonsten wäre es ein noch schlimmeres Fehlurteil, als es das ohnehin schon ist.

In der Vergangenheit erfolgte ein Großteil der Gesetzgebung gegen rituelles Schlachten in Europa auf selbstherrlich-antisemitischer Grundlage. In der Schweiz wurde das rituelle Schlachten ohne Betäubung 1893 über einen Verfassungszusatz verboten.[5] Damit sollte den Juden signalisiert werden, dass sie im Land nicht sonderlich willkommen waren.[6] Außer während des Zweiten Weltkriegs, als es in der Schweiz zahlreiche jüdische Flüchtlinge gab, war die jüdische Gemeinschaft immer klein geblieben. Nach dem Krieg unternahm die schweizerische Regierung beträchtliche Anstrengungen die jüdischen Flüchtlinge dazu zu bringen das Land zu verlassen.[7]

Norwegen, ein Land mit kleiner Bevölkerung und einer langen antisemitischen Tradition, verabschiedete 1929 ein Gesetz, das das Töten von Tieren ohne Betäubung verbot, also noch bevor Deutschland das unter der Naziherrschaft machte. Es ist bis heute in gültig. Demgegenüber haben Norweger seitdem weiter Wale auf eine grausame Weise getötet, bei der das Tier auf viele Weisen leidet.[8]

Neben Deutschland war auch in den während des Zweiten Weltkriegs deutsch besetzten Ländern wie den Niederlanden jüdisches Schlachten ohne Betäubung verboten. Das wurde nach Deutschlands Niederlage zurückgenommen. Seit einigen Jahren ist im niederländischen Parlament eine kleine Partei vertreten, die Partei für Tiere. Tierrechte und -Wohlergehen sind zentraler Teil ihres Programms. Sie brachte 2011 ein Gesetz ins niederländische Abgeordnetenhaus ein, das religiöse Schlachten ohne Betäubung zu verbieten.

Dieses Gesetz war nicht hauptsächlich durch Antisemitismus motiviert – allerdings weiß man das in Europa nie – sondern durch die selektiven emotionalen Elemente eines zum Teil irrationalen Umfelds. Es gab dafür viel Unterstützung aus der Bevölkerung, was andeutet, dass viele Niederländer sich einfacher in das eingebildete Gemüt einer Kuh versetzen können als in das eines religiösen Juden. Das Gesetz wurde der Zweiten Kammer des Parlaments, verabschiedet, schaffte es aber in der ersten Kammer nicht.

Zu den Parteien, die das Gesetz unterstützten, gehörte die populistische, islamfeindliche Partei PVV. Diese war von den Problemen motiviert, die damit Teilen der religiösen Muslime bereitet würden. Dennoch sagte einer ihrer Abgeordneten, Dion Graus, in der zweiten Kammer, er könne jeden widerlegen, der behauptet seine Partei sei nur gegen Muslime: „Wir sorgen uns um die Tiere. Wir sind auch gegen jüdisches rituelles Schlachten.“[9]

Halal-Schlachten durch Muslime macht nicht mehr als 1 bis 2 Prozent der massiven Gesamt-Tierschlachtung in den Niederlanden aus. Ein Teil der Muslime isst kein Halal-Fleisch, wenn das Tier vor der Schlachtung betäubt wurde. Die Gesamtzahl der gemäß jüdischen Ritualen in den Niederlanden geschlachteten Kühe beläuft sich auf etwa 3.000, eine für die Gesamtbranche marginale Anzahl.

In der allgemeinen Schlachtindustrie in den Niederlanden gibt es enorme Verstöße gegen das Tierwohl. Viele Fälle fallen auch beim Transport der Tiere zum Schlachthof an. Es ist jedoch eine recht bekannte politische Taktik, seine Attacken gegen die Bräuche relativ kleiner Minderheiten zu richten.

Derweil erhalten gewaltige Skandale in Sachen Tierwohl in Europa nicht gerade massive internationale Öffentlichkeit. 2014 trat in Dänemark ein Verbot rituellen Schlachtens ohne Betäubung in Kraft.[10][11] Im November 2020 waren Tiere in einen dänischen Nerz-Framen mit dem Covid-Virus infiziert.[12] Daraufhin wurden auf Anweisung der Regierung mehr als zehn Millionen Nerze gekeult.

Die dänische Regierung gab hinterher zu, dass ihr der rechtliche Rahmen für eine landesweite Verfügung fehlte und sie nur die Zuständigkeit hatte infizierte Nerze oder Herden innerhalb eines Sicherheitsradius zu keulen. „Das ist ein Fehler. Es ist ein bedauerlicher Fehler“, sagte die sozialdemokratische Premierministerin Mette Frederiksen im Parlament. „Selbst wenn wir in Eile sind, hätte uns völlig klar sein müssen, dass neue Gesetze erforderlich sind und das war uns nicht klar. Ich entschuldige mich dafür.“

Auch die Beerdigung der Nerze führte zu einem riesigen Umweltskandal. In eine paar Monaten – wenn es kein Covid-Risiko mehr gibt – wird man vier Millionen Nerz-Leichen wieder ausgraben und neu beerdigen müssen.[13] Ein Teil der Tiere in einem Massengrab auf einem Militärgelände im Westen des Landes sind wegen durch ihre Verwesung produzierten Stickstoff- und Phosphorgasen wieder an die Oberfläche gekommen. Zwei Grabstätten sind höchst umstritten, weil eine sich in der Nähe eines Badesees befindet, die andere nicht weit entfernt von einer Trinkwasser-Quelle. Anwohner haben sich über die potenzielle Kontaminationsgefahr beschwert.

Jüdische Organisationen könnten gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Berufung einlegen. Wie dem auch sei: Dieser Akt des Gerichts dürfte weitere Länder anspornen ähnliche antisemitische Gesetze zu beschließen. Der Französisch sprechende Teil Belgiens, die Wallonie, hat das 2017 bereits getan.[14]

Es gibt bei diesem Thema einen weiteren wichtigen Aspekt. Die Europäische Union hat angekündigt, dass sie in ihrem Arbeitsprogramm 2021 der Bekämpfung des Antisemitismus viel Zeit widmen wird. Als Einleitung dazu hat der Europäische Gerichtshof es geschafft ein antisemitisches Urteil zu fällen, das gut in die mehr als tausend Jahre alte europäische Tradition des Judenhasses passt. Die EU wird eine überzeugende Antwort darauf finden müssen, wenn sie irgendeine Glaubwürdigkeit in ihrem Kampf gegen den Antisemitismus haben will.

[1] www.bbc.com/news/world-europe-55344971

[2] ebenda

[3] ebenda

[4] http://www.loc.gov/law/help/religious-slaughter/europe.php

[5] http://www.swissjews.ch/en/religion/kosher-meat/the-ban-on-shechita-in-switzerland/

[6] https://jcpa.org/article/muslims-and-jews-in-switzerland/

[7] jcpa.org/phas/phas-erlanger-s06.htm

[8] www.jpost.com/Opinion/Op-Ed-Contributors/Norway-a-paradigm-for-anti-Semitism

[9] Parlamentarische Debatte, Tweede Kamer, 17. Februar 2011 [Niederländisch].

[10] http://www.foodnavigator.com/Article/2014/02/20/Denmark-bans-halal-and-kosher-slaughter

[11] http://www.theguardian.com/commentisfree/andrewbrown/2014/feb/20/denmark-halal-kosha-slaughter-hypocrisy-animal-welfare

[12] http://www.bbc.com/news/world-europe-54890229

[13] http://www.bbc.com/news/world-europe-55391272

[14] http://www.neweurope.eu/article/as-ramadan-starts-wallonia-bans-ritual-slaughter/

Erreichtes im Kampf gegen Antisemitismus im Jahr 2020

Manfred Gerstenfeld (direkt vom Autor; eine englische Version erschien beim BESA Center)

Es besteht breiter Konsens, dass die Zahl der antisemitischen Vorfälle weltweit 2020 weiter zugenommen hat.[1] Um die Realität der Verbreitung dieses Hasses zu verstehen, sind nicht nur Zahlen wichtig. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, dass die flämische wie die wallonische Regierung in Belgien das Recht haben das rituelle Schlachten von Tieren nur nach Betäubung zu gestatten, war eine bedeutende antisemitische Handlung. Sie betrifft auch einen Teil der muslimischen Bevölkerung.[2] Als Hitler an die Macht kam, führte die Nazi-Regierung in Deutschland eine ähnliche Maßnahme ein. Sie passte in ihre antisemitische Politik.

Auch wenn das europäische Gericht einen anderen Grund für seine Entscheidung angab, hat es faktisch Hitlers Vorgehen unterstützt.[3] Die Richter haben möglicherweise den antisemitischen Charakter ihrer Entscheidung nicht erkannt. Antisemitismus aus Ignoranz ist nur eine der vielen Formen des Hasses.

Das Gericht schrieb, sein Urteil schaffe einen „fairen Ausgleich“ zwischen Tierschutz und Religion. Das ist eine Lüge. Juden, die ihrer Religion folgen, ist es verboten Fleisch von Tieren zu essen, die vor der Schlachtung betäubt wurden. Damit gibt es keinerlei Ausgleich. Die Entscheidung des Gerichts sollte als ein weiterer Schritt in der mehr als tausend Jahre alten antisemitischen Kultur betrachtet werden, die die europäischen Gesellschaften durchzieht, auch wenn die Richter sich dieser Tatsache nicht bewusst sind.

Dennoch hat es im vergangenen Jahr auch eine Reihe sehr bemerkenswerter positiver Entwicklungen im Kampf gegen den Antisemitismus gegeben. Die wichtigsten davon sind das Ergebnis der von der Administration Trump initiierten Politik. Ihre Entscheidung die amerikanische Finanzierung der palästinensischen Autonomiebehörde einzustellen war ein wichtiger Schritt gegen Antisemitismus. Einer Organisation, die Mord an Juden belohnt, sollten keine Regierungsgelder mehr zur Verfügung gestellt werden.[4]

Nebenbei bemerkt: Die Einstellung der amerikanischen Finanzierung der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) fällt in dieselbe Kategorie. Bei ihr handelt es sich um eine UNO-Organisation, die unter anderem Hassliteratur gegen Israel finanziert und in palästinensischen Schulen zur Verfügung stellt.[5] Das bedeutet auch, dass jede Erneuerung der Finanzierung der UNRWA durch die Administration Biden – die sie fälschlich als „humanitäre Hilfe“ bezeichnen dürfte – auf einen antisemitischen Schritt hinausläuft.

Im großen Rahmen der Politik der Administration Trump haben auch mehrere weitere, für Israel günstige Maßnahmen einen positiven Effekt im Kampf gegen den Antisemitismus gehabt. Während seines Besuchs in Israel im November 2020 kündigte US-Außenminister Mike Pompeo an, dass die Vereinigten Staaten die antiisraelische Boykott-Bewegung BDS als antisemitisch betrachten.[6] Es gibt in der Tat reichlich Dokumentationsmaterial zu der tiefgehend antisemitischen Motivation der Initiatoren und Hauptbefürwortern der BDS.[7]

Ein weiteres wichtiges Thema, das nur am Rande aufkam – es gab keine Folgemaßnahmen – ereignete sich während der letzten Tage vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November 2020. Quellen in der Regierung Trump ließen wissen, dass das Außenministerium drei große Menschenrechtsorganisationen – Human Rights Watch, Amnesty International und Oxfam – für antisemitisch erklären könnte. Dass dies faktisch korrekt ist, war für Antisemitismus-Experten nichts Neues. Das aber von US-Regierungskreisen zu hören, war dennoch ein radikaler Schritt vorwärts.[8]

Diese drei Organisationen können als „Gutmenschen-Antisemitismus“ praktizierend beschrieben werden. Dessen Konzept ist einfach: Wenn eine Organisation oder eine Person hauptsächlich etwas tut, was als anerkennenswert wahrgenommen wird, erhält sie dadurch manchmal Spielraum, sich in anderen Dingen an den Rändern – sogar in extremem Maß – danebenzubenehmen. Das ist von den erwähnten drei großen NGOs und vielen anderen bezüglich Israel Jahre lang praktiziert worden.

Diese „Gutmenschen“-NGOs hetzen gegen, verleumden und diffamieren Israel regelmäßig, während sie fast völlig zu der Kriminalität und der Kultur des Todes schweigen, die die palästinensische Gesellschaft und Führung durchziehen.[9]

Eine weitere wichtige Entwicklung im Kampf gegen Antisemitismus war die Veröffentlichung des Berichts der British Equality an Human Rights Commission (EHRC) zum Antisemitismus in der Labour Party. Dieses entscheidende Dokument wurde Ende Oktober veröffentlicht. Die EHRC stellte fest, dass das Büro von Jeremy Corbyn, dem früheren Vorsitzenden der Partei, in fast zwei Dutzend Fällen von Antisemitismus unrechtmäßig „politisch eingriff“.[10]

Drei führende jüdische britische Organisationen – das Board of Deputies of British Jewry, der Jewish Leadership Trust und der Community Security Trust – gaben danach eine Erklärung ab: „Jeremy Corbyn wird zurecht für das verantwortlich gemacht, was er den Juden und Labour angetan hat, aber die Wahrheit ist verstörender, da er wenig mehr ist als die Galionsfigur für alte und neue antisemitische Einstellungen. All das wurde von denen ermöglicht, die bewusst wegschauten.“[11]

Die Situation verbesserte sich anfänglich weiter, als Corbyn auf den Bericht reagierte, indem er sagte, dass Antisemitismus-Vorwürfe „aus politischen Gründen dramatisch übertrieben“ würden.[12] Labours Generalsekretär David Evans beschloss daraufhin ihn aus der Partei auszuschließen. Corbyn verlor auch den Labour-Fraktionsvorsitz, was bedeutet, dass er aktuell als parteiloser Abgeordneter im Unterhaus sitzt. Dennoch setzte das National Executive Committee (NEC) Corbyn weniger als drei Wochen darauf wieder als Labour-Mitglied ein. Der aktuelle Parteivorsitzende Keir Starmer kündigte an, dass seinem Vorgänger der Fraktionsvorsitz nicht zurückgegeben wird.[13]

Im Rahmen dessen, was allgemein die Abraham-Vereinbarungen genannt wird, stimmten Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, der Sudan und Marokko der Normalisierung mit Israel zu. Bahrain und Israel beschlossen zudem, dass sie gemeinsam den Antisemitismus bekämpfen würden.[14] Bahrain wurde das erste arabische Land, das die Antisemitismus-Definition der Internationalen Holocaust-Gedenkallianz (IHRA) anerkennt.[15]

Die Zahl der Länder und Organisationen, die die IHRA-Definition für Antisemitismus angenommen haben, nahm 2020 weiter zu.[16] Dazu gehören zum Beispiel Städte wie London und Berlin, zahlreiche Universitäten,[17] die große Mehrheit der englischen Premier League-Fußballvereine und verschiedene Organisationen Zivilgesellschaft.[18]

Weitere Länder und Instanzen ernannten während des letzten Jahres Koordinatoren im Kampf gegen Antisemitismus. Eine wichtige Ernennung war die des ehemaligen kanadischen Justizministers Irwin Cotler zum Sonderbotschafter des Landes für den Erhalt des Holocaust-Gedenkens und der Bekämpfung des Antisemitismus. Cotler ist ein hoch respektierter Anwalt für internationales Menschenrecht.[19] Er hat einen ellenlangen Hintergrund darin den Trends des Antisemitismus folgen.

In Deutschland, wo es ebenfalls bereits eine Reihe solcher Beauftragter gibt, wurden weitere ernannt. Eine besonders wichtige Wahl war die des Politikwissenschaftlers Samuel Salzborn zum Antisemitismus-Beauftragten von Berlin.[20] Die Niederlande haben angekündigt, dass sie im nächsten Jahr einen solchen Beauftragten ernennen wollen.[21]

Man könnte dem oben Angeführten hinzufügen, dass der Europarat, dem die Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer angehören, eine Erklärung gegen Antisemitismus ausgegeben hat. Diese hatte eine Reihe Meriten, auch wenn sie viele wichtige Themen nicht erwähnte.[xxii] Somit verschlechtert sich die Allgemeinlage bezüglich des Antisemitismus weltweit zwar weiter, die oben angeführten Dinge deuten aber an, dass es im vergangenen Jahr auch wichtige Erfolge m Kampf gegen diesen weit verbreiteten Hass gab.

[1] http://www.jta.org/2020/07/22/opinion/anti-semitism-is-rising-worldwide-so-why-is-trumps-special-envoy-targeting-the-presidents-american-jewish-critics

[2] http://www.dw.com/en/eu-states-can-mandate-stunning-animals-for-slaughter-ecj/a-55970178

[3] http://www.loc.gov/law/help/religious-slaughter/europe.php

[4] http://www.bbc.com/news/world-middle-east-47095082

[5] http://www.jpost.com/arab-israeli-conflict/new-unrwa-textbooks-display-extreme-anti-jewish-and-anti-israel-sentiments-study-shows-506174

[6] http://www.nytimes.com/2020/11/19/world/middleeast/pompeo-bds-golan-heights-west-bank.html

[7] https://jcpa.org/unmasking-bds/

[8] http://www.jta.org/2020/10/22/politics/report-state-department-planning-to-label-human-rights-groups-anti-semitic

[9] https://besacenter.org/perspectives-papers/us-exposes-do-gooder-antisemites/

[10] www.telegraph.co.uk/politics/2020/10/29/labour-anti-semitism-report-key-findings-happens-now/

[11] http://www.bod.org.uk/joint-statement-on-release-of-ehrc-report/

[12] www.independent.co.uk/news/uk/politics/jeremy-corbyn-suspended-labour-party-antisemitism-keir-starmer-update-b1422940.html

[13] www.theguardian.com/politics/2020/nov/18/labour-in-fresh-turmoil-as-starmer-refuses-to-restore-whip-to-corbyn

[14] http://www.israelhayom.com/2020/10/23/us-bahrain-to-sign-mou-on-combating-anti-semitism/

[15] https://24news.tv/en/news/international/1603701176-bahrain-backs-ihra-definition-of-anti-semitism-in-memorandum-with-us

[16] https://ep-wgas.eu/ihra-definition/

[17]  https://eurojewcong.org/news/communities-news/united-kingdom/three-more-uk-universities-adopt-ihra-definition-of-antisemitism/; https://www.cam.ac.uk/news/the-university-of-cambridge-has-formally-adopted-the-ihra-definition-of-antisemitism

[18] http://www.jpost.com/diaspora/antisemitism/english-premier-league-adopts-ihra-definition-of-antisemitism-651031

[19] http://www.cbc.ca/news/politics/cotler-envoy-holocaust-remembrance-antisemitism-1.5815646

[20] http://www.tagesspiegel.de/berlin/zwischen-corona-demos-und-juedischem-alltag-natuerlich-hat-berlin-ein-antisemitismus-problem/26177178.html

[21] https://eurojewcong.org/news/communities-news/the-netherlands/the-netherlands-to-establish-national-coordinator-on-combatting-antisemitism/

[xxii] https://heplev.wordpress.com/2020/12/28/die-erklaerung-der-europaeischen-union-zum-kampf-gegen-antisemitismus/

Wird die EU eine ernsthafte Strategie gegen Antisemitismus entwickeln?

Manfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Rund 20 Jahre lang ist die Europäische Union (EU) im Kampf gegen den Antisemitismus weitgehend untätig, inkompetent, gleichgültig und manchmal bösartig gewesen. Dazu gehört ihre Haltung gegenüber der Hetze in mehreren ihrer Mitgliedstaaten. Inzwischen haben Hass gegen Juden und Israel in der EU enorm zugenommen.

Jetzt scheint die EU-Kommission das Thema der antisemitischen Aufstachelung im kommenden Jahr angehen zu wollen. Ihr Arbeitsprogramm für 2021 erklärt: „Angesichts des Anstiegs von antisemitischer Gewalt und Hassverbrechen wird die Kommission eine umfassende Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus vorlegen, um die die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zu ergänzen und zu unterstützen.“[1] Die EU hat zudem vor, bei ihrem Gipfeltreffen im Dezember eine Erklärung gegen Antisemitismus verabschiedet.[2]

Europas lang andauernde Geschichte des Antisemitismus – gut mehr als tausend Jahre – hatte ihre Ursprünge schon von der Vorstellung, dass Europa existiert. Keine EU-Strategie gegen Antisemitismus kann ohne eine detaillierte Einführung in die Geschichte ihres lange andauernden Antisemitismus effektiv sein. Diese muss sich zuerst vor allem auf die römisch-katholische Kirche konzentrieren, muss aber auch Einzelpersonen wie zum Beispiel Erasmus, Martin Luther, Voltaire, frühe französische Sozialisten des 19. Jahrhunderts und Karl Marx Aufmerksamkeit widmen.[3]

Das geplante EU-Dokument muss erklären, wie niederträchtig und fanatisch christlicher Antisemitismus die Grundlage für die zweite große Welle dieses Hasses legte, den national-ethnischen Antisemitismus und auch seine extremste völkermörderisch Ausdrucksform – deb Nationalsozialismus.

Seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich allmählich ein drittes Modell des Antisemitismus, der Antiisraelismus. Die EU und eine Reihe ihrer Mitgliedstaaten haben sich von Zeit zu Zeit an ihm beteiligt. All das muss ausführlich beschrieben und illustriert werden, andernfalls kann kein stichhaltiges Dokument erstellt werden.

Wenn die anstehende Studie nicht ausdrücklich eingesteht, dass Antisemitismus ein integraler Bestandteil europäischer Kultur ist, wird sie fehlschlagen. Ein wichtiger Meilenstein bei der Verzerrung der EU-Realität zu Antisemitismus kam 2003, als das Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität in Berlin vom Europäischen Beobachtungszentrum für Rassismus und Xenophobie (EUMC) gebeten wurde die Daten zu analysieren und die Befunde zu Antisemitismus zusammenzufassen, die die europäische Organisation gesammelt hatte.

Die amerikanische Wissenschaftlerin Amy Elman beschrieb das europäische Versagen ausführlich in ihrem Buch The European Union, Antisemitism and the Politics of Denial aus dem Jahr 2014.[4] In einem Interview sagte sie: „Das ZfA stellte sein Dokument im Oktober 2003 fertig. Darin wurde festgestellt, dass gewalttätige Angriffe auf Juden oft infolge virulenten Antizionismus aus dem gesamten politischen Spektrum entstehen. Darüber hinaus identifizierte es ausdrücklich junge Muslime arabischer Herkunft als Haupttäter physischer Übergriffe gegen Juden und die Schändung und Zerstörung von Synagogen. Viele waren selbst Opfer von Rassismus und sozialer Ausgrenzung.

Das EUMC veröffentlichte die Studie nicht und bestand darauf, dass der einen Monat abdeckende Zeitraum, den die ZfA-Untersuchung abdeckte, zu kurz sei. Es behauptete auch, der Bericht sei niemals zur Veröffentlichung vorgesehen gewesen. Die Forscher des ZfA kommentierten, dass ihre Konzentration auf muslimische Täter von antisemitischen und antizionistischen Angriffen die EUMC beunruhigte. Sie erklärten, dass diese EU-Agentur sie wiederholt gebeten hatte ihre ‚umstrittenen‘ Ergebnisse zu modifizieren. Nachdem die Forscher diese Revisionen ablehnten, legte das EUMC ihren Bericht im November 2003 beiseite.“[5]

Allmählich wurden in verschiedenen europäischen Ländern Studien zum extremen Antisemitismus veröffentlicht. Dennoch unternahm die EU sehr wenig. Ein Meilenstein der Information war die Veröffentlichung einer Studie der Universität Bielefeld im Jahr 2011. Sie wurde im Auftrag der der SPD nahestehenden Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt. Sie stellte fest, dass sich mindestens 150 Millionen Bürger im Alter ab 16 Jahren aufwärts in der EU eine dämonische Sicht Israels zu eigen machten.

Die Studie wurde in sieben europäischen Staaten durchgeführt. Forscher befragten pro Land im Herbst 2008 eintausend Personen im Alter ab 16 Jahren. Eine der gestellten Fragen wollte in Erfahrung bringen, ob sie der Aussage zustimmten, dass Israel einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser führt. Den niedrigsten Anteil derer, die zustimmten, gab es in Italien und den Niederlanden mit 38% bzw. 39%. Andere Anteile waren: Ungarn 41%, Großbritannien 42%, Deutschland 48% und Portugal 49%. In Polen waren es 63%.[6]

Die Europäische Kommission hätte von diesen Ergebnissen schockiert sein müssen. Sie zeigten, dass ein „neues Europa“ nur in geringen Teilen existierte und dass das „alte Europa des Judenhasses und antisemitischer Hetze“ sehr gegenwärtig ist. Die EU hätte sich ebenso die Folgen ihres eigenen Beitrags zu diesem Bild ansehen müssen, das das Ergebnis sehr einseitiger Kritik an Israel ist und weitgehend von der Mehrheitsunterstützung der palästinensischen Wähler für die völkermörderische Bewegung Hamas sowie ihrer finanziellen Unterstützung für die palästinensische Autonomiebehörde – kontrolliert von der zweitgrößten Palästinenserbewegung, der Fatah – die Terroristen belohnt, die Juden ermorden. (Wenn der Terrorist getötet wird, erhält seine Familie das Geld.) Die Kultur der Glorifizierung des Todes ist in der palästinensischen Weltanschauung sehr markant.

Darüber hinaus spendet die EU gegen Israel hetzenden palästinensischen NGOs Geld. NGO-Monitor hat darauf hingewiesen, dass mehrere davon Verbindungen zum Terror haben.[7][8] Die EU unterstützt zudem die einseitige UNO-Sonderorganisation für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA). Es gibt keinen stichhaltigen Grund dafür, dass diese Organisation außerhalb des regulären UNO-Flüchtlingshilfesystems existiert.[9]

In mehreren EU-Mitgliedstaaten floriert Antisemitismus, ohne dass die EU auch nur reagierte. Ein solcher Fall ist Schweden. Dessen drittgrößte Stadt Malmö war lange Zeit Europas Hauptstadt des Antisemitismus, hauptsächlich wegen Teilen des dortigen großen muslimischen Bevölkerungsanteils. Er wurde durch Nichtstun und manchmal sogar Teilnahme der örtlichen sozialdemokratischen, von Bürgermeister Elmar Reepalu geführten Verwaltung an antisemitischer Propaganda möglich gemacht. Malmö wurde allmählich vom weit größeren Berlin als Europas Hauptstadt des Antisemitismus überholt.[10] Ein weiterer und bisher in Europa einmaliger Vorfall war die Schließung der jüdischen Gemeinde in der schwedischen Stadt Umea als Folge der Bedrängung durch lokale Nazis.[11]

Spanien ist ein weiteres Land, das auf den höchsten Ebenen von Antisemitismus erfüllt ist. Die Partei Podemos bestreitet Israels Existenzrecht.[12] Podemos ist der Juniorpartner in der vom der PSOE (Sozialistische Arbeitsparte) Spaniens beherrschten Regierung von Premierminister Pedro Sánchez. Jeder ernsthafte Plan einer EU-Strategie gegen Antisemitismus muss zum Rücktritt oder dem Ausschluss von Josep Borrell führen, dem hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik der Kommission, einem Spanier. Er sagte gegenüber Politico: „Iran will Israel auslöschen; das ist nichts Neues. Damit muss man leben.“ Das ist die schlimmste Art des Appeasement von Antisemitismus. Ein Mann wie dieser darf keinen Platz in einer EU-Kommission haben, die behauptet eine Strategie gegen Antisemitismus zu haben.[13]

Die EU ernannte 2015 ihre erste europäische Kommissions-Koordinatorin zur Bekämpfung von Antisemitismus, Katharina von Schnurbein. Sie unternimmt auf diesem Feld ihr Möglichstes. Die Tatsache, dass sie in der EU-Hierarchie nicht sonderlich weit oben steht und bis vor kurzem fast keine Mitarbeiter hatte, ist nur ein weiterer Hinweis der Fahrlässigkeit im Kampf gegen Antisemitismus.

In den vergangenen Jahren sind eine Reihe von Studien über die Verbreitung von Antisemitismus in einer Reihe von EU-Staaten wie auch die Wahrnehmung der dort lebenden Juden veröffentlicht worden. Die relative Bedeutung der Täter ist von Land zu Land unterschiedlich. Insgesamt dominiert der muslimische Antisemitismus. In Deutschland ist jedoch rechter Antisemitismus bedeutender. Letzterer nimmt ebenfalls insgesamt zu. Linker Antisemitismus drückte sich weitgehend verbal in extremem Israelhass aus.

Es ist wichtig, dass deutlich bevor die Arbeit beginnt, der EU-Kommission ein detaillierter Umriss vorgelegt wird, der die Posten beinhaltet, die in einer solchen Studie abgedeckt werden müssen. Die Frage lautet: Wer kann oder wer wird diesen Umriss vorlegen? Die israelische Regierung hat viele andere eigene  Interessen am Zusammenarbeiten mit der EU und wird das kaum tun. Wegen ihrer eigenen Inkompetenz und Nachlässigkeit in dem Bereich ist das um so mehr der Fall.

Das lässt das Thema weit offen für große jüdische Organisationen. Doch diese sind in der Regel mit einer strategischen Gesamtsicht zum europäischen Antisemitismus nicht sehr vertraut.

Da die EU-Kommission sich zu dieser Studie verpflichtet hat, ist dies eine einzigartige Gelegenheit ihr entgegenzutreten und sie unter Druck zu setzen, damit sie endlich mit einem lohnenden strategischen Dokument zum Kampf gegen Antisemitismus aufwartet, das die antisemitische Vergangenheit des Kontinents und ein Eingestehen ihres eigenen enormen Versagens in diesem Bereich einbringt.

[1] https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/2021_commission_work_programme_en.pdf

[2] www.consilium.europa.eu/en/european-council/

[3] http://www.israelnationalnews.com/Articles/Article.aspx/14217

[4] Amy Elman: The European Union, Antisemitism, and the Politics of Denial. Lincoln,NE (University of Nebraska Press) 2015) – (Die Europäische Union. Antisemitismus und die Verleugnungspolitik)

[5] http://www.israelnationalnews.com/Articles/Article.aspx/15697

[6] Library.fes.de/pdf-files/do/07908-20110311.pdf

[7] http://www.ngo-monitor.org/reports/eu-funding-to-terror-linked-palestinian-ngos-since-2011/

[8] https://palwatch.org/page/3805 https://palwatch.org/page/10015

[9] http://www.ngo-monitor.org/topics/unrwa/

[10] https://heplev.wordpress.com/2019/02/18/berlin-europas-hauptstadt-des-antisemitismus/+

[11] http://www.bbc.com/news/world-europe-39478339

[12] http://www.jpost.com/international/spanish-politician-who-called-israel-illegal-state-named-deputy-pm-613893

[13] http://www.jpost.com/middle-east/top-eu-foreign-policy-nominee-has-record-of-slamming-israel-praising-iran-594633

Nach Antisemitismus in ihren Reihen implodiert eine niederländische rechte Partei

Manfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Vor ein paar Wochen hätte niemand vorhersagen können, dass der Antisemitismus in einer größeren populistischen rechten Partei der Niederlande zu deren Implosion führen würde. Die Partei Forum für Demokratie (FvD) wurde 2016 von dem jungen Intellektuellen Thierry Baudet gegründet, der jetzt 37 Jahre alt ist. Bei den Parlamentswahlen von 2017 gewann sie zwei Sitze.[1]

Den größten Erfolg erzielte die FvD bei den Provinzwahlen 2019, als sie in mehreren Provinzen zur stärksten Partei wurde.[2] Die FvD und die andere, länger bestehende rechtspopulistische Partei PVV – geführt von international besser bekannten niederländischen Politiker Geert Wilders – erhielten bei ihrem Wahlerfolg-Höhepunkt im April 2019 ein Viertel aller Stimmen.[3]

Im November wurde öffentlich bekannt – auch wenn es schon Monate vorher Hinweise dazu gab – dass es in der Jugendorganisation der FvD eine Reihe antisemitischer und extrem radikaler Aussagen gegeben hatte. In nicht öffentlicher Kommunikation behauptete ein Mitglied: „Juden hatten internationale Pädophilen-Netzwerke und halfen Frauen massiv in der Pornografie unterzukommen“, sowie: „Der Nationalsozialismus hatte die beste Wirtschaftsformel aller Zeiten.“[4]

Statt die extremen Radikalen hinauszuwerfen wurden die Whistleblower von der Jugendorganisation ausgeschlossen. Diese wird von Frederik (Freek) Jansen geleitet, einem engen Vertrauten Baudets. Er sagte mehrfach, wenn das Dritte Reich den Krieg nicht militärisch verloren hätte, hätte das zu einem wirtschaftlichen Erfolg und Stabilisierung dieses Systems auf weltweiter Ebene führen können. Ihm ist ebenfalls Verfälschung des Holocaust vorgeworfen worden.[5]

Baudet ist ein guter Redner und Debattierer, belesen, intelligent und extravagant, jedoch regelmäßig widersprüchlich, doppelgesichtig und ihm fehlen weitgehend Disziplin und Selbstkritik. Er ist eher eine Person, die von einem Romanautor für eine Kurzgeschichte erdacht sein könnte als ein Politiker, Manager oder Anführer.

Es ist schwierig Baudet auf seine Positionen zu konkreten Themen festzunageln. Er sagt oft Dinge die er später als „nur Leute necken“ beschreibt oder die Ausrede benutzt, er habe zu viel Alkohol getrunken.[6] Baudet sagt, er stelle nie klar, an was er sich gesagt zu haben erinnert, weil das Gedächtnis nicht unfehlbar ist.[7]

Die Unruhe in der Partei nahm vor kurzem rapide zu, hauptsächlich aufgrund der antisemitischen Äußerungen in der Jugendorganisation. Einige Kandidaten für die anstehenden Parlamentswahlen forderten die Auflösung der Jugendorganisation.[8] Der große Schritt, der zur Implosion der Partei bei den Umfragen führte, war wurde jedoch von Baudet gemacht. Er kündigte am 23. November an, dass er aus der FvD-Führung ausscheidet und die Liste für die anstehenden Parlamentswahlen im März 2021 nicht anführen wird. Es gab allerdings eine Bedingung: Baudet sagte, er könnte den letzten Platz auf der Liste der Partei einnehmen. Im niederländischen Wahlsystem bedeutet das, dass Vorzugsstimmen ihn immer noch ins Parlament bringen könnten.

Einige radikale Meinungen Baudets stehen außer Zweifel, auch wenn er sie bei anderen Gelegenheiten abstreitet:

  1. Er will, dass Europa ein weißer Kontinent ist. Mit üblicheren Worten ausgedrückt: Er ist ein weißer Rassist.[9]
  2. Er bewundert französische extreme Faschisten des 20. Jahrhunderts, Antisemiten und das Kollaborations-Regime von Vichy mit den Nazi-Deutschen. Dazu gehören Pierre Drieu la Rochelle,[10] Charles Maurraus, der Gründer der antisemitischen Action Française,[11] sowie Maurice Barres.[12]
  • Baude sagte vor Kurzem bei einem Essen – bestätigt von mehreren Teilnehmern – dass George Soros die Covid-Pandemie verbreitet habe, um den Menschen ihre Freiheit zu nehmen.[13] Ein paar Tage später sagte er, das sei eine absurde Haltung.[14]

Der politische Erfolg der von ihm aufgebauten Partei hat anscheinend zu Baudets zunehmendem Größenwahn geführt. 2018 sagte er, er würde wahrscheinlich innerhalb von drei Jahren niederländischer Premierminister werden.[15] Es gibt in den Medien eine Diskussion, ob er ein Konservativer ist, der sich radikalisiert hat oder ob er immer schon zumindest mehrere rechtsextreme Ansichten hatte, darunter einige antisemitische.[16]

Öffentlich hat das Forum für Demokratie immer proisraelische Haltungen eingenommen. Baudets Verlobte ist jüdischer Abstammung.[17] Er behauptet, seine Großmutter habe während der Besatzung der Niederlande durch die Deutschen einer jüdischen Frau das Leben gerettet.[18]

Angesichts von Baudets jüngsten Positionen verließ eine Reihe gewählter Vertreter der FvD die Partei. Ebenso mehrere ihrer Top-Kandidaten für die anstehenden Wahlen.[19] Baudet bedauerte seinen Rücktritt bald und wollte wieder Parteichef sein.[20] Daraufhin wurde schnell ein Referendum bei den FvD-Mitgliedern veranstaltet, in dem die Mehrheit Baudets Rückkehr unterstützte. Es dürfte kein anderer kein weiterer Kandidat teilnehmen. Baudets Wiederwahl führte zu weiteren Austritten aus der FvD. Darunter befinden sich die drei Mitglieder der Partei im Europaparlament.[21]

In Umfragen ist die Unterstützung der Partei zusammengebrochen. Einer der führenden niederländischen Meinungsforscher, Maurice De Hond, sagte, nach diesem Chaos sei das Wählerpotenzial der Partei auf drei bis vier Sitze geschrumpft. Der Meinungsforscher merkte an, dass es irrelevant sei, ob die FvD bei den anstehenden Wahlen von Baudet oder von einem seiner Gegner repräsentiert werde. Gleichzeitig gibt es jedoch große Unterstützung für die These, dass die Niederlande einen Typen wie Baudet brauchen.[22][23]

Der erste, der im neuen Jahrhundert eine innovative Rolle bei der niederländischen konservativen Rechten spielte, war Professor Pim Fortuyn. Er gründete eine neue Partei, die europaskeptisch sowie Muttikulturalismus und der Staatsbürokratie gegenüber kritisch eingestellt war. Er trat auch für härtete Maßnahmen gegen Verbrechen ein. Fortuyn wurde 2002 von einem extremen Tierrechtler ermordet,[24] was zum allmählichen Kollaps seiner Partei führte. Seine Ermordung dürfte die politische Geschichte der Niederlande auf eine wichtige Art verändert haben. Fortuyn war in den Niederlanden der bisher ernsthafteste konservative politische Kandidat. Baudet sprach ursprünglich mit Ideen, die weitgehend den gleichen Geist hatten, ein scheinbar konservatives Publikum rechts von der liberalen Partei VVD von Premierminister Mark Rutte an.

Die Niederlande könnten jetzt auf eine weitere Person warten müssen, um das konservative Führungsvakuum kompetent zu füllen. Derweil erzielte die PVV in De Honds jüngster Umfrage 28 Sitze, eine Zahl, die die größte Anzahl an Sitzen übertrifft, die sie je im Parlament hatte.[25]

Das Referendum hat Baudet als Parteichef bestätigt. Die FvD ist aber in der niederländischen Politik keine wichtige Kraft mehr. Baudet baute die Parte auf und ist der Hauptgrund für ihre Implosion. Ein – völlig unerwarteter – bizarrer Effekt besteht darin, dass Antisemitismus in diesem Prozess eine beträchtliche Rolle spielte.

[1] http://www.npofocus.nl/artikel/7583/wat-is-forum-voor-democratie-

[2] ebenda

[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Opinion_polling_for_the_next_Dutch_general_election – See date: 25 April 2019.

[4] http://www.volkskrant.nl/nieuws-achtergrond/onrust-bij-forum-over-racisme-en-antisemitisme-in-jongerenclub~b86e85dd/

[5] http://www.hpdetijd.nl/2020-05-26/rechterhand-baudet-relativeerde-holocaust/

[6] http://www.geenstijl.nl/5156539/het-onverholen-antisemitisme-van-thierry-baudet-een-tijdlijn-van-getuigenissen/

[7] www.youtube.com/watch?v=pedEQTzJ1yM

[8] https://nos.nl/artikel/2357810-baudet-geen-lijsttrekker-en-leider-meer-van-forum-voor-democratie.html

[9] https://nos.nl/artikel/2358110-brief-over-baudet-vol-ruzie-en-complottheorieen.html

[10] https://jalta.nl/politiek/baudet-en-drieu-la-rochelle/

[11] https://jonet.nl/nieuwe-getuigenissen-geven-beeld-van-baudet-als-overtuigd-antisemiet/

[12] https://overdemuur.org/baudets-franse-fascistische-connectie/

[13] http://www.ad.nl/politiek/fvd-senator-baudet-gelooft-in-complottheorieen-over-corona~ab1b628d/

[14] www.youtube.com/watch?v=pedEQTzJ1yM

[15] http://www.ad.nl/show/thierry-baudet-onthult-ik-ben-verliefd-en-verloofd~a53fecfe/

[16] http://www.geenstijl.nl/5156539/het-onverholen-antisemitisme-van-thierry-baudet-een-tijdlijn-van-getuigenissen/

[17] http://www.dagelijksestandaard.nl/2020/11/thierry-baudet-heeft-sleutels-partijkantoor-terug-bestuurders-van-der-linden-en-rooken-moeten-opstappen/

[18] http://www.ditjesendatjes.nl/thierry-baudet-emotioneel-om-overleden-oma/

[19] https://nos.nl/artikel/2357914-hiddema-fvd-verlaat-per-direct-de-tweede-kamer.html

[20] http://www.ad.nl/politiek/baudet-stelt-zich-toch-weer-verkiesbaar-als-leider-forum-voor-democratie~aa4902a4/

[21] http://www.ditjesendatjes.nl/fvders-in-brussel-breken-met-partij-en-gaan-zelfstandig-verder/

[22] http://www.maurice.nl/peilingen/2020/11/27/de-stemming-27-11-2020/

[23] http://www.maurice.nl/peilingen/2020/11/29/de-electorale-positie-van-fvd-na-de-interne-clash/

[24] https://nos.nl/artikel/370137-pim-fortuyn-10-jaar-dood.html

[25] http://www.maurice.nl/peilingen/2020/11/27/de-stemming-27-11-2020/